Ach wie gut, dass es Sündenböcke gibt!

Von Jürgen Fritz, Do. 11. Nov 2021, Titelbild: William Holman Hunt – The Scapegoat, [Public domain], via Wikimedia Commons

Am Jom Kippur, dem Tag der Sündenvergebung im Judentum, machte der Hohepriester die Sünden des Volkes Israel bekannt und übertrug sie durch Handauflegen symbolisch auf einen Ziegenbock. Zwei männliche Ziegen wurden ausgesucht und das Los entschied, welche „für den Herrn“ und welche „für Asasel“ (den teuflischen Wüstendämon) sein sollte. Sodann wurde der Bock, auf den das Los …

Der Sündenbock

 „für den Herrn“ gefallen war, als Sündopfer dargebracht. Bei dem anderen Bock („für Asasel“) legte der Hohepriester beide Hände auf den Kopf des Tieres auf und die Israeliten bekannten all ihre Sünden, alle ihre Frevel und alle ihre Fehler. Nachdem all die Schuld so auf den Kopf der Ziege geladen war, die Menschen sich gleichsam so von ihrer eigenen Schuld, ihrem Versagen und dem Bösen in sich selbst befreit beziehungsweise gereinigt hatten, wurde der Bock in die Wüste hinausgetrieben, sollte so alle ihre Sünden mit sich fort in die Einöde tragen. Dann verspeiste man zusammen den anderen, den „für den Herrn“ getöteten Ziegenbock in einem Fest. Und machte weiter wie bisher, nun aber seelisch befreit – bis zum nächsten Jahr.

Ähnliche Rituale sind aus Mesopotamien und Anatolien bekannt.

Dreitausend Jahre weiter

Dreitausend Jahre weiter? Noch immer so viel Mittelalter und Archaisches in den Köpfen. Noch immer so wenig Denken in strukturellen Zusammenhängen. Noch immer so viel Projektion in möglichst eine Person hinein, die man zum Objekt seines ganzen Frustes (oder seiner ganzen Dankbarkeit) zu machen sich sehnt, um so alles Böse (oder alles Gute) in einem Punkte sammeln zu können und zu meinen, seiner so habhaft zu werden, da strukturelle Zusammenhänge nicht greifbar sind. Noch immer so wenig Gehirne, die in der Neuzeit angekommen sind.

Und nun dreht sich die Richtung sogar wieder. Zurück ins Archaische, Brüder!

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