Von Jürgen Fritz, Di. 05 Okt 2021, Titelbild: tagesschau-Screenshot
Zweieinhalb Jahre untersuchte eine Kommission in Frankreich den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der katholischen Kirche. Die Täter- und Opferzahlen sind erschreckend, die Abgründe, die sich hier auftun, erschütternd.
330.000 Kinder und Jugendliche in katholischen Institutionen sexuell missbraucht, 216.000 von Priestern
Seit den 1950er Jahren sind nach Hochrechnungen einer Untersuchungskommission 330.000 Kinder und Jugendliche Opfer von sexuellem Missbrauch in Institutionen der katholischen Kirche geworden. Zu diesem Ergebnis kommt eine unabhängige Untersuchungskommission, die ihren Bericht nach zweieinhalb Jahren Arbeit jetzt in Paris vorstellte. Die Kommission hat für ihren Bericht die Aussagen von Betroffenen und Archive ausgewertet. Sie geht davon aus, dass 216.000 der zumeist minderjährigen Opfer von Priestern oder anderen „Geistlichen“ missbraucht wurden. Weitere 114.000 wurden von kirchlichen Laien misshandelt, so etwa an katholischen Schulen oder bei Jugendbewegungen.
„Bis Anfang der 2000er Jahre gab es eine totale und grausame Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern“, sagte der Präsident der Unabhängigen Missbrauchskommission in der Kirche (CIASE), Jean-Marc Sauvé, am Dienstag in Paris. Den Betroffenen habe man nicht geglaubt oder ihnen unterstellt, selber beteiligt gewesen zu sein. Nur in seltenen Fällen sei eine Entschädigung gezahlt worden – und dann auch nur, um das Schweigen zu erreichen, so Sauvé.
80 Prozent der Opfer waren männliche Kindern zwischen 10 und 13 Jahren
„Die Kirche hat es nicht sehen oder wissen wollen“, betonte der Kommissionsleiter. Die Zahlen seien „erschütternd und können nicht folgenlos bleiben“, so Sauvé weiter. Die Opfer hätten Leiden, Isolation und oft auch Scham und Schuldgefühle erlitten. Knapp die Hälfte von ihnen litten auch nach vielen Jahren noch unter den Folgen.
80 Prozent der Opfer seien Jungen im Alter zwischen 10 und 13 Jahren gewesen, 20 Prozent Mädchen unterschiedlicher Altersgruppen. Bei den Taten habe es sich in fast einem Drittel der Fälle um Vergewaltigungen gehandelt.
Fast zwei Drittel der Verbrechen begingen „Geistliche“
Für knapp zwei Drittel der Missbrauchsfälle waren nach der Studie „Geistliche„ verantwortlich, für die übrigen Verbrechen Beschäftigte der katholischen Kirche. Die Zahl der Täter gehe dabei in die Tausende. 2.900 bis 3.200 „Geistliche“ wurden seit 1950 als Täter identifiziert.
Bei 216.000 Missbrauchsopfern nur durch die Priester und ca. 3.000 „geistlichen“ Tätern würde das bedeuten, dass ein Täter im Schnitt mindestens 70 Kinder missbrauchte. Nach Familie und Freundeskreis sei die katholische Kirche in Frankreich der Ort mit dem höchsten Missbrauchsrisiko, so die Studie.

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Viele Fälle sind bereits verjährt und können strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden
Der deutsche Verband von Opfern kirchlichen Missbrauchs, Eckiger Tisch, betonte die Bedeutung unabhängiger Untersuchungen, wie sie jetzt in Frankreich endlich durchgeführt wurden. „Das fehlt uns in Deutschland dank des hinhaltenden Widerstands der deutschen Kirchen immer noch − auch elf Jahre nach dem Missbrauchsskandal“, sagte der Verbandssprecher Matthias Katsch. Die Politik habe es zu lange laufen lassen. Es fehle eine mutige Aufarbeitung der Ergebnisse deutscher Missbrauchsstudien.
Papst Franziskus hatte sich in den vergangenen Tagen mit französischen Bischöfen getroffen. Er habe den Inhalt des Berichts mit Schmerz aufgenommen, so ein Vatikansprecher. Die Kommission fordert von der Kirche Reparationszahlungen für die Geschädigten. Die französische Bischofskonferenz kündigte Konsequenzen an. „Angesichts so vieler zerrütteter, oft zerstörter Leben schämen wir uns und sind entrüstet“, sagte der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Éric de Moulins-Beaufort, am Dienstag.

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Der Bericht war der Bischofskonferenz übergeben worden. Die Kommission macht auch Vorschläge zur Entschädigung von Opfern. Zahlreiche Fälle sind jedoch bereits verjährt und können strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden, eventuell aber noch nach Kirchenrecht, wobei sich hier die Frage stellt, ob die Kirche wirklich willens ist, hier ihre eigenen Leute einer auch nur halbwegs gerechten Strafe zuzuführen.
Opferorganisation fordert Milliardenzahlungen von katholischer Kirche
François Devaux, der Gründer der französischen Opferorganisation La Parole liberée (Die befreite Rede), forderte, die Kirche müsse für alle diese Verbrechen bezahlen und sprach von einer kolossalen Aufgabe. „Sie müssen für alle diese Verbrechen bezahlen“, sagte Devaux. Dabei werde es um eine Milliardensumme gehen.

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Wenn die katholische Kirche wenigstens bereit wäre, 100.000 Euro pro missbrauchtem Kind zu zahlen – und das wäre wirklich nicht viel, im Gegenteil! -, dann käme man auf eine Zahlung von 33 Milliarden Euro.
„Sie kommen aus der Hölle, Sie, Mitglieder der Komission“, so Francois Dexaus in Paris. „Sie haben die dunkelsten und niederträchtigsten Details untersucht, die der Mensch nervlich verkraften kann. Sie sind hinabgetaucht in die schlimmsten, unerträglichsten und widerlichsten Dinge.“
FAZ-Bericht
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