Von Jürgen Fritz, Mo. 10. Jan 2022, Titelbild: YouTube-Screenshot
Dem Einspruch des serbischen Tennisprofis Novak Djokovic gegen seine verweigerte Einreise nach Australien ist stattgegeben worden. Richter Anthony Kelly erklärte, dass die Art und Weise der Annullierung seines Visums bei der Einreise nicht rechtens war. Die Nummer eins der Welt darf vorerst in Australien bleiben und darf sich wieder frei bewegen.
Das Ergebnis des heutigen Anhörung vor Gericht: Djokovic darf sich ab sofort wieder frei bewegen in Melbourne
Innerhalb von 30 Minuten sei Novak Djokovic wieder auf freien Fuß zu setzen und seine privaten Sachen, die ihm weggenommen wurden, seien ihm zurückzugeben, ordnete Richter Anthony Kelly an. Diese Entscheidung erfolgte allerdings aufgrund eines Formfehlers. Djokovic war zu früh in Gewahrsam genommen worden. Rechtlich habe er noch knapp eine Stunde Zeit gehabt, auf die Annullierung seines Visums zu reagieren. Die Art und Weise der verweigerten Einreise an der Grenze sei somit nicht rechtens gewesen. Das war das Ergebnis der Anhörung, die in Melbourne kurz nach 10 Uhr Ortszeit (00 Uhr MEZ) begann und sich bis in die Abendstunden hineinzog.
Djokovic kam nach einem 25 Stunden-Flug am 5. Januar kurz vor Mitternacht Ortszeit (MEZ+10h) in Melbourne an, wurde dann die ganze Nacht am Flughafen festgehalten, stundenlang verhört, hatte kaum mehr als eine halbe Stunde, um sich mal kurz hinzulegen. Er sei dann am 6. Januar um 05.20 Uhr informiert worden, er habe bis 8.30 Uhr Zeit, sich zur Aufhebung des Visums zu äußern. Er sei aber bereits um 06.14 Uhr erneut befragt worden und die Entscheidung sei schon um 07.42 Uhr gefallen – also 48 Minuten zu früh. Djokovic hatte kaum Möglichkeiten, zu so früher Stunde seine Anwälte oder jemanden bei Tennis Australia oder anderen Stellen zu erreichen, so dass diese wiederum ausreichend Zeit gehabt hätten, aktiv zu werden.
Der australische Immigrationsminister Alex Hawke kann nun aber eine erneute, formell richtige Annullierung des Visums anordnen. In diesem Fall dürfte Djokovic Australien womöglich drei Jahre nicht mehr betreten. Das heißt, der 34,6-Jährige könnte die Australian Open, die er schon neunmal gewonnen hat, mehr als jeder andere Spieler jemals zuvor seit Bestehen des Turniers (1905), unter Umständen nie wieder spielen. Djokovic könnte auch dagegen wieder Einspruch einlegen, dann landen die Parteien erneut vor Gericht.
Die immense sportliche und wirtschaftliche Bedeutung der Australian Open
Die Australian Open, die ja schon am kommenden Montag, dem 17. Januar, beginnen, wären dann aber wohl gelaufen für den Titelverteidiger und Rekordsieger, der sich ja körperlich und auch mental auf das Turnier vorbereiten muss. Die Australian Open sind eines von vier Mega-Events im Tennissport, das über zwei Wochen geht mit 128 Einzelspielern bei den Herren und 128 bei den Damen plus Herrendoppelspieler, Damendoppelspielerinnen und Mixedspielern.
Die sportliche und auch wirtschaftliche Bedeutung dieser vier Grand Slam-Turniere (Australian Open, French Open, Wimbledon und US Open) ist immens. Insofern haben natürlich die Turnierleitung und Tennis Australia – Craig Tiley ist der Chef von beiden – ein sehr großes Interesse daran, dass Djokovic, das größte Zugpferd von allen, bei dem Turnier spielt, zumal schon Federer und Thiem verletzungsbedingt ausfallen. Die Einnahmen, die über Zuschauer, TV-Übertragungen und Werbeeinnahmen generiert werden, sind gewaltig. Sie bewegen sich im neunstelligen Bereich. Und diese Gelder kommen auch wiederum den anderen Spielern zugute, weil höhere Einnahmen auch höhere Preisgelder ermöglichen, was gerade auch für Spieler, die in der Weltrangliste weiter hinten stehen, eine wichtige Einnahmequelle ist. Außerdem kommen diese Einnahmen auch Tennis Australia zugute, womit der Tennissport auf dem fünften Kontinent wiederum gefördert werden kann.
