Merkels letzte Etappe beginnt im Weißen Haus und endet in Schlumpfhausen

Von Jürgen Fritz, Do. 03. Jun 2021, Titelbild: WELT-Screenshot

Das erste Kapitel von Robin Alexanders neuem Buch Machtverfall: Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik: Ein Report habe ich gelesen und muss sagen: Kompliment, erneut großartig geschrieben! Sehr lesenswert. Ich will im folgenden versuchen, die erste Hälfte des ersten von insgesamt 25 Kapiteln zusammenzufassen.

Obama: „Sie ist nun ganz allein“

Robin Alexander beginnt sein neues Buch Machtverfall: Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik: Ein Report mit einem Kapitel über Angela Merkel. Es trägt die Überschrift „Uns ist das Ding entglitten“. Ausgangspunkt ist Merkels erste Reise in die USA nach Trumps Wahl zum US-Präsidenten am Mitte März 2017. Alexander schildert, wie intensiv sich Merkel auf diese Reise vorbereitete, wie sie Zusammenfassungen etlicher Bücher über Trump las und/oder sich vortragen ließ, sich Interviews mit ihm und Ausschnitte aus seiner TV-Show „The Apprentice“ studierte, mit Theresa May sprach, die Trump bereits besucht hatte und dabei unschöne Szenen erleben musste, und wie sich Merkel eine Strategie zurecht legte, wie sie mit Trump umgehen könne. 

Dann fährt Alexander wie folgt fort: „Mit ihrem Besuch im Weißen Haus im Frühjahr 2017 beginnt das letzte Kapitel von Merkels Kanzlerschaft. Wäre Trump nicht US-Präsident geworden, hätte sie darauf verzichtet, bei der Bundestagswahl ein paar Monate später erneut anzutreten.“ Merkel habe sich, nachdem sie den Knochenjob zwölf Jahre lang gemacht hatte, monatelang mit ihrer Entscheidung gequält. „Warum sollte sie sich das vier weitere Jahre antun? Weil ihr die Geschichte eigentlich keine andere Wahl ließ“, resümiert Robin Alexander.

Trump war am 8. November 2016 zum US-Präsidenten gewählt worden. Acht Tage später empfing Merkel den Noch US-Präsidenten Barack Obama im Hotel Adlon in Berlin. Er kam extra wegen ihr nach Europa geflogen. Merkel war „ihm in seinen acht Jahren im Amt zur wichtigsten Partnerin geworden.“ Die beiden redeten an einem kleinen Tisch sitzend drei Stunden. Nach Auskunft von Obamas Redenschreiber Ben Rhodes soll Merkel gesagt haben, sie fühle sich nach Trumps Wahl noch mehr verpflichtet, für eine weitere Amtszeit zu kandidieren, um die liberale internationale Ordnung zu verteidigen“. Obama habe hinterher zu ihm, Ben Rhodes, gesagt: „Sie ist nun ganz allein.“

Joachim Sauer: Dein Wunsch, die Erste zu sein, die freiwillig das Kanzleramt verlässt, ist eitel – das darf nicht den Ausschlag geben

„Vier Tage später gab Merkel bekannt, das sie bei der nächsten Bundestagswahl erneut antreten werde. (…) Merkel wollte das Feld nicht räumen. Nicht für Trump.“ Solange Amerika wegen Trump ausfiel, sollte Deutschland, so gut als möglich, die Rolle der westlichen Supermacht ausfüllen. „Eine solche Aufgabe ist noch keinem deutschen Kanzler gestellt worden, nicht ihrem Vorgänger Gerhard Schröder, nicht ihrem Mentor Helmut Kohl. Nicht einmal Konrad Adenauer oder Willy Brandt.“

Merkel habe bis dahin zwölf Jahre sehr kleinteilig regiert, beschreibt der Autor die Kanzlerin sehr treffend. „Historisch war allenfalls ihre Flüchtlingspolitik, in die sie ungeplant hineingestolpert ist und die sie fast ihr Amt gekostet hat.“ „Ich möchte irgendwann den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Politik finden“, hatte Merkel 1998 gesagt. Dann wolle sie „kein halb totes Wrack sein“. Einen Abgang aus freiem Willen hatte kein einziger ihrer Vorgänger geschafft.

Eine entscheidende Rolle bei ihrem Entschluss zum Weitermachen haben ihr Ehemann Joachim Sauer gespielt. Er habe ihr gesagt, „ihr Wunsch, die Erste zu sein, die freiwillig das Kanzleramt verlasse, sei eitel. Bei ihrer Überlegung, ob sie weitermache oder nicht, dürfe diese Eitelkeit gerade nicht den Ausschlag geben.“ Doch die vielen Jahre an der Macht haben ihre Spuren hinterlassen. Alexander erwähnt hier unter anderem Merkels späteren Zitteranfälle 2019 in der Öffentlichkeit.

„Was ist eigentlich schwerer zu lernen, Englisch oder Russisch?“

Dann schildert er das Treffen mit Trump im Weißen Haus Mitte März 2017: Merkel müsse klar gewesen sein, wie mühsam und schwer ihre letzte Etappe werden würde. Schon beim Betreten des Weißen Hauses sieht sie, dass alle Bilder der ehemaligen US-Präsidenten verschwunden waren. An den Wänden hingen nur noch Fotos von Trump. Im Vieraugengespräch habe Merkel versucht, Trump von einer gemeinsamen Linie gegenüber Russland zu überzeugen.

