Von Jürgen Fritz, Mi. 16. Feb 2022, Titelbild: Eurosport-Screenshot
Die Geschichte vom Großvater, der das Herzmittel Trimetazidin einnehme, und dass Kamila Walijewa womöglich vom gleichen Glas getrunken habe, war von Anfang an wenig glaubwürdig. Doch nun wird sie noch unglaubwürdiger. Denn es wurden zwei weitere Substanzen in der Dopingprobe der 15-Jährigen gefunden, wiederum Herzmittel, wenngleich nicht wie TMZ verbotene.
Schutzbehauptung? Das verbotene Mittel wäre vom Großvater gekommen, der herzkrank sei, und Kamila habe aus dem gleichen Glas getrunken
Vor dem Internationalen Sportgerichtshof (Court of Arbitration for Sport, CAS) hatten die Anwälte von Kamila Walijewa laut dem IOC-Mitglied Denis Oswald „Gründe präsentiert, die Zweifel an ihrer Schuld“ hinterließen. Die Geschichte, welche Walijewa und ihre Anwälte präsentierten, war die folgende. Kamila habe nicht aktiv etwas eingenommen, ihr sei auch nichts von ihren Trainern und ihrem Umfeld systematisch eingeflößt worden, sondern es sei zu einer „Verunreinigung mit einem Produkt gekommen, das ihr Großvater eingenommen hat“. Walijewas Großvater habe in einer Videobotschaft an die russischen Anti-Doping-Behörden der RUSADA erklärt, er nehme das Medikament Trimetazidin ein, um „Attacken“ zu behandeln.
Diese Geschichte war Teil der Verteidigung Walijewas im Eilverfahren über ihre Zulassung zum Damen-Einzel gewesen, fügte der Vorsitzende der Disziplinarkommission des Internationalen Olympischen Komitees hinzu. Russischen Medien zufolge habe Walijewas Anwältin in der CAS -Anhörung weiter darauf verwiesen, die Eiskunstläuferin könne zum Beispiel aus einem Glas getrunken haben, das zuvor ihr Großvater genutzt habe. Durch eine Speichelübertragung könne dann die verbotene Substanz Trimetazidin in ihren Körper gelangt sein.
Prof. Sörgel: „Die Menge für eine positive Dopingprobe kann nicht durch Speichel an einem Glasrand in den Körper gelangen“
Diese Geschichte wirkte von Anfang an konstruiert und an den Haaren herbeigezogen. Doch der Internationale Sportgerichtshof fiel wohl darauf rein. Der Dopingexperte Fritz Sörgel, Professor für Pharmakologie und seit 1987 Leiter des Instituts für biomedizinische und pharmazeutische Forschung in Heroldsberg, hielt den Vortrag von Walijewas Anwälten von Anfang an für eine Ausrede: „Die Menge für eine positive Dopingprobe kann nicht durch Speichel an einem Glasrand in den Körper gelangen“, sagte Sörgel am Dienstag.
Er empfahl, nicht nur die B-Probe der 15 Jahre alten Team-Olympiasiegerin zu untersuchen, sondern auch die seitdem erfolgten negativen Tests: „Man sollte das wissenschaftlich optimal machen. Die neuesten analytischen Methoden erhöhen die Nachweismöglichkeit im Vergleich zu denen in einem Doping-Labor um den Faktor fünf“, erklärte der Dopingexperte. Falls sich die Angaben der russischen Europameisterin als nicht richtig erweisen sollten und sie das Mittel aus ihrem Trainingsumfeld erhalten hätte, wäre das „ein krimineller Akt und rücksichtslos gegen einen jungen Menschen“.
Inzwischen wurden zwei weitere Substanzen in Walijewas Dopingprobe gefunden, wieder Herzmittel
Doch diese Schutzbehauptung respektive Geschichte scheint nun völlig in sich zusammen zu brechen. Denn laut einem Bericht der New York Times wurden zwei weitere Substanzen in der Doping-Probe von Walijewa gefunden: Hypoxen und L-Carnitin. Diese sind zwar nicht wie Trimetazidin verbotene Substanzen, aber es sind ebenfalls Herzmittel. Und damit ergibt sich ein völlig anderes Bild als das, welches Walijewa und ihr Umfeld zu malen versuchten. Denn inzwischen deutet alles auf eine systematische Behandlung des 15-jährigen Wunderkindes hin.
