Was ist von Scholz‘ Kriegspartei-Behauptung zu halten?

Von Jürgen Fritz, Di. 27. Feb 2024, Titelbild: ntv-Screenshot

Bereits im Oktober 2023 hatte Olaf Scholz entschieden, keine Taurus-Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern, gab dafür aber monatelang keine Begründung. Diese lieferte er nun nach vier Monaten nach. Doch diese Begründung wirkt sehr fragwürdig, ja fadenscheinig. Sie stößt auf breite und heftige Kritik.

Scholz insinuiert, durch die Lieferung von Taurus an die Ukraine würde Deutschland zur „indirekten Kriegspartei“

Die Ukraine soll, obschon sie diese gerade jetzt so dringend bräuchte, weiterhin keine Taurus-Marschflugkörper von Deutschland erhalten. Das hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nun bei der dpa-Chefredaktionskonferenz erneut erklärt und nun auch erstmals eine detaillierte Begründung für seine Entscheidung genannt. Deutschland, so Scholz‘ Behauptung, würde sonst Gefahr laufen, in den Krieg verwickelt zu werden„Wir dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein“, sagte Scholz . Deshalb stehe dies nicht als Handlungsoption als Nächstes auf der Tagesordnung.

Diese Klarheit sei auch erforderlich. „Ich wundere mich, dass es einige gar nicht bewegt, dass sie nicht einmal darüber nachdenken, ob es gewissermaßen zu einer Kriegsbeteiligung kommen kann durch das, was wir tun“, so Scholz zwei Jahre nach dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine. „Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden“, behauptete Scholz weiter. Das würde auch jeder wissen, der sich mit diesem System auseinandergesetzt habe. Auf X schrieb Scholz:

Taurus-Kriegspartei-Behauptung

X-Screenshot

Zustimmung erhält Scholz aus den eigenen Reihen der SPD, von BSW und von der AfD

Andreas Bovenschulte, Bremer Bürgermeister (SPD) schreibt: Mit einem anderen Kanzler wäre Deutschland wahrscheinlich längst Kriegspartei geworden.“

Fabio de Masi, BSW: „Scholz hat in Bezug auf Taurus vollkommen Recht. Wer Deutschland leichtfertig zur Kriegspartei macht ist unverantwortlich.“ 

Dr. Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD zur Europawahl 2024: „Mal sehen, wie lange es dauert, bis er wieder umkippt – nach den Panzern nun bei Taurus. Dabei erkennt der Bundeskanzler sehr richtig, dass diese Raketen nicht geliefert werden dürfen, da Deutschland sonst Kriegspartei werden würde: Ostfront 2.0.“

Tino Chrupalla, AfD-Bundessprecher, BT-Fraktionsvorsitzender der AfD: Der Bundeskanzler liegt richtig, wenn er sich gegen Taurus-Lieferung stellt. Deutschland darf nicht zur Kriegspartei werden. Es ist höchste Zeit, den Krieg durch Diplomatie zu beenden, bevor weitere Menschen sterben müssen. Das muss die Aufgabe Deutschlands und Frankreichs sein!“

Björn Höcke, Landessprecher und Fraktionsvorsitzender der AfD Thüringen: Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Olaf Scholz, unsere politischen Schnittmengen sind übersichtlich und Ihre offenkundige Unehrlichkeit irritiert mich. Trotzdem erkenne ich an, daß Sie dem Druck der schlimmsten Kriegstreiber bisher widerstanden haben. Ich möchte Sie inständig bitten, weiter standzuhalten. Ich schreibe Ihnen nicht, weil ich für mich etwas erhoffe, denn ich habe mein Leben gelebt und bin mit mir im Reinen. Ich schreibe für meine Kinder und die Kinder Europas, die ein Anrecht auf ein friedliches Leben haben. Gehen Sie nicht in die Geschichte ein als der Mann, dessen Entscheidung Marschflugkörper zu liefern, den Dritten Weltkrieg ausgelöst hat! Geben Sie in dieser Sache nicht nach und erhalten Sie den Frieden!“

Höcke-Brief

X-Screenshot

Heftige Kritik an Scholz Darstellung von Seiten der Wissenschaft, der Publizistik, der CDU, der Grünen und der FDP

Dr. Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik: „Warum bringt Scholz jetzt den Begriff der ‚indirekten Kriegspartei‚ in den Informationsraum? So etwas gibt es völkerrechtlich nicht. Aber in den Desinformationsnarrativen der Putin-Unterstützer gibt es den Begriff: Waffenlieferung gleich indirekte Kriegspartei. Was soll das?“

Gustav C. Gressel, Politikwissenschafter, Experte für Sicherheitspolitik, Militärstrategien und internationale Beziehungen: „Unklar und zweideutig. Denn es bräuchten zur Systemintegration keine deutschen Soldaten in die Ukraine entsandt werden. Was was will der Kanzler verbergen?“

