Von Jürgen Fritz, Fr. 24. Dez 2021, Titelbild: WELT-Screenshot
Damit hat Alexander Kekulé wohl nicht gerechnet. Seit 1999 ist der bekannte Virologe Inhaber eines Lehrstuhls an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Diese hat nun nach Einleitung eines Disziplinarverfahrens eine vorläufige Dienstenthebung gegen Kekulé ausgesprochen. Der Vorwurf: ungenügendes Nachkommen seiner Lehrverpflichtungen.
Ein Wissenschaftler, der seit langem in den Massenmedien ungewöhnlich aktiv ist
Alexander S. Kekulé ist in der breiteren Öffentlichkeit einer der bekanntesten deutschen medizinischen Mikrobiologen und Virologen neben Christian Drosten, Hendrik Streeck, Lothar Wieler, Melanie Brinkmann und Jonas Schmidt-Chanasit. Kekulé ist vor allem publizistisch seit vielen Jahren sehr aktiv, schrieb immer wieder nichtwissenschaftliche Artikel für DIE ZEIT, den SPIEGEL, die Neue Zürcher Zeitung, hatte von 1999 bis 2013 im Tagesspiegel sogar eine eigene Kolumne und seit Juni 2021 eine bei FOCUS Online.
Nachdem die COVID-19-Pandemie im März 2020 Deutschland erreichte, kam dann ab dem 16. März 2020 auch sofort noch der MDR-Podcast Kekulés Corona-Kompass hinzu. Darin erörtert der Mikrobiologe und Virologe im Gespräch mit dem Moderator Camillo Schumann wissenschaftliche Hintergründe, gibt Einschätzungen zu politischen Maßnahmen ab und beantwortet per Telefon oder E-Mail gestellte Fragen von Hörern. Außerdem trat Kekulé die letzten 21 Monate regelmäßig in TV-Talkshows auf, war einer der gefragtesten Mediziner.
Kekulés Einschätzungen und Erklärungen sind seither vielen Menschen eine gute Richtschnur, ein hilfreicher Ratgeber. Kekulé kann besonders gut Zusammenhänge erklären und vermittelt immer wieder den Eindruck von sehr realistischen und auch aufrichtigen Beurteilungen der Lage. So kommt es, dass viele seine Stimme in der Öffentlichkeit nicht mehr missen wollen, gerade in diesen schweren Zeiten.
Zugleich ergab sich schon länger für nicht wenige der Eindruck, dass Kekulé das Licht der Öffentlichkeit jenseits der Hochschule und des Universitätsklinikums a) suche und b) auch offensichtlich sehr genieße. Dies mag auch mit seiner Familie und Herkunft zu tun haben. Seine Mutter war Autorin, sein Stiefvater Filmregisseur und er selbst spielte 1968 als Kind die Hauptrolle in einem Kinofilm. Gegen all das ist selbstverständlich überhaupt nichts einzuwenden – unter einer Bedingung: sofern die Dienstpflichten darunter nicht leiden. Genau das wird Kekulé aber seit einiger Zeit vorgeworfen.
Disziplinarverfahren wegen schwerwiegender Vernachlässigung der Lehrpflichten und jetzt die vorläufige Dienstenthebung
Schon seit 1999 ist der 63-Jährige (Jahrgang 1958) als Hochschullehrer an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg tätig, hat dort den Lehrstuhl für Medizinische Mikrobiologie und Virologie inne. Außerdem ist er Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle (Saale). Schon länger gab es immer wieder Bemerkungen, dass Kekulé zwar in den Massenmedien sehr viel zu lesen, zu hören und zu sehen sein, dass im Bereich der wissenschaftlichen Forschung in den letzten Jahren respektive Jahrzehnten nicht mehr so ganz arg viel gekommen sei, um es vorsichtig zu formulieren. Nun kamen seit einiger Zeit auch Vorwürfe hinzu, er würde auch seinen Lehrverpflichtungen nicht in ausreichendem Maße nachkommen.
Bereits 2020 soll deswegen ein Disziplinarverfahren gegen Kekulé eingeleitet worden sein. Nun hat der Rektor der Hochschule Prof. Dr. Christian Tietje eine vorläufige Dienstenthebung für Alexander Kekulé ausgesprochen, wie die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) als Erste berichtete. Der 63-Jährige darf bis auf Weiteres nicht mehr an der Martin-Luther-Universität Halle tätig sein, weder in der Forschung noch in der Lehre. Der Hochschulrektor Prof. Dr. Christian Tietje, der Ärztliche Direktor der Uniklinik Thomas Moesta, und der Dekan der Medizinischen Fakultät Michael Gekle sollen am Dienstag einen Brief an an alle rund 50 Klinikdirektoren geschrieben haben.
