Von Jürgen Fritz, Mo. 11. Mär 2024, Titelbild: WDR-Screenshot, maischberger-Screenshot
Scharfe Kritik an Olaf Scholz und der SPD üben in einem FAZ-Gastbeitrag Anton Hofreiter von den Grünen und der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. Scholz gebe unumwunden zu, sich von Putin unter Druck setzen zu lassen und lege einen katastrophalen Defätismus an den Tag. Die SPD stehe am Scheideweg.
Der katastrophale Defätismus des Kanzlers
Dies darf man ohne Zweifel als einen bemerkenswerten Vorgang bezeichnen. Anton Hofreiter, Vorsitzender des Bundestagsausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union, der als Grüner einer der drei derzeitigen Regierungsparteien angehört, und der CDU-Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen, der von 2014 bis 2021 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses war, haben in der FAZ einen gemeinsamen Gastbeitrag veröffentlicht mit dem Titel: „Der katastrophale Defätismus des Kanzlers“.
Als Russland 2014 die Krim völkerrechtswidrig annektierte, sei die Aufregung in Deutschland für einen kurzen Moment groß gewesen, beginnen sie ihren Beitrag. Wenig später sei man jedoch zum „business as usual“ zurückgekehrt und habe Putin grünes Licht gegeben für den Bau von Nord Stream 2, fahren die beiden Bundestagsabgeordneten fort. Das Signal an Putin sei „verheerend“ gewesen. Denn: „Unser Handeln signalisierte Schwäche und die Bereitschaft, zu unserem eigenen kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteil die Sicherheitsinteressen der Ukraine und ganz Europas zu ignorieren“, so Hofreiter und Röttgen weiter.
Dramatisch schlechte Kommunikation
Ob wir daraus gelernt haben, fragen sie sodann, ob wir verstanden haben, dass wir damit Putin Botschaften senden, die sein Tun beeinflussen, die ihn in der Vergangenheit vielleicht sogar erst ermutigt hätten, die Vollinvasion der Ukraine zu wagen. Und dann kommt in Anspielung auf Scholz ein Schlüsselsatz des gesamten Textes: „Die Antwort auf diese Fragen lautet: An der entscheidenden Stelle ist diese Erkenntnis noch nicht durchgedrungen.“ Seit nunmehr zwei Jahren werde die Lieferung jeder neuen Waffengattung „von mühsamsten Diskussionen, Scheinargumenten und Angstrhetorik“ begleitet. Atomkrieg, Eskalation, Kriegspartei … seien nur einige der Schlagworte, die der Kanzler seit dem 24. Februar 2024 geprägt habe und die Putin nur eines signalisierten: „Er kann weiterhin Völkerrecht und internationale Verträge brechen und Länder überfallen ohne ernsthafte Konsequenzen.“
In der Sache sei Deutschland weit gekommen, räumen Hofreiter und Röttgen ein: „Wir haben es geschafft, den Großteil der Energielieferungen aus Russland zu ersetzen und uns an dieser Stelle von Putin nicht erpressen zu lassen.“ Noch Tage vor der Vollinvasion sei es nahezu undenkbar gewesen, „dass wir schwere Waffen an die Ukraine liefern“. Schnell sei aber klar gewesen, dass wir die Ukraine in ihrer Selbstverteidigung unterstützen müssten, damit Putin ihre Existenz nicht auslösche und anschließend weitere Länder überfalle. Unser Beitrag werde aber geschmälert „durch die dramatisch schlechte Kommunikation„, mit der unser Beitrag begleitet werde, was Putin zur Kenntnis nehme. Daraus ziehe Putin Schlüsse für sich und seinen Krieg: „Wo sind die Schwachstellen in Europa? Wer blockiert, wer führt?“
Deutschland schreckt sich selbst ab
Als es im April 2022 um die Lieferung auch schwerer Waffen an die Ukraine gegangen sei, welche über quälend lange zwei Monate von der Bundesregierung blockiert worden sei, habe der Kanzler ohne Not die Gefahr des Atomkriegs in den Mund genommen. Dies sei für Putin „ein Fest“ gewesen, denn er brauchte gar nichts weiter zu machen, da Deutschland sich schon selbst abschreckte. Ein Kanzler, der von Atomkrieg spreche, das sei ungeheuerlich, so die beiden Spitzenpolitiker der Grünen und der CDU. Selbstverständlich wisse man im Kanzleramt genau wie im Parlament und auf der Straße, dass auch Putin an einer atomaren Auseinandersetzung kein Interesse habe. Er halte diese Karte gar nicht in der Hand, weil er damit China als wichtigsten Verbündeten verlöre und weil die Reaktion der USA gewaltig wäre. Es gehe also um einen konventionellen Krieg und den habe Putin längst voll eskaliert.
