Das Endziel der Neuen Linken: die Erste Welt soll untergehen

Von Jürgen Fritz, Mi. 29. Aug. 2018, Titelbild: YouTube-Screenshot

Die Linke war seit dem 18. Jahrhundert traditionell universalistisch ausgerichtet, auf Freiheit, Gleichheit, Emanzipation und Gerechtigkeit für alle Menschen. In diesem Sinne bin ich ein Alt-Linker (kein Marxist). Doch diese Orientierung endete allmählich nach dem Ersten Weltkrieg, der Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts, und dann endgültig nach dem Zweiten. Nach diesen beiden fürchterlichen Kriegen, die ganz Europa und die ganze westliche Welt tief traumatisierten, hatten die Weißen das Zutrauen in sich selbst verloren, das Zutrauen und die Selbstliebe. Was nutzt die ganze Zivilisation, der Humanismus, die Aufklärung, all das, wenn es diese zwei schrecklichen Kriege und den Holocaust nicht verhindern konnte, fragten sich die Europäer, vor allem die sensibleren unter ihnen, und suchten von da an Erlösung von sich selbst.

Der Schwenk der Neuen Linken zum Antiimperialismus

Diese Erlösung glaubte die Neue Linke dann schließlich im Antikolonialismus zu finden. Freiheit, Gerechtigkeit, Emanzipation wurden nun zurückgestellt, auch der Feminismus (der ersten und zweiten Welle). „Antiimperialismus“ war nun das neue Zauberwort. Dieser besteht aus einer emotionalisierten „Solidarität“ mit den Unterdrückten, den Elenden dieser Welt, welche nun als das privilegierte Subjekt auf ein Podest gehoben wurden, dem jedes Recht zugestanden wurde, seine Kultur, egal wie schrecklich diese sein mochte, zu verteidigen und zu pflegen. Selbst wenn hier Männer ihre Frauen brutalst unterdrückten, kleine Mädchen von ihren eigenen Müttern an ihren Geschlechtsorganen verstümmelt wurden, Stämme sich so brutal gegenseitig massakrierten, wie wir uns das kaum vorzustellen vermögen, Menschen über Jahrhunderte und Jahrtausende versklavt wurden, all das spielte bei der Beurteilung keine Rolle mehr.

Wer unten war, die Dritte Welt, war jetzt a priori der Gute, wer oben war, die Erste Welt,  automatisch der Böse, einfach weil es ihm besser ging als denen unten und weil dies als eine Art Grundungerechtigkeit angesehen wurde. Die wahren Gründe, warum es diese Unterschiede gab, spielten dabei keine Rolle. Das christliche Menschen- und Weltbild dürfte hier stark mit hineinspielen, insbesondere die Jesus-Figur, deren Interessen ebenfalls ausschließlich denen galt, die in der gesellschaftlichen Hierarchie unten waren, die Figur, die historische und ökonomische Fakten und Zusammenhänge, politische und moralphilosophische Überlegungen überhaupt nicht interessierte, die vielmehr ganz aus dem Gefühl des Mitleids heraus eine völlig eindimensionale Lehre predigte, was die stark vom Christentum geprägte westliche Welt nachhaltig beeinflusste, eine Figur, die übrigens das nahe Ende der Welt verkündete, also auch von der Zerstörung dieser Welt träumte, damit eine bessere anbrechen könne.

Das neue Revolutionssubjekt: der Wilde der Dritten Welt

Im August 1952 erfand der französische Demograf Alfred Sauvy den Begriff der „Dritten Welt“ – eine geniale Erfindung, die auf die berühmte Revolutionsschrift des Abbé Sièyès „Qu‘ est-ce que le Tiers Etat?“ (Was ist der Dritte Stand?) anspielte. Ganz viele dieser Gedanken kommen übrigens aus Frankreich, von französischen Intellektuellen, die eine Schlüsselrolle spielen. So parallelisierte Sauvy den Dritten Stand von 1789, damals die weitgehend rechtlosen Bürger in Opposition zu König, Klerus und Adel, die in vielfacher Hinsicht privilegiert waren, mit den armen, „unterdrückten“ Ländern dieser Erde. Damit hatte die Neue Linke ihr neues Revolutionssubjekt, nachdem der europäische Proletarier seine Funktion nicht so richtig erfüllt hatte, die Ordnung gar nicht komplett umstürzen und alles zerstören, sondern nur ein Teil von ihr werden wollte.