Hypoxen und L-Carnitin sind zwar nicht verboten, doch deren Kombination mit dem verbotenen Trimetazidin hat durchaus leistungsfördernde Folgen: mehr Ausdauer, weniger Ermüdung, so dass länger und härter trainiert werden kann.
Dass insgesamt drei Substanzen in Walijewas Dopingprobe gefunden wurden, gehe aus einem Dokument hervor, das bei der Anhörung um die Starterlaubnis der Russin im Einzelwettbewerb der Winterspiele in Peking vor dem CAS vorgelegt worden war.
Nun behauptet die Mutter, Kamila habe Herzrhythmusstörungen
Die neue Geschichte lautet nun wie folgt. Walijewas Mutter behauptet, ihre Tochter nehme die Substanz Hypoxen gegen Herzrhythmusstörungen ein. Zudem tauchte in der Analyse aber auch noch L-Carnitin auf, das gegen Durchblutungsstörungen helfen kann.
Die Kombination der drei Substanzen scheine „darauf abzuzielen, die Ausdauer zu erhöhen, Ermüdung zu reduzieren und eine effizientere Nutzung von Sauerstoff zu fördern“, sagte Travis Tygart, Chef der US-Anti-Doping-Agentur USADA.
Deutscher Dopingexperte bezeichnet Urteil des CAS als Super-Gau
Prof. Fritz Sörgel sprach gegenüber der Abendzeitung vom „Versagen des Gesamtsystems“. Es habe einfach zu lange gedauert, bis das Testergebnis öffentlich wurde. Das dürfe nicht passieren. „Ja, es war Weihnachten und es gab wohl Corona-Fälle dort im Labor, aber dann sollte eben ein anderes zertifiziertes Wada-Labor diesen Job übernehmen“, so der Wissenschaftler.
Dieses Urteil bezeichnet Sörgel als „Super-GAU“. Denn es zeige, dass der Anti-Doping-Kampf noch lange nicht so fortgeschritten sei, wie man immer behaupte. Klar in der Messung und in der Analytik sei man schon sehr weit, „aber das hilft ja alles nichts, wenn das ganze System krankt“. Dass es in Laboren aktuell immer mal zu Personalausfällen komme, sei ja angesichts der weltweiten Omikron-Lage wirklich nicht überraschend. Aber: „Da muss Ersatz gewährleistet sein, gerade vor Olympischen Spielen und besonders, wenn die Proben aus Russland kommen.“
Bei chronischer Verabreichung wäre es „noch eine Stufe krimineller“
Dass ein Mittel wie Trimetazidin, das die Blutversorgung der Arterien und damit des Herzmuskels erhöht, für ein 15-jähriges Mittel gefährlich sei, hält er für nicht ausgeschlossen. „Gerade bei einem jungen Organismus wissen wir doch gar nichts über die Wirkung und die Dosierung.“ Was es darüber hinaus schwer mache, die Situation einzuschätzen: „Wir wissen ja auch noch nicht, ob sie es nur einmal speziell für einen Wettkampf genommen hat, oder regelmäßig über einen längeren Zeitraum.“
Der Dopingexperte empfiehlt, die negativen Proben von Kamila Walijewa, die laut der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA vor und nach dem 25. Dezember genommen wurden, auf jeden Fall nochmals mit einer empfindlicheren Messmethode zu untersuchen, um festzustellen, ob eine chronische Einnahme vorliegt. Man könne die Empfindlichkeit im Labor gut um den Faktor fünf erhöhen. „Dann sehen sie auch kleine Konzentrationen im Urin, die auf dauerhaften Gebrauch hinweisen. Das wäre auch mit Blick auf die Gesundheit der jungen Sportlerin wichtig“, so Sörgel.