Philipp Dürr, Jurist, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in den Bereichen des Staats- und Völkerrechts: Taurus würde laut Scholz Bundeswehrsoldaten in Ukraine bedeuten. Experten wie Prof. Carlo Masala haben dies schon vor Monaten ins Reich der Fabeln verwiesen und sind dafür von Mützenich als „Maulhelden“ bezeichnet worden. Während wir diesen Stuss präsentiert bekommen, sterben Ukrainer.“

Dr. Patrick Heinemann, Jurist, Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer: „Was bitte ist eine ‚indirekte Kriegspartei‘? So etwas kennt das Völkerrecht nicht. Der Kanzler hat entweder keine Ahnung oder er will die Öffentlichkeit mal wieder hinter die Fichte führen. – Mit diesem Kanzler können wir Europa nicht verteidigen. Und deshalb muss er weg.“

Peter R. Neumann, Politikwissenschaftler, Professor für Sicherheitsstudien am King’s College London: „‚Indirekte Kriegspartei‘, so wie es der BK zu meinen scheint, ist Deutschland ja schon seit Lieferung der 5000 Helme.“

Liane Bednarz, Juristin, Publizistin: „Weiterhin nichts verstanden. Wenn die Ukraine verliert – und es sieht derzeit nicht gut für sie aus – wird Putin weitergehen Richtung Baltikum und dann werden wir wegen Art. 5 NATO-Vertrag Kriegspartei werden. Wie kurzsichtig kann man sein? Die Geschichte wird über diesen Kanzler richten.“

Jan-Philipp Hein, Autor, Mitbegründer der Autorenplattform Salonkolumnisten & Moderator des Ostausschuss der SK: „Neulich waren es die Atombomben, die uns angeblich um die Ohren fliegen könnten, jetzt die Behauptung, wir würden Kriegspartei. Dabei ist nur klar: Ein Kanzler, der die Propagandadrohungen des Kreml selbst unter die Leute bringt, begeht einen schweren Fehler. – Ich bin ja kein Sozialdemokrat, aber: Russland bekämpft so ziemlich alles, was einer Partei wie der SPD heilig ist. Statt aber die eigenen Werte jetzt zu verteidigen, vergeuden zu viele einflussreiche Sozialdemokraten viel Energie, um die eigenen Lebenslügen zu verteidigen. – Das ‚Kriegspartei‘-Geschwätz des Kanzlers ist toxisch. Lange schon ist geklärt, dass keine deutschen Soldaten benötigt würden, wenn Taurus an die Ukraine geht. Scholz operiert mit alternativen Fakten, schlägt wissenschaftliche Expertise in den Wind und demütigt seine Koalitions-Partner.“

Prof. Dr. Jan Claas Behrends, Historiker: „Als Historiker sehen einige führende Sozialdemokraten zunehmend aus wie die orientierungslosen Vertreter der ancien régimes im Vormärz. Die Zeit ist längst über sie hinweggegangen, qua Seniorität und Status sind sie noch an der Macht. Sie fürchten die Zukunft.“

Dr. Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte: „Die Welt von Herrn Stegner und Mützenich ist schon zusammengebrochen. Das einzige, was sie sagen konnten, war Abrüstung. … Sie haben eigentlich nichts mehr zu sagen. Sie können auch nichts beitragen zu dieser Welt.“

Dr. Norbert Röttgen, CDU-Außenpolitiker und BT-Abgeordneter: „Die Behauptung, mit der Lieferung von Taurus würde Deutschland zur Kriegspartei, ist rechtlich schlicht falsch und politisch infam. – Mit der Aussage, durch die Lieferung von Taurus werde Deutschland zur Kriegspartei, macht der Kanzler auch seinen beiden Koalitionspartnern, die für die Lieferung sind, einen ungeheuerlichen Vorwurf. Man darf gespannt sein, was die dazu sagen.“

Agnieszka Brugger, Stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag: „Niemand, der Taurus fordert, will dass Deutschland zur Kriegspartei wird. Diesen Vorwurf weise ich zurück. Nach allem, was ich weiß, stimmt dieser Zusammenhang auch faktisch nicht. #StandwithUkraine – Die größte Gefahr für die Ukraine wie für unsere Sicherheit ist und bleibt, dass Putin mit seiner brutalen Skrupellosigkeit trotz des mutigen Widerstands der Ukraine diesen Krieg gewinnt. Deshalb unterstützen wir die Ukraine und deshalb sollten wir noch mehr tun. – Und deshalb lässt sich die Debatte nicht mit einem Basta beenden.“

Reinhard Bütikofer, 2002 bis 2008 einer der beiden Bundesvorsitzenden der Grünen, seit 2009 Mitglied des Europäischen Parlaments: „Recht hast Du, Agnieszka. Die Propaganda des Bundeskanzlers ist in der Sache verfehlt, lenkt ab vom Kern der Debatte und ist politisch für Europa außerordentlich gefährlich. Die ganze Grüne Bundestagsfraktion sollte der SPD klar sagen, dass wir diesen Kurs nicht mittragen.“

