Von Herwig Schafberg, Sa. 22. Mai 2021, Titelbild: Gerd Altmann, Pixabay, CC0 Creative Commons
In der Apostelgeschichte ist zu lesen, der Heilige Geist habe einst zu Pfingsten dafür gesorgt, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft jeweils in ihrer Sprache hören konnten, was die Apostel ihnen erzählten. Die Frage ist, ob sie auch begriffen, was gemeint war – und es begreifen wollten. Diese Frage lässt heute umso dringender auf Antwort warten, als der momentan waltende Zeitgeist es nicht für so wichtig erachtet, was jemand mit seinen Worten meint, sondern für weit wichtiger, was diese Worte bei Zuhörern für Gefühle auslösen.
Vom Heiligen Geist zum aktuellen Zeitgeist
„Die Apostelgeschichte erzählt, wie am Pfingsttag … der Heilige Geist in die betende Gemeinde der Jünger Jesu fuhr“, heißt es in Papst Benedikts Meditationen zur Bibel. Demzufolge bewirkte der Heilige Geist, dass die zu Aposteln ausersehenen Jünger von den Menschen, zu denen sie sprachen, verstanden wurden, obwohl die „aus allen Völkern unter dem Himmel“ stammten; „denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden“. So steht es in der Apostelgeschichte (2,1-13) geschrieben.
Wenn daran etwas wahr sein sollte, dann stießen die Apostel allerdings nicht bei allen Zuhörern auf Verständnis: Die einen hatten zwar die Worte gehört, aber nicht begriffen und fragten verwirrt: „Was hat das zu bedeuten“, wie in der Apostelgeschichte weiter zu lesen ist. „Andere aber spotteten: Sie sind vom süßen Wein betrunken.“ Es spricht für die einen wie die anderen, dass sie skeptisch waren und das Gehörte in Frage stellten oder die Wahrnehmungsfähigkeit vieler Zuhörer anzweifelten.
Diese Skeptiker unterschieden sich insofern von modernen Menschen, die ein Wort hören, das nach ihrem Sprachverständnis eine andere Bedeutung hat als in der Sprache dessen, der dieses Wort gesagt hat. Doch statt zu fragen, wie es gemeint ist, wenn jemand ein bestimmtes Reizwort sagt, reagieren viele dieser Menschen gereizt und sind nicht bereit, sich aufklären zu lassen; denn es kommt für sie – dem aktuellen Zeitgeist folgend – nicht darauf an, wie ein Wort gemeint ist, sondern wie es wirkt.
Vom Wortspiel zum Spielabbruch
Was für eine eklatante Wirkung mit einem Wort erzeugt werden kann, haben wir – nicht zuerst und auch nicht zuletzt – erst vor einigen Wochen erlebt: Bei einem Fußballspiel der Champions League zwischen den Vereinen Paris St. Germain (PSG) und Istanbul Basaksehir. Nachdem ein Istanbuler Co-Trainer sich während des Spiels nicht vorschriftsmäßig verhalten hatte, sollte er auf Anweisung des rumänischen Schiedsrichters vom Spielfeldrand verbannt werden. Doch das war es nicht, was zum Eklat führte, sondern etwas anderes. Ein Linienrichter hatte nämlich den Schiedsrichter auf den dunkelfarbigen Co-Trainer aufmerksam gemacht und diesen in Unkenntnis von dessen Namen als „Negru“ bezeichnet. Das empfand der Bezeichnete als rassistische Beleidigung und reagierte mit lautstarker Empörung, so dass Spieler beider Mannschaften darauf aufmerksam wurden und sich spontan mit dem Empörten solidarisierten; denn die Bezeichnung „Negru“ war auch nach ihrem Sprachverständnis etwas Beleidigendes. Da sie in ihrer Empörung nicht weiter spielen wollten, wurde das Spiel abgebrochen und am nächsten Tag fortgesetzt – unter Ausschluss des rumänischen Schiedsrichterteams.
