Von Jürgen Fritz, Mo. 02. Aug 2021, Titelbild: Sportschau-Screenshot
Alexander Zverev schrieb gestern Tennisgeschichte, als er im Finale der Olympischen Spiele von Tokio in nicht mal 80 Minuten Karen Khachanov mit 6:3, 6:1 schlug, dem Russen nicht den Hauch einer Chance ließ, in sämtlichen Belangen dominierte und als erster deutscher Spieler die olympische Goldmedaille im Herreneinzel gewann.
Agassi, Kafelnikov, Nadal, Murray und nun Zverev
Bei den ersten sieben Olympischen Spiele der Neuzeit von 1896 bis 1924 war Tennis noch Teil des offiziellen Wettkampfprogramms, bereits ab 1900 auch für Frauen. Doch ab 1928 wurde Tennis vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) aus dem olympischen Programm gestrichen. Das IOC warf der International Lawn Tennis Federation vor, mit einer zunehmenden Professionalisierung unter den Tennisspielern gegen die Amateurregel zu verstoßen. 1968 und 1984 wurden zweimal reine Demonstrationswettbewerbe im Tennis durchgeführt, wobei 1984 nur Spieler unter 21 Jahren zugelassen waren. Aber ab den Olympischen Sommerspielen 1988 in Seoul (Südkorea) wurde Tennis dann bei erneut ins Programm aufgenommen und ist seitdem ein fester Bestandteil bei den Sommerspielen.
Dabei sind die Sieger der Goldmedaille im Herrenzeinzel durchaus namhafte Spieler, vor allem ab 1996:
- 1988: Miloslav Mečíř (Tschechoslowakei)
- 1992: Marc Rosset (Schweiz)
- 1996: Andre Agassi (USA)
- 2000: Jewgeni Kafelnikow (Russland)
- 2004: Nicolás Massú (Chile)
- 2008: Rafael Nadal (Spanien)
- 2012: Andy Murray (Großbritannien)
- 2016: Andy Murray (Großbritannien)
- 2021: Alexander Zverev (Deutschland)
Agassi, Kafelnikov, Nadal und Murray waren über ihren Olympiasieg hinaus alle auch Grand Slam-Sieger und Weltranglistenerste. In diese namhafte Reihe konnte sich Alexander Zverev also gestern einreihen – und das aller erste deutscher männlicher Spieler überhaupt. Steffi Graf schafft es 1988 zwar die Goldmedaille im Dameneinzel zu gewinnen (und Silber 1992), bei den Herren war dies aber keinem Deutschen vergönnt, auch nicht den beiden Wimbledon- bzw. Grand Slam-Siegern Boris Becker und Michael Stich. Alexander Zverev ist der erste Deutsche, dem dies nun vergönnt war und dies könnte dem Tennissport, der in der Publikumsgunst in unserem Land doch seit langem sehr nachgelassen hat nach den Höhepunkten mit Becker und Graf, sehr gut tun.
16. Turniersiege, darunter 4 Masters-Titel, Gewinn der ATP Finals und nun olympisches Gold
Dabei kam Zverevs Tokio-Triumph nicht von ungefähr. Der 24-Jährige spielt schon das fünfte Jahr in der absoluten Weltspitze. Nach seinem ersten Turniersieg bei einem kleineren E-Turnier (ATP 250) im September 2016 mit 19 Jahren folgten 2017 bereits zwei Masters 1000-Titel (C-Kategorie) in Rom auf Sand und bei den Canadian Open auf Hartplatz. Seither, seit Juli 2017, um genau zu sein, also seit gut vier Jahren, gehört Zverev durchgehend zu den acht Besten der Welt.
2018 gelang dem nunmehr 21-Jährigen dann ein weiterer Sieg bei dem C-Turnier in Madrid auf Sand und dann am Jahresende der bis gestern größte Erfolg seiner Karriere: der Titel bei den ATP Finals (B-Kategorie), dem Jahresabschlussturnier der acht Saisonbesten, mit einem Sieg im Endspiel über Novak Djokovic. Es folgte 2019, 2020 eine kleinere Durststrecke, als Zverev „nur“ drei kleinere E-Turniere gewinnen konnte, dann aber im September 2020 erstmals der Einzug in ein Grand-Slam-Endspiel (A). Im Finale der US Open unterlag er ganz knapp seinem langjährigen Freund Dominic Thiem im fünften Satz.
