Von Jürgen Fritz, So. 10. Nov. 2024, Titelbild: tagesschau-Screenshot
Nächstes Argument gegen Neuwahlen nicht erst Ende März 2025, sondern schon im Januar: Deutschland schaffe es nicht, innerhalb von knapp drei Monaten genügend Papier zu beschaffen für eine Bundestagswahl. Dafür brauche man mehr Zeit. Das ist kein Scherz, das sagte die Bundeswahlleiterin am Freitagabend in der ARD. Was dahinter steckt.
Der plötzliche Sinneswandel der Bundeswahlleiterin
Dabei meinte die Bundeswahlleiterin Ruth Brand am Donnerstag noch, sie sehe keine Hindernisse für eine rasche Neuwahl. Ein Sprecher ihrer Behörde erklärte, die organisatorischen Vorbereitungen könnten ebenso kurzfristig getroffen werden wie bei regulären Wahlen. Die Bundeswahlleiterin sorge dafür, dass alle gesetzlichen Vorschriften eingehalten und die Wahl ordnungsgemäß durchgeführt wird. Rechtlich seien die erforderlichen Fristen klar geregelt, eine Neuwahl innerhalb weniger Wochen sei ohne Weiteres durchführbar. Nur ein Tag später war alles plötzlich hochproblematisch und man hatte nicht genügend Papier, könne auch keines beschaffen innerhalb von „nur“ knapp drei Monaten.
Ein Sprecher der Bundeswahlleiterin bestätigte anschließend gegenüber der BILD: Ja, vor Versand des Briefes, in dem die Bundeswahlleiterin vor allzu frühen Neuwahlen warnt, habe es Kontakt mit dem Bundeskanzleramt gegeben. Eine Einflussnahme soll aber angeblich nicht stattgefunden haben.
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Über 12,5 Wochen sollen angeblich nicht ausreichen, um Neuwahlen zu organisieren
Dabei sprechen wir von einem Zeitraum von über 12,5 Wochen vom Ampel-Aus bis zum Neuwahltermin. Am 6. November 2024 platzte die Ampel, als Scholz die Entlassung von Bundesfinanzminister Lindner verkündete und anschließend alle FDP-Minister mit Ausnahme von Volker Wissing, der aus der FDP austritt und in der Scholz-Regierung bleibt, um ihre Entlassung gebeten haben. Ab diesem Zeitpunkt hatte Scholz kein Vertrauen mehr des Deutschen Bundestages, keine Mehrheit mehr im Parlament.
Die Union forderte den Bundeskanzler daraufhin sofort auf, die Vertrauensfrage zu stellen. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag Jens Spahn schrieb bereits am Abend des 6. November: »Der Kanzler ist seit 3 Jahren unfähig, mit einer Mehrheit zu regieren. Wieso sollte er das jetzt ohne Mehrheit schaffen? Das ist Taktiererei auf Kosten politischer Stabilität. Olaf Scholz sollte die Vertrauensfrage gleich morgen im Bundestag stellen. Er ist als Kanzler gescheitert.«
Am 7. November formulierte Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender Deutschlands und CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag (Oppositionsführer): »Der Bundeskanzler hat seit gestern Abend keine Mehrheit im Deutschen Bundestag mehr. Er spielt auf Zeit und ich weiß nicht warum. Er muss selbst den Weg für Neuwahlen freimachen, anstatt sie zu verschleppen.«
Auch die FDP forderte schnell das Stellen der Vertrauensfrage und schnelle Neuwahlen. Wolfgang Kubicki, Vizepräsident des Deutschen Bundestages und stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP, ließ schon am 7. November verlauten: »Dieser Kanzler hat sich nicht mehr im Griff. Jeder weitere Tag seiner Amtszeit schadet dem Land.«
Die Union fordert Scholz nunmehr auf, am Mittwoch, den 13.11.2025, die Vertrauensfrage im Deutschen Bundestag zu stellen, also sieben Tage nach der Ankündigung von Scholz, dass er den Bundespräsidenten um Lindners Entlassung beten wird, was gleich am nächsten Tag erfolgte. Nach einer Vertrauensfrage, in dem der Bundestag dem Bundeskanzler das Vertrauen nicht ausspricht, hat der Bundespräsident 21 Tage Zeit, den Bundestag aufzulösen. Steinmeier hat gleich zu erkennen gegeben, dass er dazu bereit ist. Anschließend müssen innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen durchgeführt werden.
Wir reden also von einem Zeitraum von 7 Tage + 21 Tage + 60 Tage = 88 Tage = über 12,5 Wochen, fast ein viertel Jahr! Und dieser Zeitraum soll angeblich nicht ausreichen, um Neuwahlen zu organisieren.
