Was für ein Formel-1-Saisonfinale!

Von Jürgen Fritz, Di. 14. Dez 2021, Titelbild: Sky-Screenshot

Seit vielen, vielen Jahren habe ich kein Formel-1-Rennen mehr live verfolgt. Das Saisonfinale am Sonntag aber hätte ich liebend gerne live gesehen, wenn ich gewusst hätte, was dort geschehen würde. Etwas Vergleichbares an Spannung und Dramatik bis zur letzten Sekunde ist mir nicht bekannt.

Die Ausgangssituation

Der 36-jährige siebenfache Weltmeister Lewis Hamilton auf Mercedes und der 24-jährige Max Verstappen auf einem Red Bull-Honda gehen punktgleich in den 22. und letzten Grand Prix der Saison in Abu Dhabi. Wer vor dem anderen in den Punkterängen, also unter den ersten zehn im Ziel ankommt, ist neuer Weltmeister. Hamilton ist mit seinen sieben WM-Titeln zusammen mit Michael Schumacher ewiger Rekordhalter. Mercedes hat sich die letzten sieben Fahrer-WM-Titel seit 2014 alle geholt, sechsmal Hamilton, einmal (2016) Nico Rosberg. Fünfmal in den letzten sieben Jahren standen die beiden Mercedes-Fahrer am Jahresende sogar jeweils auf eins und zwei. Nun also die Entscheidung 2021.

Der Start

Verstappen kann von der Pole Position ins Rennen starten, fährt jedoch auf den weichen Reifen, die erfahrungsgemäß deutlich kürzer halten als Hamiltons Medium-Reifen. Daher ist es wichtig, dass Verstappen nach dem Start vorne bleibt, um Hamilton nicht davon fahren zu lassen, sondern selbst einen Vorsprung herausfahren zu können.

Doch dann sieht es direkt sehr schlecht aus für Verstappen, denn er erwischt einen “Scheiß-Start”, wie er selbst nach dem Rennen erklärte. Ihm drehen die Reifen durch, während Hamilton nach dem Ausgehen der roten Ampeln nicht nur blitzschnell reagiert, sondern auch superschnell nach vorne wegkommt. Hamilton geht als Erster in die die erste Kurve. Die erste kleine, aber wichtige Entscheidung. Shit! – aus Verstappens Sicht. Genau das hätte nicht passieren sollen.

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Die erste Attacke gleich in Runde eins

Gleich in der ersten Runde in Kurve sechs versucht der Niederländer aber mit einem aggressiven Manöver, Hamilton anzugreifen. Er muss unbedingt nach vorne, um seine weichen Reifen jetzt auszunutzen, solange sie noch frisch sind. Bei dem Angriff drückt er Hamilton von der Strecke. Dieser nutzt aber die Auslaufzone und reihte sich vor dem Red Bull wieder ein. Nun zieht Hamilton dank des starken Mercedes-Motors allmählich davon. Nach zwölf Runden hatten Hamilton schon fast fünf Sekunden, das heißt mehrere hundert Meter Vorsprung. Es sieht weiter nicht gut aus für Verstappen. Was tun?

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Schützenhilfe kommt vom Mercedes-Teamkollegen

In Runde 14 von 58 holt sich Verstappen neue Reifen, eine Runde später, in Runde 15 dann auch Hamilton. Dadurch fällt er aber hinter den Teamkollegen des Niederländers Sergio Pérez zurück, der noch nicht in der Box war. Dessen Auftrag ist nun klar: Hamilton so lange wie möglich aufhalten, ihn nicht so schnell überholen lassen, so dass er nicht so schnell fahren kann, wie er bei freier Bahn eigentlich könnte. Und dieses Schützenhilfe ist wichtig für Verstappen. Runde um Runde bremst der stark fahrende Mexikaner den schnellen Briten aus. Dadurch kann sein Teamkollege mit den frischen Reifen Boden gut machen und kommt Hamilton wieder näher.

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Doch dann in Runde 21 ist Hamilton endlich an dem Mexikaner vorbei und zieht wieder davon, kann seinen Vorsprung weiter ausbauen. Es sieht weiter sehr schlecht aus für Verstappen, der Hamilton hinterher fährt.

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Hamilton steht unmittelbar vor seinem achten WM-Titel

In Runde 37 Schließlich kommt es zu einer virtuellen Safety-Car-Phase. Diese nutzt Verstappen zu einem zweiten Boxenstopp. Schnell neue Reifen aufziehen und dann nochmals versuchen zu attackieren, zumal Hamilton seine Reifen nicht wechseln kann. Verstappen versucht, mit den frischen Reifen nochmals anzugreifen, aber wieder misslingt die Attacke. Er kommt einfach nicht an Hamilton heran. Der ist zu schnell für den Honda. Damit scheint die WM nun endgültig entschieden. Hamilton zieht mit seinem überlegenen Boliden davon. Wer soll ihn jetzt noch stoppen? Der achte WM-Titel ist zum Greifen nahe. Damit zieht er auch an Michael Schumacher vorbei und ist alleinige Nr. 1 aller Zeiten.

