Bundesverfassungsgericht: Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen waren rechtens

Von Jürgen Fritz, Di. 30. Nov 2021, Titelbild: tagesschau-Screenshot

Das Bundesverfassungsgericht hat die bundesweiten Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen von April bis Juni 2021 als verhältnismäßig bewertet. Verfassungsbeschwerden gegen die „Bundesnotbremse“ wurden zurückgewiesen.

Der Beschluss

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat mehrere Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen, die sich gegen die für einen Zeitraum von gut zwei Monaten bußgeldbewehrten Ausgangs- und bußgeldbewehrten Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie richteten. Diese  Beschränkungen waren Bestandteile eines Schutzkonzepts des Gesetzgebers, welches in seiner Gesamtheit dem Lebens- und Gesundheitsschutz sowie der Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems als überragend wichtigen Gemeinwohlbelangen dienten. Die Maßnahmen griffen allerdings „in erheblicher Weise in verschiedene Grundrechte ein“.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Maßnahmen geprüft und kam zu dem Ergebnis, dass die hier zu beurteilenden Kontakt- und selbst die Ausgangsbeschränkungen in der äußersten Gefahrenlage der Pandemie mit dem Grundgesetz vereinbar waren. Insbesondere seien sie trotz des Eingriffsgewichts verhältnismäßig gewesen. Soweit in diesem Verfahren weitere Maßnahmen des Gesetzes zur Eindämmung der Pandemie angegriffen wurden, wie etwa die Beschränkungen von Freizeit- und Kultureinrichtungen, Ladengeschäften, Sport und Gaststätten, war die entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht zulässig erhoben“, heißt es in dem Urteil.

Den Sachverhalt schildert das Bundesverfassungsgericht wie folgt:

Das am 23. April 2021 in Kraft getretene Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite enthielt ein Bündel von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Die in den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Maßnahmen waren an eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 gekoppelt. Überschritt in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt an drei aufeinander folgenden Tagen die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Sieben-Tage-Inzidenz) den Schwellenwert von 100, so galt dort ab dem übernächsten Tag die sogenannte „Bundesnotbremse“. Sank in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt die Sieben-Tage-Inzidenz unter den Wert von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner an fünf aufeinander folgenden Werktagen, so trat die „Notbremse“ dort ab dem übernächsten Tag wieder außer Kraft. Die angegriffenen Vorschriften galten längstens bis zum Ablauf des 30. Juni 2021.

Kontaktbeschränkungen: Private Zusammenkünfte im öffentlichen oder privaten Raum waren danach nur gestattet, wenn an ihnen höchstens die Angehörigen eines Haushalts und eine weitere Person einschließlich der zu ihrem Haushalt gehörenden Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres teilnahmen. Die Regelung nahm davon Zusammenkünfte aus, die ausschließlich zwischen den Angehörigen desselben Haushalts, ausschließlich zwischen Ehe- oder Lebenspartnern oder ausschließlich in Wahrnehmung eines Sorge- oder Umgangsrechts oder im Rahmen von Veranstaltungen bis 30 Personen bei Todesfällen stattfanden.

Ausgangsbeschränkungen: Der Aufenthalt von Personen war außerhalb einer Wohnung oder einer Unterkunft von 22 Uhr bis 5 Uhr des Folgetages untersagt. Die Regelung enthielt verschiedene Ausnahmetatbestände. Ausgenommen waren beispielsweise Aufenthalte zwischen 22 und 24 Uhr, die der im Freien stattfindenden allein ausgeübten körperlichen Bewegung dienten, sowie Aufenthalte, die der Abwendung eines medizinischen oder veterinärmedizinischen Notfalls, der Berufsausübung, der Wahrnehmung des Sorge- oder Umgangsrechts oder ähnlich gewichtigen Zwecken dienten.

