Von Jürgen Fritz, Do. 20 Mai 2021, Titelbild: AFP-Screenshot
„Die Berliner SPD und die Berliner können sich auf mich verlassen. Dazu stehe ich. Mein Wort gilt“, sagt sie und kündigt unmittelbar nach ihrer Rücktrittsankündigung als Bundesfamilienministerin an, dass sie nun Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden will, um so in wenigen Monaten erneut in die zweithöchste Reihe deutscher Politik zu rücken. Respekt vor dieser Frau! Raffiniert ist Franziska Giffey wirklich bis hinter beide Ohren.
In besorgniserregendem Maße einfach abgeschrieben, ohne etwas nachzuprüfen
„Das ist schon längst in einem Bereich, wo man normalerweise den Doktorgrad entziehen würde, auch nachträglich. Auf jeden Fall ist das, was sie da vorgelegt hat, eine Dissertation, die man so nicht hätte als Doktorarbeit annehmen dürfen“, sagt der Rechtswissenschaftler Gerhard Dannemann gegenüber BR24. Es gäbe mehrere Fehlermöglichkeiten im Umgang mit Quellen, so der Jurist. Der gefährlichste aber sei, dass man Belege, die man selbst anführe, gar nicht nachgeprüft habe. Denn:
„Am Ende haben Sie etwas, auf das Sie sich so verlassen können, wie auf die Richtigkeit beim Kindergeburtstagsspiel Stille Post. […] Und das findet man bei Frau Giffey in einem besorgniserregend hohen Maß, dass sie einfach Belege abgeschrieben hat.“
Einen der Gründe, warum Leute plagiieren, sieht der VroniPlag-Experte im Zeitmangel: Bei Politikern finde man besonders oft, dass sie es schwierig fänden gleichzeitig zu promovieren und in der Politik aktiv zu sein. Dann liefen sie Gefahr, „beides nicht richtig zu machen.“
„Ich versichere an Eides statt, dass ich nach bestem Wissen die reine Wahrheit erklärt und nichts verschwiegen habe“
Richtig machen will Franziska Giffeys es aber jetzt, nachdem sie ihre wissenschaftliche Ausbildung nicht richtig abgeschlossen hat. Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet, dass man sich dem wissenschaftlichen Regelwerk unterwirft. Das hat etwas mit Moral, mit einem wissenschaftlichen Ethos zu tun. Diese Moral, dieses Ethos muss man nicht anerkennen. Man kann sagen: „Ich halte das alles für Unfug. Zu Wahrheit kommt man auf ganz anderem Wege, nicht über wissenschaftliche Forschung.“ Das darf man in einer freien, geistig offenen Gesellschaft. Dann sollte man aber nicht an einer wissenschaftlichen Hochschule studieren und dort einen Abschluss erwerben wollen. Das passt irgendwie nicht zusammen. Wer das wissenschaftliche Ethos ablehnt – das darf wie gesagt jeder -, der sollte sich nicht dort ausbilden lassen.
Zu diesem Ethos gehört es, dass man sauber arbeitet und fremdes geistiges Eigentum auch als solches kennzeichnet. Wer das aus grober Schlampigkeit oder gar vorsätzlich nicht tut und das nicht dergestalt, dass ihm ein, zwei, drei kleine Fehler unterlaufen – nobody is perfect -, sondern derart, dass solche Fehler fast die ganze Arbeit durchziehen, der missachtet damit das wissenschaftliche Ethos und der sollte dann auch nicht nach außen hin vorgeben, einen wissenschaftlichen Abschluss ordentlich erworben zu haben. Wer das doch tut, der heuchelt etwas vor, was bei ihm nicht vorhanden ist.
