Omikron: Was kommt da auf uns zu?

Von Jürgen Fritz, Di. 21. Dez 2021, Titelbild: ZDF-Screenshot

Eine gewaltige neue Corona-Welle rollt auf Deutschland zu, die alles in den Schatten stellen wird, was bisher war. In Südafrika im November erstmals identifiziert verbreitet sich die Omikron-Variante von SARS-CoV-2 rasend schnell, wurde gestern bereits in 97 Staaten registriert. Das Problem: Die Impfstoffe wirken bei Omikron deutlich schwächer. Doch es gibt Grund zur Hoffnung.

Von Südafrika aus startet Omikron (B.1.1.529) zu einen Siegeszug über alle anderen SARS-CoV-2-Varianten

Die neue Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 B.1.1.529 wurde am 9. November erstmals in Südafrika und Botswana, dann in Hongkong identifiziert.

Am 26. November 2021 wurden in Norwegen bei einer Weihnachtsfeier in Oslo von 117 Teilnehmern 87 (74 Prozent) mit Omikron infiziert, obschon 96 Prozent von ihnen geimpft waren. Die meisten waren zwischen 30 und 50 Jahre alt. Fast alle entwickelten Symptome, aber in den nächsten zweieinhalb Wochen musste keiner hospitalisiert werden. Infiziert wurden sie vermutlich von einem Besucher, der am 24. November aus Südafrika zurückgekehrt war.

Am 26. November 2021 von wurde B.1.1.529 von der WHO als besorgniserregende Variante eingestuft und als Omikron mit dem 15. Buchstaben des griechischen Alphabets bezeichnet. Das Gesamtrisiko von Omikron stufte die WHO wegen des globalen Risikos eines Anstiegs der Erkrankungen mit möglichen schwerwiegenden Folgen am 10. Dezember als „sehr hoch“ ein.

Die US-Behörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) teilte gestern, am Montag, den 20. Dezember 2021, mit, dass in den USA 73 Prozent der Neuinfektionen in der letzten Woche von Omikron verursacht wurden. Innerhalb einer Woche stieg der Omikron-Anteil von unter 13 auf 73 Prozent.

In Dänemark und Großbritannien hat Omikron das Kommando bereits weitgehend übernommen

In diesen beiden Ländern im Norden und Westen Europas explodieren die Zahlen der Neuinfektionen förmlich. 

Dänemark und Großbritannien sind so etwas wie die Versuchsstationen für die Omikron-Welle, nicht nur in Europa. In diesen beiden Ländern wird besonders viel getestet und sequenziert, so dass die Datenlage dort mit am besten ist. Zugleich waren in diesen Ländern die Maßnahmen fast vollständig zurückgefahren. Jetzt kommt es dort zu besonders schnellen Anstiegen der Neuinfektionen. Aktuell weisen Dänemark und Großbritannien mit die höchsten 7-Tages-Inzidenzen weltweit auf – 2,5 bis 3,5 mal so hoch wie in Deutschland, wo Omikron erst langsam ankommt.

In Dänemark haben bereits Ende letzter Woche die Neuinfektionen mit Omikron jene mit Delta überflügelt. 80 Prozent dürften bereits auf Omikron zurückgehen, wie der Ökonometriker und Covid-Statistik-Experte Peter R. Hansen am Montag schätzte, der auch mit seinen bisherigen Prognosen ziemlich richtig lag.

Die Zahl der mit Omikron Infizierten verdoppelt sich in Deutschland in zwei bis vier Tagen, in anderen Ländern noch schneller

Das ECDC (Europäisches Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten) erklärte am 15. Dezember 2021, es schätze die Wahrscheinlichkeit einer weiteren Verbreitung der Omikron-Variante in der EU als sehr hoch ein. Ohne zusätzliche Maßnahmen dürfte Omikron bereits zwischen Ende Dezember 2021 und Februar 2022 die dominierende Variante in Europa werden. Dies hängt mit der enorm hohen Übertragbarkeit (Transmission) von Omikron zusammen.

