Karatsev schlägt Djokovic im Halbfinale der Serbia Open in 3:25 Stunden-Schlacht

Von Jürgen Fritz, So. 25. Apr 2020, Titelbild: ATP Tennis TV-Screenshot

Es war eines der besten Spiele dieser Saison. Aslan Karatsev ringt gestern Abend im Halbfinale der Serbia Open in Belgrad Novak Djokovic in dessen Heimat – das Turnier wird von Novaks Bruder veranstaltet – im längsten Dreisatz-Match des Jahres nach 3:25 Stunden mit 7-5, 4-6, 6-4 nieder. Dabei wehrt Karatsev 23 Breakbälle ab und erringt den „größten Sieg meiner Karriere“.

3:25 Stunden unglaubliches Tennis: Was für ein Match!

Fast dreieinhalb Stunden kämpften die beiden im Halbfinale eines E-Turniers (ATP 250), wo es gerade mal um 60 Weltranglistenpunkte geht (Djokovic hat fast 12.000 Punkte auf seinem Konto). Was für ein unglaubliches Match!

Im ersten Satz gelangen Aslan Karatsev gleich drei Breaks gegen die Nr. 1 der Welt, das entscheidende zum 6-5 aus seiner Sicht. Dabei hatte der Serbe bereits Spielball zum 5-6. Doch dann machte Karatsev einmal mehr in einem Wahnsinnsballwechsel nach 22 Schlägen den Punkt am Netz und wehrte den Spielball zum 5-6 ab. Doch Djokovic wehrte sich immer wieder, schlug ein ums andere Mal zurück und verschaffte sich im zwölften Game sofort einen Spielball zum Rebreak zum 6-6. Karatsev konnte diesen aber – wie so viele Breakbälle – abwehren, spielte mit ungeheuer viel Druck und gewann den ersten Satz schließlich doch mit 7-5.

Zu Beginn des zweiten Satzes zeigte Karatsev nach diesem enorm aufwendigen Kampf im ersten leichte Konzentrationsschwächen und Djokovic konnte mit 0-2 in Führung gehen (Spielstand immer aus Karatsevs Sicht). Würde der Serbe das Match nun in den Begriff bekommen und drehen? Karatsev machte sofort klar, dass es so einfach nicht wird für Nole, breakte direkt zurück zum 1-2. Bei 4-5 schlug der Russe dann zum Gleichstand auf, hatte sogar schon Spielball zum 5-5, aber Djokovic schlug nun in äußerster Defensive einen unglaublichen Passierschlag, wie man sie vor allem von dem wohl besten Verteidigungsspieler der Welt kennt. Nach diesem Passierball war Karatsev kurz konsterniert, während Djokovic die Zuschauer anfeuerte. Der 33-Jährige spielte sich jetzt mit dem Rücken zur Wand förmlich in einen Rausch, schlug unfassbare Passierbälle und holte sich den zweiten Satz mit 4-6.

Djokovic nach dem 2. Satz

ATP Tennis TV-Screenshot

Doch wer nun glaubte, Karatsev würde nun im dritten Satz einbrechen, sah sich schnell eines Besseren belehrt. Er hielt sein Niveau auch nach zweieinhalb und drei Stunden Spielzeit, wehrte immer wieder Breakbälle von Djokovic ab, so beim Stand von 2-3. Dann gelang ihm selbst sogar das entscheidende Break zum 4-3 und er zog auf 5-3 davon. Djokovic konnte zwar bei eigenem Aufschlag den ersten Matchball bei 5-3, 40-30 für Karatsev noch abwehren und nochmals auf 5-4 verkürzen. Nun schlug also der Außenseiter zum Matchgewinn auf. Und jeder Tennisspieler weiß, wie schwierig das letzte Aufschlagspiel wird, wenn der Arm plötzlich ganz schwer wird, mit dem Sieg unmittelbar vor Augen, ja auf dem Schläger. Und tatsächlich holte sich Djokovic wieder Breakbälle und zwar gleich zwei am Stück zum 15:40. Karatsev blieb aber cool, wehrte auch diese Breakbälle ab und brachte sein Service zum 7-5, 4-6 und 6-4 durch, schlug die Nr. 1 der Welt in dessen Heimatturnier.

