Von Jürgen Fritz, Mo. 29. Mrz 2021, Titelbild: YouTube-Screenshot
Eine Vorzeichenregel besagt, dass nicht nur Plus mal Plus, sondern auch Minus mal Minus Plus ergibt. Warum aber ist dem so? Dazu gibt es mehrere Erklärungen, insbesondere eine rein formal-logische, aber auch anschauliche. An diesem Beispiel soll das Wesen der Mathematik, ihr Verhältnis zur Wirklichkeit (Realität) und damit auch der mathematische Wahrheitsbegriff philosophisch beleuchtet werden.
Vorbemerkung
In Teil eins habe ich versucht, aufzuzeigen, dass die Philosophie der Mathematik ein Teil der theoretischen Philosophie ist, diese erläutert und zur praktischen Philosophie abgegrenzt. Dabei habe ich insbesondere die zwei grundlegenden geistigen Beziehungen zu Welt unterschieden: 1. das Glauben oder Meinen, dass etwas der Fall ist, und 2. das Wünschen, also das Meinen, dass etwas der Fall sein sollte. Mit anderen Worten 1. die Wort-auf-Welt-Ausrichtung und 2. die Welt-auf-Wort-Ausrichtung. Damit stellte sich die Frage, wie die Mathematik hier hinein passt. In dieser geht es sicher nicht, um das Wünschen, also das Meinen, dass etwas der Fall sein sollte.
Somit stellt sich die Frage, ob es in der Mathematik darum geht, das Richtige über das Sein der Welt zu meinen. Das kann man so sehen als ontologischer Realist, wie Kurt Gödel, man kann es aber als Intuitionist bzw. Konstruktivist oder als Formalist auch anders sehen. Intuitionisten meinen, dass es mathematische Gegenstände in der Realität gar nicht gäbe, sondern nur in unserem Geist, in unserem Denken (im semiotischen Dreieck oben) und in den Zeichen, also der Sprache (unten rechts). Formalisten wollen das obere Eck auch noch wegstreichen und Mathematik ausschließlich auf der syntaktischen Ebene behandeln, als das Hantieren von Zeichen nach exakten Regeln.
Wenn man nun also aufzeigen möchte, warum Minus mal Minus Plus ergeben muss, dann kann man zunächst verdeutlichen, dass sich dies rein logisch-deduktiv aus der Axiomatik der natürlichen Zahlen, der Peano-Axiome, ergibt, sowie der darauf aufbauenden rekursiven Definition der Addition und Multiplikation sowie der Zahlbereichserweiterung, zunächst auf die ganzen Zahlen (positive und negative ganze Zahlen), dann der rationalen Zahlen (Brüche) und der reellen Zahlen (auch solche, die sich nicht als Bruch darstellen lassen, wie z.B. die Wurzel aus 2). Das Ganze lässt sich aber auch sehr anschaulich erklären. Dazu gleich mehr. Zuvor noch zwei, drei Bemerkungen zur Mathematik als nicht empirische Einzelwissenschaft, sondern Struktur- oder Formalwissenschaft.
Eine mögliche Einteilung der Wissenschaften
Die verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft haben sich die letzten Jahrzehnte und Jahrhunderte immer mehr aufgefächert. Immer mehr Disziplinen und Teilgebiete innerhalb dieser haben sich herausgebildet. Wenn man all diese in eine systematische Ordnung bringen möchte, könnte diese wie folgt aussehen:
A. Philosophie, die nicht nur ein bestimmtes Teilgebiet wissenschaftlich untersucht, sondern als Mutterwissenschaft einen quasi unbegrenzten Gegenstandsbereich hat. Ein Philosoph kann alles untersuchen, sofern es irgendwie eine philosophische Relevanz hat. Das hängt nicht von dem Gebiet ab, sondern eher von der Fragestellung. Anders dagegen …
B. Die Einzelwissenschaften, gleichsam die Kinder, die sich nach und nach selbstständig machten und sich spezialisierten und alle ihre je eigene Methodik entwickelten, wobei diese Methodiken alle Gemeinsamkeiten aufweisen, was gerade ihre Wissenschaftlichkeit ausmacht. Die Einzelwissenschaften, die alle einen speziellen Untersuchungsgegenstand haben (und sich dann natürlich im Laufe der Zeit in immer weitere Einzel- und Unterdisziplinen entwickelt haben), lassen sich dann in folgende Rubriken unterteilen:
I. die Formal- oder Struktrurwissenschaften, wie die formale Logik, die reine Mathematik, die theoretische Informatik, die theoretische Linguistik. All diese formalen Disziplinen untersuchen nicht die Wirklichkeit, die Realität, sondern erschaffen quasi eigene Welten oder künstliche Sprachen, Kalküle etc., das aber nicht wie die Literatur, Kunst oder Musik rein aus der Phantasie, sondern nach wissenschaftlichen, logischen Grundsätzen, so dass hier rein formale Welten entstehen. Und hier zeigt sich dann regelmäßig, dass die Erkenntnisse, die hier gewonnen werden, auf die Wirklichkeit irgendwie anwendbar sind und oft auch helfen, diese besser zu verstehen. Dies gilt auch für die Mathematik. Dazu gleich mehr.
