Von Jürgen Fritz, So. 02.03.2025, Titelbild: ZEIT-Screenshot
Nach dem Eklat im Oval Office zwischen US-Präsident Donald Trump, Vizepräsident JD Vance und dem Präsidenten der Ukraine Wolodymyr Selenskyj fragten sich viele, wie es möglich war, dass diese gemeinsame Pressekonferenz derart eskalieren konnte. Zwei Erklärungsansätze konkurrieren miteinander.
Die Einen meinen, dieser Eklat sei von der Trump-Administration so geplant worden und man habe Selenkskyj quasi in eine Falle gelockt. Andere meinen, das Gespräch sei einfach aus dem Ruder gelaufen, ohne dass es jemand so geplant hätte. Dazu zwei prominente Vertreter mit unterschiedlichen Erklärungsansätzen, die beide etwas für sich haben.
Da ist ein Manuskript abgespielt worden
Prof. Dr. Thomas Jäger, Politikwissenschaftler, sagte im Interview mit ntv: »Da stand der Reality-Star Donald Trump und hat genau das gemacht, was er kann: Vor der Kamera jemanden fertigmachen. Das war ja lange Zeit sein Markenzeichen und das hat er völlig geplant.« Selenskyj sei in die Falle gelaufen. »Das ist kein Zufall, das ist keine Provokation. Da ist ein Manuskript abgespielt worden. In den letzten Tagen ist ja sehr deutlich geworden, dass Trump mit seinem Vorhaben, diesen Krieg irgendwie zu beenden, nicht weiterkommt. Und zwar deshalb, weil Russland die Bedingungen diktiert.«
Trump sei Wladimir Putins Mann im Weißen Haus. Das Verhältnis von Putin zu Trump komme aber bei der Bevölkerung nicht gut an, sie traue Putin nicht. Aus diesem Grund habe Trump die Erniedrigung geplant. »Er muss die Ukraine, er muss Selenskyj erniedrigen, um in den Vereinigten Staaten der Bevölkerung verkaufen zu können, dass er mit einem Vorschlag, diesen Krieg zu beenden, aufschlägt, der letztlich die Kapitulation der Ukraine bedeutet, die es – und das ist das Ergebnis dieses Abends – einfach nicht verdient hat, von den USA weiter unterstützt zu werden.« Der US-Präsident habe sein Manuskript abgespult, weil er gesehen hat, dass er mit den Friedensverhandlungen nicht weiter komme.
Da ist ein Gespräch entgleist
Eine andere Deutung legt Prof. Dr. Key Pousttchi, ehemaliger Offizier, Wirtschaftsinformatiker und Professor für Digitalisierung, auf X vor. Wenn man die 50 Minuten im Oval Office ohne ideologische Scheuklappen anschaue, lerne man wohl erstmal eines: wie brutal Trump mit Geschäftspartnern bei seinen Immobilien-Deals umgegangen ist, wenn er konnte. Die These, das sei vom Trump-Lager alles so geplant gewesen („Falle“, „Hinterhalt“) überzeugt Pousttchi nicht, ja er hält sie „für abwegig“. Zuzutrauen sei das dem Trump-Lager durchaus, aber dafür habe Trump selbst zu schlecht dabei ausgesehen. Und der Verlauf passe überhaupt nicht zur These eines abgekarteten Spiels. Pousttchis These ist eine völlig andere, viel schlichter, aber vielleicht nicht weniger schlüssig: „Da ist ein Gespräch entgleist und am Ende gibt es eigentlich nur Verlierer.“ Hier seien einfach zwei Leute mit völlig unterschiedlichen Vorstellungen in ein Gespräch gegangen, die beide nicht darauf vorbereitet gewesen seien, dass die andere Seite ganz anders ticke. Und darauf hätten am Ende beide völlig verständnislos reagiert.
