Von Jürgen Fritz, Sa. 12. Feb 2022, Titelbild: Sportschau-Screenshot
Sie lief das anspruchsvollste Damenkurzprogramm, das in der Geschichte des olympischen Eiskunstlaufes je gezeigt wurde. Sie verzauberte in der Kür, holte die Team-Goldmedaille für das Russische Olympische Komitee und war Top-Favoritin im Einzelwettbewerb. Die erst 15-jährige Kamila Walijewa gilt schon jetzt als Jahrhundertläuferin. Doch nun zogen dunkle Wolken über ihr auf.
Überhaupt nur auf Bewährung dabei und gleich der nächste Dopingverstoß?
Die russischen Athleten dürfen ohnehin schon nur auf Bewährung bei den olympischen Winterspielen in Beijing 2022 teilnehmen, nachdem ihnen systematisches Doping bei den Spielen von Sotschi 2014 nachgewiesen wurde. Recherchen der ARD-Dopingredaktion hatten den russischen Staatsdoping-Skandal im Dezember 2014 ins Rollen gebracht. Damals wurden erstmals massive Vorwürfe gegen Russlands Leichtathletik publik.
Später kam heraus, dass die Gastgeber während der Winterspiele 2014 in Sotschi unter anderem mit Hilfe des Geheimdienstes FSB dopingverseuchte Urinproben russischer Sportler reihenweise gegen saubere austauschten. Die Machenschaften setzten sich bis 2019 mit der Manipulation von Daten aus dem Moskauer Dopingkontrolllabor fort. Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA konnte viele der Manipulationen nachvollziehen. Es ergaben sich Hunderte Verdachtsfälle, deren Aufarbeitung bis heute nicht ansatzweise abgeschlossen ist.
In Peking dürfen russische Athleten daher nicht unter eigener Flagge und nicht mit der russischen Hymne antreten. Nun scheint es in der Bewährung gleich den nächsten Dopingfall zu geben und der hat es in sich. Denn es handelt sich um die erst 15-jährige Kamila Walijewa.
Walijewa positiv auf Trimetazidin getestet
Das Mädchen ist eines der Eiskunstlauf-Wunderkinder der Russen, hat im Teamwettbewerb dominiert und war für die Einzelkonkurrenz die Favoritin für Gold. „Sie ist unglaublich stark“, sagt die frühere Weltklasse-Eiskunstläuferin Sarah van Berkel. „Ich habe noch nie so eine Läuferin gesehen.“ Was Berkel besonders beeindruckt: „Allem voran ihre Sprungstärke, sie springt unglaublich hoch.“ Walijewa sprang in Peking mit nur 15 Jahren den vierfachen Toeloop, den Vierfach-Salchow und den dreifachen Axel. Eine unglaubliche Leistung, selbst für voll ausgewachsene Frauen.
Nun wurde bekannt, dass Walijewa laut mehreren russischen Medienberichten auf die verbotene Substanz Trimetazidin positiv getestet worden sei. Eine Substanz, die seit 2014 auf der Dopingliste der WADA steht. Bereits am 25. Dezember 2021 sei Kamila Walijewa bei den russischen Meisterschaften positiv getestet worden.
Vorläufige Suspendierung, gegen die Einspruch eingelegt wurde, so dass gegen den Einspruch wiederum Einspruch eingelegt wurde
Dies kam am Dienstag heraus – einen Tag, nachdem sie mit dem russischen Team bei den Olympischen Winterspielen in Peking den Titel gewonnen hatte. Walijewa war am 25. Dezember unter Aufsicht der russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA positiv auf TMZ getestet worden. Kontrolliert wurde die Probe im WADA-Labor in Stockholm. Aber erst am vergangenen Dienstag meldeten die Schweden das positive Ergebnis – woraufhin die RUSADA eine vorläufige Suspendierung aussprach.
Gegen die vorläufige Suspendierung legte wiederum Walijewa noch am Mittwoch Einspruch ein. Am Mittwochabend hob die RUSADA, die wegen des Zeitpunktes der Probeentnahme in St. Petersburg formell noch immer zuständig ist, die Suspendierung nach einer Anhörung wieder auf. Eine Begründung dafür soll die RUSADA nach Auskunft der ITA in Kürze liefern. Damit dürfte Walijewa im Einzelwettbewerb teilnehmen, der am Dienstag, den 15. Februar beginnt. Dort wäre sie die Top-Favoritin auf Gold.