„Der größte Sieg meiner Karriere“

„Es ist sicher der größte Sieg meiner Karriere“, sagte Karatsev nach dem Match. „Ich habe alles reingelegt in die Partie. Das musst du auch, du musst 200 Prozent bringen, um Novak zu schlagen. Es ist so, als ob du gegen eine Wand spielst. Er hat wirklich gute Bälle gespielt und er gibt dir keine freien Punkte. Ich bin wirklich sehr glücklich über meine Leistung.“

Und glücklich sein, kann Karatsev allemal, ja mehr als das: Er kann stolz sein auf das, was er seit Wiederaufnahme des Spielbetriebs im August 2020 geleistet hat. Karatsev gehört für mich schon jetzt zu den zehn besten Spieler der Welt. Leider gibt das ATP Ranking, das wegen der Pandemie den Wertungszeitraum von 12 auf 24 Monate umstellte, das noch nicht her. Im 24 Monate ATP Ranking steht der Russe noch auf 28, wird nun auf 27 oder 26 steigen. Im 52 Wochen JFB-Tennis World Ranking steht er heute aber bereits auf 11. Und sollte er auch das Endspiel in Belgrad gewinnen, dann morgen auf 10.

Der sagenhafte Aufstieg des Aslan Karatsev: innerhalb weniger Monate von 293 in die absolute Weltspitze

Der inzwischen 27,6-Jährige spielte bis 2020 kaum auf der ATP-Tour (A- bis E-Turniere), sondern hauptsächlich auf der Challenger Tour (sechst- bis elfklassige Turniere), 2019 teilweise sogar noch auf der ITF Future Tour (Kategorie zwölf bis 14) und stand Anfang 2020 noch auf Rang 293 im ATP Ranking. Nach der fünfmonatigen Pandemiepause zog er dann im August und Anfang September 2020 bei drei Challenger-Turnieren (F-Kategorie: 125er) nacheinander ins Finale ein, gewann beim zweiten und dritten und rückte in der Weltrangliste erstmals in die Top 120 vor.

Ab Ende September 2020 stieg er dann auf die ATP Tour um und erreichte im Februar 2021 als Nr. 114 im ATP Ranking sensationell das Halbfinale der Australian Open (A), gewann dort erst seine drei Matches im Qualifikationsturnier (um überhaupt ins 128er Hauptfeld zugelassen zu werden) und dann fünf Matches in Folge im Hauptfeld. Erst Novak Djokovic, der achtmalige Australian Open-Champion, konnte den Senkrecht-Aufsteiger stoppen. Djokovic gewann dann die Australian Open zum neunten Mal gewann und brach seinen eigenen All-Time-Record.

Nun schlug Karatsev also auch die Nr. 1 der Welt und steht ihm Endspiel der Serbia Open (E). Im März konnte Karatsev sogar bereits ein ATP 500-Turnier in Dubai (D-Kategorie) gewinnen und im 2021 ATP Race steht der Russe, den vor wenigen Monaten kaum ein Mensch kannte, auf Position 5 – vor Sinner, Zverev und Nadal, weit vor Thiem und ganz weit vor Federer.

Das Finale in Belgrad lautet nun: Karatsev – Berrittini

Im Finale heute ab 17 Uhr trifft Karatsev auf den wiedererstarkten Italiener Matteo Berrittini, der gestern Abend nach dem Marathonmatch Djokovic – Karatsev, von 21:05 bis 23:12 Uhr das zweite Halbfinale bis in die Nacht hinein bestreiten musste, dort dann den Japaner Taro Daniel 6-1, 6-7, 6-0 bezwang. Berrittini war in Belgrad auch an Position 2 gesetzt, Karatsev an 3.

Die Nr. 1 des Turniers und der Welt, Novak Djokovic, der in Belgrad geboren wurde und dort aufwuchs, ist dagegen in seinem Heimatturnier, das ihm ganz besonders am Herzen liegt – daher wohl auch diese wahre Schlacht am Samstagabend – überraschend ausgeschieden. Für Überraschungen wird Karatsev ab jetzt wohl immer weniger sorgen, denn inzwischen wissen alle, was dieser Mann kann, dessen Name man bis vor wenigen Monaten noch nie gehört hatte, den nun aber fast jeder Tennisfan auf der Welt kennt. Man darf gespannt sein, wie diese Geschichte weiter geht.

Match-Highlights

*

Aktive Unterstützung: Jürgen Fritz Blog (JFB) ist vollkommen unabhängig und kostenfrei (keine Bezahlschranke). Es kostet allerdings Geld, Zeit und viel Arbeit, Artikel auf diesem Niveau regelmäßig und dauerhaft anbieten zu können. Wenn Sie meine Arbeit entsprechend würdigen wollen, so können Sie dies tun per klassischer Überweisung auf:

Jürgen Fritz, IBAN: DE44 5001 0060 0170 9226 04, BIC: PBNKDEFF, Verwendungszweck: JFB. Oder über PayPal – 3 EUR – 5 EUR – 10 EUR – 20 EUR – 50 EUR – 100 EUR