Impfmathematik: Warum der Anteil der Geimpften im Hospital mit der Impfquote steigt

Von Jürgen Fritz, Fr. 03. Dez 2021, Titelbild: MEGA-Screenshot

Wie kommt es, dass bei den Patienten in den Kliniken der Anteil der Geimpften immer mehr ansteigt, je mehr Menschen sich impfen lassen? Ist das nicht widersinnig? Nein, das ist es nicht. Ganz im Gegenteil, das ist vollkommen logisch und folgerichtig, wie leicht zu erklären ist.

Annahmen

Nehmen wir dazu folgendes recht realistisch an:

  1. Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion im Zeitraum t sei 1 Prozent. Also nur einer von hundert infiziert sich in diesem Zeitraum, 99 infizieren sich nicht.
  2. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Infektion symptomatisch ist, dass der Infizierte also irgendwelche Symptome spürt, wie Fieber, Müdigkeit, trockener Husten etc., sei 80 Prozent. Wir nehmen also an, dass 20 Prozent der Infizierten überhaupt nicht merken, dass sie sich infizierten, weil sie keinerlei Symptome spüren.
  3. Die Impfeffektivität gegen symptomatische Infektionen sei 75 Prozent. Das heißt, von 100 Personen, die sich ohne Impfung angesteckt hätten und bei denen Symptome aufgetreten wären, reduziert sich diese zahl um 75 auf 25. Wir nehmen also an, dass zwar nicht alle, aber drei Viertel der symptomatischen Infekte durch die Impfung verhindert werden.
  4. Ferner nehmen wir an, dass von 100 Personen, die sich anstecken und bei denen Symptome auftreten, nur 7 ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen, dass also in 93 Prozent der Fälle (ca. 13 von 14) von symptomatischen Infekten diese so leicht sind, dass der Erkrankte deswegen nicht ins Krankenhaus muss.
  5. Und nehmen wir weiter an, dass die Impfeffektivität gegen eine Hospitalisierung bei 90 Prozent liege, dass also 90 von 100 Krankenhauseinweisungen vermieden werden können durch die Impfung.

All diese Annahmen sind recht realistisch. Nun aber das Entscheidende: Wie wirken sich Impfungen bei diesen Randbedingungen aus?

Fall 0: Ohne Impfungen, Impfquote = 0

  • Im Zeitraum t stecken sich 1 Prozent pro eine Million Menschen = 10.000 Personen an (1).
  • Davon spüren 80 Prozent = 8.000 Symptome (2) und
  • von diesen 8.000 mit Symptomen Erkrankten müssen 7 Prozent = 560 ins Krankenhaus (4), weil die Erkrankung entsprechend schwer verläuft.

Fall 1: 50 Prozent Impfquote

Nun zu Fall 1 mit einer Impfquote von 50 Prozent. Pro eine Million Einwohner sind also jeweils 500.000 Menschen geimpft und 500.000 nicht geimpft. Betrachten wir zunächst die Ungeimpften. Für diese gilt bei den oben angenommenen Annahmen:

  • Im Zeitraum t stecken sich 1 Prozent von 500.000 = 5.000 Personen an (1).
  • Davon spüren 80 Prozent = 4.000 Symptome (2) und
  • von diesen 4.000 mit Symptomen Erkrankten müssen 7 Prozent = 280 ins Krankenhaus, weil die Erkrankung entsprechend schwer verläuft.

Wie sieht es bei den anderen 500.000 aus, die vollständig geimpft sind?

  • Von diesen stecken sich bei 75 Prozent Impfeffektivität gegen symptomatische Erkrankungen nicht 4.000 an und spüren Symptome, sondern nur 1.000 (3).
  • Und es müssen keine 280 ins Krankenhaus, sondern bei 90 Prozent Impfeffektivität gegen eine Hospitalisierung nur 28.

Was bedeutet dies für die Krankenhauseinweisungen auf Grund von COVID-19-Erkrankungen?

  • Insgesamt landen nicht mehr 560, sondern nur noch 308 Personen pro eine Million Einwohner im Krankenhaus, nämlich 280 Ungeimpfte und 28 Geimpfte.
  • Der Anteil der ungeimpften Krankenhauspatienten liegt damit bei 280/308 = 91 Prozent. Der Anteil der geimpften Patienten im Krankenhaus liegt bei 28/308 = 9 Prozent. Auf einen geimpften Patienten in der Klinik kommen also zehn Ungeimpfte.

So und nun schauen wir uns an, wie sich diese Zahlen verändern, wenn die Impfquote von 50 auf 90 Prozent steigt.

Fall 2: 90 Prozent Impfquote

Pro eine Million Einwohner sind nun also 900.000 Menschen geimpft und nur 100.000 nicht geimpft. Betrachten wir zunächst die Ungeimpften. Für diese gilt bei denselben obigen Annahmen:

  • Im Zeitraum t stecken sich 1 Prozent von 100.000 = 1.000 Personen an (1).
  • Davon spüren 80 Prozent = 800 Symptome (2) und
  • von diesen 800 mit Symptomen Erkrankten müssen 7 Prozent = 56 ins Krankenhaus, weil die Erkrankung entsprechend schwer verläuft.

Diese Zahl ist nun enorm reduziert von Anfangs 560 bei einer Impfquote von 0 auf 56, weil sich ja die Gruppe von 1.000.000 auf 100.000 reduziert hat.

Und wie sieht es jetzt bei den 900.000 vollständig Geimpften aus, der Gruppe, die jetzt neunmal so groß ist?

