AfD-Parteitag: Meuthen attackiert eigene Partei und Gauland scharf

Von Jürgen Fritz, Sa. 28. Nov 2020, Titelbild: phoenix-Screenshot

Diese Rede wird in Erinnerung bleiben. Sie stellt eine weitere Zäsur in der Entwicklung der Partei dar. Der erste Bundesvorsitzende der AfD Jörg Meuthen attackierte die eigene Partei scharf, insbesondere den Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland und die Bundestagsfraktion sowie den Höcke-Flügel, nahm dabei kein Blatt vor den Mund. Vieles, das wurde heute überdeutlich, weist in Richtung Spaltung der AfD in zwei Parteien.

Die AfD ist „gefährdet wie noch nie“, ist an dem Punkt, „an dem alles kaputt gehen kann“

Eigentlich habe er ja vor allem zu dem wichtigen Schwerpunktthema des Parteitages in Kalkar, der Sozialpolitik sprechen wollen. Aber es gebe – leider! – noch Wichtigeres, was er ansprechen müsse. Zunächst betonte Meuthen kurz, dass er den Leitantrag zur Sozialpolitik mittrage. Dann aber, nach nur vier Minuten seiner 24-minütigen Ansprache wechselte der erste Bundessprecher der Partei das Thema und aus der Grundsatzrede sollte eine Brandrede werden.

„Liebe Freund, seien wir bitte ehrlich miteinander“, begann er diesen neuen Abschnitt, „und legen auch darin den Mut zur Wahrheit an den Tag.“ Nach nun sieben Jahren sei die AfD „gefährdet wie noch nie“. Die Partei sei nun an einem Punkt, „an dem alles kaputt gehenkönne. Und das liege nicht an den politischen Gegnern. In der jetzigen Phase müsste die AfD eigentlich punkten, stattdessen drohe aber eher das Gegenteil. Somit stelle sich die Frage, warum es schon länger nicht mehr aufwärts gehe. (Die AfD fiel in den letzten gut zwei Jahren von 17 bis 18 auf jetzt 9 bis 10 Prozent). Wenn die AfD auf die Erfolgsspur zurückkomme wolle, müsse man die Frage, warum es nicht mehr voran gehe, ehrlich beantworten.

Echte Einheit besteht in einer „hinlänglichen Summe an inhaltlichen Gemeinsamkeiten als elementare Grundvoraussetzung“

Einige in der Partei würden es sich zu einfach machen. Die fehlende Einheit und Geschlossenheit sei angeblich schuld (eine Phrase, die seit Jahren von den „Sozialpatrioten“, den Rechtsradikalen und Rechtsextremisten in der Partei um Höcke herum kolportiert wird). Es müssten nur alle zusammen stehen, dann wäre „schwupps das Problem gelöst“. So einfach sei es aber nicht, stellt Meuthen klar und fragt: „Einheit in was denn?“

Eine echte, nicht nur gespielte Einheit bestehe immer in „hinlänglichen Summe an inhaltlichen Gemeinsamkeiten als elementare Grundvoraussetzung“. Hierauf applaudierten etliche Delegierte, doch deutlich weniger als die Hälfte der Anwesenden. Inhaltliche Gemeinsamkeiten bestünden aber nicht nur darin, die Positionen der anderen Parteien für falsch zu halten (Ruf der AfD als reine Negativpartei). Man müsse dem schon etwas Positives entgegensetzen als echte Alternative, so Meuthen weiter. Und da reiche es eben nicht, sich gegenseitig zu versichern, man sei doch konservativ, denn das könne vieles heißen.

Scharfe Attacke auf rückwärtsgewandten Gauland

Und dann erfolge eine scharfe Attacke auf den Ehrenvorsitzenden Gauland: „Einige in unseren Reihen scheinen darunter ein Zurück ins Gestern zu verstehen, fühlen sich bei Bismarck zuhause und verehren geradezu schwärmerisch diese historische Figur.“ (Gauland, dem ohnehin öfters vorgeworfen wird, er wolle zurück in die 1950er, gilt als großer Verehrer des Eisernen Kanzlers und lässt kaum eine Gelegenheit aus, auf diesen zu rekurrieren.) „Die propagieren dann sozialpolitisch so eine Art ‚Bismarck 21‘ als Lösung der heutigen wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme des Landes“, so Meuthen wörtlich.

Das aber sei „romantisch“ und: „es ist vor allem etwas zukunftsblind. Auch mit diesem Vorwurf sieht die AfD sich seit Jahren sicherlich nicht ganz zu Unrecht konfrontiert, dass sie nicht auf der Höhe der Zeit, sondern zumindest in manchen Bereichen rückwärts- statt vorwärtsgewandt ist.

Mit den Rezepten von vorgestern seien die politischen Lösungen von morgen aber nicht zu gestalten, konstatiert Jörg Meuten, „schon gar nicht angesichts einer der ungeheuren Dynamik einer sich in atemberaubender Geschwindigkeit digitalisierenden Lebens- und Arbeitswelt.“ Die AfD sei keine rückwärtsgewandte Partei.

