Morgens um 06:15 Uhr Hausdurchsuchung bei Rentner weil er dieses Bild retweetet hat

Von Jürgen Fritz, Do. 14. Nov. 2024, Update: Fr. 15. Nov 2024, Titelbild: NIUS-Screenshots

Janina Lionello berichtet auf NIUS, dass Kriminalbeamte den 64-jährigen Stefan Niehoff und seine Familie in Unterfranken am Dienstagmorgen um 06:15 Uhr aus dem Bett holten, um eine Hausdurchsuchung durchzuführen. Grund: Der Rentner hatte ein Habeck-Meme retweetet, auf welchem dieser als „Schwachkopf“ tituliert wurde.

Hausdurchsuchung morgens kurz nach 06 Uhr, weil er dieses Bild retweetet hat

»Es ist 6.15 Uhr, als Kriminalbeamte Stefan Niehoff, seine Frau und die Tochter mit Down-Syndrom zur Hausdurchsuchung aus dem Bett holen«, berichtet Janina Lionelle gestern, am 13.11.2024, auf X. Und weiter: »Niehoffs Vergehen: Er hat ein Habeck-Meme retweetet, auf dem der Minister als „Schwachkopf“ bezeichnet wird. Die Staatsanwältin wirft ihm Volksverhetzung vor.«

In ihrem NIUS-Artikel berichtet sie weiter, dass der Beschluss des Amtsgerichts Bamberg, der Niehoff ausgehändigt worden sei, angeordnet habe, »dass sämtliche Räume, Nebenräume und Fahrzeuge nach Mobiltelefonen, internetfähigen Endgeräten und digitalen Speichermedien „ohne vorherige Anhörung“ durchsucht und gefundenes beschlagnahmt werden soll«. Die Polizisten der Kriminalpolizeiinspektion Schweinfurt hätten das Tablet des Rentners mitgenommen. Dieser habe klargestellt, dass die Beamten ihn gut behandelt hätten: „Die beiden waren in Ordnung. Am Ende können sie nichts dafür, sie machen nur ihren Job.“

Die offizielle Begründung für diese drastische Maßnahme

Als Begründung für die Hausdurchsuchung gibt die Staatsanwaltschaft in dem Schreiben, das NIUS offensichtlich vorliegt, folgendes an:

„Zu einem gegenwärtig nicht näher eingrenzbaren Zeitpunkt in den Tagen beziehungsweise Wochen vor dem 20.6.2024 veröffentlichte der Beschuldigte unter der Nutzung des Accounts eine Bilddatei, die eine Porträtaufnahme des Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck, mit dem an den Werbeauftritt der Fa. Schwarzkopf angelehnten Schriftzug ‚Schwachkopf PROFESSIONAL‘ zeigt, um Robert Habeck generell zu diffamieren und ihm sein Wirken als Mitglied der Bundesregierung zu erschweren.“

Stefan Niehoff habe NIUS gegenüber erklärt, er habe das Meme, anders als im Durchsuchungsbeschluss behauptet, gar nicht selbst hochgeladen, sondern lediglich retweetet – also den Tweet eines anderen weiterverbreitet.

Staatsanwaltschaft bejaht das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung

Ferner ist dem amtlichen Dokument zu lesen:

Die Staatsanwaltschaft bejaht das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung. Dies ist strafbar als gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung gemäß §§ 185,188 Abs. 1,194 StGB.“

Beleidigung nach § 185 StGB, Beleidigung gegen Personen des politischen Lebens nach § 188 Abs. 1 sind gemäß § 194 StGB keine Offizialdelikte, welche die Staatsanwaltschaft von Amts wegen verfolgen muss, sondern sogenannte Antragsdelikte. Antragsdelikte werden grundsätzlich nur dann strafrechtlich verfolgt, wenn der der Geschädigte (oder ein gesetzlicher Vertreter) einen Strafantrag stellt.

Hierbei ist nochmals zu unterscheiden: Die Beleidigung nach § 185 StGB ist ein absolutes Antragsdelikt. Ohne Strafantrag kann sie nicht verfolgt werden. Das heißt, die Staatsanwaltschaft kann hier nicht von sich aus tätig werden, ohne dass ein Strafantrag vorläge. Die Beleidigung gegen Personen des politischen Lebens nach § 188 StGB ist dagegen ein bedingtes Antragsdelikt (unechtes oder relatives Antragsdelikt). Bedingte Antragsdelikte können auch dann strafrechtlich verfolgt werden, wenn zwar kein Strafantrag des Geschädigten vorliegt, die Staatsanwaltschaft jedoch das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Dies scheint hier der Fall zu sein. 