In diesem Brief heiße es, die Entscheidung des Rektors werde „im Interesse einer bestmöglichen Krankenversorgung vollständig von uns unterstützt“. Zudem werde erläutert, wie die Interimsleitung des Instituts für Medizinische Mikrobiologie aussehe, das Kekulé seit 22 Jahren leitet. Die Gründe, die zur vorläufigen Dienstenthebung des Mediziners geführt haben, werden in dem Brief nicht genannt. Moesta und Gekle bitten vielmehr die Klinikdirektoren um Verständnis, dass man zu einem laufenden Verfahren keine weiteren Informationen geben könne.
Ermittler kam zu dem Ergebnis, dass weitere Schritte gegen Kekulé eingeleitet werden müssen
Laut MZ-Informationen gehe es in dem Disziplinarverfahren unter anderem um das Lehrdeputat, das jeder Professor und somit auch Kekulé zu erfüllen habe. Dieser soll seinen Unterrichtsverpflichtungen, die ein Hochschullehrer mit seiner Berufung neben der Pflicht zur wissenschaftlichen Arbeit eingehe, nicht so erfüllt haben, wie es sein müsse. Unter anderem geht es wohl um die Frage, in welchem Umfang Kekulé überhaupt Lehrangebote gemacht hat für seine Studenten und ob diese, die er machte, denn auch alle so stattgefunden haben. Das gelte insbesondere für die Zeit während des Corona-Lockdowns, als die Lehre virtuell erfolgte. Geprüft werde insbesondere auch eine Vorlesungsveranstaltung im Sommersemester. Laut Kekulé gehe es dabei unter anderem um ein Praktikum 2020, das er unter Verstoß gegen die Corona-Auflagen hätte stattfinden lassen sollen.
Der Uni-Rektor soll für das Disziplinarverfahren einen Ermittler eingesetzt haben und dieser sei zu dem Schluss gekommen, die gegen Kekulé erhobenen Vorwürfe seien so schwerwiegend, dass weitere Schritte eingeleitet werden müssten. Die vorläufige Dienstenthebung sei nun einer dieser weiteren Schritte. Das Rektorat wollte sich gegenüber Zeitungen zu dem Vorgang zunächst nicht äußern. „Wir kommentieren prinzipiell keine Personalangelegenheiten“, sagte Sprecherin Manuela Bank.
Kekulé behauptet, dies sei ein „politisches Verfahren“ gegen ihn
Kekulé dagegen sprach gegenüber der MZ am Dienstagabend von einem „politischen Verfahren“. Im Zuge der Coronakrise hatte unter anderem den früheren Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) öffentlich kritisiert, weil Spahn COVID-19-Tests an Flughäfen noch ablehnte, als andere Länder diese bereits durchführten. Außerdem meinte Kekulé, er beschwere sich seit Jahren über die mangelnde Ausstattung seines Lehrstuhls. Die Uni hätte Zusagen ihm gegenüber nicht erfüllt. Beim Thema Lehrverpflichtungen gehe es lediglich um ein Formular, das er möglicherweise nicht richtig ausgefüllt habe, versucht er den Sachverhalt herunter zu spielen. Gegenüber der BILD erklärte Kekulé:
„Ich habe seit Dienstantritt dafür gekämpft, die Virologie an der Universität halbwegs vernünftig ausstatten zu lassen. Denn leider hat die Universitätsleitung das Thema Infektiologie unterschätzt. Nachdem meine Briefe an den Dekan, an den ärztlichen Direktor und das Rektorat nicht gefruchtet hatten, habe ich im Sommer 2020 mit dem zuständigen Minister der Landesregierung darüber gesprochen, der zusagte, sich darum zu kümmern, dass wir die nötige Ausstattung bekommen. Ich sehe den aktuellen Schritt der Universität nun als unmittelbare Reaktion darauf.
Im Januar wurde mir das molekularbiologische Labor weggenommen. Das Labor, das unter anderem die Corona-Tests durchführt und erhebliche Einnahmen für das Klinikum generiert. Seitdem läuft dazu ein Gerichtsverfahren.“
Dem 63-Jährigen droht die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis
Gegen seine vorläufige Dienstenthebung kündigte Kekulé rechtliche Schritte an. Eine solche Maßnahme ist sehr ernst zu nehmen, denn sie ist vor allem für solche Fälle vorgesehen, in denen damit zu rechnen ist, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ausgesprochen werden wird.
Kritiker aus dem Hochschulbetrieb warfen Kekulé seit Langem unter anderem eine mangelnde Forschungstätigkeit vor. Er habe seit Jahren kaum noch wissenschaftliche Beiträge veröffentlicht. Kekulé hatte sich gegen die Anschuldigungen immer wieder zur Wehr gesetzt. Nun kamen noch die Kritik hinzu, dass er neben seinem Forschungs- auch seinen Lehrauftrag vernachlässige.
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