Der Sieger heißt Winfried Kretschmann

Von Thomas Schmid, Do. 08. Apr 2021, Titelbild: SWR1-Screenshot

Aus der Landtagswahl in Baden-Württemberg waren Die Grünen nochmals gestärkt hervorgegangen und hatten nun die Wahl, wen sie sich als Koalitionspartner aussuchen wollen, erneut die CDU oder die SPD plus FDP (Ampel). Trotz großer Bedenken gegen eine Wiederauflage der grün-schwarzen Koalition innerhalb seiner Partei hat Winfried Kretschmann sich doch durchsetzen können. Dazu ein Kommentar von Thomas Schmid.

Vorbemerkung

Das Ergebnis der Landtagswahl vom 14. März sah wie folgt aus:

Vorl. Ergebnis 2021-03-14

(c) JFB

Die Grünen, die in Baden-Württemberg seit 2011 regieren und mit Winfried Kretschmann seit zehn Jahren den Ministerpräsidenten stellen, gingen nochmals gestärkt aus der Wahl hervor und konnten ihr enorm gutes Ergebnis von 2016, als sie auf 30,3 Prozent kamen, nochmals verbessern. CDU und SPD fielen dagegen auf historische Tiefpunkte. Auch die AfD verlor ganz massiv an Stimmen (mehr als 35 Prozent ihrer Anhänger).

Damit standen Die Grünen vor der Frage, ob sie die Koalition mit der CDU fortsetzen wollen oder – auch als Zeichen für Berlin und die Bundestagswahl im September – eine Ampelkoalition mit SPD und FDP bilden wollen. Innerhalb der Grünen gab es starke Tendenzen zu Letzterem, während Kretschmann grün-schwarz präferierte und sich schließlich auch durch setzte. Dazu ein Kommentar von Thomas Schmid.

Grüne und CDU haben mehr Berührungspunkte als in der konservativen und linken Rhetorik vorgesehen ist

Es sieht aus wie ein „weiter so“: die Fortsetzung des grün-schwarzen Bündnisses in Baden-Württemberg – von verzagtem Geist geprägt. Lieber das langweilige Alte als das spannende Neue. Sicher, Grün-Schwarz ist für Winfried Kretschmann bequemer. Erstens, weil es leichter ist mit einem Koalitionspartner zu regieren als mit zwei Parteien, die zudem streitsüchtig, weil klein und profilierungsbedürftig sind. Zweitens aber auch, weil die CDU verstanden und eingestanden hat, dass sie nicht mehr die „Baden-Württemberg-Partei“ ist. Sie wird demütiger sein. Sie weiß, nicht durch parteipolitische Dauerkonkurrenz zu den Grünen, die sie bisher betrieb, kann sie wieder Renommee zurückgewinnen, sondern nur durch gute Regierungsarbeit.

Sie wird sich gewissermaßen im Bunde mit Kretschmann auf die Post-Kretschmann-Zeit vorbereiten. Und der Ministerpräsident wird fortan wohl auf „seine“ CDU setzen können. Ohnehin ist ja schon lange klar, dass Grüne und CDU mehr Berührungspunkte haben, als in der konservativen und linken Rhetorik vorgesehen.

Die Baden-Württemberger wünschen sich Grün-Schwarz, die Anhänger der Grünen dagegen ein Ampelbündnis

Einfach fiel die Entscheidung den Grünen in Stuttgart offenbar nicht. Ohne die das Land überstrahlende Autorität Kretschmanns wäre sie wohl nicht zustande gekommen. Das Herz der Grünen schlägt auch im konservativen Südstaat mehrheitlich links. Und die CDU gilt immer noch als obskure Partei. Während sich die Mehrheit der Bürger Baden-Württembergs eine Fortsetzung der bisherigen Koalition wünscht, wünscht sich die grüne Anhängerschaft – aller Abneigung gegen die FDP zum Trotz – ein Ampelbündnis. Zumal die CDU bei ihren derzeitigen miesen Umfragewerten nicht besonders attraktiv wirkt.

