Von Herwig Schafberg, So. 29. Nov 2020, Titelbild: arte-Screenshot
Heute vor 240 Jahren, am 29. November 1780 starb Maria Theresia nach vierzigjähriger Herrschaft über die Erbländer des Hauses Habsburg. Es war eine Verlegenheitslösung gewesen, dass sie als Frau die Thronfolge angetreten hatte – und es bereitete ihr große Mühe, sich durchzusetzen. Doch sie sollte zu einer prägenden Monarchin des aufgeklärten Absolutismus werden, wie der Historiker Herwig Schafberg aufzeigt.
„Blut und Leben für unseren König Maria Theresia!“
Die Monarchin stützte ihre Herrschaft auf die ständische Ordnung jenes Zeitalters, unternahm aber manches zur Veränderung der Standesgesellschaft und zur allgemeinen Wohlfahrt in ihren Ländern, zu denen nicht nur Österreich, sondern auch Böhmen, Ungarn und manches mehr in Italien, Deutschland sowie dem heutigen Belgiengehörte. Maria Theresia war die älteste Tochter Karls VI., der keine Söhne hatte. Das Erbrecht in Österreich, Böhmen, Ungarn und anderen Ländern des Hauses Habsburg sah zwar nicht die Herrschaft einer Frau vor, Karl wollte jedoch die Thronfolge seiner Tochter durch die „Pragmatische Sanktion“ legitimieren und warb dafür um Anerkennung durch andere Staaten, die ihm auch zugesichert wurde.
Doch kaum war er gestorben (1740), erhoben die Kurfürsten von Bayern und Sachsen Ansprüche auf die Herrschaft in Österreich sowie Böhmen und der preußische König Friedrich nahm Schlesien in Besitz, das bis dahin zum Königreich Böhmen gehört hatte. Nachdem Karl VI. sich am Polnischen Erbfolgekrieg und einem Feldzug gegen die osmanischen Türken beteiligt hatte, waren in der Staatskasse kaum noch Mittel zur Finanzierung der Kriege, die seiner Tochter nach der Thronbesteigung aufgezwungen wurden. Dazu gehörten der „erste schlesische Krieg“ gegen Preußen (1740-1742), den Maria Theresia ebenso verlor wie weitere Kriege gegen Preußen, sowie der „österreichische Erbfolgekrieg“ gegen Bayern und Sachsen, die von Frankreich und Spanien militärisch unterstützt wurden (1742-1748).
Von ihren Gegnern aus ihrer Wiener Residenz verdrängt wandte Maria Theresia sich an den Reichstag von Ungarn mit der Bitte um Bewilligung von Steuern zur Aushebung von Truppen und fand dort auch Zustimmung. Glaubt man dem Protokoll der Reichstagssitzung, dann hoben die Vertreter des ungarischen Adels ihre Degen vor der jungen Frau, die sich mit ihrem kleinen Sohn Joseph auf dem Arm Hilfe suchend vor ihnen in Szene gesetzt hatte, und schworen ihr ritterlich Gefolgschaftstreue mit den Worten:
„Blut und Leben für unseren König Maria Theresia!“
Sie schworen also bemerkenswerterweise ihrem König Treue, als wäre Maria Theresia ein Mann gewesen. Der Königstitel stand der Person zu, die als König herrschte. Und das war in der Regel ein Mann. Doch der ungarische Reichstag hatte allerdings die Herrschaft von Karls Tochter als König anerkannt – und nicht etwa als Königin; denn der Titel einer Königin war streng genommen der Frau an der Seite eines Königs vorbehalten. Maria Theresias Ehemann Franz Stephan war aber kein König, sondern Herzog von Lothringen, der allerdings während des Polnischen Erbfolgekrieges auf Druck Frankreichs seinen Anspruch auf das Herzogtum aufgegeben hatte und mit dem Großfürstentum der Toskana abgefunden worden war.
Dass er später Kaiser des „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“ und Maria Theresia dadurch Kaiserin wurde (1748), hatte er kaum eigener Macht zu verdanken, sondern vor allem der Hausmacht seiner Ehefrau, die aus dem „Österreichischen Erbfolgekrieg“ mit englischen Hilfsgeldern und Steuer- sowie Kriegsmitteln aus Ungarn siegreich hervorgegangen war. Da Maria Theresia als Frau nicht den Anspruch der Habsburger auf die Kaiserkrone für sich selbst geltend machen konnte, gewann sie die Kurfürsten des Reiches dafür, ihren Ehemann Franz Stephan zum Kaiser zu wählen. Und nachdem dieser gestorben war, ernannte sie ihren ältesten Sohn Joseph II. zum Mitregenten in ihren Ländern und verschaffte ihm so eine Ausgangslage für die Nachfolge seines Vaters als Kaiser (1765).
