Neun Ökonomen: Importstopp russischer Energie wird das BIP auf max. minus 4 Prozent senken

Von Jürgen Fritz, Mi. 30. Mrz 2022, Titelbild: YouTube-Screenshot (Privatbild)

Rüdiger Bachmann untersuchte zusammen mit acht anderen Wirtschaftswissenschaftlern, welche Folgen ein Importstopp russischer Energielieferungen hätte. Ergebnis: Das Bruttoinlandsprodukt würde maximal um vier Prozent einbrechen. Das wäre eine Rezession, „die man mit den richtigen arbeitsmarkt- und fiskalpolitischen Maßnahmen abfedern kann“, so der Ökonom.

Bachmann: Robert Habeck wird m.E. falsch beraten

Dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck verkündet, ohne russisches Gas würden Massenarbeitslosigkeit und Massenarmut drohen, hält der Ökonom für einen Fehler. „Ich mag Robert Habeck, sagt Bachmann im Interview mit ntv, aber aus seiner Sicht werde der Minister „falsch beraten“.

Dass Deutschland bei der Energieversorgung in so starke Abhängigkeit von Russland geraten konnte, sieht Bachmann als „klare Folge von politischen Fehlentscheidungen“ an. Man habe schlicht nicht geglaubt, dass Putin zu einem solchen Krieg fähig wäre. Und man habe – „ich würde sagen: zum Teil aus ideologischen Gründen“ – zunächst den Atomausstieg geplant und erst dann den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen. Er plädiere nicht für ein dauerhaftes Festhalten an der Atomenergie, „aber es wäre sinnvoll gewesen, sie noch eine Weile als Brückentechnologie zu nutzen“. Durch den Atomausstieg sei Erdgas noch wichtiger geworden, „aber diversifiziert haben wir nicht, nicht einmal LNG-Terminals wurden gebaut“. Natürlich habe es Gründe gegeben, die gegen Flüssiggas aus den USA oder aus Katar gesprochen hätten. Aber es gehöre zu den Grundregeln der Ökonomie, Lieferquellen zu diversifizieren.

Rüdiger Bachmann, University of Notre Dame, hat zusammen mit acht Kollegen – David Baqaee: University of California, Los Angeles; Christian Bayer: Universität Bonn; Moritz Kuhn: Universität Bonn und ECONtribute; Andreas Löschel: Ruhr University Bochum; Benjamin Moll: London School of Economics; Andreas Peichl: ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Universität München; Karen Pittel: ifo Institut für Wirtschaftsforschung, Universität München; Moritz Schularick: Sciences Po Paris, Universität Bonn und ECONtribute – die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Importstopps russischer Energie auf Deutschland untersucht. Dazu veröffentlichen die neun Wissenschaftler bereits am 7. März 2022 den ECONtribute – Policy Brief No. 029: Was wäre, wenn…? Die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Importstopps russischer Energie auf Deutschland. In diesem kommen sie zu dem Ergebnis:

„In diesem Artikel werden … wir zeigen, dass die Auswirkungen wahrscheinlich substanziell, aber handhabbar sein werden. Kurzfristig würde ein Stopp der russischen Energieimporte zu einem BIP-Rückgang zwischen 0,5 % und 3 % führen (Zum Vergleich: Der BIP-Rückgang im Jahr 2020 auf Grund der Pandemie betrug 4,5 %).“

Rezession ja, aber kein Horrorszenario

Im Interview mit ntv erläutert Bachmann: Unser Papier wird gern missverstanden. Wir fordern darin keinen Importstopp von russischer Energie, sondern beschreiben, was die Folgen wären, wenn es einen Importstopp gäbe.“ Philosophisch (erkenntnistheoretisch) gesprochen: keine Sollen-, sondern Seins-Aussagen, keine normativen Werturteile, sondern deskriptive Urteile, hier freilich in Form von Prognosen, also Aussagen, was wahrscheinliche Folgen F sein werden, wenn A geschieht, keine Aufforderung, A zu tun. Dazu Bachmann selbst: Ich habe zwar Aufrufe unterzeichnet, in denen solche Forderungen erhoben werden. Aber das habe ich als Staats- und Weltbürger getan, nicht in meiner Rolle als Wissenschaftler.“

Was wären nun die zu erwartenden Folgen eines Importstopps? Dazu Bachmann: Nach unserer Modellierung könnte das Bruttoinlandsprodukt um bis zu 3 Prozent einbrechen. Es handelt sich also um eine Rezession, nicht um ein Horrorszenario.“ Dabei sei zu betonen, dass an den entscheidenden Stellen konservative Parameter eingesetzt wurden. Wir haben mit Annahmen gerechnet, die auf schlechteren Szenarien basieren als die Literatur eigentlich vorsieht.“ Eine berechtigte Kritik gebe es an dem benutzten Modell: „dass wir konjunkturelle Effekte und Nachfrageeffekte nicht berücksichtigt haben. Daraufhin haben wir noch mal nachgerechnet und gehen nun von 3 bis 4 Prozent aus.“ Die Größenordnung ist definitiv im unteren einstelligen Bereich.

Das russische BIP wird dagegen auf jeden Fall um mind. 10 bis 15 Prozent einbrechen, im Falle eines Stopps der Energielieferungen um minus 20 Prozent, womöglich sogar noch mehr, so Prof. Michael Rochlitz.

Kein Spaziergang, aber wir können diese Rezession gut durchstehen

Ein Minus von 3 bis 4 Prozent sei natürlich eine Rezession, die man aber mit den richtigen arbeitsmarkt- und fiskalpolitischen Maßnahmen abfedern könne, meint Rüdiger Bachmann. Dabei seien zwei Dinge entscheidend: „Man muss, ähnlich wie in der Corona-Krise, massive Staatseingriffe vornehmen. Und man muss die Arbeitnehmer, die eine Zeitlang nicht arbeiten können, über Kurzarbeitergeld absichern.“ Ansonsten würde die Nachfrage zurückgehen. Dann käme es zu den Kaskadeneffekten, die Bundeswirtschaftsminister Habeck befürchte. Aber man könne diese Effekte mit politischen Entscheidungen minimieren, und das sehe Habeck nicht.

Das Ganze werde kein Spaziergang, „aber wir können diese Rezession gut durchstehen. Ein Punkt sei dabei aber wichtig: Die Regierung müsse Preismechanismen wirken lassen. Ideen wie eine Deckelung des Benzin- oder Gaspreises seien grundsätzlich schlecht. Denn dann würde sich der private Sektor nicht anpassen. Genau das müsse aber passieren. „Die Haushalte müssen verstehen, dass sie sich um Alternativen kümmern müssen.“ Betriebe, die Vorprodukte von gasintensiven Unternehmen beziehen, müssten sich diese möglicherweise auf dem internationalen Markt besorgen. Und gleichzeitig müsste man durch Umverteilungsmaßnahmen den Haushalten helfen, die sich Alternativen nicht leisten können.

Schlimm, aber kein Weltuntergang

Inzwischen gibt es wohl eine zweite Studie, die in Kürze veröffentlicht wird, und die kommt laut Alexander Kriwoluzky, Professor für Makroökonomie an der FU Berlin und Leiter der Abteilung Makroökonomie am DIW Berlin, zu folgendem Fazit: „Beide Studien zusammen ergeben ein immer klareres Bild: schlimm, aber kein Weltuntergang.“

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