Von Jürgen Fritz, Mo. 09. Nov 2020, Titelbild: FAZ-Screenshot von der Leipzig-Demo vom 07.11.2020
Was wir bei der COVID-19-Pandemie sehen, sind meines Erachtens zwei Dinge, die zusammen eine gefährliche, höchst brisante Mischung ergeben. Erstens versteht ein Teil der Bevölkerung diese Pandemie schlicht nicht. Manche können das kognitiv nicht erfassen, was unter anderem mit fehlenden mathematischen Grundlagen respektive fehlendem mathematischem Verständnis zusammenhängt. Es kommt aber ein zweiter entscheidender Faktor hinzu: Vertrauensverlust.
Das fehlende Verständnis für die funktionalen Zusammenhänge in der COVID-19-Pandemie
Der erste Faktor ist sicherlich, dass es einen nicht geringen Teil in der Bevölkerung gibt, dem das Verständnis für die funktionalen Zusammenhänge in dieser Pandemie einfach fehlt. Das betrifft übrigens zum Teil auch promovierte (und habilitierte) Mediziner. Ich habe solche jahrelang beraten und weiß, dass es dort kognitiv gewaltige Unterschiede gibt in diesem Berufszweig, viel größere als zum Beispiel bei Mathematikern, Physikern, Chemikern, Informatikern, Makroökonomen, Ingenieuren oder Wirtschaftsingenieuren. Bei Medizinern gibt es sehr, sehr gebildete, auch sehr kluge solche, aber auch andere und Letztere viel mehr als bei den genannten anderen Disziplinen. Ähnliches gilt für Sozialwissenschaftler.
Dieses Unverständnis für die funktionalen Zusammenhänge sehen wir in einem sicherlich nicht geringen Teil der Bevölkerung, was vor allem mit dem Fehlen mathematischer Grundlagen, mit einem Mangel an mathematischem Verständnis und an mathematischer Intuition zu tun haben dürfte, insbesondere dem Erfassen, was exponentielles Wachstum (Exponentialfunktion) wirklich bedeutet, was uns naturgemäß nicht leicht fällt.
Das alleine wäre aber noch nicht so schlimm. Viele Dinge versteht ein Teil der Bevölkerung nicht, aber in der Regel vertrauen wir dann anderen, von denen wir annehmen, dass sie sich damit besser auskennen als wir selbst. Ich verstehe zum Beispiel die ganze Elektronik im Detail nicht mehr und auch medizinische Abläufe im Detail nicht, weil mir da die biochemischen und andere Grundlagen fehlen, vertraue da aber den jeweiligen Fachleuten.
Ein immenser und weiter zunehmender Vertrauensverlust in essentielle gesellschaftliche Institutionen
Es kommt aber ein zweiter Faktor hinzu: Viele Menschen – und das sind nicht nur fünf oder zehn Prozent, die es immer gibt, sondern inzwischen wohl sehr viel mehr – trauen dem, was von politischer und Regierungsseite kommt, auch was Wissenschaftler und Experten sagen, nicht mehr, weil hier über etliche Jahre sehr viel Vertrauen verspielt wurde.
Dies hängt meines Erachtens mit einer starken Ideologisierung von a) Politik, b) Massenmedien (nahezu völlig von neomarxistischer Ideologie durchdrungen: mehr als 92 Prozent der ARD-Volontäre geben an, sie würden Grüne, Linkspartei (SED 2.0) oder SPD wählen), aber auch c) den Wissenschaften, Hochschulen und Schulen, insbesondere in den Sozialwissenschaften zusammen, die oftmals mehr politisch-ideologisch als erkenntnisgeleitet agieren. Das spüren die Leute und viele verlieren dadurch das Vertrauen in diese essentiellen gesellschaftlichen Institutionen insgesamt, was dann im Sinne einer Anti-These zu einer neurechten Gegen-Ideologisierung führt.
Hier wurden über Jahrzehnte große Fehler gemacht, Stichwort neulinke (neomarxistische) Ideologisierung der Gesellschaft, die nach 1990 nicht ab-, sondern nochmals zugenommen hat, was sich nun, wenn wir einer ernsthaften Gefahr gegenüberstehen, rächt, dergestalt mindestens ein Fünftel, eher ein Viertel, wenn nicht ein Drittel der Gesellschaft gar nicht mehr glaubt, dass da eine ernsthafte Gefahr ist, zumal diese für sie nicht direkt mit Händen greifbar ist. Die Wirksamkeit der Eindämmungsmaßnahmen ist aber davon abhängig, dass fast alle sich an diese beschlossenen Gegenmaßnahmen halten und nicht nur 60 oder 70 Prozent. Wenn ein Viertel oder ein Drittel diese Beschlüsse schlicht ignoriert, dann nimmt das die Wirkung nicht völlig weg, schwächt die Effizienz aber enorm ab.
