Von Jürgen Fritz, So. 06. Feb 2022, Titelbild: YouTube-Screenshot
Heute vor einer Woche gewann Rafael Nadal zum zweiten Mal in seiner Karriere die Australian Open und damit sein 21. Grand Slam-Turnier. Das schaffte im Herreneinzel in der gesamten Geschichte seit 1877 kein anderer. Mitte der Woche gab der Spanier auf Mallorca eine Pressekonferenz und gab dabei interessante Dinge preis.
Eine schier unfassbare Bilanz
Rafael Nadal gehört ganz ohne Frage zu den größten Tennisspielern aller Zeiten. Seine Bilanz nach zwei Jahrzehnten Profi-Tennis mutet schon fast unheimlich an:
- Der größte Clay-Court-Spieler aller Zeiten mit 13 Siegen in Roland Garros (Max Décugis: 8, Björn Borg: 6) und 62 Titeln insgesamt auf Sand.
- 90 Turniersiege im Herreneinzel plus fünf im Davis Cup mit Spanien.
- Von 2014 bis 2022 gewann Nadal 19 Jahre in Folge jedes Jahr mindestens ein Turnier. Das schaffte kein Spieler jemals zuvor. Seit 2015 sogar 18 Jahre in Folge jede Saison mindestens zwei Titel.
- Von 2005 bis 2014, zehn Jahre in Folge mindestens ein Grand Slam-Titel pro Saison geholt. Auch das gab es niemals zuvor und auch nicht danach.
- 17 Jahre in Folge, von 2005 bis 2021, am Ende der Saison jedes Mal in den Top-Ten. Auch das ist einmalig.
- Als einziger Spieler in der Geschichte jedes Grand Slam-Turnier (A) mindestens zweimal gewonnen und zusätzlich zwei olympische Goldmedaillen (B): 2008 in Beijing im Herreneinzel, 2016 in Rio im Herrendoppel mit M. Lopez.
- Von der International Tennis Federation ITF viermal zum Spieler des Jahres gewählt (Djokovic: 7, Sampras: 6, Federer: 5, Lendl und Nadal: je 4 mal). Von der Association of Tennis Professionals ATP sogar fünfmal zum Spieler des Jahres gewählt (Djokovic: 7, Sampras: 6, Borg, Federer und Nadal: je 5 mal).
- 36 Masters 1000-Turniere (C-Kategorie) gewonnen. Mehr C-Titel hat nur Novak Djokovic (37). Auf Platz drei Roger Federer mit 28.
- Zweimal zum Laureus-Weltsportler des Jahres gewählt: für das Jahr 2010 (Auszeichnung in 2011) und für das Jahr 2020 (Auszeichnung in 2021).
- Und nun seit einer Woche die Krönung von allem: 21 Grand Slam-Titel (A) im Herreneinzel. Das ist in der gesamten Tennisgeschichte seit 1877 einmalig.

YouTube-Screenshot
Das unglaubliche Comeback bei den Australian Open 2022
Dabei sah es lange gar nicht danach aus, dass Nadal dieses Jahr die Australian Open nach 2009 nun zum zweiten Mal gewinnen könne. Von Anfang Juni bis Dezember 2021 war Rafa fast durchgehend verletzt, konnte nur ein einziges Turnier spielen – Washington im August -, bei dem er bereits starke Fußschmerzen hatte. Dann, als die Fußverletzung endlich ganz ausgeheilt war, erkrankte er Mitte/Ende Dezember, mitten in der Aufbauphase für die neue Saison, auch noch an COVID-19, was ihn mehrere Tage völlig flach legte. Insofern war nicht klar, ob sein Körper überhaupt schon bereit war, für so ein schweres Turnier über bis zu sieben Runden jeweils best of five.
Im Viertelfinale schien er dann gegen Denis Shapovalov nach zwei grandios gespielten Sätzen im dritten in der Hitze von Melbourne förmlich einzubrechen. Zuerst ein Hitzschlag, dann Magen- und Kreislaufprobleme machten ihm so sehr zu schaffen, dass nicht klar war, ob er das Match überhaupt zu Ende bringen könnte. Die Sätze drei und vier gingen beide an den 13 Jahre jüngeren Kanadier, Nadal konnte sich teilweise kaum noch auf den Beinen halten. Doch dann schaffte er es irgendwie – man weiß im Grunde bis heute nicht genau wie – im fünften Satz in Führung zu gehen und völlig angeschlagen das Ding irgendwie doch noch ins Ziel zu bringen.