Auch beim neuen Revolutionssubjekt schaute man nicht so genau hin, was dieses eigentlich selbst will. Dieses dient erneut im Grunde nur als Projektionsfläche für die eigenen Phantasien einer idealen Welt und die damit einhergehenden Zerstörungswünsche. So wurde nun „der Wilde“ idealisiert und romantisiert. Hier konnten wohl auch Gedanken von Rousseau und Karl May, der nie einen Wilden kennen lernte, sondern immer nur in Gedanken reiste, aufgenommen werden. Dem Wilden, dem Ausgebeuteten dieser Welt galt von nun alle Sympathie und wenn er heute eine Frau sexuell missbraucht, zumal eine weiße, dann kann man ihm das nicht wirklich vorwerfen, denn der Unterdrückte dieser Welt steht ja ganz oben auf dem Podest, noch über der unterdrückten weißen Frau, die zwar auch eine Unterdrückte ist des weißen Mannes, der es aber ja viel weniger schlecht geht und deren Interessen daher zurückstehen müssen. „Die Letzten werden die Ersten sein.“ (Mt. 20,1,16)

Die Erste Welt muss aufhören zu existieren

Alle ursprünglichen Ziele der traditionellen Linken wurden so aber mehr und mehr aufgegeben, ja mit Füßen getreten: Emanzipation, Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit. Die neue „Gerechtigkeit“ besteht nun darin, dass der Ersten Welt genommen werden muss und der Dritten Welt gegeben. Und wehe die Bürger der Ersten Welt wehren sich dagegen! Sie haben keinen Anspruch mehr auf Emanzipation, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit, denn ihre Vorfahren, so die Vorstellung der Neuen Linken, hätten so schwere Schuld auf sich geladen – was übrigens so absolut gesehen gar nicht stimmt, das Ganze ist eine ideologische Konstruktion, die der historischen Analyse gar nicht standhält -, dass sie nun dafür büßen müssen, um das tiefe Unrecht der Vergangenheit auszugleichen und zu sühnen.

Auch hier wirken also wieder religiöse oder metaphysische Motive mit hinein, von denen wir alle mehr oder weniger geprägt sind. Der erste schriftlich gefasste und überlieferte Satz der griechischen Philosophie ist der Satz des Anaximander von Milet, (610 – 547 v. Chr.):

„Woraus aber für das Seiende das Entstehen ist, dahinein erfolgt auch ihr Vergehen gemäß der Notwendigkeit; denn sie schaffen einander Ausgleich und zahlen Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der Ordnung der Zeit.

Bei dieser Bußzahlung der Neuen Linken nun ist alles erlaubt und das Endziel lautet: Nachdem die Zweite Welt, der Ostblock, bereits verschwunden ist, muss nun auch die Erste Welt aufhören zu existieren, genau wie die Dritte Welt. Es darf nur noch eine Welt geben (One World-Vision). Die schlaue Hannah Arendt bemerkt übrigens schon ganz früh: „Die Dritte Welt ist keine Realität, sondern eine Ideologie.“ Sauvy selbst gab das viel später 1989, 37 Jahre nach seiner Erfindung, selbst zu. Aber die Gedanken waren jetzt in der Welt und breiteten sich in der westlichen Hemisphäre überall aus, da sie als das Mittel der Erlösung empfunden wurden, um sich von dem Trauma der „Ausbeutung“ und der zwei Weltkriege endlich zu befreien.

Neue Bündnisse entstehen

Diese Vision der einen Welt kommt auch dem Großkapital sehr entgegen, denn eine Welt bedeutet Milliarden über Milliarden von potentiellen Käufern ihrer Produkte, Milliarden über Milliarden von potentiellen Kunden sowie eine riesiges Reservoir an möglichen (billigen) Arbeitskräften. One World bedeutet einen gigantischen Markt und enorme Flexibilität für die Unternehmen, die dann auch ihre Standorte viel leichter verschieben können, je nachdem, wo die Produktionskosten am niedrigsten sind.