Außerdem hatte die Bundesregierung am 8. Mai 2021 auf der Grundlage der hierfür erteilten Ermächtigung des § 28c IfSG mit der Zustimmung des Deutschen Bundestags und des Bundesrats die Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erlassen. Diese nahm geimpfte und genesene Personen insbesondere von der Beschränkung privater Treffen, des Aufenthalts im Freien und beim Sport aus.

Der Senat habe auf der Grundlage von § 27a BVerfGG zahlreichen wissenschaftlichen Fachgesellschaften aus verschiedenen Bereichen als sachkundigen Dritten Gelegenheit gegeben, zu mehreren Fragenkomplexen Stellung zu nehmen.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

Soweit die Verfassungsbeschwerden zulässig erhoben worden seien, „haben sie in der Sache keinen Erfolg“. Die gesetzlich angeordneten Kontaktbeschränkungen und deren Bußgeldbewehrung und die Ausgangsbeschränkungen und der damit korrespondierende Ordnungswidrigkeitentatbestand „verletzten die Beschwerdeführenden nicht in ihren Grundrechten“, so heißt es in dem Urteil.

I. Die Kontaktbeschränkungen hätten zwar sowohl in das Familiengrundrecht und die Ehegestaltungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 1 GG als auch in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) eingegriffen. Die Eingriffe wären jedoch formell sowie materiell verfassungsgemäß und damit verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

1. Das Ehe- und das Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG gewährleiste ein Recht, sich mit seinen Angehörigen beziehungsweise seinem Ehepartner in frei gewählter Weise und Häufigkeit zusammenzufinden und die familiären Beziehungen zu pflegen. Vom Familiengrundrecht erfasst seien die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft der Kinder und ihrer Eltern, unabhängig davon, ob diese miteinander verheiratet sind, wie auch weitere spezifisch familiäre Bindungen, wie sie zwischen erwachsenen Familienmitgliedern und zwischen nahen Verwandten auch über mehrere Generationen hinweg bestehen können.

Das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) schütze familienähnlich intensive Bindungen auch jenseits des Schutzes von Ehe und Familie. In seiner Ausprägung als allgemeines Persönlichkeitsrecht schütze es außerdem davor, dass sämtliche Zusammenkünfte mit anderen Menschen unterbunden werden und die einzelne Person zu Einsamkeit gezwungen werde; anderen Menschen überhaupt begegnen zu können, sei für die Persönlichkeitsentfaltung von konstituierender Bedeutung. In seiner Ausprägung als umfassende allgemeine Handlungsfreiheit schütze das Grundrecht schließlich auch die Freiheit, mit beliebigen anderen Menschen zusammenzutreffen. Die im Infektionsschutzgesetz angeordneten Kontaktbeschränkungen „griffen in diese Grundrechte ein“.

2. „Diese Grundrechtseingriffe waren formell verfassungsgemäß“, heißt es in dem Urteil. Dem Bund habe dafür die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG als Maßnahmen gegen übertragbare Krankheiten zugestanden.

3. Die Ausgestaltung der Kontaktbeschränkungen als selbstvollziehende gesetzliche Regelung, die keiner Umsetzung durch die Verwaltung im Einzelfall bedurfte, habe nicht die verfassungsrechtliche Gewährleistung individuellen Rechtsschutzes der Betroffenen verletzt, habe nicht die aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung beziehungsweise aus einzelnen Grundrechten resultierenden Grenzen für die Handlungsformenwahl des Gesetzgebers missachtet und habe nicht gegen das Allgemeinheitsgebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verstoßen. „Die Kontaktbeschränkungen und der korrespondierende Ordnungswidrigkeitentatbestand waren zudem hinreichend bestimmt.“

4. „Die Kontaktbeschränkungen waren auch verhältnismäßig. Sie dienten verfassungsrechtlich legitimen Zwecken, die der Gesetzgeber in Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten erreichen wollte, waren im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet sowie erforderlich, um diese Zwecke zu erreichen, und standen hierzu nicht außer Verhältnis.“

a) Durch gesetzliche Regelungen erfolgende Eingriffe in Grundrechte könnten lediglich dann gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber mit dem Gesetz verfassungsrechtlich legitime Zwecke verfolge. Ob dies der Fall sei, unterliege der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Jedenfalls bei Gesetzen, mit denen der Gesetzgeber von ihm angenommenen Gefahrenlagen für die Allgemeinheit oder für Rechtsgüter Einzelner begegnen wolle, erstrecke sich die Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht auch darauf, ob die dahingehende Annahme des Gesetzgebers hinreichend tragfähige Grundlagen habe.