Sobald Mathematiker und andere übrigens darüber nachdenken, welches Verhältnis die Erkenntnisse der Mathematik zur Wirklichkeit haben, betreiben sie nicht mehr Mathematik, sondern Metamathematik, betreten damit gleichsam die Sphäre der Philosophie, denn dieses reflexive Denken vollzieht sich nicht mehr nach der Methodik der Mathematik, sondern ist eine Ebene darüber. Daher „Meta“ vom griechischen μετά = metá = ‚danach‘, ‚hinter‘, ‚jenseits‘.
II. Die Erfahrungs-, Realwissenschaften oder empirischen Wissenschaften, welche die Wirklichkeit systematisch untersuchen. Diese lassen sich wiederum einteilen in die großen Bereiche:
- der Naturwissenschaften und
- der Kulturwissenschaften, welche sich wiederum unterteilen lassen in a) Geisteswissenschaften (Geschichte, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Literaturwissenschaften, Religionswissenschaften, Sprachwissenschaften …) sowie b) Sozialwissenschaften inkl. Wirtschaftswissenschaften.
Der formale Aufbau der Arithmetik
In der Mathematik geht es also zunächst einmal nicht darum, die Realität zu erklären, sondern es werden völlig abstrakt Strukturen untersucht und konstruiert über Axiomensysteme, Definitionen und logische Ableitungen (Beweise) aus dieser Basis. Die Peano-Axiome haben sich hierbei seit weit mehr als hundert Jahren als ideale Basis erwiesen. Diese lauten:
- I. 0 ist eine natürliche Zahl.
- II. Jede natürliche Zahl n hat eine natürliche Zahl n‘ als Nachfolger.
- III. 0 ist kein Nachfolger einer natürlichen Zahl. (Es gibt mithin einen Anfang, eine Startzahl.)
- IV. Natürliche Zahlen mit gleichem Nachfolger sind gleich. Für alle natürlichen Zahlen m und n gilt mithin: Wenn m‘ = n‘, dann auch m = n.
- V. Enthält eine Menge X die 0 und mit jeder natürlichen Zahl n auch deren Nachfolger n‘, so bilden die natürlichen Zahlen eine Teilmenge von X (Induktionsaxiom).
Aus diesen fünf Axiomen lassen sich jetzt viele Sätze direkt beweisen, zum Beispiel dass gilt: Eine Zahl und ihr Nachfolger sind nie gleich. Auf dieser Axiomatik kann als nächstes dann die Addition wie folgt definiert werden:
- a + 0 = a und
- a + b‘ = (a + b)‘, sprich: a plus der Nachfolger einer Zahl b ist gleich dem Nachfolger der Summe aus a und b, zum Beispiel 3 + 5 = der Nachfolger von (3 + 4).
Damit ergibt sich, wenn wir für a und b systematisch eine natürliche Zahl nach der anderen einsetzen:
- Aus dem ersten Teil der Definition ergibt sich: 0 + 0 = 0, 1 + 0 = 1, 2 + 0 = 2 … usw.
- Aus dem zweiten Teil der Definition ergibt sich: 0 + 1 = (0 + 0)‘ = 0′ = 1
- 1 + 1 = (1 + 0)‘ = 1′ = 2 usw.
Ebenso lässt sich die Multiplikation nun rekursiv definieren, indem also immer nur auf Bekanntes zurückgegangen wird:
- a x 0 = 0 und
- a x b‘ = a x b + a
Wenn wir jetzt wieder die Zahlen der Reihe nach für a und b einsetzen, erhalten wir:
- Aus dem ersten Teil der Definition: 0 x 0 = 0, 1 x 0 = 0, 2 x 0 = 0 … usw.