Dann das Finale gegen den vielleicht derzeit besten Hardplatzspieler der Welt, den zehn Jahre jüngeren Daniil Medvedev, der die ersten zwei Sätze mit 6-2 und 7-6 gewann, weil er großartig spielte und Nadal nie so richtig zu seinem Spiel fand. Im dritten Satz lag Medvedev ebenfalls bereits vorne mit 3-2 und 40-0. Alles schien nach gut zweieinhalb Stunden auf den Russen zuzulaufen. Alles!
Doch nach 5:24 Stunden stand es aus Nadals Sicht nicht mehr 2-6, 6-7, 2-3, 0-40, sondern 2-6, 6-7, 6-4, 6-4, 7-5. Noch niemals zuvor hatte ein Spieler im Finale der Australian Open, ausgetragen seit 1905, einen 0:2-Satzrückstand nochmals aufgeholt und gedreht. Mats Wilander sprach vom „besten Comeback in der gesamten Open Era“ (seit 1968).
Das längste Grand Slam-Finale aller Zeiten hatte Nadal 2012 ebenfalls in Melbourne nach 5:53 Stunden mit 5:7 im fünften Satz gegen Novak Djokovic verloren, das zweitlängste in der Geschichte hatte er nun wiederum bei den Australian Open nach 5:24 Stunden mit 7:5 im fünften Satz gewonnen. Wie sehr nicht nur Daniil Medvedev, der über fünf Stunden großartig spielte, sondern auch Nadal in diesem Match gelitten hat, konnte man in seinem Gesichtsausdruck nach dem Match deutlich erkennen, siehe Titelbild. Aber der 35-Jährige, der im Juni 36 wird, hatte es noch einmal geschafft. Was für eine Geschichte!
„Auch mir rutscht das Herz in die Hose, wenn ich hinten liege“
Nun gab er am Mittwoch, drei Tage nach diesem großen Triumpf in Melbourne, auf Mallorca eine Pressekonferenz und gestand:
„Das wird alles schöngeredet, wenn ich am Ende als Sieger den Platz verlasse. In Wahrheit rutscht auch mir das Herz in die Hose, wenn ich hinten liege.“
Es gehe dann nur noch darum,
„im Spiel zu bleiben. Aufgeben ist natürlich keine Option. Dass man sich unsicher fühlt, ist etwas Menschliches. Das haben wir alle. Wenn man den Gegner nicht zu weit davonziehen lässt, dann kommt der Glauben zurück und man bekommt seine Chance.“
Auf Mallorca, wo Nadal geboren wurde, aufwuchs und lebt, soll es bereits Überlegungen geben, den Flughafen Son Sant Joan eines Tages nach Nadal umzubenennen. Der Mallorquiner selbst bleibt auch in dieser Frage bescheiden, wie wir das seit fast zwanzig Jahren von ihm kennen. „Es wäre mir eine Ehre, wenn es dazu kommt“, sagt er. Der Center Court in Barcelona, wo Rafa bis dahin bereits neunmal gewonnen hatte und inzwischen zwölfmal, wurde bereits 2017 in „Pista Rafa Nadal“ umbenannt.
21 Grand Slam-Titel werden nicht reichen, um die ewige Spitzenposition zu behalten
Auf die Frage, was es ihm nun bedeute, mehr Grand Slams als jeder andere Tennisprofi jemals gewonnen zu haben und wie er das Rennen um meisten A-Titel in der Geschichte des Herrentennis sehe, meinte Nadal:
„Klar würde ich gerne diesen Dreikampf zwischen Roger Federer, Novak Djokovic und mir gewinnen. Aber ich bin nicht besessen davon – null.“
Eine Zahl, wie viele Titel es in seiner Karriere noch sein sollen, gebe es nicht. Aber ihm ist durchaus bewusst, dass 21 Grand Slam-Titel für die Spitzenposition nicht reichen werden. Nadal liegt nun bei 21, Federer und Djokovic bei jeweils 20. Für den Schweizer wird es mit über 40 Jahren und drei Knie-Operationen in den letzten zwei Jahren sicherlich extrem schwierig, nochmals ein so großes und hartes Turnier über sieben Runden best of five zu gewinnen, aber Novak Djokovic ist erst 34 Jahre alt und körperlich noch extrem fit. Er kann sicherlich noch mehrere A-Turniere gewinnen.