„Warum zieht der Kanzler diese Karte?“, fragen die beiden Autoren sodann weiter. Ihre Antwort: Die Befürchtung liege nahe, dass der Russisch-Ukrainische-Krieg nächstes Jahr zum Wahlkampfthema werden solle. Die Botschaft an die Wählerschaft solle wohl lauten: „Unser Kanzler hat uns aus dem Krieg herausgehalten. Besonnenheit ist sein zweiter Name.“ Übersetzt heiße das: „Man wäre bereit aus innenpolitischen Motiven, Europa und den Westen zu schwächen und weniger für die Ukraine zu tun als möglich wäre“, so Hofreiter und Röttgen wörtlich.
An unserem unbedingten Willen, die Ukraine und unsere Werte und Interessen nicht aufzugeben, darf nicht der geringste Zweifel entstehen
Scholz‘ Rhetorik mache uns „schwächer als wir sind“. Seine Weigerung, Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern, habe Scholz erst aufgegeben, als die USA zusagten, Abrahams Panzer zu liefern. Dies wäre die Botschaft an Putin gewesen: „Ohne die USA geht es in Deutschland nicht.“ Dieser „katastrophale Defätismus“ sei auf der letzten USA-Reise des Kanzlers zu einem verbalen Höhepunkt gekommen. Scholz habe Putin förmlich ausbuchstabiert, was seines Erachtens passiere, wenn die USA als wichtigster Unterstützer ausfielen: Dann wäre die Ukraine verloren. Wie man dem Aggressor solche Botschaften senden könne, wenn schon jetzt die reale Gefahr bestünde, dass Trumps Helfers-Helfer im Kongress keine weitere Hilfe zuließen, bleibe Scholz‘ Geheimnis, so die beiden Bundestagsabgeordneten. Auf Putin dürften solche Aussagen als Ermutigung wirken. Die Zeit und ein möglicher US-Präsident Trump seien ohnehin auf Putins Seite.
„Was hätte der Kanzler stattdessen sagen sollen?“, fahren die Autoren fort. „Genau das Gegenteil. Es ist doch unser Europa. Wir müssen es verteidigen“ und wenn die USA ausfiele, ihre Hilfen notfalls kompensieren. An dem unbedingten Willen, dass wir die Ukraine und damit unsere Werte und Interessen nicht aufgeben, dürfe nicht der geringste Zweifel entstehen. Hofreiter und Röttgen teilen die Sorge des Kanzlers vor einer Eskalation des Krieges, wie sie betonen. Aber sein Vorgehen riskiere genau das. Wenn wir die Ukraine jetzt nicht konsequent unterstützen, fühle sich Putin ermutigt, weitere Länder zu überfallen. Nur wenn ihm klar werde, dass dieser Krieg für ihn militärisch nicht gewonnen werden könne, werde Russland zu Verhandlungen bereit sein.