Diese Erklärung hat Franziska Giffey abgegeben und mit ihrem guten Namen unterzeichnet:
„Bei der eingereichten Dissertation mit dem Titel … handelt es sich um mein eigenständig erstelltes Werk, das den
Regeln guter wissenschaftlicher Praxis entspricht. Ich habe nur die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt und mich keiner unzulässigen Hilfe Dritter bedient. Insbesondere habe ich wörtliche und nicht wörtliche Zitate aus anderen Werken als solche kenntlich gemacht. (…)
Die Richtigkeit der vorstehenden Erklärung bestätige ich. Die Bedeutung der eidesstattlichen Versicherung und die strafrechtlichen Folgen einer unrichtigen oder unvollständigen eidesstattlichen Versicherung sind mir bekannt. Ich versichere an Eides statt, dass ich nach bestem Wissen die reine Wahrheit erklärt und nichts verschwiegen habe.“
Eine Frage des Charakters, der hier sichtbar wurde
Es ist einfach wenig glaubhaft, wenn jemand meint, „na gut, da war sie nicht ehrlich, hat allen – ihrem Professor, den Kommilitonen, der Hochschule, der gesamten Wissenschaftsgemeinde – etwas vorgeheuchelt, aber jetzt ist sie ja in einem anderen Metier tätig, der Politik, und da gelten ja sowieso ganz andere Regeln“. Eine solche Sichtweise zeugt meines Erachtens doch von einer gewissen Naivität oder einer sehr oberflächlichen Betrachtung. Denn wenn jemand schon in seiner Ausbildung, für die er sich ja frei entschieden hat, zu der er nicht gezwungen wurde, solche Charakterzüge zeigt, dass er allen, mit denen er viele Jahre lang zu tun hatte, derart etwas vormacht, warum sollte er das dann später in anderen beruflichen Bereichen nicht wieder tun? Man legt doch seinen Charakter nicht mit dem Verlassen der Hochschule ab. Wie sollen Menschen dann aber jemanden, der schon in seiner Ausbildung so agierte, vertrauen können, dass er respektive hier sie nicht bei jeder Gelegenheit, wo es darum geht, sich persönliche Vorteile auf moralisch fragwürdige Weise zu verschaffen, genau so wieder agieren wird?
Vor diesem Hintergrund ist es dann schon bemerkenswert mit welcher Chuzpe Giffey sich selbst inszeniert und sich dann auch noch selbst dafür rühmt, dass sie von ihrem Amt, in dem sie längst untragbar war, nun endlich zurücktritt und die SPD nun sogar noch versucht, den Bürgern diese Frau als große Heldin zu verkaufen, weil sie – und das wohl wiederum nach Druck aus der eigenen Partei – ihren Rücktritt ankündigte.
Wenn man seine Glaubwürdigkeit völlig eingebüßt hat, zieht man sich aus der Politik zurück – und zwar dauerhaft
Nun gab es schon einige Spitzenpolitiker, auch in Ämtern als Bundesminister – so Karl Theodor zu Guttenberg (CSU, zunächst Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, dann Bundesminister der Verteidigung), Silvana Koch-Mehrin (FDP, Vizepräsidentin des EU-Parlaments), Annette Schavan (CDU, Bundesministerin für Bildung und Forschung) – denen grobe Schlampigkeiten oder gar vorsätzlicher Betrügereien bei der Erstellung ihrer Doktorarbeit nachgewiesen wurde, denen ihr Titel wieder entzogen werden musste. Sie alle traten von ihren Ämtern zurück. Aber nicht nur das, denn das ist eine absolute Selbstverständlichkeit und kein Stoff für ein Sozi-Heldenepos, liebe SPD, wenn dann höchsten Stoff für eine Schmierenkomödie. All die soeben Genannten, denen ihr Doktortitel entzogen werden musste, spielten nämlich – und das ist das Entscheidende! – fortan keine Rolle mehr in der Spitzenpolitik. Sie sind aus dieser schlicht verschwunden und das dauerhaft. Warum war dem so? Weil sie ihre Glaubwürdigkeit verloren hatten.
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, sagt der Volksmund. Das mag übertrieben sein. Kein Mensch ist wohl wirklich immer ganz ehrlich. Aber wenn jemand so massiv betrügt, so massiv gegen einen Moralkodex, gegen ein Berufsethos verstößt, dem er sich freiwillig selbst untergeordnet hat, ein Kodex, den er nach außen hin anerkannte, dann ist die Vertrauensbasis in der Regel unwiderruflich zerstört. Ohne Vertrauen in die Mandatsträger geht es in der Politik aber nicht. Wie kann man die Chuzpe besitzen, zu sagen: Als Bundesministerin trete ich zurück (das Amt hätte Giffey in wenigen Monaten ja ohnehin abgeben müssen), aber als Landesvorsitzende meiner Partei bleibe ich, denn da können sich die Berliner darauf verlassen. „Dazu stehe ich. Als Berlinerin konzentriere ich mich jetzt mit all meiner Kraft auf meine Herzenssache.“
Die höhere Giffey- und SPD-Logik, die für normal Sterbliche wohl nicht erfassbar ist
Aha! Berlin ist also jetzt Giffeys „Herzenssache“. Ihr Studium, ihre Berufsausbildung und ihre Doktorarbeit waren dann also keine „Herzenssache“. Das hat sie halt nur so herzlos gemacht. Und deswegen gab es für sie da auch keine Sorgfalts- und Wahrhaftigkeitspflichten, weil sie da ja nicht mit dem Herzen dabei war. Ich kann ja nur hoffen, dass mein Hausarzt oder wenn ich mal ins Krankenhaus und mich dort eine OP unterziehen muss, der mich operierende Chirurg sein Studium und seinen Beruf nicht herzlos absolviert und ausführt. Und ihre Tätigkeit als Bundesministerin in den letzten drei Jahren war ja dann offensichtlich auch keine „Herzenssache“ für Sie, oder wie soll man das verstehen, Frau Giffey?
