Atomkriegszenario: Erzählt Scholz schlichtweg Quatsch?

Von Jürgen Fritz, Sa. 23. Apr 2022, Titelbild: ZDF-Screenshot

Olaf Scholz und die SPD lassen sich immer neue Begründungen oder aber Vorwände einfallen, warum sie keine schweren Waffen in die Ukraine liefern wollen und auch sonst alle möglichen Aktionen gegen Russland hinausschieben, bremsen oder sogar blockieren. Scholz‘ neuestes Narrativ: Er sorge sich vor einer Eskalation in einen dritten Weltkrieg. Was ist davon zu halten?

Scholz gibt vor, er wolle alles tun, um einen dritten Weltkrieg, einen Atomkrieg zu verhindern

Deutschland agiere viel zu zögerlich. Deutschland tue nicht genug. Diese Kritik wird immer lauter sowohl im Ausland als auch im Inland. Selbst in der eigenen Ampelkoalition nimmt sie seit etlichen Tagen zu. Im SPIEGEL-Interview verteidigt Scholz nun seinen permanentes Zaudern, Zögern und Bremsen. Viele wittern hier nur eine weitere Masche, der Kanzler wolle der Bevölkerung gezielt Angst einjagen, um sie so hinter die Position seiner Partei zu bringen.

In dieser Lage brauche es „einen kühlen Kopf und gut abgewogene Entscheidungen“, meinte Scholz. Denn Deutschland trage Verantwortung „für Frieden und Sicherheit in ganz Europa“. Deutschland sei Teil der NATO und zwischen dem Militärbündnis und einer „hochgerüsteten Supermacht wie Russland“ dürfe es nie zu einer „direkten militärischen Konfrontation“ kommen. Dabei gehe es nicht um Angst, „sondern um politische Verantwortung“, sagte Scholz, nur um direkt anschließend genau diese zu schüren: „Ich tue alles, um eine Eskalation zu verhindern, die zu einem dritten Weltkrieg führt. Es darf keinen Atomkrieg geben.“

Scholz behauptet erstens, Deutschland dürfe wegen der damit verbundenen Gefahr keine schwere Waffen liefern und zweitens hätten wir auch gar keine übrig

Die Scholz- und SPD-Logik lautet also: Wenn Deutschland schwere Waffen in die Ukraine liefert, wie etliche andere Länder das bereits tun, dann käme es zu einem Atomkrieg. Und, um die Angst gleich noch mehr zu schüren, fügte er weiter an: Eine solche Eskalation drohe „unermessliches Leid auf dem ganzen Kontinent, vielleicht sogar in der ganzen Welt“ auszulösen.

Dann wechselte der Kanzler gleich wieder die Spur und gab eine andere Begründung. Es gebe kein Lehrbuch für diese Situation. Und: „Liefern kann man nur, was man hat und hergeben kann.“

Also erstens dürfe man nichts liefern, weil das im Falle Deutschlands zum dritten Weltkrieg führen würde, und zweitens hat man ja auch gar nichts. Warum braucht es dann aber überhaupt die erste Begründung, wenn man doch gar nichts mehr hat, was man geben könnte. Diese Begründung würde dann doch reichen. Warum dann noch versuchen, der deutschen Bevölkerung die größtmögliche Angst einzujagen?

Die Möglichkeiten der Bundeswehr, aus ihrem Arsenal weitere Waffen zu liefern, wären angeblich weitgehend erschöpft, behauptet der SPD-Kanzler. „Was noch verfügbar gemacht werden kann, liefern wir aber auf jeden Fall noch.“ Doch es müsse für die ukrainischen Truppen auch möglich sein, militärisches Gerät einzusetzen – „ohne langwierige Ausbildung, ohne weitere Logistik, ohne Soldaten aus unseren Ländern“. Und das ginge „am schnellsten mit Waffen aus ehemaligen sowjetischen Beständen“.

Ein Ringtausch mit Slowenien ist aber seltsamerweise möglich und das erhöht die Gefahr eines Atomkrieges nach Scholz nicht

Deswegen strebe die Bundesregierung nun einen sogenannten Ringtausch mit Slowenien an. Slowenien soll Panzer an die Ukraine liefern. Und dafür soll Slowenien als Ersatz den Schützenpanzer Marder und den Radpanzer Fuchs von Deutschland erhalten.

Ringtausch

ZDF-Screenshot

Innerhalb von Minuten widerspricht sich Scholz hier erneut. Wenn die Lieferung von schweren Waffen, insbesondere Panzern, das Risiko eines Atomkrieges erheblich steigern würde, wieso kann dann Slowenien der Ukraine T-72-Kampfpanzer liefern und das unterstützen Scholz und die SPD? Das passte doch überhaupt nicht zusammen.