Die WHO gab am 17. Dezember 2021 bekannt, es gebe übereinstimmende Beweise dafür, dass Omikron gegenüber Delta einen erheblichen Wachstumsvorteil habe. B.1.1.529 breite sich in der Gemeinschaft nochmals deutlich schneller als Delta aus, nämlich mit einer Verdopplungszeit zwischen 1,5 und 3 Tagen, selbst in Staaten mit hoher Immunität in der Bevölkerung. In Deutschland verdoppelt sich die tägliche Anzahl der mit Omikron neu Infizierten bisher etwa alle zwei bis vier Tage. Das heißt, wir haben es hier mit einem exponentiellen Wachstum von enormer Geschwindigkeit zu tun.

Die Giftigkeit von Omikron kann noch nicht klar eingeschätzt werden, könnte aber, wenn wir Glück haben, eher geringer sein

Omikron ist also auf jeden Fall noch infektiöser als die bislang dominierende, bereits hochansteckende Delta-Variante von SARS-CoV-2. Bezüglich der Schwere der Krankheitsverläufe kann laut der WHO vom 17. Dezember in Bezug auf Omikron noch keine klare Einschätzung abgegeben werden. Grundsätzlich  sehe es so aus, als verliefen die Erkrankungen mit Omikron weniger schwerwiegend als mit den vorherigen Varianten, sagte die Vorsitzende des südafrikanischen Ärzteverbands, Angélique Coetzee, Ende November dem britischen Fernsehsender BBC. Südafrika weist eine andere Altersstruktur auf als Deutschland und viele Omikron-Infizierte dort seien zuvor schon von einer anderen Corona-Variante genesen.

„Die Patienten klagen meist über einen schmerzenden Körper und Müdigkeit, extreme Müdigkeit“, erklärte Coetzee weiter. „Wir sehen es bei der jüngeren Generation, nicht bei den älteren Menschen.“ Und Michelle Groome vom südafrikanischen Nationalen Institut für übertragbare Krankheiten NICD sagt: „Es gibt eine Zunahme bei Krankenhauseinlieferungen von Kindern der Altersgruppe bis fünf Jahre.“ In der Hauptstadt Pretoria stellten junge Kinder die zweitgrößte im Krankenhaus behandelte Altersgruppe nach Personen älter als 60 Jahre. Aber auch hier gilt: Die südafrikanische Bevölkerung ist im Schnitt wesentlich jünger als etwa die Deutsche.

Die bis zum 15. Dezember verfügbaren Daten im Vereinigten Königreich sind laut der UK Health Security Agency erlauben ebenfalls noch keine klare Einschätzung. Erste Daten deuteten jedoch nicht auf einen deutlichen Unterschied im Vergleich zu Delta hin, was die intrinsische Virulenz (Giftigkeit) anbelangt.

Bei den Symptomen ist laut Wissenschaftlern aus Südafrika und Großbritannien ein Symptom besonders auffällig: starker Nachtschweiß. Neben Fieber und Schmerzen im Körper sei dieses Symptom häufig beobachtet worden. Der britische Mediziner Amir Khan meinte: „Es handelt sich dabei um diese nächtlichen heftigen Schweißausbrüche, nach denen man sich umziehen muss.“

Expertenrat in Deutschland empfiehlt Kontaktbeschränkungen und Intensivierung der Impfkampagne

Der neue deutsche Corona-Expertenrat der Bundesregierung bezog gestern, am 19. Dezember, Stellung. Es sei eine „erhebliche Überlastung der Krankenhäuser zu erwarten“, selbst „für den wenig wahrscheinlichen Fall einer deutlich abgeschwächten Krankheitsschwere im Vergleich zur Delta-Variante.“ Eine Versorgung aller Erkrankten in angemessener Qualität werde nicht mehr möglich sein.