An dieser Stelle applaudierte etwa knapp die Hälfte der anwesenden Delegierten, Einzelne riefen „Bravo“. Die andere Hälfte wirkte dagegen konsterniert. „Das Gestern ist vergangen und wird nicht wiederkommen“, setzte Meuthen nach, der zuvor genau in die Reihen geschaut hatte, wie seine scharfen Attacken von den Zuhörern aufgenommen wurden. Es gehe um die Zukunftsgestaltung des „Morgen für unsere Kinder und Enkel“.

„Der moderne Konservative ist niemals reaktionär“

Und dann setzte der Liberal-Konservative die nächste Spitze gegen die Rechtsradikalen und -Extremisten in der Partei: „Der moderne Konservative ist deswegen niemals reaktionär“. Er müsse vielmehr „ein als gut und richtig erkanntes Wertesystem, wichtige und elementare gesellschaftliche Tugenden, wie Fleiß, Eigenverantwortung, Ehrlichkeit, Anstand, Respekt und auch Demut auf das unvermeidlich Neue zu übertragen“.

Nach dieser grandiosen Passage gab es vereinzelt Applaus, aber wirklich nur sehr vereinzelt, was wohl zeigt, wie wenig moderne Konservative tatsächlich nur noch in dieser Partei sind, die längst und immer mehr von Rechtsaußen übernommen wurde.

Meuthen wirft Höcke „pseudomoralische Erpressung vor“

Auch die AfD selbst sei ein Spiegelbild einer sich wandelnden Gesellschaft und da beginne es jetzt „schmerzhaft zu werden“. Die folgenden Dinge müssten aber zwingend angesprochen werden. Denn gelebte Einheit verlange nicht nur eine hinreichend hohe Gemeinsamkeit an inhaltlicher Übereinstimmung, sondern auch an sozialen Verhaltensweisen und kompatiblem Sprachgebrauch.

Auch hier gab es wieder Applaus und wieder nur von ca. einem Drittel bis knapp der Hälfte der AfD-Delegierten. Sei das nicht vorhanden, dann werden die Forderung nach Einheit und Zusammenhalt zur leeren Worthülse – eine klare Attacke gegen den thüringischen Landeschef der AfD Björn Höcke, der seit Jahren ständig die Einheit der Partei beschwört und damit vor allem alle, die nicht auf seiner Linie sind, mundtot machen möchte (Führerprinzip als ein signifikantes Merkmal des Rechtsextremismus).

Das sieht Meuthen offensichtlich ähnlich respektive hat diesen billigen Trick natürlich auch durchschaut und setzt die nächste Spitze: „Oder schlimmer noch: geradezu zu einer pseudomoralischen Erpressung. Wer sich zuerst in Wort oder Tat tüchtig daneben benehme, um dann aber sogleich die Solidarität der ganzen Partei einzufordern, der versuche, Parteimitglieder in eine Kollektivhaftung für das eigene Fehlverhalten zu nehmen. – Wie gehabt kräftiger Applaus bei einem Drittel bis knapp der Hälfte der Zuhörer.

Meuthen kritisiert das „Rumprollen“ in seiner Partei und Ausdrücke wie „Corona-Diktatur“

Und Meuthen wurde immer noch deutlicher: „Lassen wir ruhig die im Regen stehen, die nur allzu gerne rumkrakeln und rumprollen oder andere dazu einladen, wie wir das vergangene Woche leider im Bundestag erleben mussten, weil sie sich in der Rolle in der Rolle des Provokateurs gefallen, wie pubertierende Schuljungen, um vor allem der eigenen überschaubaren Blase zeigen zu wollen, was für tolle Kerle sie doch sind“. Wegen solcher Vorkommnisse „wählen uns Scharen von Menschen nicht mehr, die uns bisher gewählt haben“, die „fast schon verzweifelt nach einer guten Alternative zu den Altparteien suchen, die sie nur zu gerne in uns sehen möchten. Wir werden nicht mehr Erfolg erzielen, indem wir immer aggressiver, immer derber, immer enthemmter auftreten. So geht das nicht.“

Meuthen mahnt mehr innerparteiliche Disziplin und eine „der Sache gerecht werdende Wortwahl“ an. „Nehmen wir exemplarisch die COVID-19-Krise … ist es wirklich klug, von einer ‚Corona-Diktatur‘ zu sprechen? Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag heute wohl auch kaum so abhalten.“ Wer behaupte, es sei anders, der stelle im Grunde die Systemfrage und bringe die AfD ohne jede Not in ein Fahrwasser, „das uns massiv existenziell gefährdet“ und die darin liegende Maßlosigkeit „bei vielen Menschen nur Kopfschütteln“ auslöse.

Warnung vor der Querdenker-Bewegung und einem völlig geschichtsvergessenen Schwadronieren von „Ermächtigungsgesetz“

Und weiter fragt Meuthen, ob es wirklich klug sei, „sich ohne jede kritische Distanz mit der Querdenken-Bewegung kritiklos gemein“ zu machen. Neben ganz normalen besorgten Menschen engagierten sich dort auch „nicht ganz wenige Zeitgenossen, deren skurrile, zum Teil auch offen systemfeindliche Positionen und Ansichten den Verdacht nahelegen, dass bei ihnen tragischerweise noch nicht einmal das Geradeausdenken richtig funktioniert, geschweige denn echtes Querdenken“. Diese Worte lösten bei einzelnen AfD-Delegierten Buhrufe aus.