Vor allem aber passt die Stuttgarter Entscheidung den Grünen auf Bundesebene gar nicht ins Konzept. Denn angesichts der einbrechenden Umfragewerte der Union entwickelt dort die kühne, eben noch utopische Idee immer größere Strahlkraft, unter Führung der Grünen den mutlos wirkenden Unionsparteien das Kanzleramt abzujagen. Und endlich, nach fast 40 Jahren, im gelobten Land Grün anzukommen. Die Ampel in Stuttgart wäre eine programmatische, wunderbare Anzahlung darauf gewesen. So aber könnte es in Berlin so aussehen, als hätten die Grünen Angst vor der eigenen Courage und blieben auch in Abenddämmerung der Merkel-Zeit der ewigen Bundeskanzlerin treu verbunden.

Warum es klug war, dass sich die Grünen gleichwohl für die CDU als Partner entschieden haben

Dass sich die Grünen in Stuttgart für ein weiteres Zusammengehen mit der CDU entschieden haben, ist dennoch klug und konsequent. Die SPD in Baden-Württemberg bleibt eine schwindende Partei. Und die FDP, die sich jetzt an die Grünen ankuscheln will, hat sich vor gar noch nicht langer Zeit mit rüpelhaften Ausfällen gegen den Ministerpräsidenten hervorgetan. Beide Parteien wären keine besonders seriösen Partner.

Auch wenn der CDU jetzt gerne der Abstieg prophezeit wird, ist sie immer noch eine Kraft und auf Bundesebene stärker als alle anderen Parteien. Erst recht in Baden-Württemberg. Obwohl sie dort nur noch ein knappes Viertel der Wähler an sich binden konnte, ist sie im Ländle immer noch eine kommunalpolitisch, also in der Fläche fest verankerte Partei. Ihre Landräte und Bürgermeister brauchen die Grünen, wenn sie – wie vom Ministerpräsidenten angekündigt – eine mit dem Wirtschaftssinn des Landes kompatible ökologische Wende zumindest angehen wollen.

Kretschmann wird nun der grün-linken Öffentlichkeit beweisen müssen, dass seine Entscheidung richtig war

Außerdem: Vielleicht tut es Deutschland gut, wenn Schwarz + Grün nicht überhastet verworfen, sondern einmal wenigstens so lange durchexerziert wird, bis abzusehen ist, wieweit Willenserklärungen in Wirklichkeit überführt werden konnten. Und so viel Föderalismus sollte die Grünen schon ertragen können: Auch in einem Jahr, in dem die Bundestagswahl ansteht, haben die Länder und ihre Parteien alles Recht, nach Landeslogik zu handeln.

Jürgen Trittin hat mit einer Empathie, wie sie unter Parteifreunden nicht unüblich ist, Winfried Kretschmann einmal einen Waldschrat genannt. Der „Waldschrat“ wurde, weit vor Joschka Fischer, zum erfolgreichsten aller Grünen. Nur mit diesem Bonus konnte er sich diesmal – mit Ach und Krach – durchsetzen. Er wird nun einer argwöhnischen grünen und linken Öffentlichkeit beweisen müssen, dass er richtig entschieden hat.

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Dieser Artikel erschien zuerst auf dem WELT-Blog des Autors Thomas Schmid – die Texte und erscheint hier mit dessen freundlicher Genehmigung. Teaser, Zwischenüberschriften und Hervorhebungen durch JFB. Auffassungen von Gastautoren müssen nicht unbedingt derjenigen des Blogbetreibers entsprechen, sondern können auch aus anderen Gründen als wertvoll erachtet werden (Multi-Perspektivität).

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Zum Autor: Thomas Schmid, Jg. 1945, nahm in seinen Zwanzigern an der Studentenbewegung in Frankfurt teil, was ihn später gegenüber Heilslehren misstrauisch machte – und ihn die Bürgerfreiheit schätzen lehrte. Lektor, freier Autor, Journalist. Zuletzt in Berlin Chefredakteur und dann Herausgeber der WELT-Gruppe. In seinem Blog veröffentlicht er regelmäßig Kommentare, Essays, Besprechungen neuer, älterer und sehr alter Bücher, Nachrufe und nicht zuletzt Beobachtungen über den gemeinen Alltag.

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