Es könnte also a) sein, dass nicht Habeck, sondern ein anderer eine Strafanzeige erstattete. Denn anders als bei einem Strafantrag kann eine Strafanzeige grundsätzlich durch jeden erstattet werden, nicht nur durch den Betroffenen, sondern beispielsweise auch durch einen unbeteiligten Zeugen. Dann entscheidet die Staatsanwaltschaft, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Und es könnte b) sein, dass Habeck selbst eine Strafanzeige und auch einen Strafantrag gegen Stefan Niehoff stellte.

Hat Habeck selbst den Strafantrag gegen den Rentner gestellt? Darauf antworten bislang weder die Staatsanwaltschaft noch sein Ministerium

Janina Lionello schreibt heute in einem weiteren Artikel auf NIUS:

»Frage: Hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den Strafantrag selbst unterschrieben? (…) Auf eine NIUS-Anfrage hierzu antwortete die Staatsanwaltschaft Bamberg trotz mehrerer Nachfragen bislang nicht. Auch aus dem Büro des Bundeswirtschaftsministers erfolgte keine Reaktion. Naheliegend wäre es zumindest: Im August – also in eben jenem Monat, in dem das Amtsgericht Bamberg den Beschluss zur Durchsuchung von Niehoffs Wohnung ausstellte – wurde bekannt, dass der Wirtschaftsminister seit April 2024 mehr als 700 Anzeigen wegen Hassrede im Internet gestellt hatte.«

Die NIUS-Journalistin sprach auch mit dem Rechtsanwalt Udo Vetter über diesen Fall. Dass Niehoff auf dem Durchsuchungsbeschluss einerseits „Volksverhetzung“ vorgeworfen werde, diese dann aber in den später angeführten Paragrafen gar nicht mehr auftauche, erkläre Vetter so: „Hier hat man das Verfahren offensichtlich zunächst als Volksverhetzung gewertet und ist dann umgeschwenkt, ohne es zu ändern.“ Das habe keine weitere juristische Bedeutung. Fassungslos mache ihn allerdings die ursprüngliche Einordnung: Dass jemand auf die Idee komme, einen derartigen Retweet als Volksverhetzung einzuordnen – dafür fehle ihm das Verständnis.

Faeser verkauft der Bevölkerung diese Hausdurchsuchung unter der Überschrift „Polizei-Maßnahmen gegen Judenhass“

In ganz Deutschland seien am Dienstag Beamte der Kriminalpolizei zum „Aktionstag gegen Hasspostings“ aus gerückt, berichtet Lionello weiter. Social-Media-User sollten hierbei ermahnt werden, ihre Wohnungen durchsucht und elektronische Geräte beschlagnahmt. In über 90 Ermittlungsverfahren seien mehr als 50 Wohnungen durchsucht worden. Insgesamt habe es 127 Polizei-Maßnahmen gegeben.

„Fast 130 Polizei-Maßnahmen gegen Judenhass heute sind genau das harte Vorgehen, das wir brauchen. Wenn die Polizei vor der Tür steht, wird jedem Täter klar, dass Hasskriminalität Konsequenzen hat“, schrieb Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorgestern um 10 Uhr auf X wörtlich. Das heißt, die SPD-Ministerin verkauft der Bevölkerung gegenüber diese Hausdurchsuchung bei Stefan Niehoff, der es gewagt hat, sich über Faesers grünen Ministerkollegen mit diesem geteilten Bild lustig zu machen, als „Polizei-Maßnahme gegen Judenhass“.

X-Screenshot

Dazu die Jüdin Malca Goldstein-Wolf: »Der „Aktionstag gegen Antisemitismus“ erinnert an billige Kosmetik. Ich denke dabei an eine Frau, die schmutzige Fingernägel hat und sie dennoch lackiert. Solche Aktionen halte ich für Augenwischerei, die Juden nichts, aber auch gar nichts bringen, Nancy Faeser! Der Rentner ist kein Problem, Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz (SPD) schon. Und die kommt einfach so davon. Eine Schande!«

In einem dritten Artikel berichtet Janina Lionello heute, dass knapp zwei Drittel der Einsätze am „Aktionstag gegen Hasspostings“ laut Innenministerium auf Ermittlungen im Bereich der „Politisch motivierten Kriminalität rechts“ basierten. Auch der Fall von Stefan Niehoff gehe als „Politisch motivierte Kriminalität rechts“ in die Kriminalstatistik ein.

