Gunter Weißgerber tritt nach fast 30 Jahren aus der SPD aus

Von Jürgen Fritz, Fr. 8. Feb  2019

Er gehörte der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR an und war von 1990 bis 2009 SPD-Abgeordneter des Deutschen Bundestages. Zuvor war er im November 1989 eines der Gründungsmitglieder der Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP) in Leipzig, war regelmäßig für die SDP Redner auf den Leipziger Montagsdemonstrationen. Gestern trat Gunter Weißgerber aus der SPD aus. In seinem Austrittsschreiben stellt er seiner Partei ein desaströses Zeugnis aus: „Wo SPD draufsteht, ist heute so etwas wie SED ohne Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl drin.“

Gunter Weißgerber

Gunter Weißgerber wurde im November 1955 in Mildenau/Erzgebirge geboren. Nach seinem Abitur arbetete er zunächst im Braunkohletagebau Zwenkau, studierte dann Tiefbohrtechnologie und arbeitete bis 1990 als Bergbauingenieur und Leiter der Abteilung Erkundungsbohrungen in einem Braunkohlewerk. Nach der Wende schrieb er sich im Oktober 1989 in die Liste des Neuen Forum ein. Im November 1989 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der Sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP) in Leipzig. In den folgenden Monaten war er regelmäßig für die SDP Redner auf den Leipziger Montagsdemonstrationen.

Gunter Weißgerber – 1990

Er gehörte der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR an und war von 1990 bis 2009 Abgeordneter des Deutschen Bundestages. 1990 zog er über die Landesliste Sachsen ins Parlament ein, danach stets als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Leipzig II. Bei der Bundestagswahl 2005 erreichte er dort über 35 Prozent der Erststimmen, das sachsenweit beste SPD-Einzelergebnis als Direktkandidat. 15 Jahre lang, von 1990 bis 2005 war er Vorsitzender der Landesgruppe Sachsen in der SPD-Bundestagsfraktion. Weißgerber veröffentlichte mehrere Bücher, schreibt seit Jahren für die Huffington Post und für die Achse des Guten. 2008 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Gestern trat Gunter Weißgerber nach fast 30 Jahren aus der SPD aus. Wie kam es dazu?

Der Auslöser

Das Fass zum Überlaufen brachte das folgende Ereignis. Am 4. Februar 2019 erschien in Tichys Einblick ein gut recherchierter Artikel über die Medienmacht der SPD: „Zeitungen, auf die die SPD heimlich und indirekt Einfluss nimmt / Wie SPD in die Zeitungen kommt“. Der Artikel enthielt eigentlich keine sensationellen Neuigkeiten, fasste aber recht gut zusammen, welches Medienimperium sich die SPD im Laufe der Jahrzehnte aufgebaut hat und wie es hierüber die öffentliche Meinung manipuliert.

Nach nur zwei Tagen, also am 6. Februar 2019, sah sich Roland Tichy, wie schon im meinem Fall damals im Januar 2017 bei meinem berühmten Psychopathologie-Artikel, gezwungen, auch diesen Text zu löschen. Weshalb? Weil die SPD, wie damals im Januar 2017 ein Großteil der Neuen Linken, Tichys Einblick (TE) massiv eingeschüchtert und ihm eine rechtliche Auseinandersetzung angedroht hat. TE begründete die Löschung des Textes wie folgt:

„Die Kosten einer rechtlichen Auseinandersetzung können sich auf einen hohen 5-stelligen Betrag belaufen, den TE nicht riskieren kann. (…) Wir bitten Sie um Verständnis für unsere Entscheidung. Die Pressefreiheit sei die Freiheit von 200 sehr reichen Leuten, hat der frühere FAZ-Herausgeber … in den 50er-Jahren formuliert. Daraus sind starke Konzerne und mächtige Verbünde entstanden. Sie bekämpfen jeden, der mit Hilfe der neuen Medien Nachrichten in Umlauf setzt, die ihnen nicht gefallen oder ihre Wahlchancen reduzieren könnten. Um diese Macht im Verborgenen geht es. Sie hat noch einmal einen Triumph erfahren. (…) Wir sind gezwungen, der Macht aus dem Weg zu gehen. Wir werden weiter kämpfen, auch wenn es in Deutschland gefährlich ist, bestimmte Kräfte zu kritisieren.“

Dies empfinden offensichtlich Tausende und Abertausende – leider nicht zig Millionen, da die breite Masse auch davon kaum erfahren wird, genau darum geht es der SPD ja, dass die Menge von vielem nicht erfährt – als einen Skandal sondergleichen, als eine Bekämpfung der freiheitlichen Demokratie selbst. Und dieser Tropfen brachte dann wohl das Fass bei Gunter Weißgerber endgültig und unwiederbringlich zum Überlaufen. Auf seinem Blog schrieb er gestern folgendes.