Gegenstand verfassungsgerichtlicher Überprüfung sei also sowohl die Einschätzung des Gesetzgebers zum Vorliegen einer solchen Gefahrenlage als auch die Zuverlässigkeit der Grundlagen, aus denen er diese abgeleitet habe oder ableiten durfte.

Die Verfassung überlasse dem Gesetzgeber hierbei für beides einen Spielraum, der vom Bundesverfassungsgericht lediglich in begrenztem Umfang überprüft werden könne. Die Einschätzung und die Prognose der dem Einzelnen oder der Allgemeinheit drohenden Gefahren seien verfassungsrechtlich darauf zu überprüfen, ob sie auf einer hinreichend gesicherten Grundlage beruhen. Je nach Eigenart des in Rede stehenden Sachbereichs, der Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter und den Möglichkeiten des Gesetzgebers, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden, könne die verfassungsgerichtliche Kontrolle dabei von einer bloßen Evidenz- über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle reichen.

Gehe es um schwerwiegende Grundrechtseingriffe, dürften Unklarheiten in der Bewertung von Tatsachen grundsätzlich nicht ohne Weiteres zu Lasten der Grundrechtsträger gehen. Jedoch könne sich – ­wie hier – auch die Schutzpflicht des Staates auf dringende verfassungsrechtliche Schutzbedarfe beziehen. Seien wegen Unwägbarkeiten der wissenschaftlichen Erkenntnislage die Möglichkeiten des Gesetzgebers begrenzt, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, genüge es daher, wenn er sich an einer sachgerechten und vertretbaren Beurteilung der ihm verfügbaren Informationen und Erkenntnismöglichkeiten orientiere. Dieser Spielraum gründee auf der durch das Grundgesetz dem demokratisch in besonderer Weise legitimierten Gesetzgeber zugewiesenen Verantwortung dafür, Konflikte zwischen hoch- und höchstrangigen Interessen trotz ungewisser Lage zu entscheiden.

Daran gemessen verfolgte der Gesetzgeber mit den angeordneten Kontaktbeschränkungen jeweils für sich genommen und auch in ihrer Zusammenschau verfassungsrechtlich legitime Zwecke. Mit dem Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite bezweckte der Gesetzgeber ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs, insbesondere Leben und Gesundheit zu schützen. Diese Ziele sollten durch effektive Maßnahmen zur Reduzierung von zwischenmenschlichen Kontakten erreicht werden.

Oberstes Ziel sei es gewesen, die weitere Verbreitung des Virus zu verlangsamen sowie deren exponentielles Wachstum zu durchbrechen, um eine Überlastung des Gesundheitssystems insgesamt zu vermeiden und die medizinische Versorgung bundesweit sicherzustellen. Sowohl der Lebens- und Gesundheitsschutz als auch die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems seien bereits für sich genommen überragend wichtige Gemeinwohlbelange und daher verfassungsrechtlich legitime Gesetzeszwecke. Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Schutz des Einzelnen vor Beeinträchtigungen seiner körperlichen Unversehrtheit und seiner Gesundheit umfasst, könne zudem eine Schutzpflicht des Staates folgen, die eine Vorsorge gegen Gesundheitsbeeinträchtigungen umfasse.