Und diese Vision der einen Welt ist auch attraktiv für den Islam, der sich ja weiter ausbreiten möchte. Das ist der islamischen Lehre gleichsam in ihre DNA hinein gebrannt. Das Ziel ist auch hier: am Ende sollen alle an den einen und einzigen Gott glauben. Ähnliches gilt für das Christentum, das es in seinen Führungsetagen wohl ebenfalls begrüßen würde, wenn es passend zu dem einen Gott eine Welt gäbe, in welcher alle oder möglichst viele diesen einen Gott, den Gott Abrahams anbeten. Auf diese Weise entstanden also völlig neue Bündnisse, die – aus völlig unterschiedlichen Motiven – alle dieses gemeinsame Ziel der einen Welt präferieren.

Gemeinsames Feindbild vieler dieser Kräfte sind übrigens die USA und Israel. Warum USA und Israel? Weil diese den anderen in vielem überlegen sind: intellektuell, ökonomisch, technologisch, militärisch, in Musik und Film usw. Und was oben ist, wir erinnern uns, ist automatisch das Böse, das die anderen unterdrückt. Auch hier sind sich die meisten dieser Kräfte einig: die Neue Linken, die Muslime, übrigens auch die Neuen Rechten.

Die Neuen Linken sind quasi nur konsequenter und gehen noch einen Schritt weiter, verdammen auch noch Europa, mithin sich selbst. Das Grundprinzip ist aber bei beiden das gleiche: der Kampf gegen „die da oben“. So kann der Neue Linke also auch noch den letzten Schritt gehen und mit Sartre sagen:

Denn in der ersten Phase des Aufstands muss getötet werden. Einen Europäer erschlagen, heißt zwei Fliegen auf einmal treffen, nämlich gleichzeitig einen Unterdrücker und einen Unterdrückten aus der Welt schaffen. Was übrig bleibt, ist ein toter Mensch und ein freier Mensch.“ (Aus dem Vorwort von Jean Paul Sartre zu Frantz Fanon: Die Verdammten dieser Erde, 1961)

Keine Gleichbehandlung mehr der einzelnen Menschen, sondern Gleichheit als Ziel in der Zukunft

Der Gedanke der Gleichheit wird dabei gleichsam in die Zukunft, in das Endziel hineinprojiziert. Und um dieses Ziel zu erreichen, müssen jetzt Opfer gebracht werden, so dass jetzt keine Gleichheit mehr vor dem Gesetz gilt, die Menschen nicht mehr gleich behandelt werden und auch nicht mehr die gleichen Rechte haben.

Die einen, „die Unterdrückten dieser Welt“, dürfen zum Beispiel alles kritisieren, wie sie wollen, egal in welcher Heftigkeit, auch sachlich völlig falsch und unbegründet, sie dürfen völlig haltlos beleidigen und diffamieren, die anderen, „die Unterdrücker“, dürfen jene aber in ihrer Essenz nicht kritisieren, auch nicht sachlich und faktenbasiert. Die Privilegierten müssen vielmehr schlechter behandelt werden, die Unterdrückten so gut wie es überhaupt nur geht, egal was sie tun. Und wenn sie schlimme Verbrechen begehen, dann sind primär die Umstände dafür verantwortlich und sie müssen so sachte wie möglich bestraft werden. Sie bekommen, weil ihre Vorfahren angeblich so benachteiligt wurden, eine Art Generalabsolution, während die Menschen der Ersten Welt eine Generalverdammnis erfahren. So will man eine Art metaphysische Gerechtigkeit herstellen: „…denn sie schaffen einander Ausgleich und zahlen Buße für ihre Ungerechtigkeit“ (Anaximander von Milet).

Das ist das große Bild, in dem alles, was geschieht, gesehen werden muss. Das ist gleichsam der große Sinn hinter dem ganzen Treiben der Neuen Linken. Darauf läuft alles hinaus: die Erste Welt soll, sie muss unter- und in der einen Welt aufgehen. Dahinter aber steht die Sehnsucht nach Erlösung von sich selbst.

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Literaturempfehlung: Egon Flaig, Die Niederlage der politischen Vernunft – Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen, zu Klampen 2017

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