Nadal hat natürlich die Möglichkeit, sollte er bis Mai/Juni gesund und in Form bleiben, in Roland Garros seinen 22. Major-Titel zu holen. Dort gewann er bereits 13 Mal und gilt auf Sand in Matches über drei Gewinnsätze als extrem schwer zu bezwingen. Seine Matchbilanz bei den French Open lautet 105 zu 3.
An Rekorde denkt Rafa dagegen weniger, er ist einfach froh, das tun zu können, was er am liebsten tut und am besten kann: Tennis spielen. „Ich habe praktisch sechs Monate nicht gespielt. Dass ich bei den Australian Open spielen konnte war eine Punktlandung. Hätte mir jemand vor wenigen Wochen garantiert, dass ich überhaupt auf dem Platz zurückkehren kann, hätte ich das sofort unterschrieben. So habe ich nun besser gespielt, als ich mir vorgestellt hatte“, sagt der Rekord-Grand Slam-Champion gewohnt bescheiden.
Das Karriereende wird natürlich in absehbarer Zeit kommen, aber dieses Jahr will Nadal erstmal noch mehr spielen als 2020 und 2021
Und auch zum Thema Karriereende äußerte sich der am 3. Juni 36 Jahre alt Werdende. Natürlich gebe es ein Ablaufdatum. Aber
„ich sehe derzeit bessere Chancen, dass ich weitermache, als vor vier Wochen. Mir gefällt es, was ich mache. Das treibt mich an. Ich mag das Training, ich mag die Wettkämpfe. Es stellt mich extrem zufrieden, dass ich in meinem Alter noch in den besten Stadien gegen die weltbesten Spieler antreten kann.“
Und 2022 will er nicht weniger, sondern mehr spielen als die zwei Jahre davor.
„Ich habe in den vergangenen zwei Jahren nur sechs und acht Turniere gespielt. Das ist extrem wenig. Wir reden eher davon, das Pensum zu erhöhen, als zu verringern.“
Ende Februar, spätestens aber Mitte März will der Mallorquiner wieder ins Turniergeschehen eingreifen
Im Moment will er erst mal schauen, wie sein Körper die Strapazen wegsteckt und auf jeden Fall drei Wochen Turnierpause einlegen. Für das D-Turnier in Acapulco (ATP 500), das am 21. Februar beginnt, hat er gemeldet. Ob er dort aber tatsächlich schon wieder antritt, müsse er noch sehen. „Das Turnier steht noch auf der Kippe. Bei Indian Wells im März (ab dem 10.03.) bin ich aber ziemlich sicher dabei.“
Wir freuen uns auf jeden Fall auf den nächsten Auftritt des sympathischen Spaniers drücken auf jeden Fall die Daumen, dass vielleicht noch der eine oder andere Titel dazukommt, vielleicht sogar schon diese Saison – vor allem aber, dass Rafa uns noch eine Weile auf den großen Tennisplätzen dieser Welt erhalten bleibt. Einen besseren Botschafter für den Tennissport könnte man sich nämlich kaum wünschen.
*
Aktive Unterstützung: Jürgen Fritz Blog (JFB) ist vollkommen unabhängig und kostenfrei (keine Bezahlschranke). Es kostet allerdings Geld, Zeit und viel Arbeit, Artikel auf diesem Niveau regelmäßig und dauerhaft anbieten zu können. Wenn Sie meine Arbeit entsprechend würdigen wollen, so können Sie dies tun per klassischer Überweisung auf:
Jürgen Fritz, IBAN: DE44 5001 0060 0170 9226 04, BIC: PBNKDEFF, Verwendungszweck: JFB und ggf. welcher Artikel Sie besonders überzeugte. Oder über PayPal – 3 EUR – 5 EUR – 10 EUR – 20 EUR – 50 EUR – 100 EUR