Von Jürgen Fritz, Mo. 14. Mrz 2022, Titelbild: YouTube-Screenshot
Die Welt braucht Helden. Raif Badawi ist ein Held. 2008 gründete der saudi-arabische Blogger das Online-Forum „Die Saudischen Liberalen“. Staatliche Behörden reagierten schnell mit Repressionen, mit einem Reiseverbot und dem Einfrieren seiner Konten. Doch Badawi ließ sich nicht einschüchtern, übte immer wieder Kritik, setzte sich für das Recht auf freie Meinungsäußerung und Frauenrechte ein.
Raif Badawi plädiert für einen liberalen Staat mit Religionsfreiheit
Wiederholt kritisierte der junge Mann die Religionspolizei für ihre harte Durchsetzung der in Saudi-Arabien vorherrschenden strengen Auslegung des Islam. Auf seinem Blog forderte Badawi, andere Religionen mit dem Islam gleichzusetzen. Er „plädiert[e] [er] für einen liberalen Staat und damit für das Recht eines jeden, seine Religion frei zu wählen“. Über das Verhältnis von Staat und Religion schrieb er:
„Der Staat ist religionslos. Das heißt nicht, dass er ketzerisch ist. Ganz im Gegenteil schützt und pflegt der Staat das Recht aller Religionen, ohne sie zu diskriminieren, zu bevorzugen oder den Glauben der Mehrheit zu missionieren. Der Liberalismus ist die Vision eines freien und guten Lebens für alle. Und diese Vision steht im Einklang mit der göttlichen Religion, die immer und jederzeit zur Güte, Liebe und zum Frieden aufruft.“
Mit Blick auf die Situation der Frauen in Saudi-Arabien schrieb Badawi:
„Natürlich muss das liberale System auf andere Konzepte ausgeweitet werden wie Menschenrechte, Gleichberechtigung und Chancengleichheit. Hätten liberale Frauen und Männer nicht über Jahrzehnte dafür gekämpft, gäbe es solche Konzepte und Ideen nicht.“

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Festnahme und Verurteilung zu zehnjähriger Haft + anschließendem zehnjährigen Ausreiseverbot + Geldstrafe
2012 wurde der nun 28-Jährige festgenommen. Es wurde ein Verfahren gegen ihn eingeleitet wegen „Apostasie“ (Abtrünnigkeit vom Islam). Ein islamisches Rechtsgutachten erklärte ihn im März 2013 zu einem „Ungläubigen“ (kafir). Das Gericht warf ihm vor, er habe Muslime, Christen, Juden und Atheisten als gleichwertig bezeichnet, was gegen ein im Jahr 2014 in Kraft getretenes Anti-Terror-Gesetz verstoße. Dieses Gesetz sieht im Artikel 1 jede Infragestellung des Islam als terroristische Handlung.
2014 wurde Badawi wegen „Beleidigung des Islams“ zu zehn Jahren Haft, tausend Peitschenhieben und einer Million Rial Geldstrafe (heute rund 244.000 Euro) verurteilt plus einem anschließenden Ausreiseverbot von nochmals zehn Jahren.
Der frühere (bis 2013) Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung Markus Löning (FDP) nannte das Urteil „nicht nur unverhältnismäßig, sondern unmenschlich“. Das Europäische Parlament forderte im Februar 2015 die sofortige Freilassung Raif Badawis. In der mit großer Mehrheit angenommenen Resolution wurde die Auspeitschung „mit aller Schärfe als eine grausame und schockierende Handlung der staatlichen Stellen Saudi-Arabiens“ verurteilt. Amnesty International konstatierte, dass es sich bei Badawi um einen politischen Gefangenen (prisoner of conscience) handele, der verurteilt wurde, weil er friedlich von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machte.
Auch Badawis Anwalt wurde vor Gericht gestellt und zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt
Badawis Anwalt Waleed Abu al-Khair hat viele Opfer von Menschenrechtsverletzungen vor Gericht vertreten, obwohl die saudi-arabischen Behörden jahrelang versuchten, ihn einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Er verteidigte auch Raif Badawi. Im April 2014 wurde auch Waleed Abu al-Khair festgenommen und im Juli 2014 zu 15 Jahren Haft plus einem anschließenden Reiseverbot von 15 Jahren plus einer Geldstrafe von 200.000 Saudi-Riyal (etwa 39.200 Euro) verurteilt.
