Von Jürgen Fritz, Mi. 30. Sep 2020, Titelbild: ProSieben-Screenshot
„Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD“, so der damalige Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion Christian Lüth in einem Gespräch mit der YouTuberin Lisa Licentia, die für ProSieben als Lockvogel diente. Erstmal gehe es um den Erhalt der Partei. Wenn jetzt alles gut liefe, Merz die Grenzen dicht mache, dann wäre die AfD bei drei Prozent. „Wollen wir nicht“, so Lüth weiter. Und dann folgten unfassbare Aussagen über Migranten.
Die verlorene, von Rechtsextremisten gekaperte Partei
Seit ein, zwei Jahren weiße ich immer wieder darauf hin: Die AfD ist eine verlorene Partei. Die Rettungsversuche von Jörg Meuthen und anderen sind ehrenwert, aber sie kommen aus meiner Sicht zu spät. Die Rechtsextremisten, die sich schon ab März 2015 mit der Erfurter Resolution und der Bildung des Flügels begannen zu organisieren, werden diese im Februar 2013 gegründete Partei nicht mehr hergeben. Seit mindestens 2015 haben sie die AfD sukzessive feindlich übernommen und sind schon seit drei Jahren so stark, dass dagegen nur noch schwer anzukommen ist. Dies war wohl der Hauptgrund, dass Frauke Petry vor drei Jahren, im September 2017, aufgab und aus der Partei austrat, wie zuvor schon im Juli 2015 der Gründungsvorsitzende der AfD Bernd Lucke.
Die Partei, die anfangs durchaus respektabel und wichtig war als Korrektiv, ist längst viel zu tief mit Rechtsextremisten kontaminiert. Und schon lange ist nicht mehr zu sehen, wie dies nochmals gewendet werden könnte, so man sich nicht vollkommen trennt auf aufspaltet. Genau das wollen die Rechtsextremisten um Höcke – und bis vor kurzem noch Kalbitz und Pasemann, früher Poggenburg – aber nicht und werden dem niemals zustimmen, da sie die bürgerliche Fassade (Meuthen, Pazderski etc.), brauchen, um die Bürger und Wähler nicht zu verschrecken und um sich sich selbst zu tarnen und zu verharmlosen.
„Wir werden die Opferrolle spielen“
Die neue Affäre um Christian Lüth bestätigt einmal mehr diese tiefe Kontamination und das widerliche Welt- und Menschenbild, das natürlich nicht alle Parteimitglieder, sicher auch nicht die Mehrheit, aber doch ein beachtlicher Teil der AfD-ler in sich tragen, so dass hier nicht von Einzelfällen oder völligen Ausnahmen gesprochen werden kann. Während der Hamburg-Wahl Ende Februar 2020 soll Lüth, als er noch Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion war, laut ProSieben folgendes gesagt haben. Zunächst ging es um die vorläufigen Zahlen der Hamburgwahl, bei der die AfD von 6,1 Prozent (2015) auf 5,3 Prozent zurückfiel und den Einzug in den Landtag gerade so schaffte, was an dem Abend aber noch nicht klar war, da sie laut ersten Hochrechnungen knapp unter 5 Prozent lag.
„Rausfliegen wäre echt Scheiße. Wir haben jetzt 4,8. Also es hat gar nichts zu sagen, aber es ist die einzige Wahl dieses Jahr. Wäre morgen jetzt Wahl in Sachsen-Anhalt, wäre das ja vergessen. Oder ein Muslim würde sich an Karneval hochsprengen, das wäre auch gut. (…) Hamburg ist eh links-grün versifft. Müssen wir mal abwarten. Das kostet uns im Bund nicht viel. Wir haben nächstes Jahr Bundestagswahl. Und da werden wir mehr holen als letztes Mal. (…)“
Als dann Alexander Gauland bei Lüth anruft, geht er ran und sagt unter anderem:
„Die Opferrolle gegenüber der Presse und dem Antifa-Block ist ganz wichtig.“
Und dann nach dem Telefonat zu der YouTuberin Lisa Licentia, mit der er das persönliche Gespräch in der Newton Bar in Berlin-Mitte geführt hat über Gauland, von dem er ganz begeistert ist:
„Hach, der ist so toll! Der ist so geil. ‚Jetzt müssen wir so richtig kämpfen‘, sagt er. Sagt der alte Mann mit 79. ‚Jetzt macht es Spaß‘, sagt er.“
Als Licentia nachfragt, wie das funktionieren soll:
„Wir werden die Opferrolle spielen. Und werden sagen: ‚Wahlen mit der links-grün-versifften Presse ist eine Unverschämtheit.‘ Darüber hinaus ist Hamburg eh für den Arsch.“
„Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD“
Dann fragt der Lockvogel Licentia nach dem Islam, was Lüth dazu meine.
„Es liegt nicht an denen, dass die so Scheiße sind, es liegt an uns, dass wir sie rein lassen. (…) Da sind wir wieder an den Grenzen, die wir nicht haben, und an Merkel. Wer sich erpressen lässt, ist selber schuld.“
Dann sagt Lisa Licentia: „Scheiße ey. Ich weiß nicht, wie man das durchsetzen will. Kann mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll.“ Und Lüth antwortet:
„Darum geht es doch gar nicht. (…) Es geht erstmal um den Erhalt der Partei. Die AfD ist wichtig. Und das ist halt schizophren. Das haben wir mit Gauland lange besprochen. Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD. Das ist natürlich Scheiße, auch für unsere Kinder. Deine. Aber wahrscheinlich erhält uns das.