Erhöhen solche Waffenlieferungen nun das Risiko eines Weltkrieges ganz erheblich oder nicht? Wenn nein, spräche nichts dagegen, dass auch Deutschland, wie etliche andere Länder auch, solche Waffen liefet, die die Ukraine dringend braucht. Wenn ja, dann müsste Scholz ja alle anderen NATO-Partner davon abhalten, solche Lieferungen durchzuführen, insbesondere auch Slowenien und deren Waffenlieferungen nicht mit deutschen Lieferungen wieder kompensieren. Das passt alles hinten und vorne nicht zusammen, wie es scheint.

Scholz und die SPD wollen die militärische Hilfe für die Ukraine ganz gezielt verzögern und sabotieren

Außerdem hatte Scholz angekündigt, direkte Lieferungen der Rüstungsindustrie zu finanzieren. Dafür will die Ampelregierung das Budget von 225 Millionen auf zwei Milliarden Euro erhöhen, damit die Ukraine sich selbst entsprechende Waffen am freien Markt kaufen kann. Und auch hier stellt sich wieder die Frage: Was für eine Logik soll das sein? Wenn Deutschland – und das gilt nach Scholz‘ Auffassung offensichtlich ausschließlich für Deutschland! – der Ukraine schwere Waffen liefert, also insbesondere Gepanzerte Fahrzeuge, Artillerie  mit einem Kaliber von mehr als 10 cm und Kampfflugzeuge, dann stiege das Weltkriegsrisiko enorm an, wenn man der Ukraine aber das Geld zur Verfügung stellt, dass sie es direkt bei der Waffenindustrie kaufen kann, dann nicht.

Das klingt ziemlich absurd und an den Haaren herbeigezogen und der Verdacht liegt natürlich wieder einmal auf der Hand, dass Scholz und seine Partei die Hilfe für die Ukraine einfach ganz gezielt verzögern und sabotieren wollen. Da sie aber nicht direkt nein sagen wollen, weil dies Millionen Deutsche zutiefst schockieren würde, ein europäisches Land, das von einem faschistischen Staat völkerrechtswidrig angegriffen wird, so hängen zu lassen, arbeitet man eben mit solchen Verzögerungs- und Sabotagetricks.

Die Union will die Ampel stellen und nächste Woche einen eigenen Antrag auf Lieferung schwerer Waffen in den Bundestag einbringen

Auch von CDU und CSU kam scharfe Kritik an diesem Schlingerkurs. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul sagte im Morgenmagazin von ARD und ZDF: Das ist eine Ausrede nach der anderen. Das ist zu wenig und zu spät.“ Die Union ist überzeugt, dass es „eine klare parlamentarische Mehrheit für die Lieferung schwerer Waffen“ an die Ukraine gibt. Grüne und FDP seien offensichtlich mehrheitlich, wenn nicht sogar vollständig dafür. Und selbst in der SPD gebe es dafür gewichtige Stimmen, betonte Wadephul.

Und darum werde die Union in der kommenden Woche einen Antrag auf die Lieferung schwerer Waffen in den Bundestag einbringen. Diesen Schritt hatten CDU und CSU bereits in der vergangenen Woche in Aussicht gestellt. Damit wird der Druck auf Scholz und die Ampel, endlich Farbe zu bekennen, deutlich erhöht.

Deutliche Kritik an Scholz kommt auch aus der eigenen Koalition, unter anderem von Hofreiter (Grüne) und Strack-Zimmermann (FDP)

Denn auch etliche Mitglieder der Grünen hatten sich zuletzt verstärkt für die Auslieferung schwerer Waffen ausgesprochen, allen voran der Vorsitzende des Ausschusses für EU-Angelegenheiten Anton Hofreiter. Mehrfach drängte er auf schnellstmögliche Lieferungen.

Und auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) hat sich bereits mehrfach für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ausgesprochen. Zudem drängt sie auf einen transparenteren Umgang mit dem Thema und einen „ehrlichen Austausch“. Strack-Zimmermann hat nun Scholz für die nächste Woche eingeladen, sich in der Debatte vor dem Verteidigungsausschuss dazu zu äußern.

„Die Dramatik des Krieges in der Ukraine steigert sich von Tag zu Tag“, heißt es in dem Brief, den Strack-Zimmermann Scholz schickte. „Die Lage in der Stadt Mariupol und das unendliche Leid der dort eingeschlossenen Zivilisten führen uns die Brutalität der Kriegsführung durch den russischen Präsidenten Wladimir Putin eindrücklich vor Augen.“ Darum sei „die Frage danach, welchen Beitrag Deutschland und insbesondere die Bundeswehr in Bezug auf Waffenlieferungen tatsächlich leisten kann, für die Menschen in der Ukraine existenziell“.

Prof. Sönke Neitzel: Entscheidend ist, ob wir wollen, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert

Zu den ständigen Ausflüchten von Scholz äußerte sich am Freitagabend in den ARD-Tagesthemen auch der der einzige Professor für Militärgeschichte in Deutschland Sönke Neitzel.