Die Beurteilung des Gesetzgebers, es habe bei Verabschiedung des Gesetzes eine Gefahrenlage für Leben und Gesundheit sowie die Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems bestanden, beruhte auf tragfähigen tatsächlichen Erkenntnissen“. Der Gesetzgeber habe mit der Aufgabenzuweisung an das Robert Koch-Institut im Grundsatz institutionell dafür Sorge getragen, dass die zur Beurteilung von Maßnahmen der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten benötigten Informationen erhoben und evaluiert wurden. Zu den Aufgaben des Robert Koch-Instituts gehöre es, die Erkenntnisse zu solchen Krankheiten durch Auswertung und Veröffentlichung der Daten zum Infektionsgeschehen in Deutschland und durch die Auswertung verfügbarer Studien aus aller Welt fortlaufend zu aktualisieren und für die Bundesregierung und die Öffentlichkeit aufzubereiten.

Auf dieser Grundlage habe das Robert Koch-Institut zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland aufgrund der anhaltend hohen Fallzahlen insgesamt als sehr hoch eingeschätzt. Der Gesetzgeber habe sich zudem in Sachverständigenanhörungen im zuständigen Ausschuss des Deutschen Bundestages mit den fachwissenschaftlichen Grundlagen befasst. „Mehrere wissenschaftliche Fachgesellschaften schätzten die Situation im Zeitraum des Inkrafttretens der angegriffenen Vorschriften und davor ähnlich wie das Robert Koch-Institut ein.“

Während des Gesetzgebungsverfahrens seien darüber hinaus fachliche Stellungnahmen zu allen relevanten Fragen öffentlich verfügbar gewesen und seien breit diskutiert worden. „Im Einzelnen unterschieden sich dabei die Einschätzungen zur Gefährdungslage, zur künftigen Entwicklung der Pandemie und zu den Maßnahmen, um diese einzudämmen.“ Belastbare Erkenntnisse, wonach nur geringe oder keine Gefahren für Leben und Gesundheit durch eine Infektion oder nur geringe oder keine Gefahren auch durch Überlastung des Gesundheitssystems vorlägen, seien jedoch nicht vorhanden gewesen.

b) Die angeordneten Beschränkungen von Kontakten im privaten und im öffentlichen Raum waren im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, die Gesetzeszwecke zu erreichen. Dafür genüge bereits die Möglichkeit, durch die gesetzliche Regelung den Gesetzeszweck zu erreichen. Bei der Beurteilung der Eignung einer Regelung stehe dem Gesetzgeber ein Spielraum zu, der sich auf die Einschätzung und Bewertung der tatsächlichen Verhältnisse, auf die etwa erforderliche Prognose und auf die Wahl der Mittel beziehe, um die Ziele des Gesetzes zu erreichen. Dieser Spielraum reiche nicht stets gleich weit, sondern hänge einzelfallbezogen etwa von den Möglichkeiten ab, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden.

Wiederum gelte zwar, dass bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen tatsächliche Unsicherheiten grundsätzlich nicht ohne Weiteres zulasten der Grundrechtsträger gehen dürften. Erfolge wie hier der Eingriff aber zum Schutz gewichtiger verfassungsrechtlicher Güter und sei es dem Gesetzgeber angesichts der tatsächlichen Unsicherheiten nur begrenzt möglich, sich ein hinreichend sicheres Bild zu machen, sei die verfassungsgerichtliche Prüfung auf die Vertretbarkeit der gesetzgeberischen Eignungsprognose beschränkt. Das schließe die Prüfung ein, ob die gesetzgeberische Prognose hinreichend verlässlich sei.