Aber Meuthen machte weiter und kritisierte, dass AfD-Politiker mit dem Ausdruck  „Ermächtigungsgesetz“ in Verbindung mit dem Infektionsschutzgesetz zu hantieren und „damit doch ganz bewusst Assoziationen an die NS-Zeit und Hitlers Machtergreifung von 1933 zu wecken“.  „Sollten sich solche impliziten Vergleiche angesichts der allgemein bekannten Monstrosität und in dieser Dimension auch Singularität der Nazi-Barbarei nicht eigentlich von selbst verbieten, weil darin nämlich eine implizite Verharmlosung der grauenhaften Untaten jener finsteren Zeit liegt?“, fragte er.

Entweder wir kriegen sehr bald die Kurve oder wir werden scheitern

Das könne und dürfe so nicht weitergehen. „Entweder wir kriegen hier die Kurve … „und zwar entschlossen und sehr bald, oder wir werden als Partei in keineswegs ferner Zukunft in ganz, ganz schwere See geraten und scheitern. Die wäre ein „Scheitern, auf das unsere Gegner sehnlichst warten“ das die AfD nicht durch ihre eigene Unzulänglichkeit frei Haus liefern dürfe. Hier die Reaktionen in der Führungsriege: Nur zwei von acht klatschen.

Meuthen mahnt einen vernünftige, einen bürgerlichen, einen konservativ-freiheitlichen geprägten alternativen Politikentwurf ein. „Wer denn, wenn nicht wir“, so der erste Bundesvorstizende der AfD. Stattdessen verhielten sich „einige wenige unreife und dieser Verantwortung nicht gewachsene Mitglieder bis hin zu Mandats- und Amtsträgern wie trotzige Pubertierende mit Lust an billiger, zuweilen regelrecht flegelhafter Provokation, in der sie sich auch noch geradezu selbstverliebt gefallen.“

Unwürdiges Kindergartengehabe, das uns ungemein schadet

Meuthen schilderte das Beispiel eines bayerischen Bundestagsabgeordneten, der es bei einer Demonstration „geradezu gezielt“ darauf angelegt habe, in eine Rempelei mit der Polizei zu geraten, um dann in „theatralischer Entrüstung“ sich als Opfer inszenieren zu können. So etwas sei Kindergarten, das ist unwürdig, und das schadet uns ungemein“, sagte der Parteivorsitzende. Solche Aktionen machten ihn zornig, den sie rissen „ganz entspannt mit dem Allerwertesten wieder ein“, wofür sich Tausende anderer Parteimitglieder Tag für in der Partei und ihre Ziele einsetzten.

Die AfD müsse eine „seriöse politische Alternative“ in den Parlamenten sein. Sie dürfe sich die Arbeit dort nicht „von denen kaputtmachen lassen, die eher von Systemwechsel und außerparlamentarischer Opposition schwärmen. Das ist nicht AfD. Das sind nicht wir“. Die AfD brauche daher ganz schnell „eiserner Disziplin“ und Professionalisierung. „Wer gerne weiter Revolution oder Politkasperle spielen will, kann und sollte das woanders tun, aber bitte nicht in der AfD!“

Die AfD am Scheideweg

Die Kernfrage sei: Was wollen wir? Kapitulieren wir vor dem oft übermächtig erscheinenden links-rot-grün-sozialistischen Zeitgeist oder halten wir wirklich entschlossen dagegen?“ Das aber gehe nicht mit einem „Zirkus Kunterbunt“, sondern nur „mit einer klar strukturieren und disziplinierten Alternative für Deutschland“.

Und so wurde Meuthens Rede von den Delegierten im Saal aufgenommen. Weniger als die Hälfte der Delegierten stand auf und applaudierte, zum Teil auch heftig, während gut Hälfte demonstrativ sitzen blieb, viele nicht mal höflichkeitshalber ein klein wenig applaudierten, insbesondere die Mitglieder die dem mittlerweile offiziell aufgelösten „sozialpatriotischen“ respektive rechtsradikalen bis rechtsextremistischen „Flügel“ der AfD um den heimlichen Führer Björn Höcke nahe stehen.

Die Partei, das wurde heute überdeutlich, ist gespaltener als je zuvor. Im Grunde besteht sie seit Jahren mindestens aus zwei Parteien in der Partei, einer halbwegs bürgerlichen, konservativ-liberalen Meuthen-Fraktion und einer deutschnationalen, sozial-patriotischen bis rechtsextremistischen Höcke-Fraktion, die längst ein Fall für den Verfassungsschutz ist. Insofern scheint der definitive Machtkampf der beiden Lager oder aber die komplette Spaltung der Partei unvermeidlich.

Grundsatzrede des ersten Bundesvorsitzenden („Bundessprecher“) Jörg Meuthen in Bild und Tond

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