Es sei die Frage, welcher politische Wille da sei, solche Waffen zu liefern, machte Neitzel zunächst deutlich. Es stimme zwar, dass die deutsche Materialausstattung nicht sehr groß sei. Entscheidend sei aber, ob wir bereit wären, diesen Fehlbestand bei der Bundeswehr zu akzeptieren, wenn wir schwere Waffen, insbesondere Panzer liefern, weil wir wollen, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert. Die russischen Truppen stünden ja nicht direkt vor Deutschland, sondern sie stehen in der Ukraine. Und da gelte es, dem mit allen Mitteln entgegenzutreten.

Nach Zeitenwende sieht das nicht aus, was die  Ampel macht, was in der traditionellen Zerrissenheit der SPD in sicherheitspolitischen Fragen begründet sein dürfte

Im Vergleich zu anderen Ländern sei Deutschland im hinteren Mittelfeld, aber man erwarte von Deutschland natürlich mehr, insbesondere nach der Zeitenwenderede des Kanzlers vom 27.02.2022. Nach Zeitenwende sehe es seither aber nicht aus.

„Wenn wir diese Rede mal wegnehmen würden, würde man eigentlich denken, es hat sich nichts verändert in der deutschen Sicherheitspolitik. Die Deutschen waren immer groß im Reden und sehr klein im Handeln. Wenn man Zeitenwende ernst nimmt, muss eigentlich mehr kommen.“

Die fehlende Transparenz in der Kommunikation erklärte Prof. Neitzel mit der traditionellen Zerrissenheit der SPD in sicherheitspolitischen Fragen. Die SPD habe seit Jahrzehnten einen eher pazifistischen Flügel und einen Flügel, der für Realpolitik stehe. Derzeit gebe es eine gespaltene Fraktion im Verhältnis von etwa 50:50, bis hin zu pazifistischen Bundestagsabgeordneten und sogar Forderungen nach Auflösung der NATO. Dabei sei insbesondere der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich ein erklärter Gegner dieser Waffenlieferungen sei. Daher käme dann dieses typisch deutsche Zaudern heraus und keine klare Führungsposition, die gerade die kleineren Partner erwarten würden.

Die Begründung, es dürfe keinen Atomkrieg geben, ist vorgeschoben: „Ich halte das schlicht für Quatsch“

Scholzens neue Begründung (Ausrede), es dürfe keinen Atomkrieg geben, bei der Neitzel bereits schmunzeln musste, hält der Militärhistoriker für „maßlos überzogen und vorgeschoben“, denn: „Andere Staaten liefern ja auch Waffen.“ Slowenien liefere ja seine T-72 Panzer. „Droht jetzt Slowenien der Atomkrieg?“, fragt Neitzel. „Oder auch Estland oder Polen oder Kanada oder Niederland … Für die müsste das ja umso mehr gelten.“

Die NATO-Staaten hätten natürlich die Eskalationsgefahr gemeinsam zu tragen. Aber man müsse sich fragen: „Was will man?“ Putin habe eindeutig Grenzen überschritten. „Will man warten bis 100.000 Zivilisten tot sind, eine Million Zivilisten? Wo sind denn die roten Linien?“, fragt Neitzel. Zu behaupten, dass wir wegen der Lieferung von 50 Marder-Schützenpanzern vor einem globalen Atomkrieg stünden, sei absurd: „Ich halte das schlicht für Quatsch“, so der Militärexperte wörtlich.

Es geht auch um die Frage, ob die ukrainische Armee in einigen Monaten noch einsatzbereit ist (mittelfristige Perspektive)

Kurzfristig würde die Lieferung von Marder Schützenpanzern oder Panzerhaubitzen wohl nichts mehr bringen, das sei richtig, aber: „Wir müssen eine kurzfristige Perspektive haben und eine mittelfristige Perspektive. Denn: dieser Krieg wird nicht in zwei Wochen vorbei sein.“ Es gehe auch um die Frage, ob die ukrainische Armee auch in drei Monaten, in fünf Monaten noch einsatzbereit sei. Und für diese mittelfristige Perspektive seien dann eben auch westliche Waffensystem wichtig, an denen man die ukrainischen Soldaten in der Zeit ausbilden könne.

Zum zeitlichen Horizont dieses Konfliktes machte Neitzel deutlich, dass dieser sicherlich nicht innerhalb von Wochen gelöst sei. Bestenfalls sei mit einem eingefrorenen Konflikt zu rechnen, der hin und wieder auflodere. Aber es seien auch andere Szenarien vorstellbar, dass die russischen Streitkräfte in einigen Monaten die nächste Großoffensive starten. Ein Ende dieser Kämpfe und ein Übergehen zur Tagesordnung sei überhaupt nicht in Sicht, so der Militärhistoriker.

Das Tagesthemen-Interview mit Prof. Sönke Neitzel (7 Minuten)

Eine Kurzfassung des Interviews (knapp 1,5 Minuten)

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