Es sind keine Querdenker, sondern Unmutsfühler und Verschwörungsgläubige

Von Jürgen Fritz, Mi. 18. Nov 2020, Titelbild: stern TV-Screenshot

Die „Querdenker“ haben mit denken in etwa so viel zu tun wie diese jungen Leute mit Gesangskunst, die RTL früher in „Deutschland sucht den Superstar“ vorführte, die, wenn sie die Bühne betraten und anfingen zu singen, ein ganz seltsames, sehr unangenehmes Gefühl in einem auslösten, dass man einerseits sofort wegschalten oder den Ton abstellen wollte, zugleich aber doch hinhörte und sich dann alles in einem zusammenzog.

Wenn sich im Denken völlig Unmusikalische für begabte Sänger halten

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie diese Leute sehen und ihnen zuhören. Für mich jedenfalls fühlt es sich so ähnlich an, wie wenn man zu einem Verkehrsunfall kommt, wo der Notarzt jemanden versorgt, der eine offene Wunde hat, die ganz schrecklich aussieht, wo man die Knochen sieht oder die Gedärme, Dinge, die man überhaupt nicht sehen möchte, weil es so furchtbar schlimm aussieht, dass man nachts Albträume davon bekommt, man aber gleichwohl den Blick nicht abwenden kann.

Das Ganze erinnert mich an diese jungen Leute, die sich für begabte Sänger halten, die RTL früher in „Deutschland sucht den Superstar“ vorführte, die, wenn sie die Bühne betraten und anfingen zu singen, ein ganz seltsames, sehr unangenehmes Gefühl in einem auslösten, dass man einerseits sofort wegschalten oder den Ton abstellen wollte, zugleich aber doch hinhörte und sich dann alles in einem zusammenzog, so dass man das Gesicht verziehen musste, als ob man immer wieder in eine Zitrone beißt und nicht damit aufhören kann.

Diese in ihrer eigenen Wahrnehmung „Gesangskünstler“ wurden dann ja, nachdem sie „gesungen“ haben und nachdem Bohlen und die anderen Jurymitglieder ihnen gesagt hatten, dass sie gar kein Gesangstalent besitzen und doch lieber etwas anderes machen sollen, manchmal ganz zornig. Manche wurden regelrecht aggressiv, fingen an, die Jury zu beschimpfen, die hätten ja überhaupt keine Ahnung und überhaupt. Bei manchen hatte man regelrecht Angst, sie gehen jetzt gleich körperlich auf die Jury los.

Der Unterschied ist wohl, dass diese neuen „Denkkünstler“ respektive die, die sich dafür halten, dass diese im Denken völlig Unmusikalischen sich nun alle zusammentun und sich dauernd gegenseitig versichern, was für tolle Sänger (Denker) sie doch sind und dass alle anderen überhaupt keine Ahnung hätten oder aber korrupt seien. Die nennen sie dann „Schlafschafe“ oder „Systemlinge“. Oder aber sie versichern sich gegenseitig jeden Tag aufs Neue, dass die anderen sie nur unterdrücken wollten, weil die Böses im Schilde führten und sie es als Einzige gemerkt hätten, was ihnen natürlich auf recht preisgünstige Weise ein Gefühl der Erhabenheit verleiht, das sie auch nicht mehr missen möchten.

Es ist schlicht Hochstapelei, wenn Unmutsfühler und Verschwörungsmythenverbreiter sich als „Querdenker“ bezeichnen

Beim Singen regelt sich das ja irgendwie doch von selbst mit der Zeit, weil sich bei solchen „Gesangskünstlern“ dann keine Plattenfirma findet, die so etwas vermarkten würde beziehungsweise weil sich kaum Menschen finden, die das wirklich hören und dafür auch noch etwas bezahlen wollen. Bei unseren „Denkkünstlern“ ist das durchaus etwas schwieriger. Da finden sich innerhalb der eigenen Gruppe, die ja nicht ganz klein ist, immer Käufer und Abnehmer und Verstärker, so dass diese denkerischen „Gesangskünstler“ durchaus ihren Markt finden und daher nicht einfach so wieder verschwinden werden.

Natürlich haben auch im Denken eher bis völlig Unmusikalische das Recht darauf, ihre Sicht der Welt öffentlich kundzutun, ihre Meinung frei zu äußern, auch zu demonstrieren, sofern sie sich dabei an Recht und Gesetz halten und andere Menschen sowie die Gesellschaft als Ganzes nicht über Gebühr gefährden oder schädigen. Aber es ist eben Hochstapelei, wenn Unmutsfühler, Unmutskundgebende und Verschwörungsmythenrezipierer und -verbreiter sich als „Querdenker“ bezeichnen.

Denker zeichnen sich dadurch aus, dass sie eben wirklich denken – was etwas anderes als assoziieren oder memorieren ist – und das auf einem gewissen Niveau. So wie nicht jeder, der Geräusche und Töne mit seinen Stimmbändern und seinem Körper zu erzeugen vermag, deswegen schon ein Sänger wäre, so ist natürlich auch nicht jeder, in dessen Geist irgendetwas rezipiert und wiedergegeben oder etwas produziert wird, deswegen schon ein Denker, mithin auch kein Querdenker.

Womit wir es hier in Wahrheit zu tun haben, das sind Personen, die zum Großteil noch in mittelalterlichen, oft sogar archaischen Mustern „denken“ (Sündenbockdenken etc.), an denen 500 Jahre europäische Wissenschafts- und Geistesgeschichte nahezu spurlos vorbeigegangen sind, um nicht zu sagen zweieinhalb Jahrtausende, die sich aber zugleich für unglaublich schlau halten, schlauer als alle anderen. Letzteres ist wohl das Tragischste von allem.

Eindrücke von der „Querdenken“-Demo in Leipzig Anfang November 2020

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stern TV: COVID-19-Genesene auf Querdenken-Demo in Leipzig

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