Abhör-Skandal: Russischer Staatsfunk veröffentlicht Mitschnitt eines Gesprächs ranghoher Bundeswehroffiziere

Von Jürgen Fritz, Sa. 02. Mär 2024, Titelbild: Screenshot der Datei

Am Freitagnachmittag veröffentlichte der russische Propagandakanal RT einen Audio-Mitschnitt einer Video-Konferenz von hochrangigen Bundeswehr-Offizieren. In dem Gespräch geht es unter anderem um die Frage, wie Taurus-Marschflugkörper zur Sprengung der Krim-Brücke oder zum Angriff auf russische Munitionsdepots eingesetzt werden könnte.

Audio-Datei einer Besprechung hoher Offiziere der Luftwaffe geleakt

RT titelte reißerisch: „Transkript des Gesprächs deutscher Offiziere über Angriff auf Krimbrücke veröffentlicht“. Am Freitagabend wurde schließlich die Audio-Datei geleakt. Die Chefin des russischen Staatssenders RT Margarita Simonjan veröffentlichte auf Telegram einen 38-minütigen Audio-Mitschnitt des Gesprächs. Wie sie an die Aufnahme gekommen ist, gibt sie nicht an.

Die Echtheit der Aufnahmen ist bislang nicht offiziell bestätigt, vieles spricht aber für ihre Echtheit. Das Verteidigungsministerium teilte auf Anfrage mit: Wir prüfen, ob Kommunikation im Bereich der Luftwaffe abgehört wurde.“ Der Militärische Abschirmdienst habe alle erforderlichen Maßnahmen eingeleitet. 

Abenteuerlichste Gerüchte, warum Taurus nicht geliefert würde: Es wird viel Blödsinn erzählt

Zum Inhalt des Gesprächs: An der digitalen Konferenz nahmen vier hochrangige Vertreter der Luftwaffe teil, darunter offenbar zwei Generäle, einer von ihnen: der Inspekteur (Führer) der Luftwaffe Generalleutnant Ingo Gerhartz. Diese debattierten insbesondere um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sollte offenbar mit einer halbstündigen Präsentation zu dem Waffensystem gebrieft werden. Die abgehörte Besprechung hat der Vorbereitung dieses Briefing gedient. Hierbei waren offensichtlich die absoluten Experten der Luftwaffe für das Taurus-System zugegen.

Zunächst stellt Gerhartz fest, worum es in der Konferenz gehen soll. Durch die ganzen Diskussionen, die da immer wieder kommen, wolle Pistorius richtig tief ins Thema einsteigen. Und diese Diskussionen kämen eben deswegen, weil keiner so richtig wisse, warum der Kanzler hier immer wieder blocke. Daher kämen abenteuerlichste Gerüchte auf.

Generalleutnant Gerhartz schildert, er sei von einer Journalisten angerufen worden, „die extrem nah am Kanzler dran ist“. Sie hätte in München (wohl auf der Münchner Sicherheitskonferenz) gehört, der Taurus würde gar nicht funktionieren. Gelächter bei den anderen. Daraufhin habe er sie gefragt: „Wer erzählt denn so eine Scheiße?“. Er habe gedacht, das wäre von einem Politiker gekommen, aber sie sagte, das hätte ihr jemand in Uniform erzählt. Sie gebe natürlich nicht ihre Quelle preis und wäre da voll drauf angesprungen. Sie „wollte da schon die Megaschlagzeile draus machen nach dem Motto: Jetzt haben wir endlich den Grund, warum der Kanzler nicht liefert, weil das Ding gar nicht funktioniert.“ An diesem Beispiel könne man schön sehen, was da ein Gelaber im Raum ist und vor allen Dingen was für ein Blödsinn erzählt werde“.

Wie kann das Ganze konkret ablaufen?

Man müsse sich in Pistorius Lage hineinversetzen. Der könne sich da sehr wenig vorstellen. Daher seien ein paar Sichtvorlagen sinnvoll, dass man das visualisiere und er sich das besser vorstellen könne. Man dürfe ihn auch nicht zuballern, das Meeting sei ja nur auf 30 Minuten angesetzt. Es gehe natürlich um die Funktionsweise, was kann der Taurus, wie wird er eingesetzt, aber es gehe auch darum, wenn man sich denn mal politisch entscheiden würde, die Ukraine damit zu supporten, „wie könnte denn die ganze Nummer laufen“. Wichtig sei dabei, nicht nur ein Problem in den Raum zu stellen, sondern immer auch die Lösung dazu zu nennen.