Der Expertenrat um Prof. Heyo Kroemer (Charité), Prof. Melanie Brinkmann (TU Braunschweig), Prof. Alena Buyx (TU München, Deutscher Ethikrat), Prof. Christian Drosten (Charité), Prof. Thomas Mertens (STIKO), Prof. Michael Meyer-Hermann (Uni Braunschweig), Dr. Viola Priesemann (MPI), Prof Hendrik Streeck (UK Bonn), Prof. Lothar Wieler (RKI) und zehn weitere Experten fordert:

  1. „gut geplante und gut kommunizierte Kontaktbeschränkungen“, um die Ausbreitung zu verlangsamen,
  2. eine Intensivierung der Impfkampagne.

Impfungen alleine werden aber nicht reichen. Omikron breitet sich mit ungeahnter Geschwindigkeit aus. Gestern, am 20. Dezember 2021, wurden Fälle von Omikron in 97 Staaten gemeldet. Die Niederlande ist bereits in den Lockdown zurück gegangen, bis mindestens Mitte Januar, um die Welle zumindest abzubremsen. Auch Dänemark fährt große Teile des öffentlichen Lebens wieder herunter. 

Die COVID-19-Impfungen wirken deutlich weniger gegen Omikron, sind aber gleichwohl dringend empfehlenswert

„Man sieht, dass es kaum mehr einen Schutz vor einer Infektion gibt“, sagte die Virologin Sandra Ciesek vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main bei einem Pressegespräch bereits letzten Mittwoch. Ciesek hatte mit ihrer Arbeitsgruppe vor zwei Wochen einen der weltweit ersten Datensätze vorgelegt, der die Infektionsgefahr mit Omikron unter Geimpften und Geboosterten erfasste.

Den Daten zufolge erreichte die Impfung selbst bei Personen mit Drittimpfung nur eine Schutzquote zwischen 58 und 78 Prozent, je nach Impfstoff. Je länger die Impfung zurückliegt, desto stärker geht auch der Schutz zurück. „Das Virus findet einfach wieder mehr Wirte als Delta im Vergleich, wo der Schutz deutlich besser ist“, sagte Ciesek.

Dennoch bleibt eine Impfung mit allen drei Impfdosen dringend empfehlenswert. Denn 58 bis 78 Prozent sind noch immer ein guter Wert, der zumindest die Mehrheit der geimpften Menschen vor einer Ansteckung schützen kann. Zum anderen verringert der Impfstoff nach wie vor die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs, an dessen Ende die Intensivstation oder der Tod stehen, drastisch. Erste Labordaten aus Südafrika bestätigen das.

Omikron entwischt den Antikörpern besonders gut, ist aber gegen unsere T-Zellen weitgehend hilflos

Denn eine Impfung erzeugt nicht nur eine, sondern zwei Abwehrreihen. Die erste besteht aus Antikörpern, die das Virus im Körper neutralisieren, bevor es zu einer Infektion kommt. Die zweite Abwehrreihe besteht aus T-Zellen, die dann aktiv werden, wenn das Coronavirus schon erfolgreich eine andere Zelle infiziert hat. Sie dämmen den Krankheitsverlauf ein.

Während die Omikron-Variante verhältnismäßig geschickt darin ist, den Antikörpern zu entwischen, geht sie den T-Zellen ins Netz und ist ihnen gegenüber quasi hilflos. Der Immunologe Christoph Neumann-Haefelin von der Uniklinik Freiburg vergleicht das mit einer mittelalterlichen Burg: Die Antikörper sind die hohen Mauern, die T-Zellen sind die Soldaten im Burghof. Omikron schafft es zwar recht gut, die Burgmauer zu überspringen, an den Soldaten im Burghof kommt es kaum vorbei. 

Welcher Impfstoff wirkt wie gut gegen Omikron?

