Von Jürgen Fritz, So. 24. Apr 2022, Titelbild: ARTE-Screenshot
Heute kommt es in Frankreich zur Stichwahl ums Präsidentenamt zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen. Diese Entscheidung wird nicht nur für Frankreich, sondern für ganz Europa enorme Auswirkungen haben. Zur Verdeutlichung ein paar Bemerkungen, wofür Le Pen steht, was sie will, welche Folgen ihre Wahl hätte und wie die jeweiligen Chancen auf einen Sieg stehen.
Wofür steht Le Pen?
1. Für die Zeit nach dem Krieg fordert Le Pen eine „strategische Annäherung“ der NATO an Russland, das sei im Interesse Frankreichs und Europas „und sogar im Interesse der USA“. Im Brüsseler Hauptquartier der Allianz sieht man das freilich etwas anders. Le Pen kündigt gleichzeitig an, als neue französische Präsidentin würde sie dafür zu sorgen, dass französische Truppen nicht mehr unter einen integrierten Oberbefehl gestellt werden – weder unter das Kommando der NATO noch der Europäer. Frankreich sei keine Mittelmacht, erklärte Le Pen, sondern „eine Großmacht, die noch etwas zählt“.
Sie spricht auch nicht vom russischen Angriffskrieg, sie sagt „la guerre russo-ukrainienne“, der russisch-ukrainische Krieg. Damit nimmt sie aus dem Ausdruck heraus, wer der Aggressor und wer der vom Aggressor Überfallene ist und suggeriert, das sei ein Konflikt zwischen zwei Gleichen.
Zu bedenken ist ferner: Frankreich ist Atommacht und nach dem Brexit einziges EU-Land mit ständigem Sitz im UN-Sicherheitsrat. Diese französische Sonderstellung bekäme durch Le Pens Nähe zu Putin eine neue, gefährliche Dimension. Kritiker sehen auch eine finanzielle Abhängigkeit. Der Neun-Millionen-Euro-Kredit einer staatlichen russischen Bank, eingefädelt von Putin, muss noch bis 2028 abbezahlt werden
Konkret gäbe es mit einer Le Pen-Regierung in Frankreich wohl keine EU-Sanktionen mehr gegen Russland und sicherlich keine militärische Hilfe für die Ukraine. Unter ihrer Führung soll Frankreich die „Abhängigkeit“ gegenüber den USA und Deutschland reduzieren; und die integrierte Kommandostruktur der Nato wieder verlassen.
Le Pen sagt, sie wolle “wegen unvereinbarer strategischer Differenzen” alle gemeinsamen Rüstungsprojekte mit Berlin beenden. Auch in energiepolitischen Fragen kritisierte sie Deutschland scharf: “Ich werde es nicht zulassen, dass Deutschland unsere Atomindustrie zerstört“, sagte sie.
2. In der Kampagne 2012 warb die Partei Marine Le Pens, Rassemblement National, noch für den Frexit, also dem Austritt Frankreichs aus der EU. 2017 wollten sie aus dem Euro aussteigen. Ihre europaskeptischen Positionen hat sie in ihren öffentlichen Auftritten in dieser Kampagne zwar entschärft, doch ihr Hauptziel bleibt bestehen: Sie möchte die EU von innen aushöhlen, ganz im Stil von Viktor Orbán und der polnischen PiS-Regierung.
Zentrale Punkte ihres Wahlprogramms stehen in Widerspruch zum europäischen Recht. Die Ungleichbehandlung von Bürgern, die nicht französische Staatsbürger sind, zum Beispiel. Dazu ein grundsätzliches Nein zum Vorrang des Europarechts vor dem nationalen Recht der Mitgliedsstaaten. Wortgleich sagen das auch die Regierungen von Polen und Ungarn. „Le Pen würde das Lager der illiberalen Demokraten verstärken“, sagt Wernert vom Jacques Delors Centre voraus. „Orban hofiert sie und sie hofiert Orban.“ Auch hier hat sich das gute Verhältnis schon finanziell ausgezahlt. Mehr als zehn Millionen Euro Wahlkampfhilfe bekam Le Pen von einer ungarischen Bank, die dem Milliardär Lörinc Mészáros, mitgehört – ein Jugendfreund von Victor Orban.
Dabei ist Frankreich die zweitgrößte Volkswirtschaft in der EU und Frankreich ist Nettozahler – zahlt also mehr in den Gemeinschaftshaushalt ein, als es von dort zurückbekommt. Wenn Frankreich gegen die EU arbeiten sollte, wäre die Frage, was von der EU noch übrig bleibt. Die heutige Wahl, so ein EU-Diplomat, sei nicht nur eine Richtungsentscheidung für Frankreich, sondern für die Zukunft der Europäischen Union.