Insbesondere gehe es um die Divisionsplanung. Er wisse zum Beispiel, wie es die Engländer machen. Die machten es ja komplett im Reachback (Einsatzfunktionen, die nicht zwingend im Einsatzland wahrgenommen werden müssen, werden von zuhause aus geleistet), hätten aber auch ein paar Leute vor Ort, die Franzosen nicht. Die Engländer hätten ihm auch schon gesagt, sie würden den Ukrainern auch beim Taurus über die Schulter kucken. „Die Frage wäre aber, wie lösen wir das dann. Lassen wir die die Divisionsplanung machen“ und geben ihnen nur Reachback? Dazu bittet Gerhartz dann die anderen Offiziere, wie sie das sehen, wie man das machen könnte.

Ein Offizier nennt dann zwei „sensitive Punkte“, erstens das Timing. Was nicht passieren sollte, ist, dass der Kanzler jetzt doch sagt, wir geben Taurus ab, und man dann sagen müsse, wir brauchen aber noch acht Monate, bis wir den ersten in den Einsatz bringen können. Der zweite Punkt sei, dass die Zeit aber auch nicht verkürzt werden könne, denn es dürfe auf keinen Fall zu Falscheinsätzen kommen, dergestalt das Ding zum Beispiel auf einen Kindergarten falle und es zu zivilen Opfer käme. Daher könnten bestimmte Zeiten für Ausbildung etc. nicht unterschritten werden.

Die Ausbildung der Ukrainer an Taurus sollte in maximal drei bis vier Monaten möglich sein

Die Auslieferung selbst an die Ukraine liege komplett in der Hand der Industrie. Eine andere Frage wäre die der Schnittstelle, an welches Waffensystem man Taurus dranhänge. Das müsste „irgendein Bastler“ in der Ukraine mit der Firma machen. Ein anderer Offizier sagt dann, dass der Hersteller sagt, er könne das innerhalb von sechs Monaten machen.

Sodann kommt man auf die Ausbildung der Ukrainer zu sprechen. Die Industrie könnte hier ausbilden, wie man das System bedient und die deutsche Luftwaffe supportet den taktischen Einsatz. Das müsste man in Deutschland machen und dafür werden maximal drei bis vier Monate angesetzt. Um zu möglichst schnellen Lösungen zu kommen, wäre es vielleicht sinnvoll, sowohl was die Schnittstelle anbelangt als auch die Ausbildung auf die Briten zurückzugreifen, da die bereits über das Know-how verfügen, damit das Ganze nicht zu lange dauert.

Weitere Fragen wären: „Können wir eine Datenbank liefern? Können wir Satellitenbilder liefern? Können wir Planungsstationen liefern?“ Das müsste gegebenenfalls die Industrie liefern.

Erörtert wird, wie konkret der deutsche Support gestaltet werden könnte

Generalleutnant Ingo Gerhartz verdeutlich dann nochmal, dass die Ukrainer derzeit mit dem Marschflugkörper Storm Shadow (SCALP) arbeiten. „Die Engländer waren da und haben die Flugzeuge verkabelt.“ Also seien die Ukrainer gar nicht so weit entfernt, auch Taurus einsetzen zu können. Die Erfahrung mit dem Flugabwehrsystem Patriot habe gezeigt: „die haben das Ding innerhalb weniger Wochen beherrscht und setzen das in einem Ausmaß ein, wo unsere Leute sagen ‚Oh wow!, das hätten wir gar nicht erwartet.'“. Das bitte er immer zu bedenken bei allen Zeitplanungen, „die wir aufmachen“.

Ein anderer Offizier greift den Punkt Ausbildung auf und veranschlagt drei Wochen Industrieschulung und vier Wochen Training mit der Luftwaffe, also deutlich unter zwölf Wochen. Eine mögliche Variante wäre, planungstechnisch von Deutschland aus zu unterstützen über eine sichere Leitung. Falls das politisch nicht gewollt sein sollte, gäbe es auch andere Möglichkeiten des Supports, notfalls der Lieferung von Daten mit dem Auto. Das wäre eben entsprechend sehr viel langsamer und die Präzision der Daten würde ein wenig leiden, aber auch das wäre möglich.

Alleinstellungsmerkmale von Taurus: damit könnten die Krimbrücke und Munitionsdepots zerstört werden

Vom Umfang her stellt sich Generalleutnant Gerhartz etwa 50 Flugkörper vor, die man in einer ersten Tranche liefern könnte, und dann vielleicht später nochmal 50. Er vermutet, dass schon ein Momentum dahinter sein könnte, denn er wisse von seinen britischen und französischen Kollegen, dass die die Ansicht vertreten, wir haben ja jetzt mehrfach geliefert, jetzt soll auch Deutschland mal anspringen“.