Und nun 2021 scheint der Hamburger endlich den ganz großen Durchbruch zu schaffen. Im März gelang ihm erstmals seit November 2018 wieder ein Turniersieg bei einem höherrangigen Turnier. In Acapulco (D), Mexiko holte er mit einem Endspielsieg über Stefanos Tsitsipas auf Hartplatz seinen 14. Titel, dann im Mai in Madrid (C) mit Siegen über Nadal, Thiem und Berrittini seinen 15. und nun in Tokio (B) seinen Titel Nr. 16. Damit hat Zverev mit nur 24 Jahren nicht nur fast so viele Turniersiege wie Wimbledon-Sieger Michael Stich in seiner gesamten Karriere: (18), er hat vor allen Dingen eines der fünf wichtigsten Turniere der Welt gewonnen.

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Der Sieg über Djokovic im Halbfinale als Schlüsselspiel zur Goldmedaille
Sportlich sind die olympischen Spiele im Tennis sicherlich noch vor den ATP Finals, direkt nach den vier Grand Slam-Turnieren einzuordnen, vom emotionalen Stellenwert für viele Spieler sogar noch höher. Zwar wird bei Olympia nicht wie bei den Grand Slam-Events (A) in einem 128er Feld in sieben Runden über je best of five (drei Gewinnsätze) gespielt, sondern „nur“ in einem 64er Feld in sechs Runden über best of three (zwei Gewinnsätze). Auch sind anders als bei den Grand Slam-Turnieren meist nicht um die 90 Prozent der Weltspitze am Start – in Tokio waren es bei den Herren nur 50 bis 60 Prozent, wobei die fünf Besten im 52 Wochen-Ranking alle da waren -, aber das Ganze drum herum macht Olympia als das größte Sportevent der Welt, das zudem nur alle vier Jahre stattfindet, für viele Spieler sogar genau so wichtig wie ein Grand Slam-Turnier. Vom sportlichen Stellenwert her mag das nicht ganz stimmen, aber die Bedeutung von Olympia ist auf jeden Fall nicht nur emotional immens. Insofern war Zverevs Sieg gestern in der Tat ein Meilenstein in seiner eigenen Karriere, aber auch für den deutschen Tennissport.
Dabei beeindruckte natürlich vor allen Dingen sein Sieg im Halbfinale über über den großen Turnierfavoriten Novak Djokovic, der dieses Jahr bereits die Australian Open, Roland Garros und Wimbledon gewonnen hatte. Djokovic, der seit Januar quasi als unbesiegbar galt bei den ganz großen Turnieren, hatte eine klare Zielsetzung: Er wollte dieses Jahr als erster männlicher Tennisspieler überhaupt alle vier Grand Slam-Turniere plus Olympia gewinnen. Den sogenannten Golden Slam schaffte bislang nur Steffi Graf 1988, niemals aber ein männlicher Spieler. Vor dem Turnier dachten viele: „Wer soll Djokovic denn in dieser Form, in der er sich seit über einem halben Jahr befindet, bei einem großen Turnier schlagen?“. Dominic Thiem ist verletzt, Nadal und Federer sagten Olympia ab, ebenso der Wimbledon-Finalist Berrittini. Also blieben als aussichtsreiche Kandidaten nur der ATP Finals-Sieger und Australian Open-Finalist Daniil Medvedev, der US Open-Finalist Alexander Zverev und der French Open-Finalist Stefanos Tsitsipas, eventuell noch die Nr. 5 der Welt Andrey Rublev, der bei den ganz großen Turnieren aber noch nie in ein Halbfinale einzog.
Rublev schied sofort in der ersten Runde aus, Tsitsipas in der dritten (Achtelfinale) und Medvedev im Viertelfinale. Blieb also nur noch Alexander Zverev, dem man zutraute, dass er Djokoic stoppen könnte. Und das tat er dann auch im Halbfinale. Die Art aber, wie er das tat, war mehr als beeindruckend. Nach einem 1:6, 2:3-Rückstand, als Djokovic auch im zweiten Satz bereits mit einem Break vorne lag und zum 4:2 aufschlug, drehte der Deutsche das Match vollkommen. Während der Serbe enorm nachließ, ja geradezu einbrach unter den gewaltigen Schlägen von Zverev, drehte dieser nun voll auf, schlug die Bälle mit ungeheurer Härte, Länge und Präzision. Djokovic war ab nun vollkommen chancenlos. Zverev nahm ihm viermal in Folge sein Service ab und gab das eigene nie mehr her, machte aus einem 1:6, 2:3 ein 1:6, 6:3, 6:1. Das heißt, Djokovic gewann von den letzten elf Games nur noch ein einziges, auf das 1:6, 2:3 folgte ein 10:1 gegen den besten Spieler der Welt. Unglaublich!