  • Ohne Impfung würden sich von diesen 1 Prozent = 9.000 anstecken (1) und 80 Prozent von diesen 9.000 Infizierten = 7.200 (2) würden Symptome spüren. Bei 75 Prozent Impfeffektivität gegen symptomatische Erkrankungen (3) reduziert sich diese Zahl um 75 Prozent auf ein Viertel, also auf 1.800.
  • Ins Krankenhaus müssten ohne Impfung 7 Prozent der 7.200 symptomatisch Erkrankten (4) = 504. Durch die Impfung reduziert sich diese Zahl um 90 Prozent (5) auf ein Zehntel. Im Hospital landen also 50,4 statt 504, sprich 50 bis 51.

Was bedeutet dies nun wiederum für die Krankenhauseinweisungen auf Grund von COVID-19-Erkrankungen?

  • Insgesamt landen jetzt nicht mehr 560 (bei Impfquote 0) und auch nicht 308 Personen pro eine Million Einwohner im Krankenhaus, wie bei 50 Prozent Impfquote, sondern nur noch 56 + 50,4 = 106,4 Personen. Die Zahl der Krankenhauspatienten hat sich also gegenüber einer Impfquote von 0 von 560 auf 106,4 um über 80 Produzent reduziert und gegenüber einer Impfquote von 50 Prozent nochmals um fast zwei Drittel von 308 auf ca. 106 bis 107. Doch wie setzen sich diese 106 bis 107 Patienten jetzt zusammen?
  • Der Anteil der ungeimpften Krankenhauspatienten liegt jetzt nur noch bei 56/106,4 = ca. 53 Prozent. Der Anteil der geimpften Patienten im Krankenhaus steigt dagegen auf 50,4/106,4 = über 47 Prozent. Auf einen ungeimpften Patienten in der Klinik kommt jetzt also fast ein ungeimpfter.

Der Anteil der vollständig Geimpften unter den Krankenhauspatienten steigt von 9 auf über 47 Prozent. Wie ist das zu erklären beziehungsweise wie kann man sich das verständlich machen?

Nun ganz einfach: Die Zahl der hospitalisierten COVID-19-Patienten pro Million Einwohner ist ja erstens deutlich gefallen, von 560 auf 106,4. Zweitens ist die Zahl der Geimpften bei 90 Prozent Impfquote ja neunmal so groß wie die Menge der Ungeimpften: 900.000 gegenüber 100.000. Und wenn diese 900.000 nur ein Zehntel so oft so schwer krank werden, dass sie im Hospital landen, dann ergibt sich ein Verhältnis von 9 zu 10 = 47 zu 53 Prozent.

Oder in einem Bild veranschaulicht:

Schematische Erklärung RKI

RKI-Darstellung

Je mehr also die Impfquote steigt, desto kleiner wird der linke Kreis auf der rechten Seite und desto größer wird der rechte Kreis auf der rechten Seite des Bildes. Die Ausgangsmengen werden also immer unterschiedlicher.

Fall 3: 99 Prozent Impfquote

Bei 99 Prozent Impfquote hätten wir pro Million Einwohner 990.000 Geimpfte auf 10.000 Ungeimpfte. Von diesen 10.000 würden sich im Zeitraum t dann entsprechend auch nur 100 anstecken, davon 80 mit Symptomen und 7 Prozent davon = 5,6 würden im Krankenhaus landen.

Von den 990.000 Geimpften würden dagegen 55,4 in die Klinik eingeliefert werden müssen, also fast zehnmal so viele wie Ungeimpfte. Insgesamt hätten wir dann aber im Zeitraum t nur noch 61 Personen pro eine Million Einwohner im Hospital statt ursprünglich 560. Wir hätten also die Zahl der Hospitalisierungen um über 89 Prozent reduziert. Und fast 91 Prozent der COVID-Patienten in der Klinik wären Geimpfte.

Auf einen ungeimpften Krankenhauspatienten kämen dann 9,9 geimpfte Kranke. Aber die Zahl der Geimpften insgesamt wäre ja auch 99 mal so groß.

Fall 4: 100 Prozent Impfquote

Und bei 100 Prozent Impfquote wären schließlich alle COVID-19-Klinikpatienten Geimpfte, weil es ja keine Ungeimpften mehr gäbe. Die Zahl der COVID-19-Patienten im Hospital hätte sich dann aber von 560 pro eine Million auf 56 reduziert.

Das ist quasi das Ziel, das natürlich nicht erreichbar ist. 100 Prozent schafft man nie, zumal bei bestimmten Vorerkrankungen eine Impfung gar nicht sinnvoll ist und bei kleinen Kindern nicht klar ist, ob das zu empfehlen ist. Und auch bei den Erwachsenen ohne spezifische, die Impfung unmöglich machenden Vorerkrankungen wird man nie 100 Prozent erreichen. Aber diesem Ziel gilt es, so nahe wie möglich zu kommen, insbesondere um die Kliniken und die Menschen, die dort rund um die Uhr für uns arbeiten, zu entlasten. Und um zu vermeiden, dass es zu extremen Engpässen kommt, in denen nicht mehr alle Erkrankten, auch solche mit anderen schweren Erkrankungen als COVID-19, medizinisch behandelt werden können.

*

Aktive Unterstützung: Jürgen Fritz Blog (JFB) ist vollkommen unabhängig und kostenfrei (keine Bezahlschranke). Es kostet allerdings Geld, Zeit und viel Arbeit, Artikel auf diesem Niveau regelmäßig und dauerhaft anbieten zu können. Wenn Sie meine Arbeit entsprechend würdigen wollen, so können Sie dies tun per klassischer Überweisung auf:

Jürgen Fritz, IBAN: DE44 5001 0060 0170 9226 04, BIC: PBNKDEFF, Verwendungszweck: JFB. Oder über PayPal – 3 EUR – 5 EUR – 10 EUR – 20 EUR – 50 EUR – 100 EUR