Anscheinend waren Trainer und Spieler nicht bereit gewesen, eine Erklärung zu akzeptieren und hinzunehmen, dass „negru“ in der rumänischen Sprache einfach nur „schwarz“ bedeutet und es im Rumänischen für „schwarz“ kein anderes Wort als „negru“ gibt, dieses Wort im Rumänischen also nicht die gleiche assoziative Bedeutung hat wie das, was man – den Regeln einer neuen geistigen Mode gehorchend – im Deutschen allenfalls als „N-Wort“ umschreibt und auch in anderen Ländern der westlichen Zivilisation nicht mehr aussprechen soll. Sonst könnte es einem ergehen wie jenem amerikanischen Journalisten, der kürzlich seinen Job verlor, weil er bei einem Gespräch dieses unsägliche Wort über die Lippen gebracht hatte. Dass er damit lediglich Martin Luther King (!) wörtlich zitiert hatte, wurde nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt. Denn es kommt – dem heute waltenden Zeitgeist folgend – nicht darauf an, wie etwas gedacht ist, sondern wie es empfunden wird: Nicht nur von denen, die sich unmittelbar betroffen fühlen, sondern auch und vor allem von jenen Neopuritanern, die sich dazu berufen fühlen, die Sprache von Reizworten zu reinigen und „Sprachsünder“ mundtot zu machen.
Was könnte man nun den Rumänen empfehlen, damit sie mit dem einen oder anderen Wort künftig keine internationale Empörung mehr auslösen? Die rumänische Hochsprache hat sich ja nicht nur aus irgendwelchen Mundarten entwickelt, sondern auch durch Ableitungen aus dem Lateinischen – wie etwa der Bezeichnung für „schwarz“ aus dem Wort „niger“, das europäische Kolonialmächte übrigens zur Namensgebung jener Länder einführten, die bis heute ungeniert Niger und Nigeria genannt werden. Soweit ich nicht bloß die rumänische Sprache kenne, sondern auch die Rumänen, werden diese sich hoffentlich nicht von antirassistischen Neopuritanern einreden lassen, dass ihre Farbbezeichnung „negru“ durch Kolonialismus sowie Rassismus toxisch verfärbt sei und dieses Wortes nicht mehr gebraucht werden sollte, weil es auf manche Menschen verletzend wirken könnte. Verletzungsanfälligen sei also empfohlen, einen Bogen um die Karpaten oder die Schwarzmeerküste Rumäniens zu machen und lieber nach Deutschland zu fahren, weil man dort nicht bloß vor der Haustür kehrt, sondern auch im Oberstübchen und jeden möglichen Stein des Anstoßes mit radikalem Eifer aus dem Weg zu räumen versucht.
Von der Reinigung oder Zersetzung der Sprache
Denk` ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich – frei nach Heinrich Heine – um den Schlaf gebracht, sofern ich im besonderen an die Kräfte denke, die sich an der Struktur unserer deutschen Muttersprache zu schaffen machen. Gehört dazu auch die türkischstämmige Journalistin Kübra Gümüsay, die der deutsch-ägyptische Politologe Hamid Abdel-Samad in seinem neuesten Buch (Schlacht der Identitäten) dafür kritisiert, dass sie die „Architektur der deutschen Sprache“ verändern wolle?

Kübra Gümüsay, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:-rpTEN_-_Tag_2_(26188178593).jpg
Deutsch ist die Sprache von meisterhaften Spracharchitekten wie Heinrich Heine, aber auch von weiteren deutschsprachigen sowie -prägenden Literaten wie Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schiller, Thomas Mann und Joseph Roth, für eine Frau mit dem türkischen Namen Gümüsay ist es jedoch angeblich „eine Herrschaftssprache“, „mit der andere ausgegrenzt und um ihre Talente gebracht würden“. Das ließe sich von jedem sagen, der die deutsche Sprache nicht beherrscht – einerlei, ob er von Einheimischen abstammt oder von „Menschen mit internationaler Geschichte“, wie Einwanderer neuerdings im Berliner Amtsdeutsch heißen. Statt auf eine Zersetzung unserer gut strukturierten deutschen Sprache hinzuwirken, sollte man besser mit gezielter schulischer Lektüre der genannten Literaten zur Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Geist beitragen.
Hamid Abdel-Samad wirft Kübra Gümüsay außerdem vor, dass sie türkischstämmige Islamkritiker wie Necla Kelek in einer TAZ-Kolumne als „Haustürken“ zu disqualifizieren versuchte, andererseits jedoch darauf hinaus wolle, dass die deutsche Sprache „weniger rassistisch und diskriminierend“ klinge.
