Von Jürgen Fritz, Di. 31. Dez 2024, Titelbild: YouTube-Screenshot
A könnte B fragen, worauf dessen Position gründet, und umgekehrt natürlich genauso. Dann könnte A B fragen: Wenn es mir gelingt, die Dinge, die du jetzt angegeben hat, auf denen sich deine Position gründet, zu widerlegen, wirst du dann deine Position aufgeben und ändern?
Das Abenteuer der gemeinsamen Wahrheitssuche böte die Chance, sowohl inhaltlich als auch in seiner Diskurskompetenz dazuzulernen
Wenn B diese Frage mit „Nein“ beantwortet, stellt sich die Frage, welchen Sinn dieses Gespräch überhaupt haben soll. A könnte B dann noch fragen, ob es noch weitere Gründe gibt, auf denen seine Position beruht, die er vergaß zu nennen, und könnte ihn bitten, die zu ergänzen, um dann erneut die Frage zu stellen: Wenn es mir gelingt, all die Dinge, auf denen sich deine Position gründet, zu widerlegen, sowohl die, die du ursprünglich angegeben hast, als auch die, die du ergänzt hast, wirst du dann deine Position aufgeben und ändern?
Wenn B auch diese Frage mit „Nein“ beantwortet, so dürfte klar sein, dass dieses Gespräch wenig Sinn hat. Beantwortet B die Frage dagegen mit „Ja“, dann ergäbe einen sachlicher Diskurs einen Sinn und A könnte versuchen, jeden einzelnen Punkt zu widerlegen. Wenn ihm dies gelänge, dann müsste B seine Position folgerichtig aufgeben. Gelingt ihm das nicht, könnte B umgekehrt versuchen, herauszufinden, auf welchen Überzeugungen die Position von A beruht und könnte dann versuchen, diese zu widerlegen.
Ein solches Gespräch, bei dem jeder den anderen als gleichberechtigten Diskussionspartner ansieht, von dem man annimmt, dass es sein könnte, dass er Recht hat, den man also ernst nimmt und den man mit Respekt behandelt, wäre ein echtes Gespräch, ein echter, ergebnisoffener Diskurs, der beiden die Chance böte, etwas dazu zu lernen, sowohl inhaltlich in Bezug auf das besprochene Thema als auch in Bezug auf die Fähigkeit, solche sachlichen Diskurse zu führen (Diskurskompetenz), so dass beide Gesprächspartner sich zusammen auf dieses Abenteuer der gemeinsamen Wahrheitssuche begeben könnten, was auch die Chance auf menschliches Wachstum böte.
Der Mangel an geistiger Offenheit
Mein Eindruck ist, dass im Bereich politischer und weltanschaulicher / ideologischer Dinge in vielen Fällen, die Bereitschaft, seine Position aufzugeben, überhaupt nicht gegeben, überhaupt nicht vorhanden ist. Selbst wenn jeder einzelne Punkt, jedes einzelne Argument widerlegt wird, werden Positionen stur weiter besetzt. Oft werden sofort neue Scheinbegründungen für die eigene Position gesucht und ins Feld geführt. Aber auch wenn diese widerlegt werden, ändert sich nichts. Dann kommen die nächsten Scheinbegründungen und so geht das immer weiter. Genau das macht sachliche Diskussionen oft so mühsam und lässt an deren Sinn in nicht wenigen Fällen zweifeln. Das Problem ist aber nicht das Diskussionsverfahren an sich, das Problem sind die Diskutanten. Denn es mangelt vielfach schlicht an geistiger Offenheit.
Mit offene Gesellschaft – der Begriff wurde von dem Philosophen Karl Popper, dem Begründer des Kritischen Rationalismus, in seinem berühmten Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ (1945) geprägt – sind übrigens nicht offene Grenzen gemeint, so dass jeder nach Belieben eindringen kann, sondern damit ist eine geistig offene Gesellschaft gemeint, eine nicht totalitäre, eine nicht am holistisch-kollektivistischen Denken ausgerichtete geschlossene Gesellschaft.
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