Trump wolle einen hunderte Milliarden Dollar schweren Rohstoffdeal. Er wolle aber nichts dafür anbieten, sondern – passend zu seinem Verhaltensmuster gegenüber anderen Ländern – eine vermeintliche vorherige Ungerechtigkeit korrigieren, weil in Trumps Augen „die USA über den Tisch gezogen worden seien“. Und Trump ging offensichtlich davon aus, so Pousttchi weiter, dass Selenskyj, der ja existentiell von Trump abhängig sei, sich unterwirfe und unterschreibe („I heard he’s coming on Friday to meet me in person. I’m fine with that.“). „Deshalb auch dieser Pressetermin“ . Trump sei davon ausgegangen, dass es gar nichts zu verhandeln gäbe und Selenskyj „allenfalls um gut Wetter bitten“ werde.
Dazu müsse man im Auge behalten, dass die Ukraine für Trump strategisch völlig unbedeutend sei. In unserem eurozentrischen Weltbild sei dies unvorstellbar, „aber das ist so“. Denn Trumps großes Thema sei China. Und er werde alles tun, damit es nicht zu einer echten strategischen Allianz Russland-China komme. Die Ukraine störe dabei nur. „Selenskyj nervt ihn.“ Und moralische Bedenken seien Trump (und seiner Administration darf man wohl ergänzen) fremd. Die regelbasierte Weltordnung schere Trump „einen feuchten Kehricht. Er hat klare Ziele, alles andere interessiert ihn nicht.“
Selenskyj wiederum wisse, a) dass er Putin nicht trauen könne, b) dass Europa nur ein Scheinriese und er c) „deshalb ohne amerikanische Sicherheitsgarantien verloren ist. Um die will er kämpfen.“ Mit dem bitteren Verlust der besetzten Gebiete habe er sich wahrscheinlich abgefunden und gehe davon aus, dass ihm das als Zugeständnis gutgeschrieben werde. Er sei nach Washington gekommen, um einen milliardenschweren Rohstoffvertrag gegen Sicherheitsgarantien zu tauschen. Vorher habe er sich mit pro-ukrainischen Kongressmitgliedern getroffen, auch Republikanern, die ihn ihrer Unterstützung versichert hätten.
Auf das, was dann auf ihn zukam, sei er schlicht nicht vorbereitet gewesen: „Trump verbreitet völlig leidenschaftslos Putins Weltbild. Man kann ja an Selenskyj und seiner Regierung eine Menge kritisieren – aber wer hier wen angegriffen hat, ist eindeutig. Nur interessiert das Trump nicht.“ Selenskyj habe immer wieder versucht, das richtigzustellen und Verständnis zu erwecken, aber es gab keins. Und Selenskyj habe seine Lage völlig verkannt: Selenskyj habe nicht akzeptiert wollen, dass hier ein Gesprächspartner saß, der weder an ihm noch am Aussprechen der Wahrheit über die russische Aggression interessiert war.
Auch habe Selenskyj nicht in Frage gestellt, das alles vor der Weltöffentlichkeit auszudiskutieren. Schließlich habe er sich dazu verstiegen, Vance und Trump zu belehren, „dass der Russe auch sie holen kommen wird, wenn die Ukraine verschwindet“. Das aber sei ein Argument, „das nur für Europa wahr ist“. Das habe dann dafür gesorgt, dass er sich erst von Vance eine fing und dann Trump zum Ausrasten gebracht habe.
Für Europa beziehungsweise die Europäische Union sei das eine richtig schlechte Nachricht. Und dies werde nicht das letzte Mal gewesen sein, dass in der Welt Dinge passieren, die Europa heftigst betreffen – auf die es aber keinerlei Einfluss mehr habe. „In diese Lage haben wir uns durch unsere idiotische Politik der letzten Jahre selbst gebracht“, schließt Pousttchi seine Explikation. „Ich hoffe, wir kommen zur Besinnung. Ansonsten können wir nämlich soviel Geld ausgeben wie wir wollen, und es wird sich nicht ändern.“
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