Wenn jetzt alles gut laufen würde, Merz macht die Grenzen dicht, wir finden einen Deal mit der Türkei und so, dann wäre die AfD wie in Hamburg bei drei Prozent. Wollen wir nicht. Deshalb müssen wir uns eine Taktik überlegen zwischen: Wie schlimm kann es Deutschland gehen? Und: Wie viel können wir provozieren? Ist so. Und dazwischen müssen wir kommunizeren. Ist schwierig, sehr schwierig.“
Migranten: „Wir können die nachher immer noch alle erschießen … oder vergasen“
Als die YouTuberin ihn fragt: „Vor allem klingt das so, als ob es in deinem Interesse wäre, dass noch mehr Migranten kommen?“, soll Lüth geantwortet haben:
„Ja. Weil dann geht es der AfD besser. Wir können die nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst. Mir egal.
Aber jetzt, wo die Grenzen immer noch offen sind, müssen wir schon dafür sorgen, solange die AfD noch ein bisschen instabil ist und ein paar Idioten antisemitisch rumlaufen und so weiter, müssen wir dafür sorgen, dass es Deutschland schlecht geht. „
Das sei ja das Gegenteil dessen, was sie wolle, entgegnet Licentia. Und daraufhin Lüth:
„Das weiß ich doch, aber denk doch mal taktisch, Mäuschen. Bleib ruhig, du musst ein bisschen länger denken. Als Frau fällt das ein bisschen schwer, ne? Du hast ein paar Hormone und Emotionen, kenne ich auch.“
ProSieben filmte das Gespräch in Absprache mit Lisa Licentia heimlich. Die Zitate gibt Licentia per Gedächtnisprotokoll wieder.
Eine dubiose Person
Christian Lüth, Jahrgang 1976, gilt schon lange als dubiose Figur. Nach seinem Studium der Wirtschaftsinformatik und Politikwissenschaft arbeitete er als Mitarbeiter eines FDP-Abgeordneten im Bundestag, wechselte nach zwei Jahren zur FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung. Unter anderem beriet er in Honduras den Wirtschaftsmagnaten Miguel Facussé, der laut Menschenrechtsorganisationen in Bajo Aguán Auftragsmorde an politischen Gegnern vergeben haben soll.
2011 versuchte Lüth, in das von Dirk Niebel (FDP) geführte Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit nach Berlin zu wechseln, was ihm aber nicht gelang. Ende 2011 hatte Lüth kurzzeitig bei der dem Ministerium unterstellten Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit und bis Anfang Februar 2012 als Referent im Ministerium gearbeitet, welches er dann aber schnell wieder verlassen musste.
Hintergrund war laut Medienberichten die mangelnde Eignung Lüths, der fälschlicherweise vorgegeben haben soll, die vom Ministerium per Hausverfügung verlangte Mindestnote 2 für Universitätsabsolventen zu erfüllen. Tatsächlich jedoch genügte sein Abschluss in Politikwissenschaft diesen Anforderungen nicht. Danach arbeitete er als Mitarbeiter eines FDP-Politikers, der als Nachrücker in den Bundestag eingezogen war. Nachdem die FDP bei der Bundestagswahl 2013 den Einzug ins Parlament verpasste, verlor Lüth nach insgesamt fast zehn Jahren in Diensten der FDP seine Anstellung und wechselte nun 2013 zur AfD.
Erst jetzt entlässt die AfD Lüth
Bei der AfD wirkte er zuerst als Pressesprecher der Partei, nach dem Einzug der AfD in den Bundestag 2017 dann als Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion. Laut dem Stern soll Lüth seinen Lebenslauf geschönt haben. Im politischen Berlin gilt Lüth schon lange als wenig verlässlicher Ansprechpartner, er soll sich Journalisten gegenüber aggressiv verhalten und sie wiederholt angelogen haben, sein Spitzname unter einigen Berichterstattern war seitdem „Lügen-Lüth“. Der 44-Jährige gilt als enger Vertrauter der Parteiführung, besonders des „Ehrenvorsitzenden“ Alexander Gauland.
Im Frühjahr wurde Lüth wegen schwerer Vorwürfe freigestellt, unter anderem weil er sich selbst als „Faschist“ bezeichnet hatte. Bisher hatte ihn die AfD aber nicht entlassen, sondern lediglich beurlaubt. Erst jetzt nach der gestern Abend ausgestrahlten ProSieben-Doku „Rechts. Deutsch. Radikal.“ soll Lüth nun endlich fristlos entlassen worden sein.
Warum stellte sich Lisa Licentia als Lockvogel für ProSieben zur Verfügung?
Im Gespräch mit dem Journalisten, Autor und Fernsehmoderator Thilo Mischke erläuterte der YouTube-Shootingstar seine Motivation wie folgt: Sie wolle aufzeigen, dass die AfD weder konservativ noch eine bürgerliche Partei sei. Sie wäre die permanenten Relativierungsversuche nach verbalen Ausschreitungen leid und wolle zeigen, wie Politiker der AfD sprechen, wenn keine Presse und keine Kameras dabei seien. Auf die Rückfrage, von Mischke, wie AfD-Leute miteinander reden, wenn keine Presse zuschaue, antwortet sie: „Rassistisch. Eindeutig. Sexistisch, frauenfeindlich“. Das Problem sei, die Leute (AfD-Anhänger) sähen das nicht oder wollten es nicht sehen. Dies werde aber permanent geleugnet.
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