Warum es wenig glaubhaft ist, dass Ralf Höcker eine Waffe bei „Migrantenschreck“ kaufte

Von Peter Mersch, Fr. 14. Feb 2020, Titelbild: Verband Schweizer Medien-Screenshot

Ralf Höcker war bislang der Sprecher der WerteUnion innerhalb der CDU/CSU, das von eigenen Parteikollegen als „Krebsgeschwür“ bezeichnet wurde. Und was macht man mit Krebsgeschwüren? Gestern hat Höcker nun alle seine politischen Ämter niedergelegt. Als Begrünung gibt er an, dass an ihn und seine Familie, er wird in Kürze das erste Mal Vater, massive Drohungen eingegangen seien, die alle bisherigen solchen weit überträfen. Höckers Beweggründe werden von einigen, von denen nicht wenige wiederum glauben, dass sie eine konzertierte Diffamierungs- und Vernichtungskampagne gegen die WerteUnion fahren würden, in Zweifel gezogen. Was stimmt denn nun? Peter Mersch ging der Sache nach.

Ralf Höckers Rücktrittserklärung

Betrachten wir zunächst Ralf Höckers Begründung für seinen sofortigen Rücktritt von sämtlichen politischen Ämtern, die er gestern auf Facebook veröffentlichte (Hervorhebungen JFB):

»Ich habe mich eben mit folgendem Text von meinen Freunden in der WerteUnion verabschiedet und bin ab sofort nur noch Privatmann.

RÜCKTRITT

Wir alle haben hautnah mitbekommen, was in den letzten Tagen passiert ist: Über uns werden übelste Falschbehauptungen und heute sogar gefälschte WU-Memes verbreitet, man schnüffelt unser Privatleben aus und man verfügt erstaunlicherweise über die notwendigen Mittel und Möglichkeiten, dies zu tun.

Wir sind das Ziel einer konzertierten Verleumdungs- und Beleidigungsaktion. Mir persönlich wurde mittels einer gefälschten Bestellung unterstellt, ich hätte bei einem rechtsradikalen Onlineshop Waffen gekauft. In meiner Kanzlei haben mich anonyme Morddrohungen erreicht. Schon vor längerer Zeit haben Unbekannte mich unter meiner Wohnanschrift „besucht“ und die Kölner Antifa hat gegen mich persönlich demonstriert.

All das ist halb so schlimm. Als Anwalt, der auf Krisensituationen spezialisiert ist, bin ich es gewohnt, im Feuer zu stehen und habe ein dickes Fell. Schon vor längerer Zeit habe ich eine ganze Reihe von Maßnahmen zum Schutz meiner Familie getroffen, denn in wenigen Wochen werde ich zum ersten Mal Vater. Was ich allerdings heute erlebt habe, toppt alles.

Mir wurde vor zwei Stunden auf denkbar krasse Weise klar gemacht, dass ich mein politisches Engagement sofort beenden muss, wenn ich keine „Konsequenzen“ befürchten will. Die Ansage war glaubhaft und unmissverständlich.

Ich beuge mich dem Druck und lege mit sofortiger Wirkung alle meine politischen Ämter nieder und erkläre den Austritt aus sämtlichen politischen Organisationen. Ich habe die LSU und die WerteUnion mit aufgebaut. Auf beides bin ich stolz. Jetzt geht es für mich nicht weiter. Das schmerzt mich sehr. Mein Entschluss steht dennoch fest. Ich brauche jetzt ein paar Tage Ruhe, stehe aber in den laufenden Presseangelegenheiten weiter mit meinem Rat zur Verfügung.

Bitte versucht nicht, mich umzustimmen oder Näheres in Erfahrung zu bringen. Beides bringt nichts. Ich wünsche Euch von Herzen alles Gute! Passt gut auf Euch auf, wir leben in stürmischen Zeiten!

Herzliche Grüße
Ralf«

So weit Ralf Höcker.

Gezielte Diffamierungskampagne durch eigene Parteikollegen?

Auf den darin erwähnten Vorwurf, Höcker hätte bei einem rechtsradikalen Onlineshop Waffen gekauft, soll im Folgenden näher eingegangen werden, zumal er maßgeblich von CDU-Führungspersönlichkeiten in die Öffentlichkeit getragen wurde, beispielsweise am 12.02.2020 durch den CDU-Bundestagsabgeordneten Matthias Hauer via Twitter;

Matthias Hauer

Um dann sogar nochmal nachzulegen mit den Worten, Ralf Höcker würde die Behauptungen von @ExitRecherche (dazu gleich mehr) „abstreiten“. Man achte auf die Wortwahl.

