Laschet verhängt Lockdown über ganz Gütersloh

Von Jürgen Fritz, Di. 23. Jun 2020, Titelbild: tagesschau-Screenshot

Es hatte sich die letzten Tage immer mehr angebahnt, nun ist es soweit: ausgerechnet NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der Lockerungs-Weltmeister, muss nun einen neuerlichen Lockdown verhängen und zwar über den gesamten Kreis Gütersloh mit über 360.000 Bewohnern sowie teilweise auch über den benachbarten Kreis Warendorf. Das bisher „größte Infektionsgeschehen“ in Deutschland machte den Schritt nun unumgänglich.

Zurück auf März

Erstmals wird in Deutschland wieder ein Kreis wegen des Corona-Infektionsgeschehens  auf Schutzmaßnahmen zurückgeführt, ähnlich wie sie im März gegolten hatten, wenngleich nicht ganz so streng (Lockdown-light). Nach dem Ausbruch der Neuifektionen in einem Schlachthof der Firma Tönnies sah die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen nun keinen anderen Ausweg mehr. Die Beschränkungen gelten für den Kreis Gütersloh (im Bild unten schwarz), wo 360.000 bis 370.000 Menschen leben, sowie für Teile des benachbarten Kreises Warendorf (im Bild dunkelrot)  und zwar zunächst bis zum 30. Juni, also für eine Woche, dann will man weitersehen.

Es handele sich um Vorsichtsmaßnahmen, um die Lage wieder in den Griff zu bekommen, erklärte der Ministerpräsident heute. Der Lockdown bedeutet, dass nun wieder Kontaktbeschränkungen eingeführt werden. Außerdem sind Freizeitaktivitäten in geschlossenen Räumen vorübergehend nicht gestattet. Auch Ausstellungen und Museen müssen wieder schließen. Das Grillen in Parks ist ab sofort verboten. Sport in geschlossenen Räumen und zahlreiche Kulturveranstaltungen sind untersagt. Fitnessstudios müssen ebenso geschlossen bleiben wie Saunas, Kinos und Bars. Dasselbe gelt für Galerien, Schlösser und Burgen. Versammlungen sind ab sofort nicht mehr erlaubt.

Menschen aus einer Familie oder einem Hausstand bzw. zwei Personen dürfen sich in der Öffentlichkeit dagegen zusammen aufhalten. Geschäfte können unter strengen Hygieneregeln geöffnet bleiben. Ebenso Restaurants und Speisegaststätten, jedoch nur noch für Personen aus einem Hausstand.  Ein „Ausreiseverbot“ für Bürger des Kreises gebe es aber nicht. Wer den Kreis verlässt, über den der Lockdown verhängt wurde, für den haben die Beschränkungen rechtlich keine Wirkung mehr. Wer dagegen in den Kreis Gütersloh einreist, fällt damit sofort unter die Bestimmungen. Zugleich appellierte Laschet aber an die Einwohner in Gütersloh, „jetzt nicht aus dem Kreis heraus in andere Kreise zu fahren“. Das werde auch kontrolliert werden.

Das bisher größte Infektionsgeschehen in Deutschland

Im Kreis Gütersloh (im Bild unten schwarz) handele es sich um das bisher „größte Infektionsgeschehen“ in Deutschland. Von 7.000 Mitarbeitern der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück wurden schon jetzt mehr als 1.550 positiv getestet, die meisten davon in der Abteilung Fleischzerteilung. Hinzu kämen laut Laschet einige Fälle aus dem familiären Umfeld der Betroffenen, deren Zahl aber noch nicht bekannt sei. Bei Nicht-Mitarbeitern von Tönnies im Kreis Gütersloh habe man nur 24 Infizierte, so der NRW-Ministerpräsident.