(Anmerkung von mir: Seit langem verdichten sich die Hinweise, dass der russische Geheimdienst Trump über viele, viele Jahre unterstützt und gezielt aufgebaut hat, dass dieser tief verstrickt ist auch in die russische Mafia, mit der er ungeheure Geschäfte machte, die seinen Reichtum – der zwar viel kleiner ist als er selbst vorgibt, aber doch eine beachtliche Dimension hat – mit begründeten.) Aber zurück zu RA.

„Merkel hat sich auf Trumps notorisch kurze Aufmerksamkeitsspanne vorbereitet. Wie ein verzogenes Kind schaltet er trotzig ab, wenn er sich länger als ein paar Minuten konzentrieren muss. Deshalb erzählt sie ihm eine einfache, persönliche Geschichte von der Unfreiheit in der DDR, ihren Reisen durch Russland, ihre Erfahrungen mit Putin. Er hört zu, dann fragt er plötzlich: ‚Was ist eigentlich schwerer zu lernen, Englisch oder Russisch?‘

Sie versucht, ihm auszureden, das Pariser Klimaabkommen aufzukündigen.“ Sie habe Zugeständnisse bei den NATO-Zahlungen angekündigt, damit Trump das Verteidigungsbündnis nicht in Trümmer legt. Deutschland würde seine Verteidigungsausgaben erhöhen und US-amerikanische Waffen kaufen. Darauf habe Trump erwidert, Deutschland müsse nicht nur zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Rüstung ausgeben, sondern auch das Geld nachzahlen für all die Jahre, in denen es zu wenig Finanzmittel bereitstellte – mit Zinsen!

Trump bringt es fertig, Merkel in seine Lügengespinste zu verwickeln – Bannon lacht dröhnend

Dann schildert Alexander, wie Trump bei der anschließenden gemeinsamen Pressekonferenz Merkel öffentlich düpierte. Vor den laufenden Kameras behauptet Trump, „die Telefone von ihnen beiden seien von Obama abgehört worden“. Insofern hätten sie vielleicht wenigstens etwas gemeinsam. Versteckte Botschaft: Wir beide haben überhaupt nichts gemeinsam. „Dabei hatte Merkel den ganzen Tag über versucht, Gemeinsamkeiten auszuloten.“ Richtig war, dass Merkels Telefon von der NSA tatsächlich angezapft worden war (JFB: wobei das wohl fast alle Geheimdienste auch bei befreundeten Staaten tun, sofern sie die technischen Mittel dazu haben).

Aber Trumps angebliche Telefonüberwachung durch Obama während des Wahlkampfes war „reine Fantasie“, so Alexander: „Trump bringt es fertig, Merkel in seine Lügengespinste zu verwickeln.“ Doch „Merkel kann darauf nicht antworten, ohne einen Eklat zu produzieren. Dann wäre ihre Besuch endgültig gescheitert“ und allen klar: „dass die deutsche Kanzlerin den Westen doch nicht zusammenhalten kann. Sie muss die Unverschämtheit stehen lassen. Bannon lacht dröhnend.“

Steve Bannon war zu dem Zeitpunkt Trumps Chefstratege im Weißen Haus. Zuvor war er der Chef der rechtsradikalen Website Breitbart, ein Mann, der den Westen für dekadent und schwach, die universalen Menschenrechte für einen Witz hält. Bannons Ziel war, Trumps Revolution nach Europa zu tragen mit einem Netzwerk neuer rechter Parteien (und Medien). „Macron und Merkel werden fallen wie die Kegel“, hatte Bannon verkündet.

Trump gewinnt den Saal, aber nicht das öffentliche Bild – Merkel findet ihre Rolle, sie wird zur Heldin der liberalen Welt

Trumps Mitarbeiter stimmten in Bannons Lachen ein, einige Journalisten auch. Den Saal hatte Trump gewonnen, beschreibt Alexander die Szene, „aber nicht das öffentliche Bild. Denn im entscheidenden Moment zoomen die Fernsehkameras auf ihr Gesicht. Merkel schaut kurz zu Trump und wendet ihren Blick, in dem ihre ganze Verachtung für ihn liegt, demonstrativ ab. (…)

Die Szene geht im Netz sofort viral, aus ihrem Gesichtsausdruck wird ein millionenfach geteiltes Meme. ‚Wir sind alle Angela Merkel‘, steht darunter. Die deutsche Kanzlerin ist plötzlich die Heldin des liberalen Amerika – und des liberalen Teils der restlichen Welt. Sie hat ihre Rolle gefunden. Sie nimmt den Platz in der Weltgeschichte ein, den Obama ihr beim Essen im Hotel Adlon angeraten hatte. Ihre letzte Amtszeit findet darin – und nur darin – ihren Sinn“.

Soweit die erste Hälfte des ersten Kapitels. Im zweiten Teil des ersten Kapitels geht es um Merkels Kampf gegen die Pandemie, die zu ihrem und vor allem dem Machtverfall der CDU führt, denn nun erlebt sich Deutschland als schlecht regiertes Land. „Merkels letzte Etappe ihrer Amtszeit hatte im Weißen Haus begonnen. Sie endet in Schlumpfhausen.“

Dazu im nächsten Teil mehr.

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