Von Jürgen Fritz, Mo. 20. Dez 2021, Titelbild: Sasin Tipchai, Pixabay, CC0 Creative Commons
Das Streben nach Glück entspringt einer uralten Sehnsucht des Menschen. Der erste Philosoph, der eine komplette Glücksphilosophie entwickelte, war wohl Aristippos von Kyrene (435-355 v.u.Z.), ein Schüler des Sokrates, der den Hedonismus begründete. Wie ist nun aber der Zusammenhang zwischen dem Glück und den Menschenrechten?
Glücksentwürfe in der antiken Philosophie
Für Aristoteles (384-322 v.u.Z.) bestand die Eudaimonia, die gelungene Lebensführung, die Glückseligkeit oder das Glück respektive das geglückte Leben in einem spezifisch menschlicher Lebensvollzug, das der menschlichen Seele entspreche und das hieß für Aristoteles in einer gut vollzogenen Vernunfttätigkeit, da der logos der höchste und dem Menschen eigentümliche Seelenteil ist. Glück (Eudaimonia) und Tugend (Arete) bilden nach Aristoteles eine Einheit. Das Glück liege also in der rechten Gestaltung der eigenen aktiven, tätigen Seele.
Epikur, (341-270 v.u.Z.) sah das Prinzip gelingenden Lebens primär in der Lust, also im Hedonismus. Damit meinte Epikur freilich eher ein Freisein von Unlust als eine bedingungslose und exzessive Hingabe an die Lust. Das Hauptziel der epikureischen Glücksphilosophie ist die Schmerzvermeidung, eine strategisch kluge Reduktion auf die notwendigsten Bedürfnisse. Epikur ist der Ansicht, dass jemand, der sich sehr hoch hinauswagt, auch sehr tief fällt, dass also extreme Lust auch immer extreme Unlust nach sich zieht. Deshalb empfiehlt er einen Weg des kleinen Glücks.
In der antiken Stoa, so bei Zenon von Kition (um 333-262 v.u.Z.) und in der römischen Stoa bei Marcus Tullius Cicero (106-43 v.u.Z.) und Seneca (1-65) wird wiederum die Tugend statt der Lust zum Prinzip des glücklichen Lebens entworfen. Anders als bei Aristoteles wird das Erreichen der Eudaimonia auch vom politischen Leben abgekoppelt. Glückselig sei der, der nach der Natur lebe. Man müsse sich von den Affekten befreien und gleichgültig gegenüber seinem Schicksal (apatheia) sein. Wirkliche Freiheit bestehe nur in Unabhängigkeit vom äußeren Geschick wie auch von den eigenen Leidenschaften und Wünschen. So lasse sich der Zustand der ataraxía erreichen, der für die Stoiker Glückseligkeit bedeutet.
Worin auch immer der Einzelne sein Glück zu finden glaubt, in der klugen Lust, im Hedonismus, in der Tugend, quasi der inneren Schönheit der Seele, deren spezieller Aktivität, in der Befreiung von unglückmachenden Affekten, so stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang von einem geglückten, einem gelingenden Leben und nach den Menschenrechten. Gibt es ein Menschenrecht auf Glück?
Es gibt kein Menschenrecht auf ein gutes Leben und auf Glück
Es gibt die Würde des Menschen, weil er ein vernunftbegabtes Wesen ist, das seine Instinkte, Triebe, Strebungen, Bedürfnisse und Wünsche reflektieren kann, ihnen anders als das Tier nicht vollkommen ausgeliefert ist. Deswegen sind Menschen grundsätzlich dazu fähig, über sich selbst zu bestimmen, sich selbst individuell (moralisch) und in der Gemeinschaft (juristisch) Gesetze zu geben.
Es gibt das Menschenrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit innerhalb dieser Gesetze, innerhalb des menschenrechtlichen Rahmens. Es gibt das Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Es gibt das Menschenrecht auf Freiheit von Sklaverei und von Folter. Es gibt das Menschenrecht auf Nichtdiskriminierung auf Grund von äußeren Merkmalen wie Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Herkunft, sozialer Stand etc.
Es gibt ein Menschenrecht auf freie Partnerwahl. Es gibt ein Menschenrecht auf Eigentum. Es gibt ein Menschenrecht auf Weltanschauungsfreiheit, inklusive metaphysisch-spekulativen, trostspendenden und haltgebenden Weltanschauungen (sofern diese nicht gegen die universalen Menschenrechte gerichtet sind). Es gibt ein Menschenrecht auf freie Berufswahl. Und ganz wichtig auch: Es gibt ein Menschenrecht auf Gedanken- und Redefreiheit, auf freie Meinungsäußerung.
Aber es gibt kein Menschenrecht auf ein gutes Leben und auf Glück. Schon gar nicht gibt es eine moralische Pflicht, dass andere der Person P ein gutes Leben bereiten müssten, dass andere für das Glück von P verantwortlich wären und die Pflicht hätten, P glücklich zu machen.
Jedem Recht steht eine Pflicht gegenüber, für sein Lebensglück ist jeder selbst verantwortlich
Denn jedem Recht steht auf der Gegenseite eine Pflicht gegenüber. Wenn P das Menschenrecht hat, nicht als Sklave, als Ding, als reines Objekt betrachtet und gehalten zu werden, so ist es die Pflicht eines jeden anderen, sich keine Sklaven zu halten. Wenn es ein Menschenrecht ist, frei von Folter zu sein, dann es ist die Pflicht eines jeden anderen, auf Folter zu verzichten und das keinem anderen anzutun. Wenn es eine Menschenrecht auf Redefreiheit gibt, dann ist es die Pflicht eines jeden anderen, P nicht den Mund zu verbieten, ihm nicht den Mund mit Gewalt zuzuhalten und ihn auch nicht zu bedrohen oder einzuschüchtern, um seine Rede zu verhindern.