Die Datenlage ist momentan noch zu dünn, um verbindliche Aussagen machen zu können. Ein internationales Team aus 49 Forschern hat letzte Woche in einem Paper erste Zahlen zum Schutz nach zwei Impfungen vorgelegt:

  1. Demnach wirkt eine doppelte Impfung mit Moderna + Booster-Impfung noch am besten (damit soll ein Schutz von ca. 58 bis 78 Prozent erreicht werden),
  2. gefolgt von Biontech.
  3. Eine lediglich zweifache Impfung mit Astrazeneca, Johnson & Johnson, dem chinesischen Impfstoff Sinopharm oder dem russischen Vakzin Sputnik schützt hingegen so gut wie gar nicht und der neue Impfstoff Novavax, der kurz vor der Zulassung in der EU steht, kann hier noch nicht eingeschätzt werden, dürfte aber ebenfalls kaum einen Schutz gegen Omikron bieten.

Aber selbst bei Moderna, mit dem man derzeit noch am besten gegen Omikron gewappnet ist, liegt der Impfschutz deutlich niedriger als bei der Delta-Variante, bei Alpha und dem Wildtyp. Dass Astrazeneca kaum wirkt bei Omikron, belegen auch erste Zahlen aus Großbritannien und Österreich.

Zwei Impfungen bieten keinen ausreichenden Schutz gegen Omikron, neue Impfstoffe werden notwendig

Zu beachten ist außerdem, dass der Impfschutz mit der Zeit abnimmt. In Cieseks Untersuchung lag die Schutzwirkung bei allen Impfstoffen nach sechs Monaten und ohne Drittimpfung bei null Prozent. Umso wichtiger ist demnach die Booster-Impfung.

Moderna veröffentlichte vorläufige Daten zur dritten Dosis. Der bereits zugelassen Booster (50 μg mRNA-1273) erhöht Omikron-neutralisierende Antikörperspiegel um das rund 37-fache im Vergleich zum Antikörperspiegel vor der Auffrischungsimpfung. Und damit wird dann eine Schutzwirkung von immerhin 58 bis 78 Prozent erreicht.

Aus dieser bisherigen Datenlage lassen sich zumindest zwei Dinge schlussfolgern.

  1. Die Booster-Impfung ist wichtig, um eine Ansteckung zumindest hinauszuzögern und die Gefahr eines schweren Krankheitsverlaufs zu minimieren.
  2. Wir brauchen unbedingt neue Impfstoffversionen, um wieder einen ca. 90-prozentigen Schutz zu gewährleisten.

Biontech stellt neuen, speziell auf Omikron abgestellten Impfstoff binnen 100 Tagen in Aussicht

Das wissen natürlich auch die Impfstoffhersteller. Biontech und Moderna haben sich schon vor Wochen an die Arbeit gemacht. Ugur Sahin, der Vorstandvorsitzende von Biontech, sagte bereits Anfang Dezember gegenüber Reuters:

„Ich glaube grundsätzlich, dass wir ab einem bestimmten Zeitpunkt einen neuen Impfstoff gegen diese neue Variante benötigen werden.“

Die Frage sei lediglich, wann dieser Zeitpunkt kommt. Prinzipiell sei es nicht überraschend, dass Viren mutieren, so Sahin. Dass es so schnell gehen würde, hat aber auch er nicht erwartet:

Dieses hochmutierte Virus kam früher, als ich erwartet hatte. Ich hatte irgendwann nächstes Jahr damit gerechnet und es ist schon bei uns.“

Was Hoffnung macht: Die neuartige mRNA-Technik der Impfstoffe von Biontech und Moderna ermöglicht eine rasche Anpassung an Mutationen. Innerhalb von 100 Tagen werde Biontech einen neuen Impfstoff entwickelt haben, stellte Sahin in Aussicht. Bereits jetzt testen Impfstoffhersteller auf aller Welt die Auswirkungen der Omikron-Variante.

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