Wie der Weihnachtsmythos wirklich entstand: Chanukka und Mysterienkulte

Von Herwig Schafberg, Fr. 11. Dez 2020, Titelbild: Pixabay

Alle Jahre wieder zünden Juden an den Chanukkafesttagen Kerzen an, wie es Christen traditionsgemäß an den Adventssonntagen und am Heiligen Abend tun. Wie diese Traditionen entstanden und inwieweit die Geschichte Jesu Christi von nichtchristlichen Kulten beeinflusst wurde, diese oftmals übernommen und einfach umgedeutet wurden, beleuchtet der Historiker Herwig Schafberg.

Religiöse Vieldeutigkeit im Hellenismus

Wenn sich Griechen, Römer und Barbaren vor ihren gegenseitigen Altären trafen, überredeten sie sich leicht, dass sie dieselben Gottheiten anbeteten, wenngleich unter verschiedenen Namen“, heißt es in einer deutschen Übersetzung von Edward Gibbons Buch über den Verfall und Untergang des Römischen Imperiums. Wie sich Alexander der Große und seine ptolemäischen Nachkommen (Diadochen) in Ägypten mit den Einheimischen darauf verständigt hatten, dass der griechische Zeus mit dem ägyptischen Ammon identisch wäre, fanden occidentalische und orientalische Kulte nie wieder so gut zusammen wie unter dem Einfluss des Hellenismus, der sich nach den Eroberungen Alexanders des Großen von Griechenland (Hellas) aus im Orient bis an den Nil im Süden sowie den Indus im Osten verbreitet hatte und auch noch in römischer Zeit weiter wirkte.

Doch soweit die Juden sich nicht vom Hellenismus beeinflussen ließen, mochten sie ihren Gott, der dem Ersten Gebot auf der mosaischen Gesetzestafel entsprechend keine Götter neben sich haben wollte, nicht von der Götterreihe im antiken Pantheon aus dem Zentrum ihres Kults verdrängen lassen und hielten zum Verdruss der seleukidischen Diadochen, zu deren Reich Judäa gehörte, am „Gesetz Gottes“ fest. Der Seleukidenkönig Antiochus IV. Epiphanes wollte das nicht länger dulden und versuchte, hellenistische Kulte in Judäa mit Gewalt durchzusetzen, indem er den Tempel in Jerusalem dem Zeus weihen und den Juden die Pflege ihrer religiösen Bräuche verbieten ließ. Daraufhin kam es in Judäa zu einem Aufstand, in dessen Verlauf die jüdischen Rebellen unter Führung des Judas Makkabäer die Seleukiden aus dem Land jagten (164 v.Chr.).

Jüdisches Lichterfest und christliches Adventslicht

Nach dem erfolgreichen Ende dieses Makkabäeraufstandes wurde der Tempel erneut dem Gott Israels geweiht und zum Höhepunkt der Einweihungsfeier das ewige Licht entzündet. Es gab allerdings nur eine Krugfüllung mit rituell geweihtem Öl, das normalerweise nach einem Tag aufgebraucht wäre. Aber wie durch ein Wunder reichte das Öl der Legende nach aus, um das Licht so lange brennen zu lassen, bis nach acht Tagen neues Olivenöl herbeigeschafft war. Zum Gedenken der Neueinweihung des antiken Tempels sowie dieses „Ölwunders“ feiern Juden Jahr für Jahr acht Tage lang Chanukka, ihr Lichterfest, zünden jeden Tag eine weitere Kerze auf dem Chanukkaleuchter an und beschenken ihre Kinder.

Während Juden mit dem Entzünden des Chanukkaleuchters zeigen, dass sie an ihren alten Bräuchen festhalten, und die Gläubigen unter ihnen weiter den von ihren Propheten vor langer Zeit angekündigten Messias erwarten, entzünden Christen an jedem Adventssonntag eine weitere Kerze zum Gedenken der bevorstehenden Ankunft (Adventum) Jesu Christi, der vor rund zweitausend Jahren geboren wurde und nach christlicher Auffassung als Messias (griechisch: Christos) erschien, um nicht bloß die Juden, sondern die Menschheit insgesamt zu erlösen.