„Die Königin von Ungarn weint und nimmt!“
Maria Theresia war es zwar gelungen, die Herrschaft in den Ländern des Hauses Habsburg gegen Ansprüche anderer zu sichern; es war ihr aber gerade dadurch wohl bewusst, dass die Herrschaft eines Mannes leichter Anerkennung fand als die einer Frau. Und sie konnte von Glück reden, dass sie unter ihren sechzehn Kindern auch Söhne hatte; denn die hatten für die Bestandssicherung der Dynastie eine höhere Bedeutung als Töchter. Vielleicht war sie auch deswegen besonders froh, als die Frau ihres zweitältesten Sohnes Leopold einen Jungen zur Welt brachte. „Kinder, stellt`s Euch vor“, rief die kaiserlich-königliche Großmutter den anderen Zuschauern einer Theateraufführung zu, während der ihr die Nachricht überbracht wurde, und erklärte freudestrahlend in ihrer Wiener Mundart: „Der Poldi hat an Bub!“
Ihr ältester Sohn Joseph hatte keinen männlichen Nachwuchs und bereitete seiner Mutter in dieser wie in anderer Hinsicht Kummer. Joseph war ein Bewunderer Friedrichs des Großen, dem seine Mutter nicht verzeihen mochte, dass er ihr Schlesien weggenommen hatte. Das empfand sie als Verlust einer blühenden Provinz sowie als Verstoß gegen verbrieftes Recht und darauf basierende Ordnung. Demgemäß schätzte sie auch Pläne für eine Teilung Polens ein (1772). Die russische Kaiserin Katharina II. wollte dafür den preußischen König Friedrich und Maria Theresia gewinnen, die das Teilungsvorhaben aber für Unrecht hielt und sich zierte, daran mitzuwirken. Am Ende ließ sie sich allerdings überreden und nahm schweren Herzens das polnische Galizien in Besitz, was Friedrich der Große lakonisch mit den Worten kommentierte:
„Die Königin von Ungarn weint und nimmt!“
Wie Friedrich und Katharina war auch Joseph ein Anhänger von Ideen der Aufklärung. Er war allerdings radikaler als die beiden anderen und wollte bestehende Institutionen nicht bloß kritisch in Frage stellen, sondern sie überwinden. Ihm schwebte ein zentral gelenkter Staat vor, in dem es nicht länger feudale Zwischeninstanzen geben, sondern in dem alle Untertanen vor dem Gesetz gleich, die Bauern aus ihrer Erbuntertänigkeit von adeligen sowie klerikalen Grundherren befreit sein sollten und die katholische Kirche ihre Vormundschaft über die Gläubigen verlieren sollte.
Behutsame Reformerin
Maria Theresia war tief besorgt, dass Joseph mit seinem Reformeifer die Stände – vor allem den Adel und die Kirche – gegen sich aufbringen würde und das Haus Habsburg ruinieren könnte. Dass ihre Sorgen berechtigt waren, zeigte sich, als Joseph nach dem Tode seiner Mutter Alleinherrscher war, nun ungehindert seine Reformpläne verwirklichen wollte und mit seinen Verordnungen die Standesvertreter so empörte, dass es zu weit verbreiteten Unruhen kam und er kurz vor seinem Tod (1790) die meisten Reformakte revidieren musste – mit Ausnahme der Dekrete über Bauernbefreiung und Religionsfreiheit.
Zu den Ständen gehörten in Ungarn wie in anderen Ländern des Hauses Habsburg der Adel, der katholische Klerus, das städtische Bürgertum und die freien Bauern. Doch die meisten Bauern waren adeligen oder klerikalen Grundherren erbuntertänig und denen zu Abgabe- sowie Dienstleistungen verpflichtet. Und sie hatten außerdem die Hauptlast der Steuern zu tragen, während die Vertreter der Stände zum größten Teil Steuerfreiheit genossen.
Maria Theresia war sich mit Joseph darin einig, dass die Lebensbedingungen der Bevölkerung, die mehrheitlich aus Bauern bestand, verbessert werden müssten; denn das lag im Interesse des Staates, dessen Macht und Reichtum von der allgemeinen Wohlfahrt abhängig waren. Im Unterschied zu ihrem Sohn wollte sie aber nicht die Privilegien der Stände beseitigen, die sie beim Antritt ihrer Herrschaft förmlich bestätigt hatte und die ein Mitspracherecht der Stände bei der Gesetzgebung sowie Verwaltung vorsahen. Ohne diese Bestätigung hätten sich auch die ungarischen Adeligen nicht bereit erklärt, für ihren neuen „König“ im Erbfolgekrieg das Leben auf`s Spiel zu setzen.