Sie scheint übrigens nicht die einzige zu sein, die – so Sahra Wagenknecht– auf der Suche nach „verdächtigen Worten“ ist, mit denen sich möglicherweise irgendjemand auf den Schlips oder den Schleier getreten fühlt und davor bewahrt werden soll: „Entsprechend wird die Alltagssprache ständig nach Worten durchsucht, die irgendjemand beleidigen könnten und die es fortan zu meiden gilt.“ Zu meiden sind etwa Triggerwörter, „die harmlos klingen, aber angeblich bei bestimmten Gruppen Traumata auslösen oder von Rechten verwandt werden“, wie Wagenknecht in ihrem Buch über Die Selbstgerechten weiter zum Besten gibt: „Heimat und Volk gehören dazu und sind folglich tabu, auch der Begriff Zuwanderer ist mindestens heikel, weil doch alle, die nach Europa kommen, geflüchtet sind, und Fremde oder Parallelwelten gibt es schon gar nicht… Aus Ausländern wurden (auf Beschluss des Berliner Senats) ´Einwohnende ohne deutsche Staatsbürgerschaft` und aus illegalen Einwanderern ´undokumentierte Migrantinnen und Migranten`…“
Von der Diversität zurück zur Genesis
Dass man Einwohner, Migranten, Bürger und Bürgermeister nicht länger als Menschen beiderlei Geschlechts, sondern Frauen als Einwohnerinnen, Migrantinnen, Bürgerinnen und möglicherweise auch noch als Bürgerinnenmeisterinnen verstanden wissen und sie damit gewissermaßen als Anhängsel der Männer bezeichnen will, ist nichts Neues mehr. Neu ist jedoch, dass man Menschen, die nicht eindeutig einem dieser beiden Geschlechter zugeordnet werden können, beim Schreiben mit einem Doppelpunkt mitten im Wort kenntlich machen und beim Sprechen an der Stelle eine kleine Pause wie bei einem Schluckauf machen soll. Das mag politisch korrekt sein, ästhetisch sind solche Wortschöpfungen eher nicht.
Am Anfang war das Wort, mit dem Gott Himmel und Erde, Licht und Leben schuf, heißt es in der Schöpfungsgeschichte der Bibel. Wäre es Gott, der den menschlichen Lebewesen im Unterschied zu anderen die Fähigkeit gab, sowohl zu fühlen als auch zu denken und Gefühle sowie Gedanken in Worte zu fassen, dann würde ich bitten: Herr, lass Pfingsten so viel Hirn auf uns niederregnen, dass wir weniger emotional und mit ein wenig mehr Ratio auf gesprochene Worte reagieren, nicht so leicht beleidigt sind, sondern besonnen urteilen und endlich zu Vertretern einer Gattung heranreifen, die den Namen Homo Sapiens („verstehender, verständiger“ oder „weiser, gescheiter, kluger, vernünftiger Mensch“) auch wirklich verdient.
*
Zum Autor: Herwig Schafberg ist Historiker, war im Laufe seines beruflichen Werdegangs sowohl in der Balkanforschung als auch im Archiv- und Museumswesen des Landes Berlin tätig. Seit dem Eintritt in den Ruhestand arbeitet er als freier Autor und ist besonders an historischen sowie politischen Themen interessiert. Zuletzt erschien von ihm sein Buch Weltreise auf den Spuren von Entdeckern, Einwanderern und Eroberern.
**
Aktive Unterstützung: Jürgen Fritz Blog (JFB) ist vollkommen unabhängig und kostenfrei (keine Bezahlschranke). Es kostet allerdings Geld, Zeit und viel Arbeit, Artikel auf diesem Niveau regelmäßig und dauerhaft anbieten zu können. Wenn Sie meine Arbeit entsprechend würdigen wollen, so können Sie dies tun per klassischer Überweisung auf:
Jürgen Fritz, IBAN: DE44 5001 0060 0170 9226 04, BIC: PBNKDEFF, Verwendungszweck: JFB. Oder über PayPal – 3 EUR – 5 EUR – 10 EUR – 20 EUR – 50 EUR – 100 EUR