Carlsen schlägt Nepo in längster WM-Partie der Schachgeschichte

Von Jürgen Fritz, Sa. 04. Dez 2021, Titelbild: chess24-Screenshot

Die ersten fünf Partien endeten alle remis. 2,5 zu 2,5 stand es also bis gestern. Dann kam das sechste Match zwischen Titelverteidiger Magnus Carlsen und Herausforderer Jan Nepomnjaschtschi. Und das hatte es in sich. Es sollte mit fast acht Stunden die längste WM-Partie werden, die jemals gespielt wurde. Und die endete nicht unentschieden.

Magnus Carlsen schlägt Nepo in der längsten WM-Partie der Schachgeschichte

Die ersten fünf der 14 angesetzten Partien zwischen dem 31-jährigen Herausforderer Jan Nepomnjaschtschi (Nepo) und dem seit vier Tagen ebenfalls 31-jährigen, seit 2013 amtierenden Schachweltmeister Magnus Carlsen, der die Weltrangliste seit Juli 2011 ununterbrochenen anführt, endeten alle Remis. Schon wurde befürchtet, dass auch diese Weltmeisterschaft in allen Matches mit einem Unentschieden enden würde, so dass die Entscheidung erneut im Schnellschach-Tiebreak fallen müsse. Doch dann kam der Freitag, der alles veränderte.

Die sechste Partie in Dubai endete erst nach Mitternacht (Ortszeit). Nach 136 Zügen (!) gab Nepomnjaschtschi nach fast acht Stunden Spielzeit auf. Neuer Rekord! Damit ist dieses Match das längste WM-Duell, das jemals gespielt wurde. Bislang hielten diesen Rekord Anatoli Karpow und Viktor Kortschnoi, die sich 1978 in der fünften Partie eine Schlacht von 124 Zügen lieferten, die dann remis endete. 43 Jahre sollte diese Marke halten, bis Freitag auf Samstag Nacht.

Dabei hatten beide Spieler immer wieder die Möglichkeit, sich einen kleinen Vorteil zu erspielen, ließen beide vor allem unter Zeitdruck immer wieder Chancen ungenutzt. Die Zeit ist jeweils begrenzt auf 120 Minuten für die ersten 40 Zügen, dann auf 60 Minuten für die nächsten 20 Züge (41 bis 60). Ab dem 61. Zug bleiben dann für den Rest des Matches nur 15 Minuten plus 30 Sekunden für jeden Zug. Und gerade unter Zeitdruck schlichen sich nach etlichen Stunden, wenn die Konzentration ein wenig nachließ, kleine Fehler ein. Mit einem geschickten Angriff schaffte es Magnus Carlsen dann nach fast acht Stunden endlich, seinen Kontrahenten niederzuringen.

Carlsen führt nun mit 3,5 zu 2,5 und ist im Schnellschach-Tiebreak extrem stark

Mit diesem ersten Sieg in der sechsten Partie des WM-Kampfes ging Carlsen, der mit Weiß spielte, also den ersten Zug hatte, nun mit 3,5 zu 2,5 in Führung. Und damit verändert sich die Gesamtsituation. Dem 31-jährigen Norweger, der offensiver, aggressiver und unkonventioneller, einfallsreicher als sein Gegenüber spielt, der ein wahrer Defensiv- und Vorsichtsmeister ist, reichen nun in den restlichen acht Partien acht Unentschieden.

Nepo muss nun also angreifen, wenn er die WM noch gewinnen will. Er braucht einen Sieg, um den Kampf wieder auf gleich zu stellen und zwei Siege, um Weltmeister zu werden. Und im Schnellschach-Tiebreak, sollte es nach der 14. Partie 7 zu 7 stehen, gilt Carlsen als noch stärker. Auch die WM 2016 gegen Sergei Karjakin und die WM 2018 gegen Fabiano Caruana entschied Carlsen jeweils erst im Tie-Break, nachdem es zuvor ausschließlich Remis gegeben hatte und es nach zwölf Partien immer 6 zu 6 stand.

Im Schnellschach hatten seine Herausforderer dann nie eine Chance. In der zwölften Partie „schenkte“ Carlsen seinem Herausforderer sogar teilweise ein Remis, obschon er in der besseren Position war und Gewinnchancen hatte, ganz auf den Schnellschach-Tiebreak und seine Stärke dort vertrauend.

Seit 2019 ist Carlsen sogar Weltmeister im klassischen Schach, im Schnell- und im Blitzschach, hat in allen drei Rubriken ein Rating von deutlich über 2.800, im Blitzschach sogar fast 2.900.

Nepo muss nun angreifen, braucht einen Sieg, um in den Tiebreak zu kommen und zwei Siege zum WM-Titel

Allerdings: Wenn es derzeit jemand zugetraut wird, Carlsen im Schnellschach-Tiebreak zu schlagen, dann Nepo, der hier wie im klassischen Schach auf ein Rating von fast 2.800 kommt.

Der WM-Fight geht heute, am Samstag um 13.00 Uhr MEZ (16:00 Uhr Dubai-Zeit) mit der siebten Partie weiter. Dann ist quasi die erste Halbzeit um. Heute darf Nepo wieder mit Weiß spielen und somit beginnen, was immer ein kleiner Vorteil ist, weil man damit seine Figuren stets einen Zug schneller entwickeln kann, während der Gegner erstmal reagieren muss. Ob er jetzt voll in die Offensive gehen wird?

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