Und wenn auch das Amt als Bundesfamilienministerin keine „Herzenssache“ war, müssen wir dann womöglich mit weiteren Enthüllungen auch aus dieser Zeit rechnen? Gelten ein Berufsethos, Moral und Wahrhaftigkeit für Sie, Frau Giffey, nur dann, wenn Ihnen etwas eine „Herzenssache“ ist, alle andere Tätigkeiten, die Sie in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ausgeübt haben, waren aber keine solche „Herzenssache“ und wenn etwas keine „Herzenssache“ ist, dann gibt es für Sie auch kein entsprechendes Ethos, an das Sie sich irgendwie gebunden fühlen? Und wie können die Bürger von Berlin sicher sein, dass Sie in einigen Jahren nicht wieder sagen, Berlin war doch nicht ihre eigentliche „Herzenssache“, diese sei vielmehr etwas ganz anderes, dem Sie sich nun widmen wollen? Die eidesstattliche Erklärung haben Sie damals doch auch abgegeben und sich nicht daran gehalten. Bitte erklären Sie mir Ihre Logik! Ich verstehe Sie nicht.
Die selektive Wahrnehmung der SPD: „Giffey steht zu ihrem Wort“ – Zu welchem Wort denn?
Verstehen können diese seltsame Giffey-Logik aber offensichtlich Ihre Parteigenossen. Der Berliner SPD-Chef Raed Saleh plädiert dafür, klar zwischen Bundesministerin und Giffeys Spitzenkandidatur in der Hauptstadt zu trennen. „Als Ministerin wird man ernannt. Als Regierende wird man gewählt“, sagte Saleh heute im Deutschlandfunk. Aha! Giffey musste zurücktreten, weil sie nicht gewählt, sondern ernannt worden war. Der Verlust der Glaubwürdigkeit und des Vertrauens spielt für SPD-ler gar keine Rolle. Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 26. September müssten nun die Wähler entscheiden, ob Giffey etwa ihre Arbeit als Neuköllner Bürgermeisterin und auch als Ministerin gut gemacht habe, meint Saleh. Nun würden die Berliner entscheiden, wer am Ende legitimiert sei, „ins Rote Rathaus einzuziehen.“ Giffey habe „Wort gehalten“. Es gebe bei vielen Menschen eine Sehnsucht nach Politikern, „die wirklich auch zu ihrem Wort stehen“.
Haben Sie da noch Worte zu dieser nicht nur Wortverdreherei? Giffey ist jetzt plötzlich ein Heldin, die „zu ihrem Wort steht“. Ja welchem Wort denn? Das Wort gegenüber der Universität, gegenüber den Kommilitonen und Kollegen, gegenüber dem Berufsethos kann ja wohl kaum gemeint sein. Gibt es eine spezielle SPD-Schule, wo man lernt, die Glaubwürdigkeit eines Menschen vollkommen selektiv zu bewerten? „Alle anderen kann sie ruhig belügen, Hauptsache uns gegenüber hält sie ihr Wort.“ Wo kann man das studieren? Gibt es da auch Doktortitel? Vielleicht kann Frau Giffey ja dort einen solchen erwerben. Dann hat sie wieder einen und alles ist gut. Dann muss die Kanzlerin sie womöglich vor der Bundestagswahl dem Bundespräsidenten erneut als Familienministerin vorschlagen.
Giffey hat einen wissenschaftlichen Titel erworben, ihn über zehn Jahre lang im Namen getragen und jetzt stellte sich heraus: der Erwerb war gar nicht legitim!