Scholz verbreitet in der eigenen Bevölkerung Angst und Schrecken – die SPD am Scheideweg
Statt Entschlossenheit zu demonstrieren, würden Deutschland und Frankreich aber öffentlich streiten. In dem Versuch, die Nicht-Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern zu rechtfertigen, „behauptete der Kanzler, das mache uns zur Kriegspartei“. Diese Aussage sei „faktisch und rechtlich falsch“. Sie brüskiere außerdem unsere engsten Verbündeten, Frankreich und Großbritannien, die bereits Marschflugkörper liefern. In der Bevölkerung verbreite Scholz so „Angst und Schrecken. Dabei bräuchte die Ukraine dringend Langstreckenraketen, um den akuten Munitionsmangel an der Front wenigstens etwas auszugleichen und russische Munitionsdepots in den besetzten Gebieten zu zerstören“. Großbritannien biete daher nun Hilfe bei der Lieferung von Marschlugkörpern an, indem entweder ein Ringtausch durchgeführt werde oder indem die Briten bei der Zielsteuerung die Kontrolle übernehmen. „In beiden Fällen wären die Gegenargumente des Kanzlers obsolet.“ Wenn es dann immer noch nicht gehe, so Hofreiter und Röttgen, zeige sich, dass alle Gründe für die Nichtlieferung vorgeschoben seien.
Die Kanzlerpartei stehe am Scheideweg, resümieren die FAZ-Gastautoren. Sie sei heute wieder in einer Situation wie bei der NATO-Nachrüstung, nur habe sie heute keinen Helmut Schmidt mehr. Im Gegenteil, der heutige Kanzler gebe unumwunden zu, dass er bereit sei, sich von Putin unter Druck setzen zu lassen. Gepaart mit zu geringen und immer zu späten Waffenlieferungen sei das „fatal, weil es Putin animiert weiterzumachen“.
Kommentare auf den FAZ-Artikel
ntv Nachrichten: „Bemerkenswerter Schulterschluss: Röttgen und Hofreiter: Scholz verbreitet Angst und Schrecken.“
Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik: „Sehr lesenswert. Toni Hofreiter und Norbert Röttgen mit klarem Kompass.“
Konrad Schuller, FAZ: »„Für Putin ein Fest“. Toni Hofreiter und Norbert Röttgen scharf und treffend über den katastrophalen Defätismus des Kanzlers.«
Ilko-Sascha Kowalczuk: „In der FAZ von heute fassen Norbert Röttgen und Toni Hofreiter zusammen: Kanzler Scholz ist nicht der Richtige, um entschlossen dem Kreml Einhalt zu gebieten. Unausgesprochen verlangt Hofreiter, was Not tut: das Ende der Koalition.“
Dr. habil. Anna Vero Wendland, Technik- und Osteuropahistorikerin sowie Publizistin: „Der schwarz-grüne Artikel von Toni Hofreiter und Norbert Röttgen ist eine Kampfansage an den schwachen Bundeskanzler, der mit seiner Angstkommunikation Russland zu mehr Aggression geradezu einlädt. Die Schlussfolgerung kann nur Koalitionsbruch sein.“
Zur Vertiefung
Hier meine These, warum Scholz seit zwei Jahren die Unterstützung der Ukraine blockiert oder verzögert: Der bremsende Lokomotivführer: Scholz‘ Ukraine-Taktik
*
Aktive Unterstützung: Jürgen Fritz Blog (JFB) ist vollkommen unabhängig und kostenfrei (keine Bezahlschranke). Es kostet allerdings Geld, Zeit und viel Arbeit, Artikel auf diesem Niveau regelmäßig und dauerhaft anbieten zu können. Wenn Sie meine Arbeit entsprechend würdigen wollen, so können Sie dies tun per klassischer Überweisung auf:
Jürgen Fritz, IBAN: DE44 5001 0060 0170 9226 04, BIC: PBNKDEFF, Verwendungszweck: JFB und ggf. welcher Artikel Sie besonders überzeugte. Oder über PayPal – 3 EUR – 5 EUR – 10 EUR – 20 EUR – 50 EUR – 100 EUR