Laschet warf der Firma Tönnies angelnde Kooperationsbereitschaft vor. Die Behörden wollten die Daten der Werkarbeiter von der Firma haben, diese verweigerte die Herausgabe jedoch unter Hinweis auf Datenschutz. Aus Infektionsschutzgründen wäre Tönnies aber gesetzlich verpflichtet gewesen, die Daten der Beschäftigten zu übermitteln. Daher hätten die Behörden die Herausgabe der Daten dann durchgesetzt. „Da wurde nicht mehr kooperiert, da wurde verfügt“, so der Ministerpräsident. Fragen des Schadenersatzes gegen die Firma Tönnies könnten nach der Krise geprüft werden.

Verstärkte Testung der Bevölkerung

Die Behörden werden die Tests im Kreis Gütersloh nun massiv ausweiten, betonte Laschet. Die mobilen Testteams würden von der Polizei begleitet. Zur Not müssten die Behörden auch mit Zwang die Anordnungen durchsetzen. Auch werde es zusätzliche humanitäre Maßnahmen zur Unterstützung der Betroffenen geben. Eine Mahlzeit am Tag zu reichen, sei nicht genug, so Laschet. Die Menschen in Quarantäne müssten intensiv betreut werden.

Die Einhaltung der Quarantäne gestaltet sich bislang allerdings alles andere als leicht. Inzwischen befinden sich schon mehr als 7.000 Tönnies-Mitarbeiter und ihre Familien in Quarantäne. Die Landesregierung habe bereits drei Einsatzhundertschaften der Polizei in den Kreis Gütersloh geschickt. Die Polizisten sind vor Ort, um die Einhaltung der Quarantänemaßnahmen zu kontrollieren.

Schulen und Kitas im Landkreis Gütersloh waren bereits zuvor geschlossen worden. Außerdem war für die größte deutsche Fleischfabrik bereits ein vorübergehender Produktionsstopp verhängt worden.

Warnung vor Stigmatisierung der Gütersloher

Laschet warnte davor, die Einwohner aus dem Kreis Gütersloh unter „Pauschalverdacht“ zu stellen. Man dürfe die Menschen aus Gütersloh „nicht stigmatisieren“. Laschet bezog sich auf Berichte, wonach Personen aus dem Kreis an Urlaubsorten zur Abreise aufgefordert worden seien.

Auf der Urlaubsinsel Usedom waren am Montag 14 Menschen aus Corona-Risikogebieten aufgefordert worden abzureisen, darunter ein Paar aus Gütersloh. Laut Verordnung von Mecklenburg-Vorpommern dürfen Personen nicht einreisen oder bleiben, wenn sie aus einem Landkreis kommen, in dem in den vergangenen sieben Tagen die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner höher als 50 ist.

Laschets Schlingerkurs

Kritik am viel zu zögerlichen Vorgehen von Armin Laschet kam aus den Reihen der SPD. Die SPD-Landtagsfraktion hat den Lockdown im Kreis Gütersloh zwar begrüßt, kritisierte aber gleichzeitig den Ministerpräsidenten. SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty sagte gegenüber der Rheinischen Post:

„Armin Laschet vollzieht wieder eine Kehrtwende. Noch am Sonntag wollte er von einem Lockdown nichts wissen.“

Jetzt müsse er sich wieder selbst korrigieren. Mit diesem Schlingerkurs verwirrt er alle. Der Lockdown sei die einzig richtige Entscheidung zum Schutz der Gesundheit der Menschen.

„Aber sie kommt mal wieder zu spät.“

Ironie des Schicksals

Dass nun ausgerechnet derjenige, der wochen- und monatelang wie kein anderer Regierungschef in Deutschland für möglichst schnelle Lockerungen der Corona-Beschränkungen eintrat, ist eine besondere Ironie des Schicksals und fiel dem NRW-Ministerpräsidenten sichtbar schwer. Bereits die erste Coronawelle war sehr stark aus Nordrhein-Westfalen ausgegangen, speziell aus dem Kreis Heinsberg, und hat sich von hier über fast ganz Deutschland ausgebreitet.

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