Papierindustrie widerspricht der Bundeswahlleiterin: Es gebe keinen Papiermangel, daran werden Neuwahlen im Januar nicht scheitern
Am Samstagnachmittag meldete ZDF heute dann:
»An einem Papiermangel sollte eine vorgezogene Neuwahl nicht scheitern: Das bestätigt der Industrieverband der deutschen Papierindustrie exklusiv gegenüber dem Nachrichtenportal ZDF heute – und widerspricht damit der Bundeswahlleiterin. (…) Auf die Frage, ob die deutsche Papierindustrie auch schnell genug das notwendige Papier für Wahlunterlagen für eine Neuwahl schon im Januar liefern könne, entgegnet der Verband: „Klare Antwort: Ja. Bei rechtzeitiger Bestellung können wir das benötigte Papier für eine vorgezogene Bundestagswahl liefern.“«
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Polen bietet Deutschland Hilfe an, wenn es nicht genügend Papier und Drucker habe, um eine Wahl durchzuführen
Dass Deutschland sich mit solchen Aussagen, es habe nicht genügend Papier, um innerhalb von drei Monaten Neuwahlen zu organisieren, und könne „so schnell“ auch keines beschaffen, international lächerlich macht, muss wohl nicht eigens betont werden. Unterdessen hat sich nun Polen angeboten, Deutschland zu helfen, wenn sein Papier und seine Drucker nicht ausreichen würden, um eine Wahl durchzuführen. „Wenn Deutschland Drucker und Papier braucht, werden wir beides auf jeden Fall an unsere Nachbarn verkaufen. Daran werden auch polnische Unternehmen verdienen, was die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft weiter steigern wird“, sagte Dariusz Joński, Europaabgeordneter der Mitte-Links Bürgerkoalition.
SPD-Schattenkanzler: Wahltermin „interessiert die Bürger überhaupt nicht“
Währenddessen erklärte der SPD-Schattenkanzler (SPD-Fraktionschef im Deutschen Bundestag) Rolf Mützenich (Russen-Rolf), dass es die Bürger überhaupt nicht interessiere, wann die nächste Wahl stattfinde. Das sei „ein Popanz“, den „die Union aufbaue“.
Die SPD versucht offensichtlich alles Mögliche, um die Neuwahlen in den März hinein zu verschleppen. Warum genau sie das versucht, kann nicht definitiv sicher gesagt werden. Vermutlich erhofft sie sich dadurch bessere Chancen, bei dieser Wahl zumindest nicht völlig unter die Räder zu kommen. Am 2. März 2025 finden in der Freien und Hansestadt Hamburg Bürgerschaftswahlen (Landtagswahlen) statt. Hamburg ist von den 16 Bundesländern eine der letzten SPD-Hochburgen. 2020 kam sie dort bei der Bürgerschaftswahl auf 39,2 Prozent der Stimmen, aktuell liegt sie bei ca. 30 Prozent.
Offensichtlich erhofft man sich in der SPD, dass ein Wahlsieg in Hamburg zumindest ein wenig Auftrieb geben würde für die Bundestagswahl und sieht darin eine Chance, die negative Stimmung zumindest ein wenig drehen zu können. Nach aktuellem Stand drohen der SPD bei der Bundestagswahl Verluste in Höhe von ca. zehn Prozentpunkten (von 25,7 Prozent auf ca. 15 bis 16 Prozent), womöglich sogar noch höhere Verluste. Davor hat sie wohl panische Angst und stellt, so jedenfalls der Verdacht, parteipolitische Interessen über staats- und gesellschaftspolitische Interessen, über das Gemeinwohl.
Auch die Grünen haben genug von den SPD-Spielchen und wollen schnell Neuwahlen
Aber selbst die Grünen haben inzwischen genug von diesen Spielchen und setzen sich immer deutlicher ab von der SPD. Offensichtlich hat man bei den Grünen Angst, dass die Partei in den Köpfen der Wähler fest mit der SPD wird, zumal wenn man jetzt ohne die FDP in einer rot-grünen Minderheitsregierung monatelang weiterregiert. Daher wollen immer mehr Grüne ebenfalls schnelle Neuwahlen.
Reinhard Bütikofer, 2002 bis 2008 Bundesvorsitzender der Grünen, 2009 bis 2024 Mitglied des Europäischen Parlaments, 2012 bis 2019 einer der beiden Vorsitzenden der Europäischen Grünen Partei, schreibt auf X:
»In der Bündnisgrünen Partei staut sich gerade, so weit ich beobachte, erheblicher Unmut darüber auf, dass der Bundeskanzler bei der Vertrauensfrage auf Zeit zu spielen scheint, obwohl Merz sogar anbietet, im Gegenzug noch einige wichtige Gesetze mitzutragen. Kann die SPD mal die taktischen Spielchen lassen und einfach dem folgen, was zunehmend das ganze Land von ihr sehen will? Es interessiert jetzt nicht, welche Vorteile Scholz herbeitaktieren will. Das reicht!«
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