Und Djokovic ist zusammen mit Nadal die Hauptattraktion. Mit den Big Three, Federer, Nadal und Djokovic, gehen die Einnahmen schlagartig in die Höhe, ohne sie nach unten. Federer ist aber seit fast zwei Jahren meist verletzt und ist inzwischen über 40 Jahre alt. Der 34-jährige Serbe hat in den Sozialen Netzwerken mindestens 13 bis 14 mal so viele Follower (9 bis 10 Millionen) wie Medvedev (0,75 Millionen), die aktuelle Nr. 2 der Welt (Federer und Nadal haben sogar noch einiges mehr). Djokovic ist schon seit 2011 der beste Hartplatzspieler der Welt. Er ist der Spieler, den die ganze Tenniswelt in Australien, bei seinem Turnier, sehen will.
Der Richter kritisierte den Umgang der Grenzschutzbehörde mit Djokovic, der wohl weder rechtmäßig noch fair war
Djokovic hatte das Abschiebehotel in Melbourne, in dem ihn die Behörden nach seinem Einspruch vier Tage lang unter extremen Bedingungen untergebracht hatten, bereits für die Dauer der Gerichtsverhandlung verlassen dürfen. Dies hat Richter Anthony Kelly heute, am Montag, erlaubt. Er sei an einen Ort zu bringen, der von seinen Anwälten ausgesucht werde. Djokovic wohnte ab dem Zeitpunkt wohl der Verhandlung bei seinen Anwälten in deren Büros über Video bei.
Mit einem Kommentar hatte Richter Anthony Kelly zuvor schon eine leichte Parteinahme im Sinne des Serben gezeigt. Kelly habe die Anwälte unterbrochen und aufgezählt, welche Schritte Djokovic nach seinem Verständnis unternommen hatte, bevor er sich in das Flugzeug nach Melbourne setzte und nachdem er dort von den Grenzschutzbeamten festgehalten wurde. Kelly schloss seinen Kommentar mit der Frage: „Was hätte dieser Mann noch mehr tun können?“
Im Verlauf der Anhörung erklärte Richter Kelly auch noch, Djokovic habe nachts um 4 Uhr ohne die Möglichkeit festgesessen, seine Anwälte oder den australischen Tennisverband zu kontaktieren. Djokovic sei „incommunicado“ gewesen, isoliert und unerreichbar. Vieles spricht dafür, dass der Umgang mit Djokovic in dieser Nacht nicht fair verlaufen ist.
Das Gericht beschäftigte sich primär mit formellen Dingen, nicht mit der Glaubwürdigkeit von Djokovics Aussagen über seine angebliche Infektion
In der Anhörung ging es aber wohl primär um formelle Dinge, nicht darum, ob die Angaben von Djokovic, dass er sich am 16. Dezember 2021 zum zweiten Mal mit SARS-CoV-2 infiziert haben will, denn überhaupt stimmen und ob dies glaubhaft ist. Auch die Frage, ob dieser Umstand nach aktuellem australischen Recht denn überhaupt eine Visum begründet, wurde wohl kaum erörtert. Im Vordergrund standen eindeutig formelle Fragen, insbesondere ob die australischen Grenzschutzbehörden in dieser Nacht korrekt mit Djokovic umgegangen sind. Und diese Frage wurde verneint. So hätten sie nicht verfahren dürfen.
Eine Entscheidung des Gerichts im Sinne des Serben garantierte ihm allerdings nicht die Teilnahme an dem Turnier. Vor Gericht erklärte Christopher Tran, der als Anwalt die australische Regierung vertritt, deren Sicht. Die australische Regierung hatte bereits vor der Verhandlung angekündigt, sie erwäge im Falle einer Aufhebung der Einreiseverweigerung weitere Schritte, um Djokovic weiter das Visum zu verweigern bzw. erneut zu annullieren. Das bestätigte der Regierungsanwalt Christopher Tran auch zum Ende der Verhandlung.
Der Neuseeländer Michael Q. Todd (59) war über 10 Jahre Richter und Anwalt, spezialisiert auf Einreise-Recht. Todd äußerte sich gegenüber BILD, das live vor Ort war in Melbourne: „Das Land Australien hat Fehler bei der Einreise gemacht, dennoch legitimiert das nicht sein (Djokovics) ungültiges Visum. Jetzt wird der Immigrations-Minister wahrscheinlich Djokovic nach Hause schicken.“ Aber auch das scheint nicht sicher zu sein, wie so vieles in diesem Fall, der immer wieder neue Wendungen nimmt.
Der Titelverteidiger hat sofort sein Training aufgenommen
Vorerst darf sich Djokovic jetzt erstmal frei bewegen in Melbourne. Der Titelverteidiger stieg umgehend ins Training ein. Er postete ein Foto in den sozialen Medien, das ihn unter anderem mit seinem Trainer Goran Ivanisevic in der Rod Laver Arena zeigt. Auf Twitter schreibt er um 14:17 Uhr (00:17 Uhr Ortszeit):
„Ich bin froh und dankbar, dass der Richter meine Visa-Stornierung aufgehoben hat. Trotz allem, was passiert ist, möchte ich bleiben und versuchen, bei den Australian Open zu konkurrieren. Darauf bleibe ich fokussiert. Ich bin hierher geflogen, um bei einem der wichtigsten Events zu spielen, die wir vor den großartigen Fans haben.“
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