Weidel bricht phoenix-Interview mit falscher Behauptung über Alexander Kähler ab

Von Jürgen Fritz, So. 29. Nov 2020, Titelbild: phoenix-Screenshot

Gerade hatte der erste AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen seiner Partei die Leviten gelesen, wie vielleicht nie ein Vorsitzender seiner Partei zuvor, da kam Alice Weidel zum Interview bei phoenix. Als Alexander Kähler der wirtschaftsliberalen Richtung in der AfD die „sozialnationalistische“ gegenüberstellte, flippte die stellvertretende Bundessprecherin regelrecht aus und brach das Interview abrupt ab. Was steckt dahinter?

Kurz nach Meuthens Rede erscheint Weidel zum phoenix-Interview

Die Brandrede des ersten Bundesvorsitzenden (Bundessprecher) der AfD gestern Vormittag auf dem elften Parteitag der Partei in Kalkar hatte gesessen. Meuthen hatte sich nicht nur die Rechtsradikalen/-extremisten in der Partei vorgeknöpft, sondern unter anderem auch die Bundestagsfraktion, die von Gauland und Weidel geführt wird, und speziell auch den Ehrenvorsitzenden der AfD Alexander Gauland. Die Grundsatzrede stieg naturgemäß auf geteiltes Echo in der seit Jahren tief gespaltenen Partei. Das liberal-konservative Meuthen-Lager applaudierte zum Teil laut, stand am Ende auf und stimmte dem ersten Bundesvorsitzenden erkennbar zu, gut die Hälfte der Delegierten in Kalkar blieb aber sitzen, viele waren nicht einmal bereit, Meuthens Rede mit dem sonst üblichen Höflichkeitsapplaus zu goutieren.

Kurze Zeit später erschien dann die stellvertretende Bundessprecherin und Co-Fraktionsvorsitzende der AfD im Deutschen Bundestag zu Alexander Kähler von phoenix ans Mikrofon. Diese übte zunächst sehr zurückhaltend Kritik an Meuthen, dass er auf diesem Parteitag zur Sozialpolitik so wenig zu diesem Thema gesagt habe. Das müsse jeder für sich selbst bewerten.

Als Kähler den Ausdruck „sozialnationalistisch“ zitiert, flippt Weidel aus

Als Alexander Kähler dann nach neuneinhalb Minuten Weidel eine Frage stellen wollte und dabei die wirtschaftsliberale Richtung in der AfD, verkörpert durch Meuthen und andere, der „sozialpatriotischen“ oder der „sozialnationalistischen“ gegenüberstellte, unterbrach ihn Weidel sogleich und fragte bereits etwas echauffiert nach: „Bitte? Was für eine Richtung?“. Kähler sagte, dass dieser zweite Ausdruck „sozialnationalistisch“ aus einem Presseartikel sei. Zuvor hatte er bereits formuliert: „Andere sagen sozialnationalistische“.

Kähler betonte nochmals, dass er hier nur aus einem Presseartikel zitiert habe, ohne sich diesen Ausdruck zu eigen zu machen. Offensichtlich wollte er nur beide Ausdrücke ins Feld führen, zum Einen den, wie sich diese Gruppierung innerhalb der AfD gerne selbst tituliert, eben als „Sozialpatrioten“, zum anderen, wie politische Gegner und manche Journalisten es bezeichnen als „sozialnationalistisch“. Kähler sagte nicht „nationalsozialistisch“. Zum Unterschied gleich mehr.

„Eine Unverschämtheit!“ – Weidel bricht das Interview abrupt ab

Doch Weidel konnte oder wollte sich nun gar nicht mehr beruhigen, hatte Probleme, überhaupt noch einen korrekten Satz zusammenzubekommen. Sie lehne die Art der Fragestellung ab, sagte die stellvertretende Bundessprecherin der AfD. Zu fragen, ob etwas „nationalsozial“ oder „nationalsozialistisch“ sei, das sei „eine Unverschämtheit“. Beide Ausdrücke hat Kähler aber nicht ein einziges Mal verwendet.

Kähler versuchte nochmal, Weidel zu beruhigen, er habe nur aus einem Presseartikel zitiert und das deutlich gemacht, dass dieser Ausdruck nicht von ihm selbst komme, aber Weidel ließ sich nicht mehr beruhigen. Sie halte „die Art der Fragestellung“ für „unseriös“. Daraufhin brach sie das Gespräch ab und behauptete nochmals, Kähler habe „nationalsozialistisch“ gesagt. Dieser erwiderte nochmals, dass er das nicht gesagt habe, sondern „sozialnationalistisch“. Aber Weidel behauptete nun nochmals: „Doch haben Sie“ und zog von dannen, ließ Kähler stehen. Dieser war einigermaßen verdutzt und sichtlich irritiert. Damit hatte der phoenix-Journalist offensichtlich nicht gerechnet.

Kähler sagte fünfmal „sozialnationalistisch“, nicht einmal „nationalsozialistisch“

Was nun etwas verwundert, ist, dass Weidel immer wieder behauptete, Kähler hätte gesagt, das Sozialprogamm der AfD sei „nationalsozialistisch“, was dieser nachweisbar nicht ein einziges Mal sagte. Der Journalist nannte ganz im Gegenteil fünfmal den korrekten Ausdruck „sozialnationalistisch“, nicht ein einziges Mal „nationalsozialistisch“. Gleichwohl behauptete Weidel immer wieder, er habe von „nationalsozialistisch“ gesprochen. Wie ist das zu erklären?