- Aus dem zweiten Teil der Definition: 1 x 1 = 1 x 0′ = 1 x 0 + 1 = 0 + 1 = 1
- 2 x 1 = 2 x 0′ = 2 x 0 + 2 = 2
- 3 x 1 = 3 x 0′ = 3 x 0 + 3 = 3
- …
- 1 x 2 = 1 x 1′ = 1 x 1 + 1 = 1 + 1 = 2
- 2 x 2 = 2 x 1′ = 2 x 1 + 2 = 2 + 2 = 4
- …
Der formale Beweis, dass Minus mal Minus Plus ist
Aus diesen fünf Axiomen und weiteren Definitionen, wie der Addition, Multiplikation usw. wird also ein riesiges System von Sätzen aufgebaut, die sich alle aus den Axiomen und Definitionen beweisen lassen. Und so lässt sich dann schließlich auch zeigen, dass Minus mal Minus Plus ergibt, zum Beispiel so:
- a + (-a) = 0
- Nun multiplizieren wir beide Seiten der Gleichung mit (-b), wobei b ungleich 0, was zulässig ist, weil gilt: Wenn p = q, dann gilt auch s x p = s x q. Dies lässt sich zuvor ebenfalls aus den Axiomen herleiten und beweisen. Damit erhalten wir:
- a x (-b) + (-a) x (-b) = 0 x (-b) = 0, denn die Multiplikation mit 0 ergibt immer 0.
- Jetzt ziehen wir als erstes das Minuszeichen in dem ganz linken Term nach vorne, denn es gilt: p x (-q) = – (p x q) und erhalten so:
- – (a x b) + (-a) x (-b) = 0
- Nun addieren wir auf beiden a x b und erhalten so:
- (-a) x (-b) = a x b.
Damit haben wir genau das bewiesen, was wir zeigen wollten, (-) x (-) = (+) x (+) = +, und das rein aus dem Peano-Axiomen und den eingeführten Definitionen.
Subjektiver und objektiver Logos
Dieses Beispiel zeigt sehr schön, dass das, was hier in der von der Realität losgelösten reinen Mathematik erschaffen wird, seltsamerweise unglaublich gut zur Wirklichkeit passt und ungemein hilft, diese zu verstehen und zu erklären. Dies ist vielleicht eines der tiefsten Wunder der Welt und das veranlasste Galileo Galilei zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu folgendem Diktum:
„Die Philosophie ist geschrieben in jenem großen Buche, das immer vor unseren Augen liegt; aber wir können es nicht verstehen, wenn wir nicht zuerst die Sprache und die Zeichen lernen, in denen es geschrieben ist. Diese Sprache ist Mathematik, und die Zeichen sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren, ohne die es dem Menschen unmöglich ist, ein einziges Wort davon zu verstehen; ohne diese irrt man in einem dunklen Labyrinth herum.“ (Saggiatore 1623. Abschnitt 6).
Jetzt aber die anschauliche Erklärung, aus der ersichtlich wird, wie gut die reale Welt zu dem passt, was in der Mathematik und der Logik rein formal erschaffen wird, was ja nicht so sein müsste!, überraschenderweise aber immer wieder tatsächlich so ist. Das lässt nicht wenige Wissenschaftlicher immer wieder unglaublich stauen und das könnte man philosophisch zum Beispiel auch so deuten, dass es in der Natur, in der Welt selbst einen objektiven Logos gibt, der irgendwie hervorragend mit unserem inneren Logos harmoniert und zusammenpasst.
Dies könnte man wiederum aus der Evolution des Lebens und des Geistes versuchen zu erklären: Unser Geist hat sich eben über Jahrmillionen genau so entwickelt, dass er die Wirklichkeit zwar nie vollständig erkennt, aber doch so, dass Erkenntnis überhaupt möglich ist. Hätte unsere innerer Logos und der objektive Logos der Welt gar nicht zusammengepasst, wären unsere Vorfahren wahrscheinlich längst ausgestorben.