Und wenn das Mittel die Trainingsleistung und vor allem die Regenerationsfähigkeit dauerhaft verbessern sollte und sie dadurch die vielen Stunden harten Trainings am Tag besser durchhält, liege der Verdacht auf jeden Fall nahe, dass es chronisch verabreicht wurde. „Und dann ist es noch eine Stufe krimineller“, so der Professor, weil dann auch mit schwereren Nebenwirkungen gerechnet werden müsse.
US-Coach: „Das Team um sie herum sind Kinderschänder“
Unterdessen ist die Konkurrenz nicht wenig aufgebracht, allen voran der amerikanische Coach Adam Rippon (32), der 2018 mit der US-Mannschaft die Bronzemedaille gewann. „Ich glaube nicht, dass jemals in der Geschichte der Olympischen Spiele jemand mit einem positiven Test teilnehmen durfte. Ich denke, es ruiniert die Integrität der Olympischen Spiele“, sagte Rippon in Peking. „Viele Menschen zu Hause kratzen sich am Kopf, weil sie wissen, dass es jemanden mit einem positiven Test gibt. Doping gehört nicht in den olympischen Wettkampf. Es bricht uns allen das Herz, dass dies ein 15-jähriges Mädchen ist.“
In Richtung russisches Team wurde Rippon sehr deutlich: „Sie sind schmutzige Betrüger, und wir kommen ihnen entgegen. Ich weiß nicht, wie sich die Olympischen Spiele davon erholen. Das Team um sie herum sind Kinderschänder. Das einzige, was ihnen wichtig ist, ist die Leistung und nicht die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Athleten. Sie sind eine Fabrik, die Kinder aussaugt, die bis zu einem gewissen Punkt mithalten können.“
Deutscher Eiskunstlauf-Experte: „Das ist perfide und unmenschlich, was da gemacht wird“
Der deutsche Eiskunstlauf-Experte und ehemalige Profi Daniel Weiss (53) äußerte sich gegenüber dem Donaukurier wie folgt über Waliewa: „Sie hat soviel Talent, dass man nicht erlaufen kein. Eine Flexibilität, eine Musikalität, eine Hingabe, die perfekte Kantenbeherrschung und Sprungtechnik, all das kann man nur hart erarbeiten und mit Talent erreichen.“
Weiss kritisiert wie Rippon Trainerin Eteri Tutberitse (47). Das Training dort sei „unerbittlich hart, es geht über eine Grenze des Erlaubten hinweg. Da zählen der menschliche Faktor und Schmerzen wenig“, sagte Weiss. Man kenne „doch junge Menschen, die zu ihren Trainern aufschauen. Das sind Götter für sie, gerade Eteri Tutberidze mit ihrer Vergangenheit, mit den Olympiasiegern, die sie geformt hat. Das ist wirklich perfide und unmenschlich, was da gemacht wird“, so Daniel Weiss.
„Das erinnert mich fast an die Zahnpasta von Dieter Baumann“
Aber Eiskunstlauf ist in Russland eine der populärsten Sportarten überhaupt. Siege und Medaillen haben für die politische Führung und die zahlreichen Fans eine immense Bedeutung. „Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass Kamilas Trainerin Eteri Tutberidse alles tut, auch Illegales, um ihre Sportlerin weiterzubringen. Da zählen der menschliche Faktor und Schmerzen wenig“, sagte Daniel Weiss dem Donaukurier aus Ingolstadt weiter.
Kaum jemand in Deutschland kennt Walijewa so gut, wie Daniel Weiss, der frühere Eurosport- und jetzige ARD-Kommentator, der auch Eis-Shows organisiert. „Das Kind hat so viel Talent, das man nicht erdopen kann“, sagt er. Und zu der Geschichte mit dem Opa, dessen Glas Kamila benutzt haben soll, hält er für wenig glaubwürdig: „Das erinnert mich fast an die Zahnpasta von Dieter Baumann“, sagt er.
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