Von Jürgen Fritz, Sa. 21. Nov 2020, Titelbild: ATP Tennis TV-Screenshot
Zum 16. Mal in Folge hat sich Rafael Nadal für die ATP Finals der acht Saisonbesten qualifiziert. Einmaliger Weltrekord! Das schaffte nicht mal Federer. Zum zehnten Mal nimmt er an dem Turnier teil. (Sechsmal konnte er verletzungsbedingt nicht antreten.) Zum sechsten Mal steht er im Halbfinale dieses wichtigsten Hallenturniers der Welt. Zweimal, 2010 und 2013, schaffte er es bis ins Endspiel, aber noch nie konnte er das Turnier gewinnen. Ändert sich das an diesem Wochenende?
Kann Rafa es dieses Jahr endlich schaffen?
Turniere in der Halle auf Hartplatz sind diejenigen, die dem Spanier am wenigsten von allen liegen. Gleichwohl gehört er auch hier regelmäßig zu den acht Besten der Welt, oftmals sogar zu den vier Besten. Bei seinem zehnten Start steht der 34-Jährige heute zum sechsten Mal im Halbfinale dieses wichtigsten Hallenturniers der Welt. Zweimal, 2010 und 2013, schaffte er es bis ins Endspiel. Aber noch niemals konnte er die ATP Finals (früher Masters), das – abgesehen von den Olympischen Spielen – fünftwichtigste Turnier der Welt, nach den vier Grand Slam-Events, gewinnen. Es ist der einzig ganz große Titel, der ihm fehlt.
Wimbledon (zweimal), die US Open (viermal), die French Open (13 mal), die Australian Open, die olympische Goldmedaille im Einzel und Doppel, den Davis Cup (fünfmal), all das hat er gewonnen. Spieler des Jahres war er fünfmal. Zum Weltsportler des Jahres wurde er ebenfalls gewählt (fünfmal nominiert). Nur die ATP Finals fehlen ihm und würden seine Titel-Sammlung und seine Tenniskarriere komplettieren. Kann er es dieses Jahr endlich schaffen? Die Antwort lautet: Ja, aber …
Es wird sehr schwer für Nadal, denn erstens steht da heute Daniil Medvedev im Weg
Ja, Rafa, der sich in London in blendender Verfassung zeigt, kann es schaffen, aber es wird schwer für ihn, sehr schwer. Weshalb? Im Halbfinale trifft er heute Abend auf den stärksten Spieler des Turniers, den vielleicht aktuell besten Spieler der Welt, zumindest auf Hartplatz in der Halle: Daniil Medvedev.
Wie stark dieser ist, zeigte er bereits vor zwei Wochen bei seinem Turniersieg in Paris-Bercy (B) und diese Woche in allen seinen drei Gruppenspielen, ganz besonders gegen den Weltranglistenersten Novak Djokovic, den er regelrecht in seine Bestandteile zerlegte. Der Serbe stand ab Mitte des ersten Satzes völlig hilflos auf dem Platz, wusste gar nicht mehr, wie er überhaupt gegen diesen furios aufspielenden 24-Jährigen agieren soll, um zu punkten. Medvedev ist der Einzige der acht Top-Spieler der Welt, der ohne Matchverlust, ja sogar ohne Satzverlust durchs Turnier ging!
Rafa hat Medvedev bisher stets geschlagen, aber der Russe ist derzeit stärker denn je und Hartplatz in der Halle kommt ihm sehr entgegen
Nadal kann Medvedev gleichwohl schlagen, da sein Spiel dem Russen wohl nicht so sehr liegt. Die bisherigen drei Begegnungen, alle in 2019, gingen stets an Nadal. Letztes Jahr schlug er Medvedev zunächst im Finale des Masters 1000 in Kanada (B) glatt mit 6:3, 6:0, dann im Endspiel der US Open (A) in einem wahren Krimi mit 6:4 im fünften Satz und schließlich genau vor einem Jahr im Gruppenspiel der ATP Finals (B+) mit 7:6 im dritten Satz. Das zeigt schon, bei den beiden wird es – abgesehen von der ersten Begegnung – meist ganz eng.
