Von Jürgen Fritz, Fr. 04. Jun 2021, Titelbild: Pixabay, CC0 Creative Commons
Noch immer wird von „Pädophilie“ gesprochen, der Ausdruck stammt von einem Psychiater aus dem späten 19. Jahrhundert. Dabei ist dieses Wort denkbar ungeeignet zu beschreiben, worum es hier tatsächlich geht. Denn mit Philia, der Freundesliebe, hat das, was hier geschieht, ja gerade nicht zu tun. Doch gehen wir den Dingen ein wenig auf den Grund.
Die Philia
Was Philia ist, haben Platon (427-347 v.u.Z.) in seinem Lysis-Dialog und dann vor allem Aristoteles (384-322 v.u.Z.) in seiner Nikomachischen Ethik behandelt, benannt wohl nach seinem Sohn, vielleicht auch seinem Vater, die beide Nikomachos hießen, dem über zweitausend Jahre lang wohl wichtigsten Werk der Ethik – bis zu Immanuel Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785) und seiner Kritik der praktischen Vernunft (1788).
In der antiken griechischen Literatur und Philosophie wurde die Philia, die freundschaftliche Liebe, gerne unterschieden von a) der erotischen Liebe (Eros), bei der das heftige körperliche Begehren im Vordergrund steht, und b) der besonders von christlichen Autoren angeführten Agape, einer Art allgemeinem Wohlwollen, das nicht notwendigerweise das Bestehen einer Freundschaft oder Partnerschaft voraussetzt oder darauf abzielt. Ob die Agape wirklich bereits eine Form der Liebe ist oder ob hier der Liebesbegriff übermäßig ausgedehnt wird, wenn man ihn so weit, womöglich inflationär fasst im Sinne einer allgemeinen Menschenliebe, ist zumindest fraglich.
Die zwei Hörner der Liebe
Die Liebe, so würde ich es modern beschreiben, hat immer zwei Hörner:
- Das Begehren, das auch sexueller Natur sein kann, aber nicht muss, beziehungsweise allgemeiner: das die Nähe suchen des Geliebten, weil einem dessen Nähe unglaublich gut tut und man ihn vermisst, wenn er einem lange sehr fern ist. Das kann dann im Extremfall regelrecht seelische Schmerzen verursachen und uns im Falle des Verlustes eines geliebten Menschen innerlich zutiefst erschüttern und völlig aus der Bahn werfen.
- Das Wohlwollen, sprich dass einem wichtig ist, dass es dem Geliebten gut geht, das um sich ihn sorgen. Das kann – je nachdem wie stark, wie intensiv die Liebe ist – so weit gehen, dass einem das Wohl des Geliebten wichtiger ist als das eigene Wohl, siehe beispielsweise die Elternliebe, bei der es öfters vorkommt, dass die Mutter und/oder der Vater wirklich alles für ihre Kinder tun würden, sogar sich selbst opfern, ihr Leben für das Kind geben. Letztlich wünschen sich die meisten von uns wohl einen Lebenspartner, der zumindest ähnlich starke Gefühle für uns entwickelt und wir für ihn, dass man sich also gegenseitig ganz besonders wichtig ist.
Die Partnerliebe ist dabei wie auch die Freundesliebe symmetrischer als die Eltern-Kind-Liebe, muss aber nicht völlig symmetrisch sein. In der Partnerschaft dürfte es tatsächlich meist so sein, dass der Eine den anderen mehr begehrt und/oder dessen Wohl ihm wichtiger ist als umgekehrt. Wenn aber auf einer Seite gar keine derartigen Gefühle vorhanden sind, die Nähe fast immer nur von einer Seite aus gesucht wird und auch das Wohlwollen dem anderen gegenüber sehr einseitig ausgebildet ist, der eine dem anderen sehr viel wichtiger ist, dürfte eine Partnerschaft auf Dauer schwierig werden. Das wäre dann wohl auf der Seite des einen eher ein Zweckbündnis als eine partnerschaftliche Liebe. Ähnliches dürfte für die Freundschaft gelten. Das Ideal ist hier wohl die völlig symmetrische freundschaftliche Liebe. Etwas Gefälle wird auch hier möglich sein, aber keine völlige Einseitigkeit.
Die beiden Merkmale a) sich nach Nähe zu dem anderen sehnen (mit dem Spezialfall der sexuellen Begierde), ihn vermissen, wenn er länger nicht da ist, und b) wollen, dass es ihm gut geht, wobei einem das wirklich wichtig ist, treffen aber auf alle Formen der Liebe zu. Liebende Eltern suchen ja beispielsweise auch die Nähe zu ihren Kindern, wollen diese wenigstens ab und zu sehen und sind wohl weniger begeistert, wenn der Sohn oder die Tochter mit 18 verkündet, nach Australien auswandern zu wollen.
Den in ihrer Sexualpräferenz Gestörten fehlt meist das zweite Horn der Liebe weitgehend, wenn nicht völlig
Fehlt eines der beiden Hörner völlig, ist es keine Liebe, sondern zum Beispiel die reine sexuelle Begierde, ohne dass einem an dem anderen – abgesehen von diesem körperlichen Haben-Wollen – wirklich etwas liegt. Oder es ist dann nur ein allgemeines Wohlwollen, ohne dass einem der andere jetzt besonders wichtig wäre und man ihn vermissen würde, wenn er weg wäre und man ihn nie wieder sähe.
Genau dieses zweite Horn, das Wohlwollen, fehlt teilweise völlig bei den – und das wäre wohl der korrekte Ausdruck – in ihrer Sexualpräferenz Gestörten. Für diese Störung können diese Personen natürlich nichts, da niemand sich seine diesbezügliche Präferenzen aussucht. Verantwortlich ist man nur für seine Handlungen, nicht für das, wie einen die Natur ausstattete oder beschenkte. Und wer derart ausgestattet wurde, ist natürlich selbst schrecklich bestraft. Schöpfergottgläubige müssten sich an der Stelle eigentlich fragen, wie ein Schöpfer so zynisch und so grausam sein kann, jemand mit so einer Neigung zu bestrafen. Fest steht aber: Derart in ihrer Sexualpräferenz Gestörte können zwar nichts für ihre diesbezügliche Neigung, aber sie sind keine Liebenden. Und deswegen sollte man sie auch nicht so nennen. Dies käme gleichsam einer massiven Entwertung dieses Wortes gleich.
Sexualität setzt immer, wenn es keine Form der Gewalt, des Benutzens oder Missbrauchens sein soll, Einvernehmlichkeit voraus, wozu Kinder noch nicht fähig sind. Der Liebende benutzt den Geliebten ja gerade nicht gegen dessen Willen und möchte ihm auf keinen Fall Schaden zufügen. Im Gegenteil, das ist für ihn mit das Schlimmste, was es gibt, wenn dem Geliebten etwas derartiges angetan wird.
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