Von Jürgen Fritz, Fr. 08. Nov 2017, Titelbild: Pixabay, CC0 Creative Commons
Freiheit bedeutet mehr als nur die äußere Freiheit, sich frei bewegen, frei sprechen und sein Leben frei gestalten zu können. Freiheit bedeutet in einer zweiten Stufe immer auch innere Freiheit. Wovon aber gilt es sich hier im eigenen Innern zu befreien?
Äußere und innere Freiheit
Der Mensch sei frei geboren, doch überall liege er in Ketten, schrieb Jean-Jacques Rousseau 1762 in seiner berühmten Schrift Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes (Du Contract Social ou Principes du Droit Politique), seinem politisch-theoretischen Hauptwerk, welches neben Montesquieus Vom Geist der Gesetze ein Schlüsselwerk der Aufklärungsphilosophie darstellt und in dem ein Wegbereiter moderner Demokratie gesehen werden kann. Doch welcher Art Ketten gibt es überhaupt, die unsere Freiheit derart einschränken?
Freiheit ist mehr als nur die äußere Freiheit, nicht eingesperrt zu sein, nicht in Ketten zu liegen, sich frei bewegen zu können, frei sprechen zu dürfen, frei forschen und sich seine Weltanschauung frei aussuchen zu können, sich seinen Möglichkeiten entsprechend seinen Wohnort, seinen Beruf und seinen Lebenspartner frei wählen zu dürfen. All dies ist enorm wichtig und hat seit der Aufklärung, seit der Französischen Revolution in der Proklamation der Menschenrechte seinen Niederschlag gefunden.
Eine gewaltige Errungenschaft, die wir nie wieder preisgeben, derer wir nie wieder verlustig werden dürfen, die wir – auch mit Gewalt, wenn es notwendig ist – gegen die Feinde der Freiheit verteidigen müssen!
Freiheit bedeutet in einer zweiten Stufe aber immer auch innere Freiheit. Dies scheint mir Nietzsche nicht wirklich verstanden zu haben, wenn er meinte, Freiheit sei Freiheit von Moral. Damit bleibt er noch ganz in dem Schema, sich von äußeren Zwängen befreien zu wollen, nicht aber von den inneren. Freiheit von Moral würde bedeuten, sich der blinden Natur in einem selbst, der eigenen Kontingenz, der eigenen Zufälligkeit, den frühen Konditionierungen und seinen eigenen Trieben vollständig auszuliefern, letztlich also innerlich vollkommen unfrei zu sein.
Die Dialektik aus Freiheit und Unterwerfung
Wahre Freiheit bedeutet in ihrer letzten Stufe und in letzter Konsequenz, just diese Bedingtheiten zu überwinden, sich von ihnen zu befreien, sich selbst quasi ein Stück weit zu transzendieren, um eben dadurch erst ganz zu sich selbst zu kommen, indem man immer mehr zu dem wird, der man sein kann, was mit einer Nagation des momentanen Seins und einer Bejahung des antizipierten Sein-könnens einhergeht, und dadurch zugleich das eigene kleine Dasein in einen größeren Kontext einzubetten und ihm dadurch allererst Sinn und Tiefe zu verleihen.
Freiheit ist in seiner ganzen Tiefe letztlich nur dialektisch zu verstehen, nicht als Freiheit von Moral, sondern als Leben nach einer Moral, die nach höheren ethischen Prinzipien, insbesondere dem der Verallgemeinerungsfähigkeit selbst frei gewählt wurde. Freiheit bedeutet mithin: Unterordnung, Unterwerfung. Dies aber – und das ist das Entscheidende! – freiwillig, aus innerer Einsicht.
Und keine Unterwerfung unter einen anderen Willen oder gar ein anderes Wesen, sondern unter das eigenständig als gut und richtig Erkannte, unter das Erstrebenswerte selbst, welches sich nicht einer kontingenten tradierten Moral, sondern aus ethischen Prinzipien herleitet. Dies erst vermag unserem Leben zugleich eine Ausrichtung zu geben und stellt letztlich das vielleicht größte Geschenk überhaupt dar, denn:
„Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige“ (Lucius Annaeus Seneca).
Es ist also gut und wichtig, einen Hafen zu kennen, wo man hin will, um sich nicht wie das Blatt im Wind zu fühlen, das ziellos hin und her gewirbelt wird. Aber Hafen ist nicht gleich Hafen. Und tradierte Moral ist nicht gleich tradierte Moral. Die Nazi- und die Mafia-Moral sind offensichtlich keine gute Orientierung, sind nicht der richtige Hafen. Hier gibt es also offensichtlich gewaltige Unterschiede. Um diese bewerten zu können, bedarf es ethischer Prinzipien, zum Beispiel der Frage: Ist diese moralische Maxime, die ich meiner Handlung zu Grunde legen möchte, verallgemeinerbar? Kann ich wollen, dass in einer vergleichbaren Situation alle stets so handeln nach dieser von mir gewählten Maxime? Will ich in so einer Welt leben? (Kategorischer Imperativ)
Freiheit heißt sich öffnen und sich selbst überwinden
Freiheit bedeutet also nicht, so zu sein, wie man eben ist und dieses Sein wild und rücksichtslos auszuleben, quasi dem Tier in sich völlig freien Lauf zu lassen und das Geistwesen in sich völlig brach liegen zu lassen.
Freiheit bedeutet vielmehr, sich dem Entwurf anzunähern, den man mittels seiner Phantasie, mittels seiner Imaginationskraft und mittels seiner Moralität, die einen über das rein tierische Dasein in eine andere Sphäre emporzuheben imstande ist, von sich selbst macht und dem man sich durch ständige Übung, durch Lebensübung anzunähern versucht, dergestalt man sich weiterentwickelt, indem man neue Fähigkeiten erlernt und einübt, diese in sich aufnimmt und sich zugleich von dem in sich selbst befreit, von dem man sich befreien will, um dadurch zu dem zu werden, der man sein kann und der man selbst sein will und nicht zu einem zu werden, den andere so haben wollen.
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