Konstruktion oder Veranschaulichung der natürlichen Zahlen über die Mächtigkeit von Mengen
Aber zurück zur Mathematik. Zunächst kann man sich klar machen, dass man die natürlichen Zahlen (0, 1, 2 …) auch anders als rein formal-rekursiv über die Peano-Axiome von 1889 konstruieren könnte. Tatsächlich wurden sie historisch ja auch lange vor dem 19. Jahrhundert anders entwickelt und so lernen es auch kleine Kinder, nämlich über die Mengenlehre. Die Addition von natürlichen Zahlen entspricht dann der Mächtigkeit der Vereinigungsmenge von disjunkten Mengen, also solche, die keine gemeinsame Elemente haben:
In dem einen Korb sind drei Äpfel, in dem anderen zwei. Kein Apfel ist in beiden Körben zugleich (disjunkte Mengen). Wenn man nun die beiden Körbe zusammenschüttet in einen dritten, so erhält man 3 + 2 = 5 Äpfel. Natürliche Zahlen entsprechen also den Kardinalzahlen, welche die Mächtigkeit von Mengen beschreiben. Das ist im Grunde die einfachste Veranschaulichung, stellt für ein kleines Kind aber bereits eine sehr große Abstraktion dar: „Was haben diese beiden Teller gemeinsam?“ – „Da liegen drei kleine Kartoffeln drauf und dort auch“ (erste Abstraktion mit gleichen Gegenständen). „Und was haben diese beiden Teller mit den kleinen Kartoffeln darauf mit dem kleinen Bildern über dem Sofa zu tun und mit deinen Buntstiften?“ – „Das sind auch jeweils drei“ (weitere Abstraktion: nun wird die Mächtigkeit von Mengen verschiedener Gegenstände verglichen, was eine enorme gedankliche Leistung darstellt).
Auf diese Weise wird schließlich eine Klassenbildung erzeugt: Alle Mengen im Universum, die gleich viele Elemente besitzen, bilden eine Klasse, der die gleiche Kardinalzahl zugeordnet wird, welche die Mächtigkeit all dieser Mengen beschreibt, also angibt, aus wie vielen Elementen all diese Mengen jeweils bestehen. Auf diese Weise entsteht dann jeweils genau eine natürliche Zahl, zum Beispiel die 7, die ontologisch kein allgemeines Ding, keine Universalie darstellt, sondern ein abstraktes Einzelding ist, während die natürlichen Zahlen abstrakte Universalien sind, da es ja viele, sogar unendlich viele natürliche Zahlen gibt und nicht nur eine.
Zahlen sind etwas anderes als Ziffern
Eine Zahl (Begriff im Denken, oben im semiotischen Dreieck) ist übrigens etwas anders als eine Ziffer. Das wird sehr häufig, eigentlich dauernd verwechselt. Die Zahlen werden erzeugt durch die Peano-Axiome oder sie werden konstruiert oder erkannt (je nach philosophischer Position, was Zahlen sind) über die Mächtigkeit von Mengen, wobei jede natürliche Zahl genau eine solche Mächtigkeit beschreibt. Wie die Zahlen heißen, ihre Benennung (unten rechts), spielt dabei keine Rolle. Die Namensgebung selbst ist völlig beliebig. Ist der Name aber einmal vergeben, dann muss er natürlich ein- und beibehalten bleiben.
Die Ziffern (Benennung in der Sprache) sind dabei nur ein genialer Trick, wie man die Zahlen mit nur 10 Zeichen (‚0‘ bis ‚9‘) geschickt benennen kann. Dadurch wird es möglich mit nur zehn Zeichen unendliche viele Zahlen, sprich Entitäten zu benennen, ähnlich wie man unendlich viele Wörter bilden kann mit nur 26 Buchstaben. Es müssten auch nicht zehn Ziffern sein. Es könnten auch fünf oder nur zwei sein. Im Falle von zwei Ziffern landen wir im Dualsystem. Das Zehnersystem, das sich durch setzte, wahrscheinlich weil wir zehn Finger haben, ist irgendwie besonders praktikabel, aber mit neun oder zwölf Ziffern ginge es sicherlich ähnlich gut. Die gleiche Zahl, zum Beispiel neun, hat also in verschiedenen Zeichensystemen einen anderen Namen, ist aber immer die gleiche Zahl, nämlich die, welche in der Peanoaxiomatik auf die acht folgt bzw. die, welche die Mächtigkeit von Mengen mit neun Elementen beschreibt. Die Neun heißt im
- Zweiersystem: 1001
- Neunersystem: 10
- Zehnersystem: 9
- Zwölfersystem: 9
Der Bezug zur Realität beim Rechnen mit natürlichen Zahlen
Die Ziffernschreibweise erleichtert zudem das Rechnen ungemein. Und das Rechnen, welches zunächst rein formal definiert und axiomatisch begründet wurde, lässt sich dabei bei den natürlichen Zahlen stets auf das Hantieren mit Mengen realer Dinge übertragen. Entsprechend ist nicht nur die Addition natürliche Zahlen, sondern auch die Subtraktion erklär- oder konstruierbar und ebenso die Multiplikation. Die Subtraktion entspricht hierbei der Restmengenbildung, wenn man einzelne Elemente wegnimmt. Die Division entspricht der Aufteilung einer Menge in gleich große Teilmengen und die Multiplikation kann man sich dabei vorstellen als eine verkürzte Schreibweise der Addition mit lauter gleichen Summanden:
2 + 2 + 2 = 3 x 2 = 6.
