Von Jürgen Fritz, Do. 28. Nov 2024, Titelbild: Screenshots, YouTube-ZEIT, WELT-TV
Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine, Aufhebung der Sanktionen gegen Russland, Ablehnung von US-Mittelstreckenraketen zur Abschreckung, Sahra Wagenknecht hat gut Lachen. Sie konnte wesentliche BSW-Forderungen im Koalitionsvertrag mit der Brandenburger SPD durchsetzen. Helmut Schmidt würde sich im Grabe herumdrehen, kommentiert dies der Historiker Hubertus Knabe.
Die Ausgangslage
Zugegeben, das Ergebnis der Landtagswahl in Brandenburg vom 22. September 2024 war alles andere als einfach. Die SPD um Ministerpräsident Dietmar Woidke konnte die AfD, welche in den Umfragen bis kurz vor Wahl auf Platz eins lag, im Endspurt noch überholen, kam auf 30,9 Prozent, die AfD auf 29,2 Prozent. Woidke hatte den Wahlkampf ganz auf sich zugeschnitten und diese Wahl quasi zur Schicksalswahl gemacht nach dem Motto: Ich und die SPD oder die AfD, wer soll stärkste Kraft in Brandenburg werden und den Ministerpräsidenten stellen?
Das hatte gewirkt, führte aber dazu, dass die SPD durch diese Stimmenkannibalisierung die CDU, die Grünen und die FDP deutlich schwächte. Offenbar hatten viele, die eigentlich eher eine dieser drei Parteien wählen wollten, ausnahmsweise SPD gewählt, um zu verhindern, dass die AfD auf Platz eins landet. Nun hatte die FDP ohnehin kaum Chancen, den Einzug in den Landtag zu schaffen, fiel jetzt sogar unter 1 Prozent. Die Grünen aber flogen dadurch aus dem Landtag und die CDU wurde durch die Zuspitzung – entweder SPD oder AfD – deutlich geschwächt, fiel in den letzten Wochen vor der Wahl von ca. 18 bis 19 auf 12,1 Prozent. So sah das Zweitstimmenergebnis am Ende dann aus:
Damit war klar, dass nur vier Parteien ins Parlament einziehen würden. Die 88 Sitze des brandenburgischen Landtages verteilten sich dabei wie folgt:
- SPD: 32
- AfD: 30
- BSW: 14
- CDU: 12
Und damit war klar, SPD + CDU hatten keine Mehrheit im Landtag, denn sie kamen nur auf exakt die Hälfte der Sitze, AfD + BSW auf die andere Hälfte, jeweils 44. Was tun? Dietmar Woidke schloss eine Regierungsbeteiligung der AfD vollkommen aus und mit der CDU reichte es nicht für eine Mehrheit. Diese lehnte daher auch jegliche Sondierungsgespräche ab und Woidke versuchte, mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht eine rot-dunkel-dunkel-rote Regierung zu bilden.
Gestern stellten SPD und BSW, insbesondere die beiden Landesvorsitzenden Dietmar Woidke (SPD) und Robert Crumbach (BSW), nun ihren Koalitionsvertrag vor und der hat es in sich. Dazu gleich mehr. In der ersten Dezember-Woche sollen Parteitage von SPD und BSW endgültig über den Koalitionsvertrag entscheiden. Danach könnte der alte Ministerpräsident Woidke am 11. Dezember im Landtag wiedergewählt und auch zum neuen Ministerpräsidenten vereidigt werden.
SPD und BSW stellen ihren Koalitionsvertrag vor: „Die Hand Putins an unserem Hals“
»Für den Machterhalt hat Woidke in Brandenburg alle BSW-Positionen geschluckt«, schreibt Lena Berger. Und weiter:
- »Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine
- Aufhebung der Sanktionen gegen Russland
- Ablehnung von US-Mittelstreckenraketen zur Abschreckung«
Der BSW-Landesvorsitzende Bremen Chris Schulz beschreibt den Verhandlungserfolg des BSW sogar noch krasser: »Klare Handschrift des BSW im Koalitionsvertrag in Brandenburg:
- Keine Waffenlieferungen!
- Keine Stationierung von US-Raketen in Deutschland!
- Für diplomatische Lösung des Krieges! (S.3)
- Normalisierung der wirtschaftlichen Beziehungen! (S.6)«
Was die Technik- und Osteuropa-Historikerin Dr. habil. Anna Vero Wendland wie folgt kommentiert:
»Nicht die Handschrift des BSW, sondern die Hand Putins an unserem Hals.«
Der Wortlaut der Präambel wurde bereits nach dem Ende der Sondierungen vorgestellt und findet sich in unveränderter Fassung im Koalitionsvertrag wieder. Darin heißt es unter anderem: „Der Krieg wird nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden können. (…) Wir sehen vor diesem Hintergrund die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch. Es braucht konkrete Angebote, um wieder zu Abrüstung und Rüstungskontrolle zu kommen.“
BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht zeigt sich im Interview mit WELT-TV zufrieden mit dem Koalitionsvertrag mit der brandenburgischen SPD. Sie unterstrich: »Wir haben auch die BSW-Handschrift in diesem Koalitionsvertrag verankert. Es wird ein Amnestiegesetz geben. Und natürlich ist uns auch sehr wichtig, dass die Landesregierung sich zur Frage von Krieg und Frieden positioniert hat, also für mehr Entspannung, für mehr Diplomatie, gegen endlose Waffenlieferungen«, erklärte die BSW-Bundesvorsitzende bei WELT-TV.