Sie war behutsamer als ihr Sohn und wollte die Schranken der ständischen Herrschaftsordnung nicht niederreißen, sondern umgehen. Nachdem die ungarischen Stände Maria Theresia eine weitere Steuererhebung bewilligt hatten (1765), verzichtete sie fortan auf Einberufung des Reichstags und auch der Landtage von Kroatien sowie Siebenbürgen, die beide zu Ungarn gehörten. Folglich konnte sie nun – relativ ungehindert von den Ständen – Maßnahmen zur Reform des Steuerwesens, zum Schutz der Bauern vor willkürlichen Forderungen der Grundherren, zur Erschließung neuer Erwerbsquellen für die Bauern und zur Volksbildung ergreifen.
Der Ständestaat blieb weitgehend erhalten, aber die Schulbildung, auch der Bauernkinder wurde enorm ausgebaut
In dem Zusammenhang ließ sie insbesondere die „Militärgrenzen“ erweitern und insofern Gebiete an den Grenzen des Königreichs Ungarn direkt der königlichen Militärverwaltung unterordnen. Dort wurden die Bauern aus der Abhängigkeit von Grundherren befreit und ihnen von der Militärverwaltung in Aussicht gestellt, andere Tätigkeiten wie etwa im Dienst des Militärs auszuüben. Doch diese Bauernbefreiung erfolgte nicht ohne Zwang. So wurde beispielsweise Bauern eines Dorfes in Siebenbürgen befohlen, ihre Höfe Grenzsoldaten zu überlassen, wenn sie nicht selber beim Militär dienen wollten. Da die Äcker und Wiesen, die sie anderenorts bekamen, kaum nutzbar waren, wandten sie sich verzweifelt an
Maria Theresia, die „Allergnädigste Kayserin Königin etc. etc. Großfürstin von Siebenbürgen!“
Mit dieser Anrede beginnt der Brief, in dem es weiter heißt:
„Der Jammerzustand in welchem wir uns seit anderthalb Jahren vergraben finden, dringet uns, zu den geheiligten Füßen Ewg. Kayl. Königl. Apostol. Mayst. unser Anliegen auszuschütten in dem kundlichen Vertrauen, daß wir von demjenigen Allerhöchsten und Gnadenvollsten Thron, von welchem so viele andere Unglücklichen dankend und segnend hinweggegangen, auch unsererseits einen tröstlichen Anspruch zu gewärtigen haben werden.“
Wie sie Ihre kaiserlich-königlichen Majestät wissen ließen, wollten sie gerne zu ihren alten Höfen zurückkehren und dort die
„Äcker und Wiesen wieder zu unserer und des Viehes Erhaltung nutzen und anbauen… Wir werden dadurch in Stand gesetzet werden, noch fernerhin eifrige Contribuenten von Ew. Mayst. abzugeben und so viel an uns ist, durch Unterhaltung des Fuhrwesens zum Behuf des Comercium beyzutragen…“
Sie forderten also nicht ein Recht auf Heimkehr ein, sondern baten um eine Gunst und wollten das ihrer Herrscherin damit lohnen, dass sie dann höhere Steuern bezahlen und besser zur ökonomischen Erschließung der Grenzregion beitragen könnten.
Dieser Brief wurde vermutlich von einem Pfarrer oder Lehrer geschrieben, da die allermeisten Bauern damals noch Analphabeten waren. Das sollte sich allerdings ändern; denn zu den herausragenden Leistungen der theresianischen Reformtätigkeit gehörte der Ausbau der Schulbildung (seit 1774). Dadurch sollten alle Kinder die Möglichkeit zum Besuch von Elementar- sowie weiterführenden Schulen und darüber hinaus zum sozialen Aufstieg erhalten, soweit sie als Bauernkinder aus der Erbuntertänigkeit und damit auch von der Schollenbindung befreit waren. Der gesellschaftliche und politische Aufbau des Ständestaates blieb freilich unter Maria Theresia im Großen und Ganzen erhalten.
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Zum Autor: Herwig Schafberg ist Historiker, war im Laufe seines beruflichen Werdegangs sowohl in der Balkanforschung als auch im Archiv- und Museumswesen des Landes Berlin tätig. Seit dem Eintritt in den Ruhestand arbeitet er als freier Autor und ist besonders an historischen sowie politischen Themen interessiert. Zuletzt erschien von ihm sein Buch Weltreise auf den Spuren von Entdeckern, Einwanderern und Eroberern.
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