Hier wird also eine Vereinigungsmenge aus mehreren Mengen gebildet, die alle die gleiche Mächtigkeit haben. Das hat den großen Vorteil, dass man nicht mehr schreiben muss
4 + 4 + 4 + 4 + 4 + 4 + 4 = 28,
sondern viel kürzer:
7 x 4 = 28.
Eine enorme Arbeitserleichterung! Jetzt muss man nur noch das Kleine Einmaleins lernen und kann sofort innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde eigentlich komplexe Fragen beantworten. Nun zur Ausgangsfrage:
Warum ergibt Minus mal Minus gleich Plus?
Wie kann man sich das nicht nur aus der Axiomatik der natürlichen, ganzen, rationalen und reellen Zahlen und entsprechenden Definitionen logisch schlüssig herleiten (beweisen), sondern auch anschaulich erklären und verständlich machen? Nun ein Minuszahl kann man sich zum Beispiel vorstellen als Schulden.
Ich könnte in meinem Geldbeutel Scheine und Münzen haben im Wert von z.B. 100 Euro und einen Schuldschein oder eine offene Rechnung über 30 Euro. Wenn ich nun jemandem diese Geldbörse anbiete und ihn frage, ob er alles, was darin ist, übernehmen möchte, sowohl das Guthaben in Form der Geldscheine und Münzen als auch den Schuldschein, so könnte man sagen: Der Wert des Inhalts entspricht 100 Euro – 30 Euro = 70 Euro.
Wenn ich nun einen weiteren Schuldschein oder eine offene Rechnung über 50 Euro hinzufüge, also addiere, dann verringert sich der Wert des Inhalts wie folgt:
70 Euro + (- 50 Euro) = 20 Euro.
Wenn ich aber umgekehrt anschließend beide Schuldscheine herausnehme aus der Geldbörse (subtrahiere), dann vergrößert sich der Wert wieder von:
20 Euro – (-30 Euro) – (- 50 Euro) = 20 Euro + 30 Euro + 50 Euro = 100 Euro.
Zwischenfazit
Wir können somit vier Fälle unterscheiden:
- + (+a) = + a ==> Ich gebe etwas Positives, z.B. Geldmünzen, hinzu, also steigt der Wert.
- + (-a) = -a ==> Ich gebe etwas Negatives, z.B. einen Schuldschein hinzu, also sinkt der Wert.
- – (+a) = -a ==> Ich nehme etwas Positives, zum Beispiel einen Geldschein heraus, also verringert sich der Wert.
- – (-a) = + a ==> Ich nehme etwas Negatives weg, so dass sich der Wert um das Weggenommene erhöht.
Das, was in der Mathematik rein axiomatisch konstruiert wurde, erklärt also ganz genau diese in der Wirklichkeit vier unterschiedlichen Fälle und zwar vollständig. Die Mathematik, das was der menschliche Geist rein logisch-formal konstruierte, passt haargenau zur Realität.
Und damit ist auch schon fast die Multiplikation zweier negativer Zahlen anschaulich erklärt.
(-3) x (-4)
bedeutet: Ich nehme z.B. dreimal einen Schuldschein in immer gleicher Höhe, nämlich 4 Euro weg. Also steigt der Wert um 12 Euro.
Fazit
Wenn man mehrmals etwas Negatives nicht hinzugibt (addiert), sondern wegnimmt (subtrahiert), steigt der Wert, z.B. der Geldbörse oder des Kontos etc. Und Multiplikation ist ja im Grunde das mehrmalige Addieren oder Subtrahierten des gleichen Summanden bzw. Subtrahenten.
Dieses Grundprinzip gilt übrigens auch in anderen Bereichen des Lebens.