Wie stehen die jeweiligen Gewinnchancen heute?
In Frankreich wählten im ersten Durchgang über 30 Prozent der Wähler rechtsextreme Kandidaten, ca. 25 Prozent linksextreme, zusammen also ca. 55 Prozent Kandidaten am rechten oder linken Rand. Die traditionellen Parteien – Parti Socialiste (PS) und Les Républicains (LR) – kamen jeweils auf weniger als fünf Prozent.
Wahlentscheidend könnte heute werden, a) was die 22 Prozent Wähler machen werden, die den linksextremen Jean-Luc Mélenchon gewählt haben, ob sie sich mehrheitlich für Macron entscheiden, und b) wie die Wahlbeteiligung sein wird. Im ersten Wahlgang kam Mélenchon auf fast 22 Prozent der gültigen Stimmen und lag damit auf Platz drei, hinter Macron (27,8 %) und nur knapp hinter Le Pen (23,15 %.) Rechtsaußen Éric Zemmour auf Platz vier kam nur auf knapp 7,1 Prozent, alle anderen auf weniger als 5 Prozent. Viele Franzosen wollen heute eigentlich weder für Macron noch für Le Pen stimmen.
Daher kann es sein, dass die Wahlbeteiligung unter 70 Prozent liegen wird. Im ersten Wahlgang vor zwei Wochen nahmen nur 73,7 Prozent der Wahlberechtigten teil und von diesen gaben fast 2,2 Prozent (1,6 Prozent der Wahlberechtigten) leere oder ungültige Stimmzettel ab. Gültig gewählt haben also nur ca. 72,1 Prozent der Wahlberechtigten und das wird heute eventuell noch weniger sein, weil nicht alle, die einen der zwölf Kandidaten des ersten Durchgangs wählten, sich für Macron oder Le Pen entscheiden werden.
Eine sehr geringe Wahlbeteiligung könnte Le Pen in die Hände spielen, weil sie ihre Anhänger eher mobilisieren können wird. Die Mehrheit der Franzosen lehnt Le Pen zwar mehr ab als Macron, steht aber auch nicht wirklich hinter dem Präsidenten. Für sie ist er quasi nur das kleinere Übel. Bleiben sehr viele von diesen zuhause, dann steigen Le Pens Chancen auf einen Sieg, der nicht ausgeschlossen ist.
Daher versuchte Macron, der wegen seiner Verpflichtungen als Staatspräsident erst deutlich später in den Wahlkampf einstieg als Le Pen, die letzten Wochen, diese Franzosen zu mobilisieren, die zwar nicht wirklich hinter ihm stehen, die aber Le Pen noch deutlich schlechter finden als ihn. Diese werden die Wahl heute entscheiden, je nachdem ob sie sich durchringen können, das aus ihrer Sicht kleinere Übel zu wählen, oder ob sie zuhause bleiben bzw. ungültig wählen.
Die letzten Umfragen sahen Macron bei ca. 53 bis 57 Prozent, Le Pen bei 43 bis 47 Prozent. Es wird also auf jeden Fall sehr viel enger als vor fünf Jahren, als Macron mit ca. 66 zu 34 Prozent gegen Le Pen gewann. Die Wahllokale in Frankreich sind seit acht Uhr geöffnet und schließen um 20 Uhr. Rund 48,7 Millionen Franzosen sind zur Wahl aufgerufen.
P.S.: Macron gewinnt die Wahl doch relativ deutlich mit über 58,5 Prozent
Nach dem vorläufigen Ergebnis wurde der amtierende Staatspräsident Emmanuel Macron mit über 58,5 Prozent der gültigen Stimmen (knapp 18,8 Mio.) wiedergewählt. Marine Le Pen kommt nur auf knapp 41,5 Prozent (knapp 13,3 Mio.), etwas weniger als laut den Umfragen vor der Wahl zu erwarten war. Die Wahlbeteiligung fiel nicht wie befürchtet unter 70 Prozent, sondern lag bei 71,8 Prozent. Macron erhielt fast 5,5 Mio. Stimmen mehr als Le Pen.
Macron punktet vor allem in den Altersgruppen ab 65 und 18 bis 24 Jahre
Dabei hat Macron die Wahl vor allem bei den Ü65ern und den 18 bis 24-Jährigen gewonnen:
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