Kommentare zu dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft Bamberg

Christian von Coelln schreibt auf X: „Man kann solche Bilder für geschmacklos halten. Aber ich habe große Zweifel, ob das Grundgesetz zulässt, sie unter Strafe zu stellen (Satire?!). Jedenfalls fehlt mir die Phantasie, inwiefern eine Haudurchsuchung wegen des Verbreitens eines solchen Bildes verhältnismäßig sein könnte.“

Prof. Dr. jur. Arnd Diringer: „Wenn in einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat auch nur der Hauch des Verdachts entsteht, dass das Strafrecht zum Kampf gegen oppositionelle Ansichten missbraucht wird, ist das schlicht katastrophal. #SchwachkopfProfessional #Hausdurchsuchungen

Und Prof. Diringer weiter: „Tag für Tag marschieren massenhaft Antisemiten durch deutsche Straßen, feiern die Ermordung von Juden, fordern ein Kalifat. Aber hey: demokratiegefährdend ist natürlich nur ein mehr oder minder lustiges Internetbildchen, das ein Rentner auf einem Mini-Account veröffentlicht.“

Prof. Dr. Florian Gallwitz, Professor für Informatik und Medien: „For my non-German-speaking followers: Germany now is a country where the police raid your home at dawn if you retweet a meme on X calling a federal minister a fool.“

Wolfgang Kubicki, Bundestagsvizepräsident (FDP): „Ich habe es an anderer Stelle schon mal gesagt: Er glaubt offenbar, er sei der Gesalbte.“

Puh (offensichtlich ein Grünen-Anhänger): „Ich würde jetzt erwarten und mir wünschen, dass Die Grünen, Grüne im Bundestag, Robert Habeck und Ricarda Lang sich von rechten Hetzblättern wie NIUS nicht länger auf der Nase herumtanzen lassen, sondern Strafanzeige gegen Janina Lionello und NIUS erstatten.

Andreas Schreiner, FDP: „Ich halte die Grünen mittlerweile als ebenso gefährlich für den Zusammenhalt der Gesellschaft wie die AfD. Klingt überzogen? Nein, denn es findet statt, jeden Tag, irgendwo und auch durch Robert Habeck. Beleidigung von grünen Politikern heißt heute VOLKSVERHETZUNG?“

Prof. Dr. Josef Franz Lindner, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie an Universität Augsburg: „Repression und Einschüchterung: ein Staat, der wegen strafrechtlicher Belanglosigkeiten („Schmähung“ der Obrigkeit) Hausdurchsuchungen vornimmt, ist außer Rand und Band geraten. So etwas kennt man eigentlich nur aus autoritären Regimen.“ – „Wer so viel Chuzpe hat, dass er bar jeglicher Fachkenntnisse das Amt des Wirtschaftsministers ausübt und das des Kanzlers beansprucht (die bisher desaströsen Ergebnisse sieht man ja deutlich), muss in der öffentlichen Diskussion schon etwas pointiertere Kritik aushalten können.“ – „Staat und Polizei trauen sich teilweise nicht mehr in no go-areas, hetzen aber Bürger wegen Petitessen morgens mit einer Hausdurchsuchung aus dem Bett. Rechtsstaat Deutschland 2024.“ – „Jeden einzelnen Post, der von der BKA-Razzia betroffen war, möchte ich sehen (anonymisiert). Ich möchte mir selbst ein Bild davon machen, was hier läuft.“

Warum muss NIUS diesen Fall aufdecken? Wo sind hier die Milliarden-schweren Massenmedien, allen voran der ÖRR?

Soweit die kurze Auswahl an Kommentaren. Interessant ist natürlich auch, dass von den Milliarden-schweren Massenmedien – TV, Hörfunk und Printmedien -, insbesondere dem über neun Milliarden-schweren ÖRR bislang kein einziges Medium von diesem Sachverhalt zu berichten scheint, geschweige denn, dass eines von diesen diese Sache aufgedeckt hätte. Warum wohl nicht? Wie ist das möglich? Die Antwort kennen wir wohl alle.

Nachtrag: Habeck hat tatsächlich persönlich Strafantrag gegen den Rentner gestellt

Am Abend des 14.11.2024 (Donnerstag) wurde nun bekannt, dass Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) tatsächlich persönlich Strafantrag gegen den 64-jährigen Stefan Niehoff gestellt hat, weil dieser das Habeck-Bild mit der Unterschrift „Schwachkopf“ retweetet hatte. Auf die Anfrage des Journalisten Holger Kreymeier (Die Mediatheke) antwortete die Staatsanwaltschaft Bamberg:

„Sehr geehrter Herr Kreymeier, auf Ihre Anfrage hin wird seitens der Staatsanwaltschaft Bamberg bestätigt, dass ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts einer gegen Personen des politischen Lebens gerichteten Beleidigung gem. §§ 185, 188 StGB geführt wird. Durch Herrn Habeck wurde Strafantrag gestellt.“

Auch die RHEINISCHE POST meldet am Donnerstagabend:

»„Durch Herrn Dr. Habeck wurde Strafantrag gestellt“, bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Bamberg auf Anfrage unserer Redaktion.«

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