Dr. Hubertus Knabe: Helmut Schmidt würde sich im Grabe herumdrehen
Der Historiker Dr. Hubertus Knabe kommentierte das Ganze in WELT-TV wie folgt: »Das BSW ist ja hervorgegangen aus der Linkspartei … und die wiederum aus der SED. Und deswegen gibt es da natürlich eine ganze Reihe von Personen, die schon in der SED Mitglied waren und nie ausgetreten sind, zum Beispiel Frau Wagenknecht selbst.« Ob das jemand überprüft habe, ob da auch ehemalige Stasi-Mitarbeiter darunter seien, da sei er sich nicht sicher. Die Linkspartei habe das immer abgelehnt, wollte sich nie überprüfen lassen. »Das kam dann trotzdem raus. In Thüringen gab es eine ganze Menge.« Ihm sei nicht bekannt, dass das BSW da einen anderen Standpunkt hätte als die Linkspartei und »ihre eigenen Leute mal prüfen würde. Ich würde das für sinnvoll halten«, so Knabe.
Das Beispiel Brandenburg zeige, dass Politiker, »wenn sie an der Macht bleiben wollen, eigentlich zu fast allen Schandtaten bereit sind.« Dass sei ja schon sehr offensichtlich, dass Herr Woidke wiedergewählt werden wolle. Wenn man diese Präambel lese zum Ukrainekrieg, »also Helmut Schmidt würde sich da im Grabe herumdrehen«, so der Historiker und ehemalige Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.
Die SPD hat sich auf die andere Seite begeben
Und Dr. Knabe weiter: »Die sagen: keine Waffenlieferungen mehr. Dann keine Sanktionen, was ja quasi ein Ersatz ist für Krieg, dass man wenigstens wirtschaftlich sanktioniert. Das auch nicht. Und keine US-Mittelstreckenraketen in Deutschland. Das bedeutet, da die Russen schon solche Mittelstreckenraketen haben, dass Deutschland praktisch wehrlos ist.
Die gleiche Debatte hatten wir schon mal Anfang der 1980er Jahre. Da ging es auch um Mittelstreckenraketen. Da hatte die Sowjetunion eben diese SS 20 aufgebaut und dann hat Helmut Schmidt gesagt: Wir können dem nicht zusehen, wir müssen reagieren können im Ernstfall.« Und das Prinzip der Abschreckung habe sehr gut funktioniert und habe dazu geführt, dass die Sowjetunion dazu bereit war abzurüsten. Das sei jetzt ganz anders. Die SPD habe sich quasi »auf die andere Seite begeben und hat das alles unterschrieben. Und das ist bundespolitisch natürlich wirklich sehr gefährlich.«
Ich möchte nicht, dass unser Land einer russischen Bedrohung ausgeliefert ist
Und Knabe fährt fort: »AfD und BSW, ich möchte nicht, dass unser Land einer russischen Bedrohung ausgeliefert ist.« Das könne man nur verhindern, in dem man klar sagt: Wir sind verteidigungsbereit und -fähig. Herr Woidke würde das Ganze unterschätzen. Natürlich seien die Bundesländer und der Bundesrat nicht für die Außen- und Verteidigungspolitik der Bundesrepublik zuständig, aber es ändere natürlich die Stimmungslage. (Anmerkung von mir: Und genau darum geht es Wagenknecht und den ihren natürlich).
Knabe wörtlich: »… dass viele denken: „Ach, lass das doch mal mit der Ukraine. Warum sollen wir da immer noch mehr Waffen hinliefern?“ Die verstehen nicht, dass es hier um ein Prinzip geht, dass ein Land sich nicht mehr an die völkerrechtlichen Regeln hält.« Wenn man einmal etwas einreißen lasse, dann komme natürlich das Nächste. »Das hört dann nicht auf, sondern das ist dann quasi eine Ermutigung zu weiteren Schritten « Und Putin sei da wild entschlossen, »das merkt man. Da kann man nur mit gleicher Entschlossenheit dagegen halten.« Soweit Dr. Hubertus Knabe.
Der „kompromisslose Friedenskurs“ des BSW läuft darauf hinaus, die Ukraine durch unterlassene Hilfeleistung zur Kapitulation zu zwingen
In Bezug nicht auf den Koalitionsvertrag in Brandenburg, sondern den in Thüringen zwischen CDU, BSW und SPD, schreibt Jörg Lau in der ZEIT:
»Das ist ein Sieg für Sahra Wagenknecht, die begabteste Begriffsbesetzerin in der deutschen Politik. Das BSW hat jetzt schriftlich von den Mitte-Parteien, dass es für lupenreine „Friedenspolitik“ stehe. Seine proklamierte Friedensliebe wird dem Transatlantizismus der Union und der Entspannungspolitik der Sozialdemokratie gegenübergestellt, als handele es sich um gleichwertige Leitideen.
Die Überrumpelten trösten sich damit, Präambeln von Koalitionsverträgen auf Landesebene seien folgenlos für die Außenpolitik der Bundespolitik. Doch die Geringschätzung des Symbolischen könnte sich als kurzsichtig erweisen: Der „kompromisslose Friedenskurs“ des BSW läuft darauf hinaus, die Ukraine durch unterlassene Hilfeleistung zur Kapitulation zu zwingen. Wie wollen Union und SPD Sahra Wagenknecht im Bundestagswahlkampf stellen, nachdem sie diesen Kompromiss mit ihr geschlossen haben?
Mit Wagenknecht koalieren ist wie einen Skorpion als Haus- und Kuscheltier wählen
Abschließen möchte ich mit einem Zitat einer X-Userin, in welchem sie die Sache aus meiner Sicht hervorragend auf den Punkt bringt:
»Mit Wagenknecht koalieren ist wie einen Skorpion als Haus- und Kuscheltier wählen. Das geht nicht lange gut.«
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