Doch dann kommt Runde 54

Fünf Runden vor dem Ende hat Hamilton 12 Sekunden Vorsprung vor Verstappen. 12 Sekunden, das entspricht über 700 Meter. Es kommt die 54. von 58 Runden. Der Williams-Pilot Nicholas Latifi setzte seinen Flitzer direkt nach der Hotel-Durchfahrt in die Mauer. Das Safety Car kommt auf die Strecke. Red Bull reagiert schnell und holt Verstappen noch einmal in die Boxen. Wieder bekommt er neue, weiche Reifen aufgezogen. Hamilton hingegen muss auf seinen abgefahrenen harten Reifen bleiben, weil die Safety-Car-Phase erst ausgerufen wird, als er die Boxeneinfahrt bereits passiert hat.

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Hamilton bleibt aber cool. Denn Verstappen liegt zwar mit seinen frischen Reifen auf Rang zwei, aber zwischen ihm und seinem Kontrahenten liegen noch mehrere überrundete Wagen, an denen Verstappen nach dem Restart erstmal vorbei muss. Jedes einzelne Überholmanöver kostet aber Zeit, weil man immer den richtigen Moment abwarten muss, bis man zum Überholmanöver ansetzen kann. In der Zeit kann der Brite ganz vorne, ohne jemand vor ihm, weiter davon rauschen. Und es sind ja nur noch ein, zwei Runden zu fahren.

Eine folgenreiche Entscheidung

Doch dann geschieht etwas, was Hamilton gar nicht gefällt: Kurz vor Ende der Safte Car-Phase entscheidet die Rennleitung, dass die überrundeten Fahrer am Safety Car vorbeifahren dürfen, um die Rennsituation auf der Strecke zu bereinigen. Das aber heißt, Verstappen liegt nun direkt hinter Hamilton – und das mit frischen Reifen!

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Die letzte Runde

Nun geht es in die 58. und letzte Runde. Verstappen direkt hinter Hamilton auf Position zwei. In der allerletzten Runde 2021 kommt es zum Showdown der beiden WM-Führenden, die beide 369,5 Punkte auf ihrem Konto haben. Verstappen bekommt doch nochmal eine Chance den Titelverteidiger anzugreifen. Der hat zwar den besseren Wagen, den stärkeren Motor, er hat nun aber die besseren Reifen, die das überkompensieren. Das ist seine Chance! 57 Runden hat er auf sie warten müssen. Jetzt ist sie da! Mehr als 300 Kilometer ist er hinter dem siebenfachen Weltmeister hinterher gefahren. Kann er das auf den letzten Kilometer doch noch ändern?

Und in der Tat greift Verstappen an. In der letzten Runde vor dem Ziel ist er so nah dran, dass er einen letzten Angriff starten kann. Und: er kommt an Hamilton vorbei. Er überholt den Briten in der letzten Runde in der letzten Kurve direkt vor dem Ziel und überfährt die Linie als Erster. Max Verstappen ist neuer Weltmeister. Was für ein Rennen! Was für ein Saisonabschluss! Was für eine WM-Entscheidung! Was für eine Spannung bis zur letzten Sekunde!

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Mercedes legt doppelten Protest ein, doch dieser wird abgewiesen

Hamilton tobt währenddessen in seinem Fahrzeug: „Das wird doch manipuliert, man!“ Sein Renningenieur Peter Bonnington antwortet ihm: „Ich bin sprachlos, Lewis. Einfach sprachlos.“

Nach dem Rennen legt Mercedes gleich doppelten Protest gegen das Rennergebnis ein. Das Safety Car sei nicht erst am Ende der folgenden Runde in die Box gefahren, sondern bereits in der Runde, in der die Überholungen stattfanden. Zudem durften vor dem Neustart auch gar nicht alle überrundeten Fahrer das Safety Car passieren. Demnach wäre der Restart irregulär freigegeben worden. Außerdem war Verstappen kurz vor dem Restart hinter dem Safety Car unerlaubter Weise kurzzeitig an Hamilton vorbeigezogen. Das Rennen sei daher nach Ende der vorletzten Runde zu werten. Und da war Hamilton noch auf eins. Damit wäre er Weltmeister.

Am späten Sonntagabend wurde dann das Ergebnis der Rennkommissare verkündet. Beide Proteste von Mercedes wurden abgewiesen. Mercedes kann nun zwar noch Berufung gegen das Ergebnis einlegen, dies gilt aber als eher unwahrscheinlich. Dass die WM am grünen Tisch entschieden wird und nicht auf der Rennbahn, das wird letztlich niemand wollen.

Mercedes ist erneut Konstrukteurs-Weltmeister, Fahrer-Weltmeister aber wird zum ersten Mal Max Verstappen

Damit geht ein denkwürdiges Formel-1-Jahr zu Ende, das in die Annalen des Rennsports eingehen dürfte. Mercedes wird sage und schreibe zum achten Mal in Folge Weltmeister in der Konstrukteurswertung, hat ohne Zweifel den wohl noch immer besten Wagen. Fahrer-Weltmeister aber wird erstmals der 24-jährige Max Verstappen auf Red Bull-Honda. Dies ist das erste Mal in der Formel-1-Geschichte, dass dies einem Niederländer gelingt. Lewis Hamilton auf Mercedes, der ebenfalls eine großartige Saison fuhr und förmlich bis zu den letzten Sekunden um den Titel kämpfte, wird ein großartiger Zweiter. 

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