Nur Medvedev ist jetzt im Moment gerade meine Erachtens noch stärker als letztes Jahr und das Match findet in der Halle statt. Das kommt eher ihm als Rafa entgegen. Dieser wird heute sein allerbestes Tennis spielen müssen und zugleich hoffen, dass Medvedev das Niveau der Gruppenphase nicht ganz halten kann. Dann hat Nadal eine Chance. Ansonsten erscheint es fast unmöglich.
Ein langes, schweres erstes Halbfinale zwischen Thiem und Djokovic wäre gut für Nadal, sollte er Medvedev schlagen können
Rafa braucht einen Spielplan, wie er den Russen knacken kann, eine klare Strategie, die er dann auch konsequent in die Wirklichkeit umsetzen muss, wogegen der zehn Jahre Jüngere sich mit allem, was er hat, wehren wird. Und Medvedev hat sehr viel, womit er sich wehren kann. Er hat im Grunde mehr Möglichkeiten auf diesem Belag als der Sandplatzkönig, vor allem Medvedevs mächtiger Aufschlag, aber auch seinen enorm druckvollen Grundschläge mit denen er seine Gegner regelrecht wegfegen kann.
Sollte Nadal das Halbfinale heute Abend nach 21 Uhr gleichwohl gewinnen, dann wäre für ihn gut, wenn sich Thiem und Djokovic im ersten Halbfinale nach 15 Uhr MEZ eine wahre Tennisschlacht über mindestens zwei bis drei Stunden liefern, je länger desto besser. Das bis morgen wegzustecken, ist nicht einfach, sowohl physisch als auch mental. Vor allem Thiem scheint mir nach solch großen Matches direkt darauf verwundbar. Aber auch Djokovic könnte dann Probleme bekommen. Ich habe den Eindruck, dass er nach solch schweren Matches vor allem mental nicht mehr so schnell regeneriert wie noch vor fünf oder acht Jahren.
Fazit: Es ist nicht unmöglich, aber enorm schwer
Nadal müsste also zuerst Medvedev möglichst in einem nicht zu langen, nicht zu schweren Match schlagen, hat dann ca. sechs Stunden weniger Regenerationszeit und müsste dann morgen Thiem oder Djokovic besiegen. Nicht unmöglich, aber enorm schwer!
Ich drücke ihm auf jeden Fall die Daumen, er hätte diesen Titel so sehr verdient, stelle mich aber ehrlich gesagt eher auf einen Daniil Medvedev im Finale ein, dann vielleicht eher gegen Dominic Thiem, der bislang einen stärkeren Eindruck hinterließ als Djokovic. Der aber kann sich, wenn es drauf ankommt, oftmals plötzlich enorm steigern. Auch die erste Partie dürfte also spannend werden.
Wie es kommt, werden wir heute Nachmittag nach 15 Uhr MEZ (Thiem – Djokovic) und heute Abend nach 21 Uhr MEZ (Medvedev – Nadal) sehen. Beide Matches sind auf jeden Fall hoch interessant! Es spielen die derzeit vier besten Tennisspieler der Welt, die alle vier völlig verdient im Halbfinale stehen.
P.S.: Die vier Halbfinalisten haben dieses Jahr alle großen Titel geholt
Diese Vier haben übrigens dieses Jahr alle großen Turniere (A- und B-Kategorie: Grand Slam- und Masters 1000-Tournaments) gewonnen:
- Australian Open (A): Djokovic
- Cincinnati (B): Djokovic
- US Open (A): Thiem
- Rom (B): Djokovic
- French Open (A): Nadal
- Paris-Bercy (B): Medvedev
- ATP Finals (B+): ?
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