Eklat im Reichstag: AfD-Führung bedauert zutiefst die schweren Verfehlungen

Von Jürgen Fritz, Do. 19. Nov 2020, Titelbild: YouTube-Screenshot

Am Mittwoch kam es im Deutschen Bundestag zu völlig unwürdigen Szenen. Mehrere Abgeordnete, unter anderen auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), wurden von rechten Störern im Parlamentsgebäude bedrängt. Inzwischen steht fest: Es waren drei AfD-Abgeordnete, die den Provokateuren Zutritt verschafft haben. Die Führung der Partei hat sich für den von ihren Mitgliedern verursachten Eklat entschuldigt.

Die Störer waren auf Einladung der AfD-Abgeordneten Hemmelgarn, Bystron und Müller im Parlamentsgebäude

Die Störer im Deutschen Bundestag, die am Mittwoch bei bei der Debatte über das Infektionsschutzgesetz mehrere Parlamentarier bedrängt, teilweise sogar beleidigt haben, waren nach Behördenerkenntnissen von drei AfD-Bundestagsabgeordneten eingeladen worden. Einem Sicherheitsbericht zufolge waren dies 1. Udo Hemmelgarn, 2. Petr Bystron und 3. Hansjörg Müller, der dem rechtsextremistischen Höcke-Flügel nahe steht und der dieses Jahr behauptete, 88 Prozent der Corona-Toten, die aus Italien gemeldet werden, wären gar keine Corona-Toten.

Insgesamt kamen auf ihre Einladung hin vier Besucher als Gäste in die Bundestagsgebäude, von denen einige auch in Büroräume der Abgeordneten eindrangen. Trotz des Protestes der Beschäftigten filmten diese Besucher das Demonstrationsgeschehen außerhalb des Gebäudes und übertrugen es per Livestream. Da aber alle Bundestags-Besucher an diesem Tag mit Namen, Vornamen und Geburtsdatum angemeldet werden mussten, sind die vier Störer klar den sie einladenden Abgeordneten zuzuordnen. Einem der vier Störer soll sogar am Tag zuvor noch eine Gefährderansprache durch die Polizei erteilt worden sein.

Einer der Störer war der „Silberjunge“ Thorsten Schulte

Hemmelgarn hatte zuvor bestätigt, dass einer der Gäste, über dessen Verhalten es Beschwerden gab, über ihn angemeldet worden sei. Demnach habe „sein Büro“ den Verschwörungsideologen und Geschichtsrevisionisten Thorsten Schulte (Pseudonym „Silberjunge“) als Gast im Reichstagsgebäude angemeldet. Es sei aber klar verabredet gewesen, außer mit Abgeordneten der AfD keine Fotoaufnahmen zu machen, insistiert Hemmelgarn. Die anderen Personen habe er nicht eingeladen.

Thorsten Schulte arbeitete auch kurze Zeit für die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel, für die er Marketingfilme machen sollte. Diese warf ihn aber nach kurzer Zeit raus, was er dann auf Facebook äußerst theatralisch thematisierte. Schulte trat auch bei der Querdenken-Demo gegen die Corona-Maßnahmen am 1. August 2020 in Berlin als Hauptredner auf. Dort forderte er „die Abdankung der Bundesregierung“. Schulte bedient regelmäßig das übliche phrasenhafte Populistenvokabular, spricht gerne vom Teufel und sieht überall Verschwörungen, Intrigen, das Agieren von V-Leuten, von Geheimdiensten usw. usf., womit er seit Jahren Geld macht.

Mit dem Gründer von Querdenken 711 Michael Ballweg hat er sich dann ebenfalls überworfen. Für die Querdenken-Demo am 9. August 2020 wurde er kurzerhand ausgeladen. Er dürfe fortan nicht mehr bei Querdenken sprechen. Dann hat er wohl Ballweg bekniet, „alles gegen eine Spaltung zu unternehmen“. Auf der Querdenken-Kundgebung am 14. November 2020 in Regensburg durfte Schulte dann doch wieder als Redner auftreten.

Rebecca Sommer bedrängt und beleidigt den Bundeswirtschaftsminister im Reichstag

Die anderen Störer wurden, wie gesagt, nicht von Hemmelgarn eingeladen. Vielmehr zeichent der Abgeordnete Petr Bystron für den Einlass der rechten Aktivistin Rebecca Sommer verantwortlich, die Peter Altmaier bedrängte, beschimpfte und beleidigte („Er hat kein Gewissen“, „Sie sind völlig abgehoben, Sie haben überhaupt kein Gewissen“ und nachdem Altmaier in den Aufzug eingestiegen ist ins Mikrofon „So ein Arschloch“). Zu Beginn hört man aus dem Hintergrund die Stimme von Thorsten Schulte, der scheinheilig fragt „Möchte Herr Altmaier nichts sagen?“.