Matthias Hauer 2

Dem schloss sich der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz mit den Worten an:

Ruprecht Polenz

Die Behauptungen von „EXIF Rechercherche & Analyse“ 

Polenz bezieht sich darin sowohl auf einen Artikel eines vermeintlichen „Recherchebüros“ als auch eine Stellungnahme von Ralf Höcker selbst. Konkret ist der Artikel WERTEUNION: AFD-SPENDE UND EIN WAFFENKAUF der EXIF Recherche & Analyse (eine mutmaßlich linksextreme Initiative oder wie sie sich selbst beschreibt: „eine unabhängige, antifaschistische Rechercheplattform, die sich mit der rechten und neonazistischen Szene befasst“) vom 12.02.2020 gemeint. Darin heißt es unter anderem:

»In verschiedenen Belangen vertrat und vertritt die Kanzlei Höcker, mit ihrem neuen „Of-Counsel“ Kollegen Maaßen, die Interessen der AfD, was eine gewisse inhaltliche Nähe zu dieser vermuten ließ – offenbar hatte Ralf Höcker aber auch handfestere Interessen: so tauchen seine Daten auf einer Bestellliste des inzwischen nicht mehr existenten Onlineshops „Migrantenschreck“ auf. Im Oktober 2016 entdeckte ein Aktivist die Datenbank, die Bestellungen, Käufer, sowie Umsätze umfasst und die der Betreiber der Seite unverschlüsselt ins Netz gestellt hatte. Ralf Höcker bestellte am 27. Juli 2016 mit der E-Mail hoecker@hoecker.eu einen Schreckschuss-Revolver für 399 Euro und ließ sich diesen an eine Privatadresse in der Kölner Altstadt liefern. Der rassistische Onlineshop wurde vom Neonazi Mario Rönsch betrieben, der von Ungarn aus diverse, potentiell tödliche und verbotene Waffen verkaufte und dafür später zu fast drei Jahren Haft verurteilt wurde.

Mit Namen der Waffen wie „Migrantenschreck MS60 Professional“ und „Antifaschreck AS125“ richtete sich die Seite gezielt an die extreme Rechte und rief mit entsprechenden Texten zu Gewalt gegen Linke und Geflüchtete auf. Der Werbetext zu der Waffe inklusive Munition, die Höcker kaufte lautete: „60 Joule Mündungsenergie strecken jeden Asylforderer nieder“. Munition kann schon bei 7,5 Joule Mündungsenergie schwere oder auch tödliche Verletzungen verursachen. Erwerb und Besitz solcher Waffen mit Mündungsenergie von mehr als 7,5 Joule sind in Deutschland ohne Waffenbesitzkarte verboten.«

Ralf Höckers Stellungnahme dazu

Ralf Höcker hatte dieser Darstellung wie folgt schriftlich widersprochen (Polenz bezog sich bereits darauf):

»Im Rahmen der gerade gegen die WerteUnion laufenden Kampagne wird aktuell behauptet, ich hätte bei einem rechtsradikalen Onlineshop „Migrantenschreck“ eine Waffe bestellt. Das ist frei erfundener Blödsinn. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie irgendetwas bei „Migrantenschreck“ bestellt. Ich habe auch ansonsten noch nie eine Waffe bestellt, im stationären Handel erworben, geliehen, gemietet, geschenkt erhalten oder in sonstiger Weise in meinen Besitz bekommen.

Konkret lese ich, dass ich eine Schreckschusspistole gekauft haben soll. Das habe ich wie gesagt nicht. Ich besitze keine Schreckschusspistole und habe auch noch nie eine in der Hand gehalten.

Richtig ist, dass irgendjemand im Mai 2016 meine KORREKTE, im Internet öffentlich einsehbare E-Mailadresse, eine FALSCHE Telefonnummer und eine FALSCHE Lieferadresse in einem Onlinebestellformular eingegeben zu haben scheint. Denn in meinem Posteingang habe ich eine „Bestellbestätigung“ von Migrantenschreck, die als Lieferanschrift eine schon damals nicht mehr aktuelle Wohnanschrift sowie die Telefonnummer einer öffentlich bekannten und vor Jahren in der Kritik stehenden Mandantin unserer Kanzlei nannte.

