Von Jürgen Fritz, Mo. 21. Dez 2020, Titelbild: Twitters-Screenshot, Olaf Gersemann (WELT)
Vor vier Wochen stieg die Zahl der wöchentlichen COVID-19-Todesfälle in Deutschland erstmals seit Beginn der Pandemie auf über 2.000. Vor drei Wochen stieg sie erstmals auf über 2.500, vor zwei Wochen erstmals auf über 3.000 und die letzte Kalenderwoche erstmals auf über 4.000, sogar deutlich darüber auf 4.300. Doch auch andere Parameter weisen nicht nach unten, sondern weiter nach oben. Hier ein Überblick zur aktuellen Lage.
Mehr als 600 COVID-19-Tote jeden Tag plus Todesfalldunkelziffer
4.300 Tote in einer Woche bedeutet mehr als 614 pro Tag im Schnitt, die an COVID-19 sterben plus Todesfalldunkelziffer. Denn die Übersterblichkeit ist wahrscheinlich sogar ca. 19 Prozent höher als die offiziellen Todesfallzahlen des RKI, 18 Prozent über den Worldometerzahlen.
Im Sieben-Tage-Mittel (die braune Linie in der Grafik unten) steigt die Zahl der COVID-19-Todesfälle laut Worldometer, das meist noch etwas genauere und aktuellere Zahlen hat als das RKI, jetzt sogar auf 622 pro Tag. Das ist mehr als zweieinhalb mal so viel wie in der schlimmsten Woche in der ersten Coronawelle Mitte April (239 pro Tag, 1.673 in der schlimmsten Woche).
Zahl der COVID-19-Patienten in Intesivbehandlung steigt erstmals auf über 5.000
Und noch immer ist keine Besserung in unmittelbarer Sicht. Denn die Zahl der COVID-19-Intensivpatienten stieg gestern erstmals auf über 5.000:
Und unter den Intensivpatienten von heute befinden sich natürlich etliche COVID-19-Todesfälle von morgen, übermorgen oder nächster Woche.
Inzwischen mehr als 25.000 registrierte Neuinfektionen jeden Tag, Tendenz nicht fallend, sondern weiter steigend
Hinzu kommt, dass auch die Entwicklung der Neuinfektionen noch immer kein Grund zur Hoffnung auf baldige Besserung verspricht. Denn diese stiegen gestern im Sieben-Tage-Mittel, die blaue Linie in der Grafik, erstmals auf über 25.000 (25.187).
Dementsprechend sieht die Sieben-Tage-Inzidenz (registrierte Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen) aus. Diese fällt nicht unter 50, besser unter 25, wo sie sein sollte, sondern sie steigt weiter auf jetzt fast 200:
98 Prozent der Stadt- und Landkreise sind bereits Hotspots, mehr als je zuvor
Unter den 412 Stadt- und Landkreisen in Deutschland gab es gestern nur einen einzigen, der unter einer Sieben-Tage-Inzidenz von 25 lag. Das war der Landkreis Uelzen in Niedersachsen (hellgelb). Einige wenige liegen zwischen 25 und 50 (gelb). Alle anderen und zwar 403 von 412 (98 Prozent) der Kreise liegen bei mehr als 50 neuen Fällen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen. So viele waren es noch nie. 98 Prozent der Kreise sind aktuell mithin Hotspots.
Wie sollte man die Risikogruppen isolieren, wenn es sich hier um zig Millionen Menschen handelt?
Kann sein, dass ich mich in diesem Punkt irre und durch die Wirklichkeit widerlegt werde, aber mich überzeugt die These nicht, man könnte die Risikogruppen so gut vom Rest der Gesellschaft isolieren, dass dieses neuartige Coronavirus nicht auf die vulnerablen, auf die besonders verwundbaren Gruppen überspringen könnte. Dazu muss man nicht nur bewusst machen, dass wir hier nicht von einigen Zig- oder Hunderttausenden in Deutschland reden, sondern von zig Millionen. Allein die Gruppe der Über-60-Jährigen beläuft sich schon auf über 23,7 Millionen Menschen. Das sind bereits fast 30 Prozent (28,6) der gesamten Bevölkerung.
Hinzu kommen die Unter-60-Jährigen mit Herzkreislauferkrankungen, Diabetes, Erkrankungen des Atmungssystems, der Leber, der Niere, Krebserkrankungen oder Faktoren wie Adipositas und Schwangere mit bestimmten Vorerkrankungen/Risikofaktoren, Patienten mit unterdrücktem Immunsystem, z.B. aufgrund einer Erkrankung, die mit einer Immunschwäche einhergeht, oder wegen Einnahme von Medikamenten, die die Immunabwehr unterdrücken, wie z.B. Cortison usw. usf. Wir reden hier also von zig Millionen Menschen.
Das Virus springt früher oder später auf die Risikogruppen über, wenn es erstmal bei den anderen massiv virulent ist
Und die Faktenlage deutet massiv darauf hin, dass dieses sehr ansteckende Virus früher oder später insbesondere auf die Alten überspringt, wenn es sich mal in der Gesamtbevölkerung entsprechend ausgebreitet hat. Und es sieht sogar so aus, dass dieser zeitliche Verzug nicht sehr groß ist, wie diese Grafik zeigt:
Ende Oktober war die Sieben-Tage-Inzidenz (Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den letzten sieben Tagen) in der Gesamtbevölkerung (schwarze Linie) noch mehr als 1,5 so hoch wie bei den Ü60ern (blaue Linie). Inzwischen sind die beiden Inzidenzen mit 192 und 188 aber fast gleich hoch. Dies bestätigt eher meine These, dass das Virus früher oder später auf die Alten und auf die anderen vulnerablen Gruppen überspringt, wenn es sich erstmal zahlreich ausgebreitet hat in der Gesamtbevölkerung. Und wie sollte man zig Millionen Menschen dann dauerhaft isolieren? Ich halte das für ein Ablenkungsmanöver und eine Verdrängungsphänomen, weil einige die eigentliche Problematik und deren Ernsthaftigkeit nicht wahrhaben wollen.
Aber vielleicht täusche ich mich ja und es wird der Beweis angetreten, dass dies doch funktionieren kann. Dann müsste es ja irgendwo auf der Erde, in irgendeinem Land funktionieren. Und dann auch in einem zweiten und dritten usw. Indessen hegen auch andere Zweifel an der Möglichkeit einer solchen Strategie. So schrieb Professor Gerd Fätkenheuer, Leiter der Klinischen Infektiologie der Uniklinik Köln und 2013 bis Ende 2019 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, am 5. November 2020 in der FAZ:
„Auch die mantraartig vorgetragene Forderung, die Risikogruppen gezielt zu schützen, ist alles andere als ein auf wissenschaftlicher Evidenz beruhendes Konzept. Wie ein Schutzschild um die besonders gefährdeten Personen gelegt werden kann, bleibt völlig offen, und die Infektiologie kennt auch kein Beispiel, bei dem das schon einmal funktioniert hätte…“
Ein Virus-Mutation könnte die Lage nochmals zusätzlich verschärfen
Verschärfend kommt dagegen hinzu, dass es inzwischen in Großbritannien, Südafrika und wohl auch schon anderen Ländern inzwischen eine Mutation von SARS-CoV-2 gibt, die nochmals deutlich ansteckender sei. Sollte sich dieses auch in Deutschland massiv verbreiten, könnte sich die Lage sogar noch zusätzlich verschärfen. Daher versucht man wohl, den Kontinent von Großbritannien abzuriegeln und auch keine Flüge mehr aus Großbritannien und Südafrika in Deutschland zuzulassen.
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