Tennis wie vom anderen Stern im olympischen Finale
Nun war die Frage, ob der Deutsche dieses Niveau im Endspiel zumindest annähernd würde halten können gegen Khachanov, der bis dahin einen sehr starken Eindruck hinterlassen hatte. Zwar musste der Russe auf seinem Weg ins Finale keinen Top-Acht-Spieler ausschalten, Tsitsipas und Medvedev blieben ihm bedingt durch ihr frühes Ausscheiden erspart, aber im Halbfinale ließ er dem Medvedev-Bezwinger Pablo Carreno Busta, im 52 Wochen-Ranking immerhin die Nr. 9 der Welt, keine Chance. Doch im Endspiel von Tokio sah es dann völlig anders aus.
Nun war es Zverev, der Khachanov nicht den Hauch einer Chance ließ. Der Deutsche dominierte in sämtlichen Belangen, schlug den ein Jahr Älteren in nicht mal 80 Minuten mit 6:3, 6:1, nahm ihm in acht Aufschlagspielen viermal sein Service ab, während er selbst überhaupt nur ein einziges Mal über Einstand gehen musste, und gewann damit als erster deutscher Tennisspieler die olympische Goldmedaille im Herreneinzel.
Damit holte Zverev seinen fünften Einzel-Titel in den letzten 52 Wochen – so viele hat sonst nur noch Djokovic, Medvedev vier Einzeltitel plus der Sieg mit der Mannschaft beim ATP Cup -, seinen dritten im laufenden Jahr. Im JFB 52 Week Tennis World Ranking ist Alexander Zverev nunmehr mit 330,3 Punkten von maximal 1000 möglichen die Nr. 2 der Welt, direkt hinter Novak Djokovic (427,1) und vor Daniil Medvedev (313).
Ausblick
Nicht nur aus deutscher Sicht kann man nur hoffen, dass dies gleichsam eine weitere Initialzündung für Alexander Zverev ist. Er hat nicht nur vier C-Turniere (ATP 1000) gewonnen, mehr als jeder andere U34-Spieler der Welt, und nicht nur das sechstwichtigste Event, die ATP Finals (B), sondern nun auch das fünftwichtigste, die Olympischen Spiele (B). Der nächste logische Schritt wäre ein Grand Slam-Sieg (A), das Einzige, was Zverev nun noch fehlt.
Turniersiege der Top-Spieler
Alexander Zverev hat mehr Turniere gewonnen als jeder andere U25-Spieler, vor allen Dingen aber die meisten A-, B- oder C-Turniere aller Spieler unter 34 Jahre weltweit, nämlich zwei B-Turniere (Olympia und die ATP Finals) und vier C-Turniere (ATP 1000), insgesamt also 6. Zum Vergleich: Dominic Thiem hat bisher nur 2 große Titel, Medvedev 4, Rublev 0, Tsitsipas 2, Berrettini und Carreno Busta 0, Khachanov 1:
- Roger Federer (39 Jahre): 103 Turniersiege ==> 20 A Titel – 6 B – 28 C – 24 D – 25 E
- Rafael Nadal (35): 88 ==> 20 – 1 – 36 – 22 – 9
- Novak Djokovic (34): 85 ==> 20 – 5 – 36 – 14 – 10
- Dominic Thiem (27): 17 ==> 1 – 0 – 1 – 5 – 10
- Alexander Zverev (24): 16 ==> 0 – 2 – 4 – 3 – 7
- Daniil Medvedev (25): 11 ==> 0 – 1 – 3 – 1 – 6
- Andrey Rublev (23): 8 ==> 0 – 0 – 0 – 4 – 4
- Stefanos Tsitsipas (22): 7 ==> 0 – 1 – 1 – 0 – 5
- Pablo Carreno Busta (30): 6 ==> 0 – 0 – 0 – 1 – 5
- Matteo Berrettini (25): 5 ==> 0 – 0 – 0 – 1 – 4
- Karen Khachanov (25): 4 ==> 0 – 0 – 1 – 0 – 3
Die Gelegenheit, diese letzte Lücke zu schließen und endlich auch ein Grand Slam-Turnier zu gewinnen, bietet sich bereits bei den heute in vier Wochen beginnenden US Open (30.08. bis 12.09.2021). Kann Zverev seine Olympia-Form die nächsten vier bis sechs Wochen halten, gehört er neben Djokovic zu den absoluten Turnierfavoriten, noch vor Medvedev, Nadal, Tsitsipas, Berrittini und Federer (Thiem dürfte auf Grund seiner schweren Handgelenksverletzung nicht in Frage kommen).
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