Bildung bedeutet dreifache Unterwerfung: unter die Realität, die Logik und die Ethik

Von Jürgen Fritz, Di. 23. Jun 2020, Titelbild: Pixabay, CC0 Creative Commons

Unsere Schulen haben einen in den Landesverfassungen verankerten Erziehungs- und Bildungsauftrag. Damit ist festgelegt, was am Ende der Schulzeit herauskommen soll: gebildete Menschen. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll nicht nur ein Unterhaltungsprogramm anbieten, sondern hat darüber hinaus einen Bildungsauftrag. Deswegen dürfen Rundfunkgebühren erhoben werden. Zu diesen Bildungsaufgaben zählt neben der Wissens- und Kulturvermittlung das Verständnis für soziale, kulturelle und geschichtliche Zusammenhänge sowie religiöse und politische Bildung. Doch was bedeutet überhaupt Bildung? Wann kann ein Mensch als ein gebildeter solcher angesehen werden? Worauf kommt es an?

Bildung ist die Ausbildung der geistig-seelisch-charakterlichen Möglichkeiten, die in einem als Potenz angelegt sind

Die Theorie der Bildung ist das zentrale Thema der Pädagogik. In pädagogischen Seminaren werden neben den Grundlagen der Erziehung, der Lern- und Entwicklungspsychologie, der allgemeinen Didaktik, der Methodenlehre, der Geschichte der Pädagogik, der Sozialisationstheorie, der wissenschaftstheoretischen Dimension der Pädagogik und der Schultheorie bisweilen über ganze Semester hinweg verschiedene Bildungstheorien behandelt. Der Bildungsbegriff ist natürlich vielschichtig, zunächst lassen sich auf jeden Fall zwei Dinge unterscheiden: a) Bildung als Prozess (Bildungsarbeit) und b) Bildung als das Ergebnis dieses Prozesses, im Sinne des gebildeten Menschen. Was macht diesen nun aus?

Ganz grob könnte man sagen, Bildung bezeichnet im Kern das Maß für die Übereinstimmung des persönlichen Wissens und des Weltbildes eines Menschen mit der Wirklichkeit, inwieweit er diese korrekt erfasst hat und sich in ihr zurechtfinden kann. Je höher der Grad an Bildung, desto größer die Fähigkeit, Zusammenhänge zu verstehen und echte Erkenntnisse zu gewinnen. Nach innen, auf das Subjekt gewendet könnte man Bildung umschreiben als die Ausbildung der geistig-seelisch-charakterlichen Möglichkeiten, die in einem als Potenz angelegt sind.

Subjektentwicklung im Medium der Objektivationen bisheriger menschlicher Kultur

Wisssenschaftlich könnte man Bildung als Prozess und als Ergebnis dieses Prozesses (gebildet sein, über Bildung verfügen) umschreiben als:

  • die Befähigung zu vernünftiger Selbstbestimmung, Verantwortung für sich selbst übernehmen lernen und nicht unmündiger Knecht eines anderen zu sein.
  • Bildung bedeutet mithin die Subjektentwicklung im Medium der Objektivationen bisheriger menschlicher Kultur (Sprache, gesellschaftliche Strukturen und Spielregeln, Literatur, Kunst, Wissenschaften, Philosophie etc.) Bildung ist mithin immer zugleich als Selbst- und Weltverhältnis auszulegen, das nicht nur rezeptive, sondern immer auch verändernd-produktive Teilnahme an der Kultur meint (Mitbestimmungs- und Gestaltungsfähigkeit).
  • Bildung bedeutet gleichermaßen die Gewinnung von Individualität und Gemeinschaftlichkeit (Solidarität), zwei Pole, die in einer steten Spannung zueinander stehen und immer neu austariert werden müssen, ohne den einen und ohne den anderen Pol zu vernachlässigen oder gar völlig auszublenden (extremer Individualismus bzw. extremer Kollektivismus).
  • Bildung bedeutet im Gegensatz zu Erziehung (sofern darunter nicht auch Selbsterziehung verstanden werden soll) ein lebenslanger, nie endender Prozess.
  • Und Bildung bedeutet Mehrdimensionalität, bedeutet insbesondere praktische, ästhetische, kognitive (geistige) und moralische Bildung (Charakterbildung).

Eine dreifache Unterwerfung

Bildung besteht damit letztlich in einer Unterwerfung und zwar einer dreifachen solchen:

  1. Unterwerfung gegenüber der Realität, der Natur und ihre Gesetzen sowie sonstigen empirischen Gesetzmäßigkeiten, über die man sich nicht hinwegsetzen kann. Der Mensch muss gleichsam lernen, Dinge, die nicht veränderbar sind, hinzunehmen. Und er muss lernen zu erkennen, wie man die Dinge verändern kann, die veränderbar sind, was ebenfalls Gesetzmäßigkeiten unterliegt.
  2. Unterwerfung gegenüber der Vernunft, den Denkgesetzen, der Logik, wie man gut und richtig denkt, damit kein Quatsch rauskommt. Das ist zum Beispiel genau das, was Verschwörungsgläubigen fehlt.
  3. Drittens Unterwerfung gegenüber dem objektiv Guten (Ethik), dem Gemeinwohl, dem kategorischen Imperativ etc. Das ist das, was insbesondere Verbrechern fehlt.

All drei Instanzen – Realität, Logik, Ethik – schränken das Ego ein, setzen dem selbstsüchtigen Ich-Streben eine Schranke, grenzen damit seine äußere Freiheit ein. Der Unzivilisierte zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass er sich nicht begrenzen lassen will, weder durch Logik noch durch andere und das Gemeinwohl, da ihm der Wille zu innerer Freiheit, zur Befreiung von seinem selbststüchtigen Ich-Streben fehlt.

Der Postmoderne, der ebenfalls nach äußerer, nicht aber innerer Freiheit strebt, will sich von allem emanzipieren, sogar von der Vernunft und der Realität. Bildung setzt mithin Achtung und Demut voraus, sich den drei genannten Instanzen freiwillig zu unterwerfen aus innerer Einsicht heraus, welche wiederum erst aus der Bildung resultiert, die zu einem gewissen Grade schon vorhanden sein muss.

Bildung bedarf zunächst der Erziehung, um den Anfang zu initiieren

Wo sollen die Einsicht und die Bildung aber herkommen, wenn sie zu einem gewissen Grade schon da sein müssen, um diese voll zu entwickeln? Genau dies ist die Aufgabe der Erziehung, die den anderen aber nur auf den Weg bringen kann, den er dann selbstständig (autonom, mündig) weitergehen muss.

Das Ziel der Erziehung muss mithin sein, den anderen in die Lage zu versetzen, dass er a) die Erziehung, die ihm zuteil wurde, kritisch reflektieren, und b) dass er sich selbst gleichsam weiter erziehen kann (Hans-Georg Gadamer: „Erziehung ist sich erziehen“). Der Anfang muss aber von außen mitgegeben werden, damit überhaupt etwas da ist, ein Fundament, auf dem jeder dann selbst aufbauen kann, denn:

„Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen.“ (Aristoteles: Politik V, 4)

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