Gunter Weißgerbers Begründung des Parteiaustritts

>>Bisher verteidigte auch ich die SPD und ihre Medienbeteiligungen vor dem Hintergrund der SPD-Verbotsgeschichte in Kaiserreich, NS-Staat und DDR. Die SPD besaß zudem über mehr als ein Jahrhundert keine Gönner in der Wirtschaft und musste sich selbst finanzieren … Bisher nahm die SPD den öffentlichen Diskurs über ihre Medienmacht immer an und stritt mit Argumenten für ihre Positionen. Das ist mit dem Löschen des Tichy-Artikels Geschichte!

Die SPD war lange Zeit eine Partei der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, … der Gewaltenteilung, des antitotalitären Grundkonsenses, des Wissenschafts-, Industrie- und Wirtschaftsstandortes Deutschland, der europäischen Idee gleichberechtigter Partner und der Verankerung in der transatlantischen Wertegemeinschaft. Die SPD war immer die Partei der Facharbeiter, Ingenieure, Klein- und Mittelständler, auch der sozial engagierten sehr Erfolgreichen, kurz eine Partei der Leistungswilligen, eine Partei des „Förderns und Forderns“.

Der Schutz Israels als einziger Demokratie im Nahen Osten gehörte ebenso zu den glaubwürdigen Anliegen der deutschen Sozialdemokratie. Israel schützt jegliche Religionssausübung, in den Nachbarländern Israels wird jüdisches Leben staatlich verfolgt. Das hat die SPD nahezu komplett vergessen. Ich mag mich für die heutige SPD nicht mehr schämen müssen. 

In dieser Woche verletzte die SPD nun auch für mich eklatant das Recht auf die Meinungsfreiheit. Vorige Woche gab die SPD-Justizministerin öffentlich kund, das Wahlrecht verbiegen zu wollen. Mit den Wahnvorstellungen aus der Umgebung Nahles, die Antifa für die SPD gewinnen zu wollen, wurde der antitotalitäre Konsens endgültig verlassen. Was für eine Enttäuschung!

Spätestens mit der sogenannten Energiewende zeigte die SPD, was sie tatsächlich vom Energiestandort Deutschlands und seinen Arbeitnehmern hält: nichts. Nicht einmal die Energiekosten begreift die SPD als brennende soziale Frage. Im Gegenteil! Die SPD-Umweltministerin ist beständig bestrebt, die Kosten unnachgiebig in die Höhe zu treiben. War die SPD vormals stolz auf ihre Politik des sozialen Ausgleichs mit Augenmaß, so ist die heutige SPD eine der wichtigsten Vorantreiber der Umverteilung von unten nach oben – zur grünen Schickeria.

Die SPD macht sich hauptschuldig an der Zerstörung des Automobilstandortes Deutschland. (…) Nach 1990 war der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit eine tägliche Notwendigkeit. Keinem Politiker, erst recht keinem Sozialdemokraten, wäre es eingefallen, ganze Industriezweige zum Tode zu verurteilen, diesen geradezu planvoll herbeizuführen. (…) Der Atomenergiestandort Deutschland mit seinem vormaligen Wissenschafts- und Technologievorsprung liegt bereits auf dem Altar der Sozialdemokratie, nun kommt der Braunkohlebergbau dazu. Es wird keine Versorgungssicherheit allein mit Sonne, Wind und Wasser geben können. Geschweige denn die neuen werteschaffenden Arbeitsplätze, die als Ersatz benötigt werden …

Auch an der schwierigen Situation der Europäischen Union trägt die SPD massive Mitschuld. Die Solidarität der Partner einfordern und gleichzeitig deren Positionen abbügeln, das musste zum Brexit und muss zu schwersten Verstimmungen führen.
Wie die SPD mit den Balten, Polen, überhaupt mit den Mittelosteuropäern umgeht, das gereicht ihr nicht nur zur Schande, es stärkt die Zentrifugalkräfte innerhalb der Union …

Die SPD des Jahres 2019 entledigt sich mit Eifer ihrer bisherigen Wähler und vieler ihrer bisherigen Mitglieder. Zu denen ich jetzt auch gehöre. Ich trete mit heutigem Datum 07. Februar 2019 aus der SPD aus … Die augenscheinliche Verletzung der Meinungsfreiheit durch die SPD ist dabei nur der letzte, besonders schwerwiegende Auslöser. Wo „SPD“ draufsteht, ist heute so etwas wie „SED ohne Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl“ drin. Ich wünsche eine gute Reise.<<

Hier können Sie den kompletten Text von Gunter Weißgerber nachlesen.

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Titelbild: YouTube-Screenshot

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