Wenn ich 763,95 EUR Vorkasse auf ein österreichisches Konto überweise, sollte ich das „Migrantenschreck HD130 Superior Komplettpaket“ erhalten – an eine schon damals veraltete Wohnanschrift. Selbstverständlich habe ich diese Überweisung nicht getätigt, keine Lieferung erhalten und schon von vornherein nichts dort bestellt. Vielmehr hat sich entweder jemand einen „Scherz“ mit mir erlaubt oder es war Phishing-Spam. Ich gehe eher von einem schlechten Scherz aus, da ich schon damals nicht sehr beliebt war und man auf meinen Namen unter Adressen in fremden Städten z.B. auch Turnschuhe kauft (4 Nummern kleiner als meine), für die ich dann Mahnungen von Inkassobüros bekomme.

Die TAZ hat mich eben gefragt, ob ich 2017 bei „Migrantenschreck“ eine Waffe im Wert von 399 € gekauft habe. Auch das ist falsch. Hierfür liegt mir noch nicht einmal eine vermeintliche „Bestellbestätigung“ vor. Alles Käse also!«

So viel zum Vorwurf des Online-Waffenkaufs und der Entgegnung von Ralf Höcker.

Wessen Auslassungen sind in der Sache glaubhafter?

Wesentlich hierfür ist zunächst, dass die Kundenliste von Migrantenschreck der linken Wochenzeitung DIE ZEIT (und anderen) zugespielt und von ihr in mehreren Artikeln in Teilen öffentlich zugänglich gemacht wurde. Beispielsweise im ZEIT ONLINE-Artikel Waffenhandel im Internet: Migrantenschreck-Betreiber nach Deutschland ausgeliefert vom 28.06.2018. Darin ist zu lesen:

«R. soll Gaspistolen und Gewehre vertrieben haben, mit denen gefährliche Hartgummigeschosse abgefeuert werden können und die in Ungarn für Erwachsene legal erhältlich sind. Nach ZEIT-ONLINE-Recherchen schickte er Hunderte der Waffen per Post nach Deutschland. Wie detaillierte Kundendaten zeigen, die ZEIT ONLINE zugespielt wurden, haben demnach mindestens 198 Besteller aus Deutschland, der Schweiz und Österreich bis Ende Januar 2017 Waffen für mehr als 150.000 Euro bei Migrantenschreck gekauft.»

Und oberhalb einer interaktiven Abbildung:

«Die Waffenkäufer

An diese Orte wurden seit Mai 2016 Waffen geliefert. Jede Waffe steht für eine Bestellung. Wir zeigen nicht die konkrete Adresse, sondern lediglich den Postleitzahlbereich. Klicken Sie auf eines der Symbole, um weitere Details der einzelnen Bestellungen zu sehen.»

Es lässt sich mithilfe dieser Abbildung also recht grob selbst recherchieren, wann und wo Waffenkäufe beim Onlineshop Migrantencheck getätigt wurden. Exemplarisch werden die beiden folgenden Einträge dargestellt:

»STADT/GEMEINDE
Köln
BESTELLDATUM
27.07.2016
BESTELLUNG
Schreckschuss-Revolver (399 EUR)
GESAMTSUMME
399,00 EUR«

Und:

»STADT/GEMEINDE
Geretsried
BESTELLDATUM
22.06.2016
BESTELLUNG
Schreckschuss-Revolver (399 EUR)
GESAMTSUMME
399,00 EUR«

Beim ersten Eintrag handelt es sich ganz offensichtlich um die Bestellung, die von EXIF Recherche & Analyse Ralf Höcker zugerechnet wird (gleiches Datum, gleicher Ort, gleiche Waffe). Der zweite Eintrag betrifft eine andere (jedoch recht zeitnahe) Bestellung (der möglicherweise gleichen Waffe – gleiche Bezeichnung, gleicher Preis) aus Geretsried in Bayern. Und dieser Bestellung ist immerhin ein Artikel des Merkur vom 15.01.2018 mit dem Titel AUS DEM AMTSGERICHT: Gummigeschosse sind eine tödliche Waffe (Verfasser: Rudi Stallein) gewidmet. Darin liest sich unter anderem:

«Er wollte sich „zur Wehr setzen können, falls jemand eindringt“. Deshalb besorgte sich ein 61-jähriger Geretsrieder – wie viele andere Bundesbürger zu dieser Zeit – im Frühjahr 2016, zunächst einen „Kleinen Waffenschein“. Im Sommer desselben Jahres kaufte er beim Online-Shop „Migrantenschreck“ einen Schreckschussrevolver samt Hartgummigeschossen. Ein Jahr später deckte er sich bei einem Waffengeschäft in Bad Tölz mit passenden Platzpatronen ein. Nun musste sich der gelernte Kfz-Schlosser wegen vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr einer Schusswaffe vor dem Amtsgericht verantworten. In Ungarn, wo der deutsche Inhaber seinen florierenden Online-Handel betrieben hatte, dürfen Schreckschusswaffen legal an jeden verkauft werden, der älter als 18 Jahre alt ist. Hierzulande sind sie verboten. (…)

Seit Anfang 2017 ist der Shop offline. Anhand einer Kundenliste durchsuchte die Zollfahndung zahlreiche Wohnungen und Geschäftsräume. Am 27. September 2016 standen die Fahnder mit einem Durchsuchungsbeschluss bei dem Geretsrieder vor der Tür. Die Waffe lag geladen in der Nachttischschublade, wie eine Ermittlungsbeamtin als Zeugin erklärte. „Gummigeschosse sind eine tödliche Waffe, wenn jemand unglücklich getroffen wird“, bestätigte die Ermittlerin auf Nachfrage des Gerichts. Anders als die Verteidigerin, die ihrem Mandanten fahrlässiges Handeln zubilligte, ging Richter Helmut Berger von „bedingtem Vorsatz“ aus. Er verurteilte den Geretsrieder zu einer Geldstrafe von 4.050 Euro (90 Tagessätze à 45 Euro). Über den Umweg Internet habe der Angeklagte die gesetzlichen Vorgaben umgehen wollen, so Berger. „Sie haben einen Waffenschein beantragt. Da wäre es ein Leichtes gewesen, sich zu erkundigen, wie man sich schützen kann.“»

Fazit

Gesetzt der Fall, die Bestellung vom 27.07.2016 aus Köln wäre tatsächlich von Ralf Höcker aufgegeben worden, wie es von EXIF Recherche & Analyse behauptet wird. Hätte die Staatsanwaltschaft dann nicht genauso auch gegen den Rechtsanwalt Ralf Höcker ermitteln müssen? Hätte die Polizei dann nicht genauso – zwecks Hausdurchsuchung – vor Ralf Höckers Tür stehen müssen? Und wäre Höckers Name und Adresse in der Kundenliste des Onlineshops Migrantenschreck dann nicht ohnehin ein gefundenes Fressen für die Redaktion der ZEIT und andere gewesen?

Da von dieser Seite aber nie etwas gekommen ist, kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgegangen werden, dass Ralf Höcker bei Migrantenschreck keine Waffe gekauft hat. Die Redaktion der ZEIT könnte aber einen Beitrag zur Wahrheitsfindung leisten, indem sie die Öffentlichkeit darüber informiert, ob die Kölner Bestellung von Ralf Höcker aufgegeben wurde oder nicht. Ich befürchte nur, dass genau dies eben nicht passieren wird. Dies wiederum wäre ein untrüglicher Hinweis dafür, dass Höcker in der Kundenliste des Onlineshops nicht vertreten ist, er dort in Wahrheit niemals eine Bestellung aufgegeben hat.

Somit stellte sich die Frage: Wer hat ein Interesse daran, diese wahrscheinlich unwahre, sehr unglaubwürdige konstruierte Geschichte gerade jetzt zu diesem Zeitpunkt hochzuspülen und wer ist dabei behilflich, daraus eine regelrechte Kampagne zu stricken?

*

Zum Autor: Peter Mersch ist Systemanalytiker und Zukunftsforscher. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Gebieten Migräne, Evolutionstheorie, soziokulturelle Evolution, Demografie und Soziologie. Von ihm stammen die Systemische Evolutionstheorie, das Familienmanager-Konzept und die energetische Migränetheorie. Daneben beschäftigt er sich mit den Ursachen der Übergewichts- und Demenzepidemie. Auch dazu hat er eigene theoretische und praktische Konzepte vorgelegt.

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