Von Thomas Schmid, Di. 13. Okt 2020, Titelbild: turi2TV-Screenshot
Am 27. September verstarb im Alter von 80 Jahren der ehemalige NRW-Ministerpräsident (1998-2002) und Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit (2002-2005) Wolfgang Clement. 2008 trat dieser wegen ihres Linksrucks aus der SPD aus. Heute findet in Bonn ein Staatsakt für den ehemaligen Superminister der rot-grünen Bundesregierung statt. Thomas Schmid erinnert auf seine Art an den Verstorbenen.
Realist, Materialist – und gläubig
Er ist nach seinem Tod vielerorts gewürdigt worden, von seiner ehemaligen Partei, der SPD, eher weniger und verhalten bis kühl. Ich kannte Wolfgang Clement ein wenig, mochte ihn. In seinem Bemühen, als Bundesminister die Republik wirtschaftlich auf Vordermann zu bringen, war er mir etwas zu forciert, zu glühend schien er mir der Idee von der Machbarkeit anzuhängen. Aber, wie gesagt, ich mochte ihn. Der Umgang mit ihm war immer angenehm. Ich empfand ihn überhaupt nicht als arrogant. Er hatte für mich etwas Jungenhaftes, eine aus der Jugend herüber gerettete charmante Keckheit. Obwohl er die Nüchternheit in Person zu sein schien, wirkte er doch oft wie einer, dem nach schlafloser Nacht die Blässe ins Gesicht geschrieben war. Sein Blick: gelassen, dazu eine Prise Ironie. Er war gleichermaßen Realist, Materialist – und gläubig.
Er verließ den Ort, still und ohne Aufhebens
Den vielen Würdigungen möchte ich keine weitere hinzufügen. Sondern eine kleine Geschichte erzählen. Peter Glotz war ein SPD-Politiker, den man einen äußerst erfolgreichen Verlierer nennen könnte. Er versuchte seine Partei à jour zu bringen und sie in der neuen Medienwelt ankommen lassen. Seine Erfolge als Senator in West-Berlin und als Bundesgeschäftsführer der SPD waren nicht überwältigend. Aber er gehörte zu den ganz wenigen Politikern, die mit den intellektuellen Größen des Landes problemlos und unverkrampft verkehren konnten. Er gab seiner Partei ein intellektuelles Profil. Als er von der Politik genug hatte, ging er an die Universität St. Gallen in der Schweiz und baute für seine junge Frau, seinen Sohn Lion und sich ein Haus in Wald, nahe St. Gallen, hoch über dem Bodensee. Es sollte ein Alterssitz werden. Doch schon bald erkrankte er. Im August 2005 starb Peter Glotz, nur 66 Jahre alt.
In der Kirche von Wald, einer kleinen Gemeinde, fand eine Trauerfeier für ihn statt. Viel SPD-Prominenz war angereist. Karossen, großer Auftrieb im winzigen Ort. Es sprach Alexander Kluge so, wie Alexander Kluge schreibt. Es sprach Frank A. Meyer, damals journalistischer Guru in der Schweiz, der vor allem seine eigenen Verdienste herausstrich. Für die SPD ergriff Franz Müntefering das Wort: eine gradlinige Rede. Und Otto Schily, damals eben noch Bundesinnenminister, sprach halb staatsmännisch, halb freundschaftlich-innig.
In dem kleinen Kirchenraum nahm, von Sitzreihe zu Sitzreihe, nach hinten der Grad der Prominenz der Anwesenden ab. Auch Wolfgang Clement war gekommen, damals immerhin „Superminister“ für Wirtschaft und Arbeit im Kabinett von Gerhard Schröder. Während vor und nach der Trauerfeier die Prominenz die Kirche von der Seite betrat in Angesicht der Urne, die Peter Glotz’ Asche enthielt, um Sichtbarkeit bemüht miteinander parlierte, betrat auf einmal Wolfgang Clement von hinten den Raum, ganz alleine, und suchte sich einen Platz. Er wollte nicht erkannt werden, suchte keine Blicke. Sondern schien allein zu dem Zweck gekommen zu sein, den verstorbenen Parteifreund und Freund zu ehren. Nach innen gewandt, verschlossen. Als alles vorbei und Peter Glotz’ Asche im Friedhof vor dem Kirchlein in den Boden versenkt war, verließ Wolfgang Clement, der gläubige Katholik, den Ort. Still und ohne Aufhebens.
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Dieser Artikel erschien zuerst auf dem WELT-Blog des Autors Thomas Schmid – die Texte und erscheint hier mit dessen freundlicher Genehmigung. Überschrift, Teaser und Zwischenüberschriften durch JFB.
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Zum Autor: Thomas Schmid, Jg. 1945, nahm in seinen Zwanzigern an der Studentenbewegung in Frankfurt teil, was ihn später gegenüber Heilslehren misstrauisch machte – und ihn die Bürgerfreiheit schätzen lehrte. Lektor, freier Autor, Journalist. Zuletzt in Berlin Chefredakteur und dann Herausgeber der WELT-Gruppe. In seinem Blog veröffentlicht er regelmäßig Kommentare, Essays, Besprechungen neuer, älterer und sehr alter Bücher, Nachrufe und nicht zuletzt Beobachtungen über den gemeinen Alltag.
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