Die gespaltene Gesellschaft, auch bei uns
Durch diesen Vertrauensverlust trennt sich die Gesellschaft in Teile, die sich gegenseitig überhaupt nichts mehr glauben. Damit geht jegliche Gesprächsbasis verloren. Diese Spaltung der Gesellschaft ist bei uns noch nicht so stark wie in den USA, wo sie schon bei etwa 52-48 oder 55-45 ist, aber sie ist auch bei uns schon bei mindestens 80-20, wenn nicht 70-30. Das wird keine Gesellschaft auf Dauer ohne Schaden aushalten.
Laut einer ganz aktuellen Erhebung von Civey sind es nur noch gut 70 Prozent der Deutschen, welche kein Verständnis für die Demonstrationen in Leipzig haben, die sich gegen die Corona-Politik der Bundesregierung richteten. Nicht fünf, zehn oder 15, sondern bereits 27 bis 28 Prozent der Deutschen, also jeder Dritte bis Vierte, bringen dagegen durchaus Verständnis für diese Demonstrationen auf.
In einer liberalen Demokratie ist es aber anders als in autoritären Staaten wie China kaum möglich, Maßnahmen mit Gewalt gegen Zig- oder Hunderttausende oder gar gegen Millionen durchzusetzen, siehe die aktuellen Vorgänge in Leipzig. Demokratische Spielregeln leben davon, dass sich nur ein ganz kleiner Teil von sich aus an keinerlei gemeinsame Regeln hält, die absolut überwältigende Mehrheit aber die Maßnahmen innerlich akzeptiert, was wiederum Vertrauen in das Zustandekommen der Beschlüsse voraussetzt.
Was kann getan werden, um die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden?
Diese Spaltung wäre nur zu überwinden, wenn die hegemonialen Neuen Linken von ihrer extremen Ideologisierung der Gesellschaft ablassen und hier zurückrudern würden. Ansonsten droht dieser zum Teil blinde und dumpfe, aber von den Neuen Linken evozierte, ja provozierte Widerstand immer weiter anzuwachsen und sich noch mehr zu verhärten. Donald Trump, Boris Johnson und wie sie alle heißen, bei uns die sich zunehmend zum Extremismus hin radikalisierende AfD, fielen nicht vom Himmel, sondern wurden von dem enormen Ruck zum Linksradikalismus hin erzeugt, der bei uns auch längst die CDU erfasst hat und der quasi zu einer Gegenbewegung führt.
Insbesondere rechtsextreme, anti-liberale, anti-demokratische Kräfte versuchen dann natürlich, sich jeglichen Widerstand für ihre Ziele zu nutze zu machen. Zu einem Zurückrudern und Einlenken, was nötig wäre, um diese rechtsradikale, teilweise -extremistische Gegenbewegung zu schwächen, scheinen die hegemonialen Neuen Linken aber nicht bereit, zumindest gibt es hierfür kaum Anzeichen bislang. Joe Biden hat in den USA meines Erachtens die richtigen, versöhnlichen Worte gesprochen, es bleiben aber Zweifel, ob dies auch in die Tat umgesetzt werden wird die nächsten Jahre. Das muss sich noch zeigen.
So wie der blinde und dumpfe Widerstand in seinem Unverständnis dem Virus SARS-CoV-2 ständig weiter Futter liefert und es so weiter anwachsen lässt, mithin die Lage verschlimmert, so füttern die Neuen Linken in ihrem Unverständnis gleichsam den dumpfen Widerstand und lassen ihn so größer werden und sich immer mehr verhärten, so dass es immer schwerer wird, ihn aufzuweichen und allmählich abzutragen.
Was bräuchte es also? Zum Beispiel eine nicht-radikale Regierung, eine starke politische Mitte, die zumindest Ansätze und Anstöße zur Aussöhnung gibt, die nicht weiter polarisiert, sondern Menschen allmählich wieder in die politische Mitte und in den sachlichen Diskurs zurückholt, so dass wieder eine gemeinsame Gesprächs- und Werte-Basis, ein gemeinsames Fundament an Überzeugungen erwachsen kann.
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