Frau Giffey hat einen wissenschaftlichen Titel erworben, Herr Saleh. Das ist etwas anderes als ein Titel „Clubmeisterin bei den Damen über 40 im Tennisclub TC Roschbach“. Mit solche einem Titel gibt man zu erkennen: a) Ich habe ein wissenschaftliches Studium erfolgreich abgeschlossen und b) zusätzlich auch noch – in der Regel über Jahre – ein eigenständige Forschungsarbeit durchgeführt und vorgelegt, die neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu Tage förderte. Dieser Titel ist so bedeutend, dass er fortan zum Teil des Namens wird, quasi wie ein weiterer Vorname. Und dieser zusätzliche Vorname verschafft einem nicht selten auch berufliche und gesellschaftliche Vorteile, weil er anzeigt, dass hier eine besondere, recht aufwendige Leistung erbracht wurde, die besondere Fähigkeiten verlangt hat. Wer das vorspiegelt, ohne eine solche Leistung tatsächlich in dieser Form erbracht zu haben, der ist allen anderen gegenüber nicht wahrhaftig. Er oder sie ist dann ein(e) Blender(in).
Das scheint der SPD aber gar nichts auszumachen: „Die große Mehrheit in der Partei steht hinter ihr“, sagt auch der Co-Kreisvorsitzender der SPD Charlottenburg-Wilmersdorf, Kian Niroomand: Giffeys Rücktritt – vier Monate vor der Bundestagswahl, nach der ihre Amtszeit sowieso bald vorbei gewesen wäre – sei „ein schwieriger Schritt“ gewesen, „für den sie Respekt“ verdiene.
Respekt? Ach was, Franziska Giffey ist eine Heldin, weil sie kurz vor der Bundestagswahl und ihrer Ablösung auf Druck von außen endlich zurückgetreten ist. In ganz Berlin, ach, in ganz Deutschland sollten überall, in jedem Park, Denkmäler von ihr errichtet werden! Liebe SPD, sagt mal, ist bei Euch im Oberstübchen noch alles in Ordnung? Oder haltet Ihr die Bürger einfach für so unsagbar dämlich, dass sie Euch das abkaufen? Was für ein Menschenbild habt Ihr eigentlich? Ich bin sprachlos.
Das Wort der Abgebrühten
Daher übergebe ich jetzt das Wort Stefan Kuzmany vom SPIEGEL (Hervorhebungen von mir):
„Tatsächlich ist der bußfertige Rücktritt kein Beweis ihrer Integrität, sondern politisches Kalkül. Wir sind gerade Zeugen eines bemerkenswerten politischen Zaubertricks. Franziska Giffey hat beim Verfassen ihrer Doktorarbeit zumindest unsauber gearbeitet, wahrscheinlich unredlich geschlampt, womöglich wissentlich betrogen. Und doch hat sie die Chuzpe, sich im Abgang als absolut vertrauenswürdige, integre Politikerin zu inszenieren. (…)
Mit jeder Wiederholung wird dabei deutlicher, von welcher Qualität diese Inszenierung der eigenen Integrität ist: Sie ist hohl. (…) Familienministerin wäre sie, Doktortitel hin oder her, ohnehin längstens noch wenige Monate geblieben, bis zur Bildung einer neuen Regierung nach der Bundestagswahl. Der Amtsverzicht soll offenbar wirken wie eine Buße, in Wahrheit jedoch hat sie ihn nur billig vorverlegt, wie jemand, der ein gemietetes Auto mit großer Geste zwei Stunden vor Ablauf der Frist zurückbringt. (…) Zumal Giffeys nächste Fahrgelegenheit bereits mit laufendem Motor auf sie wartet: Jetzt kann sie sich ganz auf den Berliner Wahlkampf konzentrieren. (…)
Nicht unwahrscheinlich, dass Franziska Giffey mit diesem Trick tatsächlich durchkommt, dass die … Berliner ihr verzeihen. Man hat in der Hauptstadt durchaus ein gewisses Faible für professionelle Schlawiner. (…) Sollte Giffey … womöglich sogar Regierende von Berlin werden, dann hätte sie geschafft, was vor ihr niemandem gelungen ist: Sie hätte das Doktorplagiat nicht nur überstanden, sondern würde befreit davon in die erste Reihe ihrer Partei rücken, irgendwann vielleicht sogar mit Aussichten auf die Kanzlerkandidatur. Das muss man Franziska Giffey lassen: Die nötige Abgebrühtheit bringt sie mit, für jedes denkbare Amt“,
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