Robin Wagener, grüner Bundestags-Abgeordneter, Koordinator Auswärtiges Amt für den Südlichen Kaukasus, Moldau & Zentralasien, Vorsitzender der Deutschland-Ukraine-Parlamentariergruppe: „Wir sollten die Ukraine nicht nur solange wie nötig, sondern so entschlossen wie nötig unterstützen. Dazu bedarf es einer aufrichtigen Debatte und Fakten: Fakt 1: Es braucht KEIN Bundestagsmandat. Der Taurus kann – wie andere Systeme – unabhängig vom Verteidigungsministerium eingesetzt werden. Fakt 2: Wir könnten genügend liefern, sollten aber unbedingt nachproduzieren. Fakt 3: Taurus sollte schon heute in die F16 integriert werden, damit wir Zeit sparen. Ich fürchte der Bundeskanzler wurde falsch beraten.“

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Spitzenkandidatin der FDP zur Europawahl, Bundestagsabgeordnete, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, FDP-Präsidiumsmitglied:Bundeskanzler Olaf Scholz führt gegen die Lieferung von Taurus ein längst widerlegtes Argument an, während Rolf Mützenich die Unterstützer der Ukraine schmäht. Deutsche Soldaten werden für Taurus NICHT auf ukrainischem Boden benötigt. Die Behauptung des Bundeskanzlers ist falsch.“

Katja Leikert, CDU-Bundestagsabgeordnete, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss: Es ist nicht nachvollziehbar, warum Olaf Scholz sich bei Taurus so verrennt. Er präsentiert ein Scheinargument nach dem nächsten. Sind in seinen Augen Frankreich und Großbritannien zur Kriegspartei geworden, weil sie Marschflugkörper Scalp / Storm Shadow geliefert haben? Wer glaubt das bitte?“

Ruprecht Polenz (CDU), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde: „Warum versteht Scholz bis heute nicht, dass die Kriegsgefahr für Deutschland WÄCHST, wenn Putin in der Ukraine gewinnt. Der Aggressor bestimmt, wer Kriegspartei wird. Auf Putins Liste stehen noch viele. Deutschland ist auch dabei. Die Weigerung von Scholz macht es für Deutschland gefährlicher.“

Ralf Fücks, Zentrum Liberale Moderne: „Merke: 👉 Wer nicht alles tut, um der Ukraine zum Sieg zu verhelfen, riskiert ihre Niederlage. 👉 Wenn Putin nicht in der Ukraine gestoppt wird, wächst die Kriegsgefahr in Europa. Und dann sind wir definitiv Kriegspartei.“

Serap Güler, Bundestagsabgeordnete, Mitglied des Verteidigungsausschusses, Bundesvorstandsmitglied CDU: „Statt sich in der Kommunikationsmaschine des Kanzleramtes zu bemühen, Bevölkerung in Sachen Ukrainehilfe weiter mitzunehmen, hat man sich für ‚Kriegspartei‘-Geschwafel & Angstmacherei entschieden. Intention ist wohl, das erneute Zögern mit FakeFacts als ‚besonnen‘ zu verkaufen.“

Gregor Schwung, WELT-Redakteur Außenpolitik: „Der Kanzler hat den Ernst der Lage nicht verstanden. Er bringt sinnfreie Argumente. Weder direkt noch indirekt würde Deutschland Kriegspartei, wenn es Taurus liefern würde. Die Ukrainer brauchen keine deutschen Soldaten, um die Marschflugkörper abzufeuern.“

Jana Puglierin, Head of European Council on Foreign Relations: „Fasse zusammen: Kanzler schließt Lieferung von Taurus aus mit der Begründung, die Deutschen können nicht das machen, was Briten und Franzosen machen, worauf Briten und Franzosen sagen, sie machen gar nicht, was der Kanzler sagt, das sie machen.“

Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der WELT zu dem Statement von Andreas Bovenschulte (SPD), siehe ganz oben: Suchen sie am Ende nur ganz banal ein Wahlkampfthema? #Taurus“

Dennis Radtke, CDU-Europa-Abgeordneter: „Wir sind nicht Kriegspartei und würden es auch mit Taurus nicht. Das ist eine Lüge. Was Scholz dabei übersieht: wir sind Kriegsziel. Putin will die EU und die westliche Ordnung zerstören. Dieser Kanzler ist ein Sicherheitsrisiko und muss daher schnellstmöglich abgelöst werden.“

*

Aktive Unterstützung: Jürgen Fritz Blog (JFB) ist vollkommen unabhängig und kostenfrei (keine Bezahlschranke). Es kostet allerdings Geld, Zeit und viel Arbeit, Artikel auf diesem Niveau regelmäßig und dauerhaft anbieten zu können. Wenn Sie meine Arbeit entsprechend würdigen wollen, so können Sie dies tun per klassischer Überweisung auf:

Jürgen Fritz, IBAN: DE44 5001 0060 0170 9226 04, BIC: PBNKDEFF, Verwendungszweck: JFB und ggf. welcher Artikel Sie besonders überzeugte. Oder über PayPal – 3 EUR – 5 EUR – 10 EUR – 20 EUR – 50 EUR – 100 EUR