Der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle sagt, er habe die Frau, die offenbar Altmaier bedrängte, vor dem Plenarsaal getroffen. Sie (Rebecca Sommer) habe ihn gefragt, wie er abstimmen wolle. Er habe an dieser Stelle nicht mit einem Treffen gerechnet und sei weitergegangen. Die Frau habe einen Gästeausweis an der Jacke gehabt, wie ihn Besucher bekämen, die von Fraktionen oder einzelnen Abgeordneten angemeldet worden seien.

Die von AfD-Abgeordneten Eingeladenen stürmen in mehrere Büros von Parlamentariern

Nach Angaben ihres Sprechers Daniel Tapp seien mehrere Personen auch in das Büro von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel eingedrungen. Diese hätten sich nicht vorgestellt. Die ungebetenen Gäste hätten vielmehr einfach so aus dem Fenster filmen wollen. Er habe sie dann herausgebeten, so Tapp. Auf einem Video ist zu sehen, wie andere Besucher ohne Anmeldung in das Büro des parlamentarischen Geschäftsführers Bernd Baumann stürmen, wo sie ein Mitarbeiter mit dem Satz „Habt ihr ’ne Meise?“ empfängt.

Offensichtlich liegen hier auch Verfehlungen der einladenden AfD-Abgeordneten vor, denn diese dürfen zwar bis zu sechs Besucher in den Reichstag einladen, müssen diese dann aber die ganze Zeit begleiten und dürfen sie nicht einfach völlig unkontrolliert im Gebäude herum laufen lassen. Hier dürften also Sorgfaltspflichten verletzt worden sein.

Dass die Störer auf Einladung von AfD-Abgeordneten Zutritt zum Parlamentsgebäude erhielten, hat die AfD inzwischen auch zugegeben. Fraktionssprecher Marcus Schmidt teilte  am Donnerstag auf Anfrage mit, dass die Besucher „ganz regulär“ beim Bundestag angemeldet worden seien.

Die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland haben inzwischen ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht für das „das inakzeptable Verhalten“. Die AfD-Fraktion habe aber zu keinem Zeitpunkt „Gäste mit dem Ziel in den Bundestag eingeladen, den parlamentarischen Ablauf zu stören oder Abgeordnete an der Ausübung ihres Mandates zu behindern“.

„Absolut undemokratisch und unwürdig“, „grob unparlamentarisch“, das „untergräbt das Fundament unserer Demokratie“

Nach diesen üblen Störungen durch gleich mehrere Personen am Mittwoch fordert die Unionsfraktion ein „Besucher-Verbot“ für die mutmaßlich involvierten drei AfD-Abgeordneten. „Wer Personen in den Bundestag einschleust, die nicht ,besuchen‘, sondern agitieren sollen, muss scharfe Konsequenzen spüren“, sagte Mathias Middelberg (CDU), innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Union der Neuen Osnabrücker Zeitung. Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten seien zu prüfen. „In jedem Fall sollte den betreffenden Abgeordneten der Empfang von Besuchern im Bundestag bis zum Ende der Wahlperiode verboten werden“, so Middelberg.

„Abgeordnete zu bedrängen und an der freien Ausübung ihres Mandats zu behindern, untergräbt das Fundament unserer Demokratie“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), dem Portal ThePioneer. Auch er verlangte umfassende Aufklärung im Ältestenrat.

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil nannte das Verhalten der AfD „absolut undemokratisch und unwürdig“. Diese habe „immer das erklärte Ziel vor Augen, unser demokratisches System zu destabilisieren“, sagte Klingbeil dem Spiegel.

„Sollte es sich erweisen, dass AfD-Abgeordnete Personen Zugang zum Reichstag verschafft haben, die gezielt Druck auf Abgeordnete ausgeübt oder daran gehindert haben, ihren Mandatspflichten nachzukommen, dann muss das ein Nachspiel haben“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann, der Deutschen Presse-Agentur. „Das wäre grob unparlamentarisch. Wir werden der Sache in jedem Fall im Ältestenrat nachgehen.“

Straftatbestand soll geprüft werden

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) betrachtet den Vorfall als Nötigung und fordert Konsequenzen für die daran beteiligten Abgeordneten. „Ich gehe davon aus, dass dieser Fall nicht nur im Ältestenrat behandelt wird“, sagte der FDP-Politiker.

Es komme eine Straftat nach § 106 StGB in Betracht, zu der Abgeordnete auch Anstiftung oder Beihilfe leisten können, sagte Kubicki. „Dies wird ernsthaft zu prüfen sein.“ § 106 StGB behandelt die Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans. Er sieht als Sanktion Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor.

Gauland und Baumann entschuldigen sich

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