Vorgehalten wurden dem Anwalt und Menschenrechtsanhänger unter anderem „Ungehorsam gegenüber dem Herrscher und der Versuch, seine Legitimität zu untergraben“ sowie „Schädigung des Rufs des Staates durch den Austausch mit internationalen Organisationen“. Seinen Angaben zufolge wurde er während der Haft körperlicher und psychischer Folter ausgesetzt. Im September 2018 wurde Waleed Abu al-Khair in Abwesenheit mit dem Alternativen Nobelpreis der Stockholmer Right-Livelihood-Stiftung ausgezeichnet.
Auch Badawis Schwester Samar wurde 2018 verhaftet, nachdem sie mit anderen Aktivistinnen friedlich für mehr Freiheiten für Frauen in Saudi-Arabien demonstriert hatte. 2021 kam sie frei.
Lebensbedrohliche Auspeitschung und Auszeichnung mit dem Sacharow-Preis
Im Januar 2015 erhielt Badawi die ersten 50 Peitschenhiebe seiner lebensbedrohenden Strafe, die er ab nun jede Woche verabreicht bekommen sollte – fast ein halbes Jahr lang (20 Wochen). Nach seiner ersten Auspeitschung mit 50 Stockhieben war er so schwer verletzt, dass die Fortführung eine Woche später mit weiteren 50 Schlägen durch Anordnung des Gefängnismediziners vorerst verschoben werden musste. Es folgte eine internationalen Protestwelle.
Im März 2015 wurde bekannt, dass Badawi möglicherweise sogar von der Todesstrafe bedroht sei wegen Apostasie, „Abfall vom rechten Glauben“. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Außenminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel setzte sich auf die persönliche Bitte von Badawis Ehefrau in Saudi-Arabien für den Inhaftierten ein.
Das EU-Parlament zeichnete Badawi bereits 2015 mit dem Sacharow-Preis für Meinungsfreiheit und Menschenrechte aus.
Raif Badawi ist endlich frei, darf aber weitere zehn Jahre nicht aus Saudi-Arabien ausreisen
Raifs Frau Ensaf Haidar Badawi war nach der Festnahme ihres Mannes zusammen mit den drei gemeinsamen Kindern nach Kanada geflohen. Dort leben die Vier in Sherbrooke in der Provinz Québec. Haidar hat die kanadische Staatsangehörigkeit angenommen. Von dort aus kämpfte sie unermüdlich für die Freilassung ihres Mannes. Sieben Jahre lang hielt sie jeden Freitag eine öffentliche Mahnwache für ihren in Saudia-Arabien inhaftierten Ehemann. Den Kontakt zu ihm hielt und hält sie mit regelmäßigen Telefonaten.
Am Freitag, den 11. März 2022, gab Ensaf Haidar Badawi auf Twitter die Entlassung ihres Ehemannes aus der Haft bekannt. Saudi-Arabien bestätigte, dass Badawi nach seiner Freilassung einem zehnjährigen Ausreiseverbot unterliegt. Ein Vertreter des Innenministeriums in Riad bestätigte der Nachrichtenagentur AFP am Samstag ein zehnjähriges Ausreiseverbot. Vor Ablauf der zehn Jahre könne Badawi das Land nur im Falle einer Begnadigung durch den König verlassen. „Das gegen Raif verhängte Urteil war zehn Jahre Haft, gefolgt von einem Reiseverbot der selben Dauer“, sagte der Ministeriumsvertreter. Das Gerichtsurteil sei endgültig.
Der heute 38-Jährige, der seine Frau und seine Kinder zehn Jahre lang nicht in den Arm nehmen, ja nicht einmal sehen konnte, wird die Ausreise aus Saudi-Arabien nun also weitere zehn Jahre verwehrt.
81 Hinrichtungen an einem Tag
Am Samstag, nur ein Tag nach der Freilassung Badawis, ließ das islamische Saudi-Arabien dann nach Berichten der Staatsmedien an einem einzigen Tag 81 Menschen hinrichten. Beobachter sprechen von der größten Massenhinrichtung in der jüngeren Geschichte des Landes.
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