Gegen diese Aufhebung der Suspendierung legte dann das Internationale Olympische Komitee IOK bzw. IOC wiederum Einspruch ein. Über diesen soll nun in den kommenden Tagen von der Ad-hoc-Kammer des Internationalen Sport-Schiedsgerichtes CAS in Peking entschieden werden. Insgesamt muss man wohl sagen: Der neue Dopingfall, noch dazu mit einer 15-Jährigen (!), zieht die Abkehr der Russen von den Sünden der Vergangenheit erneut schwer in Zweifel. Das IOC muss sich wieder einmal fragen lassen, ob die von ihm verhängten Sanktionen hart genug und zielführend waren und sind. In Russland jedenfalls scheint man das IOC nicht sehr ernst zu nehmen.
Bei Walijewa wurde ein Mittel gegen Angina pectoris nachgewiesen, das manche Sportler gerne zur Leistungssteigerung einsetzen
Trimetazidin ist ein antiischämischer Wirkstoff, mit dem herzkranke Menschen behandelt werden, die unter Angina pectoris (Brustenge) leiden. Es wirkt also gegen Minderdurchblutung (Ischämie). TMZ, wie es in der Sportlerszene auch genannt wird, ist ein sogenannter Stoffwechsel-Modulator, der den Blutfluss und damit die Ausdauer steigern kann. Weil es auch zur Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit missbraucht werden kann, steht es seit 2014 auf der WADA-Verbotsliste.
„Man kann immer versuchen, eine Ausnahmegenehmigung für die Behandlung mit bestimmten Medikamenten zu bekommen – aber die Wahrscheinlichkeit, dass jemand in ihrem Alter eine Krankheit hat, die aus medizinischen Gründen mit genau dem Mittel behandelt werden muss, sehe ich bei praktisch null“, sagt Prof. Dr. Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für Biomedizin und Pharmazeutische Forschung (IBMP) Nürnberg. Eine Angina Pectoris (Brustverengung, nicht zu verwechseln mit Mandelentzündung), zu deren Linderung Trimetazidin eingesetzt wird, sei ein Thema bei über 40-Jährigen, nicht bei Teenagern.
Trimetazidin gehört zur Gruppe der „Hormone und metabolischen Modulatoren“ – wie auch Meldonium, das 2016 bei der russischen Tennisspielerin Maria Scharapowa nachgewiesen wurde und zu einer 15-monatigen Sperre führte. Und aus der DDR-Zeit ist bekannt, dass auch Eiskunstlauf im Dopingprogramm der Sozialisten war. Ebenso ist aus jüngeren russischen Akten bekannt, dass Eiskunstlauf dort immer wieder in Dopingprogrammen aufgeführt war.
Bekannter Dopingarzt im Umfeld der 15-Jährigen: systematisches Kinderdoping?
Für den russischen Eiskunstlaufverband arbeitet seit einiger Zeit ein Teamarzt mit einer einschlägigen Dopingvergangenheit: Filipp Shvetskiy. Dieser hatte bereits vor den Olympischen Spielen in Peking 2008 sechs russische Ruderer mit verbotenen Infusionen versorgt. Dies sei aktenkundig. Shvetskyi habe auch die persönliche Verantwortung übernommen. Dafür wurde er für vier Jahre gesperrt, doch die Sperre wurde später auf zwei Jahre verkürzt. Shvetskiy hatte den Verstoß eingeräumt, er habe seine Athleten nur „schützen wollen“. Shvetskiy hatte Walijewas Team zuletzt regelmäßig begleitet.
Sollte sich dieser Verdacht respektive Befund nun auch bei Walijewa bestätigen, ergäbe sich ein weiterer Verdacht: der des systematischen Kinderdopings, da Walijewa ja gerade erst 15 Jahre alt ist. Nach Sportschau-Informationen sind noch Hunderte Verdachtsfälle aus dem russischen Staatsdoping ungeklärt – 50 davon im Wintersport.

Sportschau-Screenshot
Morddrohungen gegen britischen Journalisten von Walijewa-Anhängern
Einer der britischen Reporter des Branchenportals Inside the Games, das zuerst über den Dopingfall Walijewa berichtet hatte, hat inzwischen von deren Anhänger Morddrohungen erhalten.
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