Danach waren die angeordneten Kontaktbeschränkungen „ein geeignetes Mittel, um unmittelbar Leben und Gesundheit von Menschen vor den Gefahren einer COVID-19-Erkrankung zu schützen und außerdem eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, die im Fall ihres Eintritts mit ihrerseits erheblichen Gefährdungen für das Leben und die Gesundheit an COVID-19 Erkrankter sowie aus anderen Gründen stationär oder gar intensivmedizinisch behandlungsbedürftiger Patienten einherginge“. Die Annahmen des Gesetzgebers über die Eignung der Kontaktbeschränkungen hätten auf tragfähigen Grundlagen beruht. Nach den in diesem Verfahren eingeholten Stellungnahmen der sachkundigen Dritten war und ist insoweit gesicherte Erkenntnislage, dass SARS-CoV-2 über respiratorische Sekrete übertragen werde. Auf Grundlage ihrer näheren Erkenntnisse hätten die sachkundigen Dritten weitgehend übereinstimmend ausgeführt, dass jede Einschränkung von Kontakten zwischen Menschen einen wesentlichen Beitrag zur Eindämmung von Virusübertragungen leiste.

Auf tragfähiger Grundlage beruhe auch die Regelungstechnik, die Geltung der Kontaktbeschränkungen an das Überschreiten des Schwellenwerts einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 zu knüpfen. Der Gesetzgeber habe sich damit sowohl für die Anknüpfung an die Inzidenz an sich als auch für den Schwellenwert innerhalb seines Einschätzungsspielraums gehalten.

c) Die angegriffenen Kontaktbeschränkungen seien als Maßnahmen zum Schutz von Leben und Gesundheit sowie zur Aufrechterhaltung eines funktionsfähigen Gesundheitssystems auch im verfassungsrechtlichen Sinne erforderlich gewesen. „Verfassungswidrig wären die Kontaktbeschränkungen gewesen, wenn andere, in der Wirksamkeit den Kontaktbeschränkungen in ihrer konkreten Gestalt eindeutig gleiche, aber die betroffenen Grundrechte weniger stark einschränkende Mittel zur Verfügung gestanden hätten.“ Hier sei aber, ausgehend von den bei Verabschiedung des Gesetzes vorhandenen Erkenntnissen zur Übertragbarkeit des Virus und zu den Möglichkeiten, seiner Verbreitung zu begegnen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber denkbare mildere Mittel nicht als sicher gleich wirksam wie die angeordneten Kontaktbeschränkungen angesehen habe, den Zweck der Regelung zu erreichen. Das gelte sowohl für seinerzeit möglichen Schutz durch Impfungen als auch für andere Maßnahmen zur Ausgestaltung von persönlichen Kontakten als Kontaktbeschränkungen.

d) Die Kontaktbeschränkungen seien auch verhältnismäßig im engeren Sinne gewesen. Das setze voraus, dass der mit der Maßnahme verfolgte Zweck und die zu erwartende Zweckerreichung nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs stünden. Es sei Aufgabe des Gesetzgebers, in einer Abwägung Reichweite und Gewicht des Eingriffs in Grundrechte einerseits der Bedeutung der Regelung für die Erreichung legitimer Ziele andererseits gegenüberzustellen. Um dem Übermaßverbot zu genügen, müssten hierbei die Interessen des Gemeinwohls umso gewichtiger sein, je empfindlicher die Einzelnen in ihrer Freiheit beeinträchtigt würden. Umgekehrt werde gesetzgeberisches Handeln umso dringlicher, je größer die Nachteile und Gefahren seien, die aus gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen könnten. Dem sei der Gesetzgeber gerecht geworden.

Mit den Kontaktbeschränkungen habe der Gesetzgeber Gemeinwohlziele von überragender Bedeutung verfolgt. „Der Gesetzgeber wollte so Leben und Gesundheit schützen, wozu er nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet ist.“ Er habe wegen der tatsächlichen Lage bei Verabschiedung des Gesetzes annehmen können, dass zu deren Schutz mit besonderer Dringlichkeit gehandelt werden musste. In der Abwägung habe der Gesetzgeber für den zu beurteilenden Zeitraum einen verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen den mit den Kontaktbeschränkungen verfolgten besonders bedeutsamen Gemeinwohlbelangen und den erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigungen gefunden. Der Gesetzgeber habe dem Lebens- und Gesundheitsschutz nicht einseitig Vorrang eingeräumt und habe auf der anderen Seite nicht die Grundrechte der Beschwerdeführenden außer Acht gelassen. Vielmehr habe er bei der Ausgestaltung der Kontaktbeschränkungen Sicherungen vorgesehen, um das Ausmaß der Eingriffe in die betroffenen Grundrechte, insbesondere in Art. 6 Abs. 1 GG und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, zu begrenzen, ohne den Lebens- und Gesundheitsschutz zu gefährden.