- Wenn man einem Menschen oder überhaupt einem empfindungsfähigen Wesen etwas Angenehmes (+) zufügt (+), dann tut dies diesem Wesen gut (+).
- Nimmt man dagegen etwas Angenehmes (+) weg (-), so erleidet das Wesen einen Verlust (-).
- Fügt man etwas Schmerzhaftes (-) zu (+), so ist das für den Menschen, das Tier negativ (-) und
- nimmt man ihm Schmerz (-) weg (-), so ist dies etwas äußerst Positives (+).
Und damit wird wieder deutlich: Dass, was in der Arithmetik (dem Operieren mit Zahlen) und in der Algebra (nicht nur Zahlen, sondern auch mit Buchstaben, also die nächste Abstraktionsstufe) rein formal axiomatisiert und definiert und so rein über Strukturen konstruiert wird, passt ganz wunderbar zur Wirklichkeit und hilft, diese besser zu verstehen, zu erklären und mit ihr umzugehen.
Die tiefe Faszination des Zusammen-passens
Das ist wie gesagt nicht selbstverständlich. Das müsste nicht so sein, so wie es nicht sein müsste, dass die schwere Masse und die träge Masse identisch sind, so dass man einfach von „der Masse“ sprechen kann. Dass ein Körper, der doppelt so träge ist, für den also die doppelte Kraft notwendig ist, um ihn um den Faktor a zu beschleunigen, auch doppelt so schwer ist, sprich andere Körper doppelt so stark anzieht und von ihnen doppelt so stark angezogen wird (Gravitation), müsste nicht so sein und lange wusste man nicht, ob dem so ist oder nicht. Erst im 20. Jahrhundert konnte man nachweisen, dass Trägheit und Schwere genau gleich anwachsen oder abnehmen. Einstein erklärte es dann 1915 in der Allgemeinen Relativitätstheorie auf andere Weise, dass dem so sein muss. Aber dass die Natur in sich oft so stimmig ist, ist wie gesagt zutiefst faszinierend.
Auch dass die quasi völlig losgelöste formale Mathematik immer wieder so gut auf die Wirklichkeit passt, ist ein unglaublich schönes und auch beglückendes Erlebnis, was wohl dazu führt, dass man sich in der Welt irgendwie wohler fühlt, wenn man sie besser versteht und wenn man diese Zusammenhänge erkennt. Und es erzeugt bei vielen auch so etwas wie Ehrfurcht vor der Wirklichkeit, vor der Welt, der Natur, vor der inneren, nicht sofort mit den Sinnen erkennbaren tieferen Schönheit, wobei hier die Schönheit nicht über die Wahrheit gestellt werden sollte. Die theoretische Physikerin Sabine Hossenfelder weist in letzter Zeit immer wieder auf die Gefahren und den Irrweg hin, was passiert, wenn hier die Reihenfolge verdreht und die Schönheit über die Wahrheit gestellt wird, so ihn ihrem Buch „Das hässliche Universum: Warum unsere Suche nach Schönheit die Physik in die Sackgasse führt“.
Das Finden von Schönheit auf der Suche nach Wahrheit
Wissenschaften haben eben anders als Künste die Aufgabe, nicht Schönes zu erzeugen, sondern a) künstliche Sprachen und Welten nach formal-logischen Aspekten zu erschaffen (Strukturwissenschaften), die dann seltsamerweise überaus hilfreich sind zum Verstehen und Bewältigen der Welt, oder b) die Wirklichkeit in ihrem tatsächlichen Sein, sei es schön oder nicht, zu erkennen (Realwissenschaften) respektive c) in der Philosophie dies alles zu einem Ganzen zusammenzufügen. Wissenschaften sind also der Wahrheit verpflichtet. Das heißt, die innere Repräsentation der Welt muss, das ist das wissenschaftliche Ziel und der wissenschaftliche Maßstab, die Welt korrekt beschreiben.
Umso faszinierender ist es dann natürlich, wenn die Wissenschaften Schönheit in den Tiefenstrukturen der Welt entdecken, nicht weil die Suche nach dem Schönen ihr Leitgedanke war, sondern weil diese Schönheit in der Welt einfach da ist und daher erkannt werden kann. Vielleicht auch weil in ihr ein innewohnender objektiver Logos waltet, der gerade unserer Spezies irgendwie besonders zugänglich ist. Metaphorisch oder dichterisch gesprochen: Der darauf wartet, von uns in seinem Sein erkannt zu werden.
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