Sehnsucht nach einem „Erretter“ und frühe römische „frohe Botschaften“ (Evangelien)

Unter dem Eindruck der hundertjährigen revolutionären sowie kriegerischen Erschütterungen (133-30 v.Chr.), unter denen die Bewohner des Römischen Reiches schwer zu leiden hatten, waren nicht nur Juden, sondern auch viele Menschen des griechisch-römischen Kulturkreises voller Sehnsucht nach einem Erretter – einem gottbegnadeten Friedensfürsten. Die Sibyllinischen Orakel sagten den Anbruch eines goldenen Zeitalters mit der Geburt eines göttlichen Kindes voraus, das zur Weltherrschaft vorgesehen war und eine Zeit des Friedens herbeiführen würde – und nach der Weissagung eines Orakels der Cumäischen Sibylle erwartete Virgil die Geburt dieses Kindes im Jahr 40 vor unserer Zeitrechnung.

Es dauerte dann noch ein Jahrzehnt, bis der neue Herrscher des Römischen Reiches, der in der Geschichte unter dem Namen Augustus bekannt wurde, mit dem Sieg über seinen römischen Rivalen Markus Antonius und Kleopatra, die ptolemäische Königin von Ägypten, den vielen Kriegen ein Ende setzte und von vielen als der ersehnte „Erretter“ begrüßt wurde. Griechische Städte in Anatolien beschlossen, den Tag der Geburt dieses ersten römischen Kaisers am 23. September 62 v.Chr. als Ausgangspunkt einer neuen Zeitrechnung zu betrachten, und feierten die Gesetze, mit denen er das Imperium neu ordnete, als „frohe Botschaften“ (Evangelien) – so wie später auch die Berichte über das Leben und Wirken Jesu Christi bezeichnet wurden.

Vom „Menschensohn“ zum „göttlichen Menschen“

Unter der Herrschaft des Augustus wurde im Römischen Reich eine Volkszählung durchgeführt, zu der nach biblischer Überlieferung Joseph mit Maria von Nazareth nach Bethlehem kam. Dort brachte Maria Jesus zur Welt, der später als jüdischer Wanderprediger – durchaus passend  zu den eschatologischen Erwartungen seiner Zeit – das nahe Reich Gottes verkündete. Jesus rief Gott als seinen „Vater“ an, was im Judentum nicht unüblich war, bezeichnete sich selbst jedoch als „Menschensohn“. Manche Wegbegleiter wollten in ihm den prophezeiten Messias sehen und der Apostel Paulus verklärte ihn später zum göttlichen Wesen, als er das Evangelium Jesu Christi im hellenistisch geprägten Osten des Römischen Reiches verbreitete.

Wollte man sich bestimmte Klischeevorstellungen zu eigen machen, heißt es in Joseph Ratzingers Einführung in das Christentum, dann könnte man annehmen, dass jüdische Begriffe  wie „Menschensohn“ und „Messias“ dem Hellenismus fremd waren und bei der Verbreitung des Evangeliums der „Messias“ mit „Christos“ übersetzt und der „Menschensohn“ zum „göttlichen Menschen“ erhoben wurde, um ihm eine höhere Bedeutung beimessen zu lassen. Und mit der Auferstehung schien Jesus Christos es in der Außenwirkung dem griechischen Dionysos, dem persischen Mithras und dem ägyptischen Osiris gleichgetan zu haben.