Dabei seien insbesondere die im Gesetz selbst angelegten Vorkehrungen zur Begrenzung grundrechtlich bedeutsamer Belastungen zu berücksichtigen. In diesem Sinne begrenzend hätten sowohl die zeitliche Befristung des Gesetzes als auch der dynamisch am Pandemiegeschehen ausgerichtete und regional differenzierende Regelungsansatz in § 28b IfSG gewirkt. Die mit dem Vierten Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite angeordneten Maßnahmen seien am 23. April 2021 in Kraft getreten und diese liefen nach mit Ablauf des 30. Juni 2021 aus. Die danach denkbare Höchstdauer der Maßnahmen – die in keinem Gebiet der Bundesrepublik erreicht worden sei – habe circa zwei Monate betragen. Ihre Wirkung habe sich lediglich in Landkreisen und kreisfreien Städten entfaltet, in denen an drei aufeinander folgenden Tagen die Sieben-Tage-Inzidenz den Schwellenwert von 100 überstiegen habe und nur bis der dortige Schwellenwert wieder für eine gewisse Zeit unterschritten worden sei. „Freiheitsbeeinträchtigungen wiegen aber grundsätzlich umso weniger schwer, je kürzer sie gelten.“

II. Die angeordneten Ausgangsbeschränkungen „griffen in verschiedene Grundrechte ein. Die Eingriffe waren im Ergebnis ebenfalls verfassungsrechtlich gerechtfertigt.“

1. „Die Ausgangsbeschränkungen griffen in das Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG ein.“ Dieses schütze die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen. Das Grundrecht gewährleiste allerdings von vornherein nicht die Befugnis, sich unbegrenzt und überall hin bewegen zu können. Die Fortbewegungsfreiheit setze damit in objektiver Hinsicht die Möglichkeit voraus, von ihr tatsächlich und rechtlich Gebrauch machen zu können. Subjektiv genüge ein darauf bezogener natürlicher Wille. Dabei schütze Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG nicht nur gegen Eingriffe durch unmittelbar wirkenden körperlichen Zwang. Vielmehr könnten auch staatliche Maßnahmen mit lediglich psychisch vermittelt wirkendem Zwang in das Grundrecht eingreifen, wenn deren Zwangswirkung in Ausmaß und Wirkungsweise einem unmittelbaren physischen Zwang vergleichbar sei. So habe es sich bei den hier angegriffenen Ausgangsbeschränkungen verhalten.

2. Die Ausgangsbeschränkungen habe auch in das Familiengrundrecht und die Ehegestaltungsfreiheit aus Art. 6 Abs. 1 GG sowie in das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG eingegriffen. Die Ausgangsbeschränkungen hätten den Beschwerdeführern über die Kontaktbeschränkungen hinaus untersagt, ihre familiären und partnerschaftlichen Zusammenkünfte frei zu gestalten.

3. „Die Regelung war jedoch formell und materiell verfassungsgemäß.“ Auch für die Ausgangsbeschränkungen habe eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes bestanden. „Die bußgeldbewehrten Ausgangsbeschränkungen erfüllten die Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit von Normen.“ Die Wahl eines selbstvollziehenden Gesetzes sei auch hier verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden gewesen. Insbesondere könne ein Gesetz, das unmittelbar ohne weiteren Vollzugsakt in die Fortbewegungsfreiheit eingreife, Art. 2 Abs. 2 Satz 3 und Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG genügen.