Ein weiterer Offizier spricht dann die Alleinstellungsmerkmale von Taurus gegenüber Storm Shadow bzw. SCALP an und nennt zwei mögliche Targets (Ziele), für die Taurus (wegen seines Tandem-Gefechtskopf Mephisto) besonders wirksam wäre 1. „die Brücke im Osten“ (damit dürfte die Krimbrücke gemeint sein) und 2. Munitionsdepots. Zwei Dinge wären zu überlegen, a) die Missionsplanung und b) die zentralisierte Planung.

Generalleutnant Gerhartz greift dann nochmals das Thema (Krim-)Brücke auf. Auf Grund ihrer Größe sei diese quasi wie ein Flugplatz. Das heißt, es könne durchaus sein, dass man hierfür zehn oder zwanzig Flugkörper brauche, um diese zu zerstören, und nicht nur ein Loch reinzuschlagen. Gerhartz wörtlich: „Wir alle wissen ja, dass sie (die Ukrainer) die Brücke rausnehmen wollen. Das ist klar, wissen wir auch, was es am Ende bedeutet.“ Die Versorgung der Krim, die nicht nur militärisch-strategisch, sondern auch politisch so wichtig sei, wäre dann zumindest empfindlich gestört.

Da es nicht nach deutscher Beteiligung aussehen dürfe, müssen die Ukrainer selbst entsprechend ausgebildet werden, so dass sie alleine mit Taurus operieren können

Da wäre zu überlegen, ob ein direkter Link der deutschen Streitkräfte in die Ukraine geht oder ob man Bundeswehrsoldaten zu dem Rüstungsunternehmen MBDA abstellt und die Direktlinke nur von der MBDA in die Ukraine geht.

Ein anderer Offizier meint, dass dies beides keine gangbaren Lösungen wären, weil das immer nach Beteiligung aussehe. Die einzig mögliche Lösung wäre, die Ukrainer entsprechend auszubilden, so dass sie ohne deutsche Beteiligung damit operieren können. In einem Shorttrack könnten die Ukrainer erstmal einfachere Ziele anvisieren und in einem Longtrack, wenn sie mehr Übung und Erfahrung haben, dann andere Ziele ins Auge fassen.

Es gibt keinen Grund zu sagen, das kann man nicht machen

Es werden noch einige Dinge besprochen, die es zu bedenken gebe, dann kommt Gerhartz zu dem Fazit: „Es gibt jetzt aber keinen Grund, wo man sagt, das ist der Showstopper, wo man sagt, das kann man nicht machen.“ Selbst wenn er aufgrund eines anderen zeitgleichen Meetings bei dem Briefing des Verteidigungsministers nicht dabei sein könne, Pistorius sei ja ein total cooler Typ im Umgang, anders als die Modelle davor, dann wären die drei anderen Teilnehmer ja Manns genug, das entsprechend vorzutragen, „Ihr seid ja die Experts. Mir war nur wichtig, dass wir da entsprechend nüchtern auftreten und nicht Showstopper reinknallen, die wenig glaubwürdig sind, wenn andere Nationen Storm Shadow und SCALP liefern.“

Teilweise gebe es erstmal lange Gesichter, wenn die Bundeswehr Teile ihrer Waffen abgebe, aber „im Moment schießen die (Ukrainer) die Flugzeuge und Raketen ab, die uns schon mal nicht treffen können“. Dem stimmen die anderen zu und ein Offizier stellt dann nochmal heraus: „Je länger Ihr wartet mit einer Entscheidung, umso länger dauert es hinterher, um das richtig umzusetzen.“

Reaktionen und Kommentare zu der geleakten Audio-Datei

Das russische Außenministerium forderte nach dem (angeblich) abgehörten Gespräch eine Erklärung der Bundesregierung. „Versuche, um Antworten herumzukommen“, würden „als Schuldeingeständnis gewertet“, schrieb Russlands Außenamtssprecherin Marija Sacharowa auf Telegram.

Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter warnte vor einer Veröffentlichung weiterer abgehörter Gespräche. „Es werden sicher noch etliche andere Gespräche abgehört worden sein und gegebenenfalls zu späteren Zeitpunkten im Sinne Russlands geleakt werden“, sagte der Oberst a. D. gegenüber ZDF heute. Auf X schreibt Kiesewetter: Man muss davon ausgehen, daß das Gespräch ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt geleakt wurde in einer bestimmten Absicht: Die Lieferung von Taurus zu unterbinden, durch Einschüchterung und Verunsicherung u.a. des Bundeskanzlers.“

Quelle

Hier ein knapp fünfminütiger Ausschnitt der geleakten Audio-Datei:

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Hier kann die gesamte geleakte Audio-Datei angehört werden.

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