Mithraskult und Evangelium

Was der Theologe Joseph Ratzinger, aus dem später Papst Benedikt XVI. wurde, für ein Klischee hielt, das er nicht teilte, war für den Philologen Wilhelm Nestle eine historische Erfahrung. Niemals wäre hellenistischen Gottheiten „trotz ihres Erdenwandels eine menschliche Natur zugeschrieben worden“, heißt es in seinem Buch über die Krisis des Christentums und weiter:

Um so mehr haben diese hellenistischen Mysterienreligionen auf die Legendenbildung und den Kultus der christlichen Kirche eingewirkt. Dies gilt besonders von der persischen Mithrasreligion, die dem Christentum bis um die Mitte des 3. Jahrhunderts die stärkste Konkurrenz machte. Es ist schwerlich Zufall, dass sowohl in der Kultlegende der Mithrasreligion als auch in der Geburtsgeschichte Jesu Hirten die ersten sind, die von der Geburt des göttlichen Kindes vernehmen.“

Am Tag der Wintersonnenwende, die am 25. Dezember angenommen wurde, wurde der Geburtstag des Mithras gefeiert, weil der nach den Vorstellungen seiner Anhänger die Sonne verkörperte – und dazu wurde ein Baum geschmückt. Um den populären Mithraskult zu verdrängen, verlegte die Kirche im 3. Jahrhundert das bis dahin am 6. Januar gefeierte Weihnachtsfest der Geburt Christi auf genau diesen Dezembertag, an dem es auch für viele Christen Brauch war und ist, einen Baum zu schmücken.

Der 6. Januar hingegen wurde fortan als der Tag gefeiert, an dem nach biblischer Überlieferung die „Weisen aus dem Morgenland“ in Bethlehem ankamen, um den neugeborenen „Erlöser“, den „König der Juden“ aufzusuchen. Weitverbreiteten Erwartungen entsprechend sollte ein Stern auf die Ankunft des „Erlösers“ hinweisen. Und einem Stern waren die „Weisen“ gefolgt, wie im Matthäus-Evangelium (2.2) zu lesen ist:

Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.“

Matthäus bezeichnete sie als „Magier“. Das lässt vermuten, dass es Mithraspriester waren, die mit ihrer Tracht auch als solche auf der ältesten erhaltenen Bilddarstellung zu erkennen sind.

Mithras ist nach den Vorstellungen seiner Anhänger „Mittler“ zwischen Gott und Menschen. Er stellt gemeinsam mit Kautes und Kautapates dreigestaltig oder dreieinig (!) die aufgehende, die himmelhoch leuchtende sowie die untergehende Sonne dar und kehrt nach der Beendigung seiner irdischen Laufbahn – von Helios in dessen Wagen hinauf gefahren – ins himmlische Jenseits zurück. Dort geleitet er die Seelen der Gläubigen durch die sieben Planetentore in den Himmel, zu dem der persische Gott Zervan Akarana den Schlüssel hat.

Es erhebt sich daher der Verdacht, ob nicht in der längst als späterer kirchlicher Einschub erkannten Stelle des Matthäusevangeliums, an der Jesus dem Petrus die ‚Schlüssel des Himmelreichs‘ verheißt, eher diese Vorstellung der Mithrasreligion als ‚Schlüssel Davids‘ zugrunde liegt und ob nicht der Felsenmann Petrus hier an die Stelle des Felsengottes Mithras getreten ist“,

heißt es bei Nestle weiter. Der Legende nach hatte Jesus seinen Jünger Petrus für einen „Fels“ gehalten, auf dem er seine Kirche bauen wollte.

Isis- sowie Marienverehrung

In den Isismysterien tritt der Charakter der hellenistischen Mysterienreligionen als Erlösungsreligionen fast noch deutlicher hervor als in den Mithrasmysterien“, ist bei Nestle ferner zu lesen. Isis ist eine ägyptische Göttin – die Mutter des Horus und Schwester sowie Gattin des Osiris, den sie nach dessen gewaltsamen Tod wieder zum Leben erweckte. Im Zeitalter des Hellenismus wurde sie als Verkörperung der Natur erklärt wie auch als Königin des Himmels und des Totenreichs verklärt. Allein ihrer Gnade oblag die Auswahl der Menschen, die durch die Sakramente der Mysterien in die Gemeinschaft der Gottheit aufgenommen würden.