Doch zunächst zum Unterschied zwischen den beiden Ausdrücken. „Nationalsozialistisch“ erinnert natürlich sofort direkt an die NSDAP, die Hitlerpartei „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“. Und sozialistisch ist natürlich etwas anderes als sozial. Dass die AfD überhaupt keine soziale Partei sein möchte, würde wohl kaum ein AfD-Politiker behaupten wollen. Man veranstaltete ja gerade ein Parteitag zum Sozialkonzept der AfD. Also geht es vor allem um den Ausdruck „nationalistisch“. Daran störte sich Weidel offensichtlich.

Jeder Patriot ist ein Nationalist, aber nicht jeder Nationalist ist ein Chauvinist

In der Tat vermeiden viele AfD-ler diesen Ausdruck gerne, da er seit Hitler und den „Nationalsozialisten“ oftmals sofort mit diesen assoziiert wird und daher in den Ohren vieler einen pejorativen, also einen sehr negativen Klang hat. AfD-ler bezeichnen sich daher meist lieber als „Patrioten“, daher präferieren sich auch das Wort „sozialpatriotisch“ statt „sozialnationalistisch“. Patriotismus, der sich auf das Vaterland bezieht und nicht zum Beispiel auf die Verfassung, ist aber nichts anderes als eine Form der Nationalismus, nämlich des inklusiven Nationalismus.

Der damalige deutsche Bundespräsident Johannes Rau formulierte zwar 1999: Ein Patriot sei jemand, „der sein Vaterland liebt“. Ein Nationalist dagegen sei „jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet.“ Das klingt schön und wird gerne zitiert, stimmt so aber nicht. Ein Nationalist muss nicht die Vaterländer der anderen verachten. Dies wäre vielmehr ein Chauvinist (exklusiver Nationalist).

Ein inklusiver Nationalist (Patriot) kann andere Nationen sehr wohl achten und respektieren. Nationalismus gibt es nicht nur in seiner übersteigerten Form des Chauvinismus. Das heißt, der Ausdruck „sozialnationalistisch“ zur Beschreibung der AfD, zumindest des rechten Flügels in dieser, ist sicherlich nicht falsch, die AfD-ler mögen ihn nur nicht, weil er Assoziationen weckt, die sie nicht mögen. Aber natürlich ist die AfD eine nationalistische Partei. Daran kann es gar keine Zweifel geben. Nationalistisch heißt aber eben nicht chauvinistisch. Kähler hat hier also nichts Falsches gesagt und auch nichts Falsches zitiert. Er selbst hielt sich ja mit einer eigenen Wertung zurück und sagte ausdrücklich: Sie sagen so, andere nennen es so.

Hat Weidel sich verhört oder setzte sie eine Ablenkungsstrategie ein, um ein wenig von Meuthens Brandrede wegzulenken?

Doch nun zur Frage, wieso Weidel immer wieder behaupten konnte, Kähler hätte „nationalsozialistisch“ gesagt, was er nicht getan hat, nicht einmal. Hat sie sich einfach verhört? Wurde sie durch diesen Ausdruck so sehr getriggert, dass bei ihr innerlich sofort die Wogen in die Höhe gingen, so dass sie sich und ihr Gehör nicht mehr unter Kontrolle brachte, zumal die AfD ja oftmals mit der Nazi-Keule, oft auch unfair, traktiert wird? Das könnte sein. Dies wäre eine Möglichkeit.

Eine andere Möglichkeit wäre, dass Weidel diese kleinen Eklat bewusst und gezielt, ja sogar geplant inszenierte. Dass sie schon öfters so reagierte, könnte ein Indiz für diese Interpretation sein. Aber wozu sollte sie das tun? Nun, erinnern wir uns, was kurze davor geschehen war. Jörg Meuthen, der erste Bundesvorsitzende der AfD, hatte eine wahre Brandrede gehalten, brandiger geht schon gar nicht mehr. Er hatte große Teile der eigenen Partei, unter anderem den Ehrenvorsitzenden, die Bundestagsfraktion der AfD, viele Mitglieder, vor allem natürlich den Höcke-Flügel auf heftigste attackiert. Manche AfD-ler bezeichneten ihn anschließend als „Spalter“.

Es war klar, dass diese Rede durch sämtliche Schlagzeilen sämtlicher großer und kleinerer Medien gehen würde und dass dies alles andere als ein gutes Licht auf die Partei und speziell auf Meuthens Widersacher werfen würde, zu denen wohl auch Weidel gezählt werden darf. Was könnte man nun tun, um die Wirkung dieser Rede von Meuthen in den Medien zumindest ein wenig abzuschwächen? Wäre es nicht das Effektivste, schnell noch eine andere Schlagzeile vom gleichen Ereignis zu liefern? Wenn es zwei Eklats gibt, schwächt dies die Wirkung des ersten womöglich um bis zu 50 Prozent ab. Und ist dieser Plan, so es diesen denn wirklich gab, nicht auch ein klein wenig aufgegangen?

Meuthen selbst bezeichnete den Sozialkurs des Höcke-Flügels als „sozial-nationalistisch“

Welche Interpretation stimmt, warum Weidel so ausflippte, können wir nicht sicher sagen, da keiner in sie hineinschauen kann. Möglich wäre wohl beides. Vielleicht schauen Sie sich die Szene – und wenn Sie mögen weiter unten das gesamte elfminütige Interview – einfach selbst an. Ich halte, wie gesagt, beides für möglich.

P.S.: Jörg Meuthen hatte übrigens den Kurs des Höcke-Flügels („der Thüringer“) selbst als „sozial-nationalistisch“ bezeichnet. Seine stellvertretende Bundessprecherin flippt aber medienwirksam vor laufender Kamera aus, wenn ein Journalist von phoenix diesen Ausdruck ztiert.

AfD-Parteitag: Alice Weidel bricht das Interview vorzeitig ab

Das vollständige Interview

Und hier nicht nur die letzten zwei Minuten, sondern das vollständige, elfminütige Interview:

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