Selbstverständlich muss niemand P zuhören. Wenn man das uninteressant findet, was P zu sagen hat, wenn man das nicht hören will, dann kann sich jeder, der das will, umdrehen und gehen. Keiner muss lesen, was die Person P schreibt, aber keiner darf P den Mund mit Gewalt zuhalten, um ihm am reden zu hindern, oder ihn am schreiben hindern. Jeder hat das Recht, für seine Gedanken und seine Weltsicht zu werben. All das sind Menschenrechte, denen auf der Gegenseite immer Pflichten gegenüber stehen. Für sein Lebensglück aber ist jeder selbst verantwortlich. Aufgabe der Gesellschaft ist es nur, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen Menschen nach ihrem persönlichen Glück streben können, ohne von anderen daran gehindert zu werden.
Es gibt eine moralische Pflicht, andere anständig zu behandeln und das universal
Natürlich verdient jeder Mensch faire Chancen, damit er die Möglichkeit hat, nach einem guten Leben und nach seinem persönlichen Glück zu streben. Andere dürfen P nicht unterdrücken und ihn nicht massiv daran hindern, innerhalb dieses menschenrechtlichen Rahmens nach seinem persönlichen Glück zu streben, aber es gibt keine Pflicht, fremde Menschen glücklich machen zu müssen.
Das käme einer völligen Überforderung gleich, denn das würde ja schier ins Unendliche gehen. Jeder wäre letztlich für jeden anderen verantwortlich. Und jeder könnte dann quasi Milliarden Menschen ständig verklagen, wenn man die universalen Menschenrechte in Gesetzen entsprechend verankern und konkretisieren würde. Die Welt bestünde nur noch aus Richtern und Anwälten und Gerichtsprozessen. Das zeigt vielleicht, wie abstrus solche Vorstellungen sind. Was es tatsächlich gibt, ist eine moralische Pflicht, andere anständig und fair zu behandeln – und zwar jeden Menschen auf der Erde, daher universal. Glücklich machen aber muss jeder sich selbst.
Jeder hat das Recht, andere glücklich zu machen, eine Pflicht dazu gibt es aber nicht
Wenn Menschen sich frei zusammen tun, zum Beispiel weil sie sich lieben, und eine kleine Gemeinschaft bilden wollen, mit Kindern, gemeinsamem Haushalt etc. und besondere Pflichten füreinander freiwillig eingehen wollen, indem sie sich gegenseitig etwas verbindlich versprechen, dann dürften sie das natürlich. Daraus entstehen dann besondere moralische Pflichten dem Partner und den eigenen Kindern gegenüber, für die man verantwortlich ist, solange diese noch nicht eigenständig leben können und auf diese Hilfe angewiesen sind. Aber all das ist freiwillig. Niemand muss sich mit einem anderen zusammentun und Kinder zeugen. Das zu tun, ist ein Recht, aber keine Pflicht. Und eine Pflicht, fremde Menschen glücklich zu machen, gibt es schlicht nicht. Das wäre eine völlige Überforderung.
Wenn jemand das machen möchte, wenn es jemanden selbst glücklich macht oder wenn jemand eine persönliche Pflicht empfindet, für sehr viele andere Verantwortung zu übernehmen, und er versucht, anderen ein besseres Leben zu ermöglichen, so ist das toll, absolut löblich und verdient alle Achtung. Das darf jeder frei tun, der das will. Jeder hat das Recht, sich um andere zu kümmern und jeder darf versuchen, auch andere glücklich zu machen. Das kann dem eigenen Leben auch eine weitere Sinndimension verleihen. Eine Pflicht dazu gibt es aber nicht. Ergo gibt es auf der Gegenseite auch kein Menschenrecht, dass andere mich glücklich zu machen hätten.
Was man erwarten darf und was nicht
Wenn jemand sich darum freiwillig bemühen will, mich glücklich zu machen, so werde ich natürlich, wie die allermeisten von uns sehr dankbar dafür sein. Aber niemand muss das tun. Das kann ich nicht erwarten und ich kann andere nicht für mein Leben verantwortlich machen, ob es gelingt oder nicht. Dafür bin primär ich verantwortlich. Von anderen darf ich aber erwarten, dass sie meine Menschenrechte achten und anerkennen, dass sie mich in meinem Streben nach Glück und nach einem gelingenden Leben nicht ungebührlich behindern, mich nicht unterdrücken oder radikal in meinen natürlichen Grund- und Menschenrechten einschränken.
Das darf jeder von jedem anderen erwarten: dass anerkannt wird, dass jeder das natürliche Recht hat, nach seinem persönlichen Glück, nach seinen eigenen Vorstellungen von einem gelungenen Leben zu streben. Dass jeder das das nach seinen eigenen Vorstellungen zu verwirklichen versucht und dass alle anderen das zulassen und dieses Recht, das anzustreben, anerkennen. Wir sollten uns bemühen, dass dies überall auf der Erde nach und nach eingesehen und für alle Menschen respektiert wird. Damit wäre unglaublich viel gewonnen.
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