Wahrten die Anhänger des Mithras – im Römischen Reich vorwiegend Legionäre – eine aufrechte Haltung beim Gebet, gehörte die demütige Beugung des sündhaften und erlösungsbedürftigen Menschen unter die Gnade der Gottheit zu den Tugenden des Isiskults ebenso wie der christlichen Religion. Die Huldigungen der Gläubigen für einen Gott sind „von der Art, wie sie Untertanen einem König darbringen“, lästerte der seinerzeit wegen seiner atheistischen Ansichten von der britischen Gesellschaft geächtete Percy Bysshe Shelley in seinen Anmerkungen zu ´Queen Mab`. Gläubige Christen – nach Beginn der Missionierung außerhalb Judäas vor allem Frauen und Sklaven – „erkennen dankbar seine Güte an, suchen durch Bitten seinen Zorn abzuwenden und erflehen demütig seine Gunst.“

Es wäre merkwürdig, wenn eine geistig so nahe verwandte Religion nicht auch einen Beitrag zum Aufbau der christlichen Kirche geliefert hätte,“ meinte Nestle. Seiner Ansicht nach lebt Isis, die ägyptische „Himmelskönigin“, „himmlische Jungfrau“ und Mutter des göttlichen Horus, in der Vorstellung von Christen fort in der Madonna – der heiligen Jungfrau Maria und Mutter des Gottessohnes Jesus. In der Kunst wurde das Bild der Mutter Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm dem der Isis mit dem Horusknaben nachgebildet „und der blaue sternbesäte Mantel der Maria ist der Ornat der ägyptischen Himmelskönigin.“

Satanisches und Christliches

In den Überlieferungen und Ritualen, zu denen auch die Sakramente der Taufe sowie des Abendmahls gehörten, gab es so viele auffällige Ähnlichkeiten zwischen den hellenistischen  Mysterienreligionen und dem Christentum, dass viele Christen sie sich nicht anders denn als satanische Nachahmung ihrer Bräuche durch die „Heiden“ erklären konnten. Doch es waren wohl eher die christlichen Kirchen, die Rituale von „Heiden“ übernommen und deren Götterglauben neu gedeutet hatten.

Über das Reich Satans herrschten verschiedene Ansichten in den verschiedenen Ländern, und im germanischen Norden hatte man eine ganz andere Vorstellung davon wie im romanischen Süden. Dieses entstand dadurch, dass die christliche Priesterschaft die vorgefundenen Nationalgötter nicht als leere Hirngespinste verwarf, sondern ihnen eine wirkliche Existenz einräumte, aber dabei behauptete, alle diese Götter seien lauter Teufel und Teufelinnen gewesen, die durch den Sieg Christi ihre Macht über die Menschen verloren und sie jetzt durch Lust und List zur Sünde verlocken wollen. Der ganze Olymp wurde nun eine lustige Hölle, und wenn ein Dichter des Mittelalters die griechischen Göttergeschichten noch so schön besang, so sah der fromme Christ darin doch nur Spuk und Teufel“,

spottete Heinrich Heine in seiner Geschichte der Religion und Philosophie.

Und worauf lief die Entwicklung vom Glauben Christi zum christlichen Glauben hinaus?

Durch die Vermischung religiöser Ideen aus dem Judentum und anderer Kulte zu einem neuen System „erweist sich denn die christliche Kirche als ein Produkt des religiösen Synkretismus der Spätantike, als ein Gebilde, in dem das genuin Christliche, besonders die in dem Evangelium Jesu enthaltene Ethik, verschüttet durch Dogmen und Kultgebräuche“, gab Nestle zu bedenken,beinahe verschwand.

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Zum Autor: Herwig Schafberg ist Historiker, war im Laufe seines beruflichen Werdegangs sowohl in der Balkanforschung als auch im Archiv- und Museumswesen des Landes Berlin tätig. Seit dem Eintritt in den Ruhestand arbeitet er als freier Autor und ist besonders an historischen sowie politischen Themen interessiert. Zuletzt erschien von ihm sein Buch Weltreise auf den Spuren von Entdeckern, Einwanderern und Eroberern.

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