4. Die angegriffenen Ausgangsbeschränkungen seien in der konkreten Situation auch verhältnismäßig gewesen. „Sie dienten als Teil eines Gesamtschutzkonzepts dem verfassungsrechtlich legitimen Zweck des Schutzes von Leben und Gesundheit, waren zur Verfolgung dieses Zwecks im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet und erforderlich und standen dazu nicht außer Verhältnis.“

Die Annahme des Gesetzgebers, mittels der angeordneten Ausgangsbeschränkungen die Anzahl der Infektionen reduzieren zu können, habe sich innerhalb des ihm bei der Einschätzung der Eignung und der Erforderlichkeit einer Maßnahme zustehenden Spielraums gehalten. „Die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen sollten die allgemeinen Kontaktbeschränkungen … und die sonstigen Schutzmaßnahmen unterstützen und insbesondere die Einhaltung der Kontaktbeschränkungen in geschlossenen Räumen sichern.“ Dies habe auf der hinreichend tragfähigen Annahme beruht, dass der Virusübertragung und Ansteckung in Innenräumen zwar durch Schutzmaßnahmen wie dem Abstandhalten, dem Tragen von Masken, Lüften und allgemeiner Hygieneregeln entgegengewirkt werden könne, dass dies aber zur Abend- und Nachtzeit und im privaten Rückzugsbereich nur eingeschränkt durchsetzbar sei. Dass der Gesetzgeber sich dafür entschieden habe, solche Zusammenkünfte von vornherein über vergleichsweise einfach zu kontrollierende Ausgangsbeschränkungen zu reduzieren, sei angesichts der bestehenden Erkenntnislage verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden gewesen.

28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 IfSG habe auch dem Verhältnismäßigkeitsgebot im engeren Sinne genügt. Der Gesetzgeber habe für den zu beurteilenden Zeitraum einen verfassungsgemäßen Ausgleich zwischen den mit den Ausgangsbeschränkungen verfolgten besonders bedeutsamen Gemeinwohlbelangen und den durch die Beschränkungen bewirkten erheblichen Grundrechtsbeeinträchtigungen gefunden. Im Rahmen seines Schutzkonzepts habe er nicht einseitig dem Lebens- und Gesundheitsschutz sowie der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems Vorrang eingeräumt. Er habe vielmehr mit den speziell die Ausgangsbeschränkungen betreffenden Ausnahmeregelungen grundrechtlich geschützte, entgegenstehende Belange besonders berücksichtigt.

Das habe für die Mandats- und Berufsausausübung gegolten, einschließlich derjenigen von Medienvertretern, die auch während der nächtlichen Ausgangsbeschränkungen tätig sein konnten. Damit habe der Gesetzgeber insbesondere den Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 (Recht auf freie Berufswahl und -ausübung) und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG (Pressefreiheit) Rechnung getragen. Die Ausnahmen für die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts sowie für die Durchführung unaufschiebbarer Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen oder Minderjähriger hätten die Intensität des Eingriffs vor allem in die Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG abgemildert. Das Zusammenwirken der genannten Ausnahmen sei unter anderem Alleinerziehenden in ihrer besonderen Belastungssituation entgegengekommen. „Sämtliche Ausnahmetatbestände milderten also das Gewicht der Eingriffe in einzelne Grundrechte ab.“ Zudem habe die generalklauselartige Ausnahme aus § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe f IfSG die Eingriffsintensität abgemildert.

5. „Umfassende Ausgangsbeschränkungen kommen nur in einer äußersten Gefahrenlage in Betracht.“ Hier sei die Entscheidung des Gesetzgebers für die angegriffenen Maßnahmen in der konkreten Situation der Pandemie und nach den auch in diesem Verfahren durch die sachkundigen Dritten bestätigten Erkenntnissen zu den Wirkungen der Maßnahmen und zu den großen Gefahren für Leben und Gesundheit tragfähig begründet und mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen.

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